Verletzung im Recht auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist betreffend ein Auskunftsbegehren eines Journalisten an den Magistrat Wien; Verpflichtung zur Auskunftserteilung gemäß dem Wr AuskunftspflichtG spätestens acht Wochen nach Einlangen des Begehrens; keine Rechtfertigung der – überwiegend dem Verhalten staatlicher Organe zuzuschreibenden – siebenjährigen Verfahrensdauer; Ablehnung der Behandlung der Beschwerde hinsichtlich der Art und Weise der Auskunftserteilung durch den Magistrat
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist nach Art6 Abs1 EMRK verletzt worden.
2. Insoweit wird der Antrag, das angefochtene Erkenntnis aufzuheben, abgewiesen.
II. 1. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
2. Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
III. Das Land Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreter die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Mit Schreiben vom 19. Oktober 2016 stellte der Beschwerdeführer beim Magistrat der Stadt Wien folgenden Antrag gemäß §2 und §3 Wiener Auskunftspflichtgesetz:
"Seit dem Frühjahr sammelte die Stadt Wien laut Medienberichten Vorschläge zu Effizienzmaßnahmen.
Hiermit beantrage ich gem §§2, 3 Wiener Auskunftspflichtgesetz die Erteilung folgender Auskunft:
- Wie ist der Wortlaut der etwa 1.200 gesammelten Vorschläge zu Effizienzmaßnahmen?
- Wie ist der Wortlaut der Ergebnisse der (etwa 740, laut Medienberichten) Prüfungen dieser Vorschläge?
Ich beantrage die Beantwortung in Form von vollständigen Auflistungen. […]"
2. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 5. Dezember 2016 wurde ausgesprochen, dass die vom Beschwerdeführer begehrte Auskunft nicht zu erteilen sei. Die dagegen erhobene Beschwerde des (nunmehrigen) Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 14. Juli 2017 als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Mai 2018, Ra 2017/03/0083, aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof erkannte in der Sache selbst, dass das in Revision gezogene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien dahingehend abgeändert werde, dass der Beschwerde gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 5. Dezember 2016 Folge gegeben, der Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Magistrat der Stadt Wien zurückverwiesen werde.
3. Mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2019 erhob der Beschwerdeführer Säumnisbeschwerde an das Verwaltungsgericht Wien, welcher mit Erkenntnis vom 2. Mai 2020 Folge gegeben wurde. Das Verwaltungsgericht Wien stellte fest, die Behörde sei ihrer Pflicht zur Beantwortung der vom Beschwerdeführer gestellten Fragen nicht nachgekommen. Die Behörde habe dem Beschwerdeführer umfassende Akteneinsicht in alle Akten des Magistrates der Stadt Wien zu gewähren, in welchen die 1.200 Vorschläge behandelt werden. Eine dagegen vom Magistrat der Stadt Wien erhobene Amtsrevision wurde mit Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. Oktober 2021, Ra 2020/03/0120, teilweise zurückgewiesen; teilweise wurde der Revision Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis dahin abgeändert, dass festgestellt werde, dass der Magistrat der Stadt Wien die vom Beschwerdeführer begehrte Auskunft zu Unrecht verweigert habe.
4. Anlässlich eines Einsichtstermins des Beschwerdeführers beim Magistrat der Stadt Wien am 5. Mai 2022 ersuchte der Beschwerdeführer um Ausstellung eines Bescheides darüber, ob die Auskunft mittlerweile vollständig erteilt worden sei. Mit Bescheid vom 1. August 2022 wies die Behörde den Antrag des Beschwerdeführers gemäß §3 Abs3 Wiener Auskunftspflichtgesetz als unzulässig zurück. Die Auskunft sei dem Beschwerdeführer bereits gesetzmäßig erteilt worden. Mit – unbekämpft gebliebenem – Erkenntnis vom 12. April 2023 gab das Verwaltungsgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde des Beschwerdeführers statt und hob den angefochtenen Bescheid mit der Begründung auf, die beantragte Auskunft sei bislang nicht vollständig erteilt worden.
5. Mit Schreiben vom 9. Juni 2023 beantragte der Beschwerdeführer beim Magistrat der Stadt Wien neuerlich die Erlassung eines Bescheides darüber, ob die Auskunft mittlerweile vollständig erteilt worden sei. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 14. August 2023 wurde der Antrag gemäß §3 Abs3 Wiener Auskunftspflichtgesetz als unzulässig zurückgewiesen. Die begehrte Auskunft sei bereits gesetzmäßig erteilt worden.
6. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 30. Jänner 2024 hob das Verwaltungsgericht Wien den Bescheid vom 14. August 2023 auf. Begründend führte es aus, der Magistrat der Stadt Wien habe dem Beschwerdeführer im Ausmaß von 40 Stunden in knapper Frequenz Einsichtstermine angeboten, bei denen ein Fotografieren oder Kopieren von Unterlagen untersagt gewesen sei. Derartige Einsichtstermine seien ungeeignet, um eine zeitnahe und zweckmäßige Auskunftserteilung zu gewährleisten. Auch erschwere diese Vorgehensweise die journalistische Tätigkeit des Beschwerdeführers. Die Behörde habe nicht den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes Wien entsprechenden Zustand hergestellt und damit gegen die Bindungswirkung nach §28 Abs5 VwGVG verstoßen. Ein über die Aufhebung des Bescheides hinausgehender Ausspruch, wonach die Auskunft zu Unrecht verweigert worden sei oder wonach die Auskunftserteilung in einer bestimmten Form zu erteilen sei, würde den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschreiten.
7. Gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wien richtet sich die auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der eine Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf "Meinungsäußerungs- und Medienfreiheit" (Art10 EMRK) sowie auf Entscheidung innerhalb einer angemessen Frist (Art6 EMRK) sowie eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen das Folgende vorgebracht:
7.1. Der Beschwerdeführer sei im Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit dadurch verletzt, dass die Art und Weise der Auskunftserteilung in den bisherigen Verfahrensgängen offengelassen worden sei. Der Beschwerdeführer könne nicht davon ausgehen, dass die Information korrekt erteilt werde. Dies sei vom Verwaltungsgericht Wien verkannt worden, indem es dem Antrag des Beschwerdeführers, auszusprechen, dass die begehrte Auskunft in einer bestimmten Form zu erteilen sei, nicht gefolgt sei.
7.2. Der Beschwerdeführer habe mehrmals Rechtsschutz in Anspruch genommen, ohne dass der rechtskonforme Zustand in Gestalt einer vollständigen Auskunft hergestellt worden wäre. Der Rechtsschutz der Verwaltungsgerichte weise das verfassungsrechtlich geforderte Mindestmaß an Effizienz nicht auf. Dem Beschwerdeführer stehe kein "effizientes" Rechtsmittel zur tatsächlichen Durchsetzung des Auskunftsrechtes zur Verfügung. Dadurch sei das Rechtsstaatsprinzip verletzt.
7.3. Die überlange Verfahrensdauer verletze den Beschwerdeführer im Recht auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist gemäß Art6 Abs1 EMRK. Er habe seinen Antrag auf Erteilung der Auskunft am 19. Oktober 2016 gestellt. Es würden weder komplexe Verfahrensinhalte noch diffizile Rechtsfragen einer raschen Erledigung des Antrages entgegenstehen. Die Aktualität von Informationen sei für ihre Relevanz in der öffentlichen Debatte entscheidend.
8. Das Verwaltungsgericht Wien teilte mit, dass die Gerichtsakten nicht vorgelegt werden könnten, weil diese bereits dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt worden seien, und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift. In der Folge übermittelte der Verwaltungsgerichtshof dem Verfassungsgerichtshof die bezughabenden Verfahrensakten zur Einsicht.
9. Der Magistrat der Stadt Wien legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Äußerung, in der die Ablehnung der Behandlung der Beschwerde oder deren Abweisung beantragt wird. Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Zugang zu den begehrten Informationen in keiner Weise verweigert worden sei. Die Entscheidung der Behörde sei einer vollumfänglichen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterlegen. Eine Weisung des Verwaltungsgerichtes an die Verwaltungsbehörde ohne konkrete rechtliche Grundlage würde eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips bzw der Gewaltentrennung darstellen. Seitens des Magistrates der Stadt Wien seien die Begehren des Beschwerdeführers stets innerhalb von acht Wochen erledigt worden. Die Verzögerung der Auskunftserteilung resultiere daraus, dass der Beschwerdeführer eine zweckmäßige Form der Auskunftserteilung abgelehnt habe.
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gesetzes über die Auskunftspflicht (Wiener Auskunftspflichtgesetz), LGBl 20/1988 idF LGBl 33/2013, lauten auszugsweise und ohne die Hervorhebungen im Original wie folgt:
"§1. (1) Die Organe des Landes und der Gemeinde Wien sowie der durch Landesgesetz geregelten Selbstverwaltung haben über Angelegenheiten ihres Wirkungsbereiches Auskunft zu erteilen, soweit eine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht dem nicht entgegensteht.
(2) Auskunft ist eine Wissenserklärung. Sie hat auf dem Wissen zu beruhen, über das ein auskunftspflichtiges Organ in dem Zeitpunkt verfügt, in dem das Auskunftsbegehren bei ihm einlangt.
(3) Jedermann hat das Recht, Auskünfte zu verlangen.
(4) Die Organe beruflicher Vertretungen sind nur gegenüber den diesen Vertretungen jeweils Zugehörigen auskunftspflichtig und dies insoweit, als dadurch die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben nicht verhindert wird.
(5) Auskunft ist nur insoweit zu erteilen, als dadurch die Besorgung der übrigen Aufgaben eines Organes nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Auskunft ist nicht zu erteilen, wenn sie offenkundig mutwillig begehrt wird.
§2. (1) Auskunft kann schriftlich, mündlich oder telefonisch begehrt werden.
(2) Dem Auskunftswerber kann die schriftliche Ausführung eines umfangreichen mündlichen oder telefonischen Auskunftsbegehrens sowie die Verbesserung eines unklaren schriftlichen Auskunftsbegehrens innerhalb einer angemessenen, mindestens zweiwöchigen Frist aufgetragen werden. Wird einem solchen Auftrag nicht entsprochen, gilt das Auskunftsbegehren als nicht eingebracht.
§3. (1) Auskunft ist nach Möglichkeit mündlich oder telefonisch zu erteilen.
(2) Auskunft ist ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber acht Wochen nach dem Einlangen des Begehrens bei dem zuständigen Organ, zu erteilen.
(3) Wird die Auskunft ausdrücklich verweigert oder nicht fristgerecht erteilt, hat das Organ auf Antrag des Auskunftswerbers innerhalb von drei Monaten ab Antrag mit schriftlichem Bescheid zu entscheiden, ob die Auskunft zu erteilen ist. Wird die Auskunft nachträglich erteilt, endet die Pflicht zur Bescheiderlassung.
(4) Langt bei einem Organ ein Begehren um Auskunft in einer Sache ein, die nicht in seinen Wirkungsbereich fällt, so hat es das Begehren unverzüglich an das zuständige Organ weiterzuleiten oder den Auskunftswerber an dieses zu weisen. Der Auskunftswerber ist von der Weiterleitung zu verständigen.
(5) Auf Antrag des Auskunftswerbers hat das Organ mit schriftlichem Bescheid über seine Zuständigkeit zur Auskunftserteilung zu entscheiden.
(6) Für das in den Abs3 und 5 vorgesehene Verfahren gilt das AVG, sofern nicht für die Sache, in der Auskunft begehrt wird, ein anderes Verfahrensgesetz anzuwenden ist. Gegen Bescheide nach diesem Gesetz ist eine Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien zulässig.
§4. Die Gemeindeorgane besorgen die in diesem Gesetz geregelten Aufgaben im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde.
[…]"
2. §28 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl I 33/2013 idF BGBl I 138/2017, lautet wie folgt:
"§28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z1 B VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z1 B VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
(6) Ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art130 Abs1 Z2 B VG eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen, so hat das Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.
(7) Im Verfahren über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art130 Abs1 Z3 B VG kann das Verwaltungsgericht sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Behörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Behörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst, wobei es auch das sonst der Behörde zustehende Ermessen handhabt."
III. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist teilweise begründet.
A. Der Beschwerdeführer bringt vor, durch die Dauer des Verfahrens im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 Abs1 EMRK verletzt zu sein. Dies trifft zu:
1. Zur Anwendbarkeit des Art6 EMRK
1.1. Art6 EMRK gewährt jedermann einen Anspruch darauf, dass über "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" in angemessener Frist entschieden wird. Dass der dem Verfahren zugrunde liegende Rechtsanspruch im öffentlichen Recht – hier im Wiener Auskunftspflichtgesetz – wurzelt, schließt die Anwendung des Art6 Abs1 EMRK allein nicht aus (vgl VfSlg 17.336/2004).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner jüngeren Rechtsprechung dargelegt, dass das Recht auf Zugang zu Informationen einen "zivilrechtlichen Anspruch" im Sinne des Art6 Abs1 EMRK darstellt; dies jedenfalls dann, wenn die Veröffentlichung der Informationen in Aussicht genommen ist (EGMR 26.5.2009, 31475/05, Kenedi , Z33) bzw wenn die begehrte Information für die Ausübung journalistischer Tätigkeit relevant und das Recht auf Zugang zur Information im nationalen Recht verankert ist (EGMR 31.7.2012, 45835/05, Shapovalov , Z49).
In seiner Entscheidung vom 31. Juli 2012, 45835/05, Shapovalov , ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte von einer zuvor von ihm vertretenen gegenteiligen Ansicht abgegangen, wonach eine – von einer als Wahlbeobachterin tätigen Organisation angestrengte – Streitigkeit über den Zugang zu Unterlagen einer Wahlbehörde keine "zivilrechtlichen Ansprüche" dieser Organisation betroffen habe (vgl EGMR 14.4.2009, 11721/04, Akumb , Rz 28). In weiterer Folge hat er ausgesprochen, dass Streitigkeiten über das Recht von Journalisten, aus den Räumlichkeiten des Parlaments zu berichten, "zivilrechtliche Ansprüche" im Sinne des Art6 EMRK betreffen (EGMR 9.2.2017, 67259/14, Selmani ua , Rz 27).
1.2. Der Verfassungsgerichtshof folgt im vorliegenden Fall dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in dessen Beurteilung des Anwendungsbereiches des Art6 Abs1 EMRK in Bezug auf bestimmte Begehren von Journalisten auf Zugang zu Informationen (zum weiten Verständnis der "zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen" vgl Grabenwarter/Pabel , Europäische Menschenrechtskonvention 7 , 2021, §24 Rz 5 ff. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).
1.3. Der Beschwerdeführer ist den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes Wien zu Folge als Journalist tätig und begehrt die in Rede stehende Auskunft im Rahmen seiner journalistischen Tätigkeit. Seinen im Verfahren unwidersprochen gebliebenen Angaben zu Folge erarbeitet der Beschwerdeführer Beiträge, die online und gedruckt erscheinen. Die begehrte Auskunft bezieht sich auf (Vorschläge für) Verwaltungsreformmaßnahmen, über die auch in Medien berichtet wurde (vgl VwGH 29.5.2018, Ra 2017/03/0083). Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes Wien im angefochtenen Erkenntnis könnten die Ergebnisse des Auskunftsbegehrens in journalistischen Recherchen bzw Veröffentlichungen münden.
Der Verfassungsgerichtshof geht demnach davon aus, dass die begehrte Auskunft für die berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers als Journalist in diesem Fall jedenfalls relevant ist. Sein Recht auf Auskunft ergibt sich überdies aus dem innerstaatlichen Recht, und zwar aus §§2 und 3 Wiener Auskunftspflichtgesetz. Die konkret begehrte Auskunft ist dem Beschwerdeführer danach zu erteilen (vgl VwGH 5.10.2021, Ra 2020/03/0120).
1.4. Art6 EMRK ist sohin auf das Verfahren im Zusammenhang mit dem Auskunftsbegehren des Beschwerdeführers anwendbar.
2. Verletzung im Recht auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist
2.1. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und des Verfassungsgerichtshofes nicht abstrakt, sondern im Lichte der besonderen Umstände jedes einzelnen Falles zu beurteilen. Die besonderen Umstände des Einzelfalles ergeben sich aus dem Verhältnis und der Wechselwirkung verschiedener Faktoren. Neben Faktoren, die die Verfahrensdauer beeinflussen, nämlich der Schwierigkeit des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und des Verhaltens der staatlichen Behörden in dem bemängelten Verfahren, ist auch die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer relevant (vgl VfSlg 17.307/2004, 17.582/2005, 17.644/2005, 18.509/2008, 18.743/2009; VfGH 28.2.2023, E430/2022).
Wie der Verfassungsgerichtshof festgehalten hat, ist das Recht auf Zugang zu Informationen dann besonders bedeutsam, wenn das Sammeln der Informationen ein relevanter Vorbereitungsschritt für journalistische Aktivitäten ist, wenn die Offenlegung der begehrten Informationen im öffentlichen Interesse liegt und wenn der Grundrechtsträger als Journalist oder Nichtregierungsorganisation oder in einer anderen Funktion als "public watchdog" im öffentlichen Interesse tätig wird (VfSlg 20.446/2021; vgl auch EGMR 28.11.2013, 39534/07, Österreichische Vereinigung zur Erhaltung, Stärkung und Schaffung eines wirtschaftlich gesunden land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitzes ).
Nicht eine lange Verfahrensdauer schlechthin führt zu einer Verletzung, sondern nur eine Verzögerung, die auf Versäumnisse staatlicher Organe zurückzuführen ist. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist daher keine fixe Obergrenze für die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu entnehmen, ab deren Überschreitung jedenfalls eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK anzunehmen wäre (vgl VfSlg 16.385/2001 mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte; VfSlg 17.821/2006, 18.066/2007, 18.509/2008).
2.2. Das hier zu beurteilende Verfahren wurde mit dem Schreiben des Beschwerdeführers vom 19. Oktober 2016 an den Magistrat der Stadt Wien initiiert, mit dem er gemäß §2 Abs1 Wiener Auskunftspflichtgesetz Auskunft begehrte. Das Verfahren ist mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 30. Jänner 2024 noch nicht beendet. Das Verwaltungsgericht Wien hat nicht in der Sache selbst entschieden, sondern den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 14. August 2023 aufgehoben; der Magistrat der Stadt Wien ist nun gehalten, den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§28 Abs5 VwGVG). Wie aus den Akten erhellt, ist außerdem eine Amtsrevision des Magistrates der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien beim Verwaltungsgerichtshof anhängig. Die gesamte bisherige Verfahrensdauer bis zur Erlassung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes Wien vom 30. Jänner 2024 beträgt sohin über sieben Jahre.
2.3. Die in ihrem Gesamtausmaß unangemessene Dauer des Verfahrens ist überwiegend dem Verhalten staatlicher Organe zuzuschreiben (vgl EGMR 3.2.2005, 37040/02, Riepl ). Der Verfassungsgerichtshof verkennt dabei nicht, dass auch der Beschwerdeführer ua durch das Ergreifen von Rechtsmitteln immer wieder zur Dauer des Verfahrens beigetragen hat, was ihm jedoch für sich genommen nicht zum Vorwurf gemacht werden kann (vgl VfSlg 19.715/2012). Er hat zudem nach der Aufhebung des (ersten) Bescheides des Magistrates der Stadt Wien vom 5. Dezember 2016 durch den Verwaltungsgerichtshof die darauffolgende Untätigkeit der Behörde mit Säumnisbeschwerde an das Verwaltungsgericht Wien vom 11. Oktober 2019 bekämpft. Dem hier zu beurteilenden Verfahren kann schließlich eine gewisse Komplexität auf Grund der zu beantwortenden Rechtsfragen nicht abgesprochen werden, die allerdings schon deshalb nicht wesentlich ins Gewicht fällt, weil diese Fragen schon frühzeitig durch den Verwaltungsgerichtshof geklärt wurden (vgl insbesondere VwGH 29.5.2018, Ra 2017/03/0083).
Dazu kommt der Umstand, dass das Handeln des Magistrates der Stadt Wien in Bezug auf das Auskunftsbegehren des Beschwerdeführers vier Mal durch das Verwaltungsgericht Wien bzw durch den Verwaltungsgerichtshof – mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Mai 2018, mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 2. Mai 2020, mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 12. April 2023 und mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 30. Jänner 2024 – als (teilweise) rechtswidrig erachtet wurde.
Von besonderem Gewicht ist schließlich, dass die Erteilung einer Auskunft in aller Regel rasch erfolgen muss. So verpflichtet §3 Abs2 Wiener Auskunftspflichtgesetz die Behörde die begehrte Auskunft "ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber acht Wochen nach dem Einlangen des Begehrens bei dem zuständigen Organ, zu erteilen." Eine Überschreitung dieser Frist oder, wie im vorliegenden Fall, sogar mehrjährige Verzögerung der (vollständigen) Auskunftserteilung ist geeignet, das Recht auf Auskunft ins Leere laufen zu lassen.
In einer Gesamtschau ist sohin festzustellen, dass die bisherige Verfahrensdauer von über sieben Jahren bis zur (vierten) Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Wien vom 30. Jänner 2024 unangemessen lang ist.
2.4. Der Beschwerdeführer ist daher in seinem durch Art6 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist verletzt worden.
2.5. Durch die (begehrte) Aufhebung der das (bisherige) überlange Verfahren (vorläufig) abschließenden, angefochtenen Entscheidung würde diese Rechtsverletzung aber nicht beseitigt, sondern im Gegenteil sogar insoweit verschärft werden, als das Ende des Verfahrens noch weiter verzögert werden würde. Der Verfassungsgerichtshof hat sich deshalb auf den Ausspruch zu beschränken, dass eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist nach Art6 Abs1 EMRK stattgefunden hat; insoweit ist folglich der Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuweisen (vgl VfSlg 17.307/2004, 17.644/2005, 19.715/2012).
B. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Ein solcher Fall liegt hier – abgesehen von der Verletzung im Recht auf Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist – vor. Die im Übrigen behaupteten Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Verwaltungsgericht Wien auszusprechen gehabt hätte, dass die Auskunft in einer bestimmten Form zu erteilen sei oder gewesen wäre, insoweit nicht anzustellen.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist in seinem durch Art6 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist verletzt worden.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG und enthält die Kosten im gesetzlichen Ausmaß, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Beschwerdeführer nur im Hinblick auf die Feststellung der Verletzung des Art6 Abs1 EMRK zur Gänze durchgedrungen ist (vgl VfSlg 19.715/2012; VfGH 2.10.2013, B1566/2012). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
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