I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.640,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin ist syrische Staatsangehörige und stellte am 15. Juni 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. In der Erstbefragung am 16. Juni 2022 gab die Beschwerdeführerin als Fluchtgrund an, ihr ehemaliger Ehemann habe sie mit seiner "Gang" entführt und sie habe Angst, bei einer Rückkehr nach Syrien nochmals entführt zu werden.
3. In ihrer Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 16. November 2022 schilderte die Beschwerdeführerin, sie habe unter ihrem ehemaligen Ehemann gelitten und viel ertragen müssen. Er habe ihr alle Rechte genommen, sie geschlagen, erniedrigt, beschimpft und nach der Scheidung vergewaltigt. Wenn er Haschisch konsumiert habe, habe er den Verstand verloren und sich nicht mehr unter Kontrolle gehabt. Als sie abgelehnt habe, ihm Geld zu geben, habe er sie geschlagen und erniedrigt. Wenn er sie geschlagen habe, sei sie zu ihrer Familie gegangen, die jedoch gemeint habe, dass sie nichts tun könne, weil er mit dem Regime gut vernetzt sei. Er habe einflussreiche Freunde innerhalb des Regimes und sei in der Lage, alle ihre Brüder ins Gefängnis zu bringen. Daher habe sie wieder zu ihm zurückkehren müssen. Bevor sie geschieden worden seien, habe er gewollt, dass auch sie Haschisch nehme. Er habe gewollt, dass sie mit Haschisch handle. Um sie zu diesen Handlungen zu zwingen, habe er sie zwei, drei Tage zu Hause ohne Essen eingesperrt. Seine Freunde konsumierten alle Rauschgift und tauschten die Frauen aus und das habe ihr Mann auch mit ihr so machen wollen. Dieses Martyrium habe etwa ein Jahr lang gedauert.
3.1. Die Beschwerdeführerin gab in der Einvernahme weiters an, dass sie 2019 die Scheidung eingereicht habe, weil sie es nicht mehr ertragen habe. Als sie ihrem Ehemann gesagt habe, dass sie ihn verlassen würde und die Scheidung verlange, habe er begonnen, sie zu bedrohen. Er habe gedroht, dass er sie nach der Scheidung vergewaltigen und umbringen werde. Nach der Scheidung sei sie auf dem Weg nach Daraa von ihrem Ehemann entführt worden. Er habe sie in die Hauptstadt von Daraa, Nawa, gebracht. Er habe sie geschlagen, beschimpft und versucht, sie zu vergewaltigen. Sie habe flüchten können. Einen Monat später sei sie wieder von ihm entführt worden. Bei dieser zweiten Entführung sei ihr Ehemann von zwei Männern begleitet worden. Er habe ihr gedroht, den Männern zu erlauben, sie zu vergewaltigen, wenn sie nicht zu ihm zurückkomme. Daraufhin hätten ihre Eltern beschlossen, sie müsse Syrien verlassen. Sie habe das Haus bis Anfang 2021 nicht verlassen dürfen. Im Jahr 2021 sei sie neuerlich von ihrem Ex-Mann bedroht worden. Sie habe daher weder in der Apotheke arbeiten noch ihr Studium fortsetzen können. Ihre Brüder hätten nichts gegen ihren Ex Mann unternehmen können, weil er mit dem Regime zusammenarbeite und zu einer Bande gehöre. Ihr Bruder habe sie 2022 in die Türkei gebracht.
3.2. Über Aufforderung, die erste Entführung konkret, detailliert und lebensnah zu schildern, erzählte die Beschwerdeführerin, dass sie in der Früh auf dem Weg zur Apotheke gewesen sei und neben ihr ein schwarzer Van stehen geblieben und zwei Männer ausgestiegen seien. Ihr Ehemann sei nicht dabei gewesen. Die Männer hätten sie in den Van gezerrt und ihr die Augen verbunden. Die Straße sei zu diesem Zeitpunkt leer gewesen. Wohin sie sie gebracht hätten, habe sie nicht gewusst. Die Männer hätten ihr den Mund verbunden, weil sie im Auto geschrien habe und sie hätten ihr ins Gesicht geschlagen. Sie sei in ein Haus gebracht worden, das sie noch nie gesehen habe. Ihr Mann sei in dem Haus gewesen und habe sie bedroht und aufgefordert, zu ihm zurückzukommen. Er habe sie mit einer Vase geschlagen. Sie habe geschrien und geweint und zu ihm gesagt, dass sie wie jede andere Frau sei, die sich scheiden lasse. Er habe ihr gesagt, er würde sie quälen und bloßstellen. Das tue er nicht wegen der Liebe, sondern weil sie nicht das getan habe, was er gesagt habe, und weil sie nicht zu ihm zurückgekehrt sei. Er habe sie dann vergewaltigen wollen. Ein Freund von ihm habe ihn abgelenkt. Am nächsten Tag habe die Nachbarin, eine ältere Frau, von draußen das Fenster geöffnet und ihr gesagt, sie solle zum anderen Haus gehen. Sie sei dann hinausgegangen und draußen habe ihr die Frau gesagt, dass sie in Nawa sei. Die Frau habe ihr gesagt, sie habe ihre Stimme gehört, und erzählt, dass die Männer immer Frauen brächten. Zu diesem Zeitpunkt sei Nawa menschenleer gewesen, bis auf ein paar alte Menschen, die dort geblieben seien. Die Beschwerdeführerin sei dann etwa drei Kilometer zu Fuß gelaufen, bis sie die Hauptstraße erreicht habe. Ein Auto habe sie dann mitgenommen. Zu Hause angekommen habe sie ihrer Familie alles erzählt. Sie habe dann die Mutter des Ex-Mannes kontaktiert und ihr alles erzählt, aber diese habe gesagt, sie könne sich nicht einmischen. Sie sei dann eine ganze Woche zu Hause geblieben.
3.3. Unaufgefordert gab die Beschwerdeführerin ferner an, sie habe ihr normales Leben aufnehmen, zur Universität gehen und normal leben wollen. Sie sei in großer Angst gewesen. Sie sei zur Universität (zum Studium) und zur Apotheke (zur Arbeit) gegangen. Einen Monat später sei sie nochmals entführt worden, diesmal am Weg zur Universität. Es sei ungefähr 5:30 Uhr gewesen. Ein Auto mit verdunkelten Fenstern sei gekommen und die Entführer hätten eine Pistole auf sie gerichtet und ihr gedroht, wenn sie schreie, dann erschössen sie sie. Sie sei dann ohne zu schreien ins Auto eingestiegen. Diesmal sei sie nach Jaduda gebracht worden, dort sei der Islamische Staat präsent. Ihr Mann habe auch dort Freunde. Dort hätten alle drei, also ihr Mann und zwei weitere Männer versucht, sie zu vergewaltigen. Ihr Mann habe zu den zwei Männern gesagt, wenn sie die Beschwerdeführerin vergewaltigen wollten, habe er nichts dagegen, weil sie nicht zu ihm zurück wolle. Sie seien bewaffnet gewesen und hätten sie mit Waffen bedroht. Sie hätten sie erst in der Nacht vergewaltigen wollen, damit niemand etwas höre. Sie habe den Männern gesagt, sie mögen sie lieber erschießen. Die Männer hätten sich dann gestritten, Haschisch geraucht und getrunken. Einer sei dann weggegangen und habe die Tür offen gelassen. Am nächsten Tag sei genau das Gleiche geschehen und als die Tür offen gewesen sei, sei ihr die Flucht gelungen. Sie habe sich nach Daraa begeben und sei zu ihrer Familie gefahren. Von da an habe sie das Haus nicht mehr verlassen.
4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).
Die Asylabweisung begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen sei, konkrete, detaillierte und lebensnahe Angaben zu ihren Entführungen durch den Ex-Gatten zu tätigen. Die Beschwerdeführerin hätte lediglich Schlagwörter zu den Entführungen vorgebracht und mit lapidaren Angaben ausgeführt, jedes Mal mit Vergewaltigung bedroht worden zu sein. Sie hätte die Umstände der Flucht derart surreal geschildert, dass von einem vorgebrachten Konstrukt auszugehen sei. Da die Beschwerdeführerin den Ex-Ehegatten als gewalttätig beschrieben habe, sei nicht glaubwürdig, dass er die Scheidung einfach so hingenommen hätte, ohne Maßnahmen gegen die Beschwerdeführerin zu ergreifen.
5. Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.
In seiner Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Fluchtgeschichte nicht plausibel sei. Hätte der Ex-Ehegatte die Beschwerdeführerin zurückgewinnen wollen, hätte er niemals eine Vergewaltigung von anderen Männern zugelassen, weil diese im arabischen Kulturkreis als "unrein" gelte und er damit verunmöglicht hätte, die Beschwerdeführerin für sich selbst zurückzugewinnen. Vor der Behörde habe die Beschwerdeführerin angegeben, dass sie von ihrem Ex Ehegatten mit einer Vase geschlagen worden sei, wohingegen sie in der Beschwerdeverhandlung ausgesagt habe, sie hätte ihn mit einer Vase geschlagen. Zur Frage, ob der Ex-Ehegatte vergeblich versucht habe, sie zu vergewaltigen oder ob er sie tatsächlich vergewaltigt habe, habe die Beschwerdeführerin laufend ihr Vorbringen ausgetauscht. Das gleiche gelte bezüglich des Vorbringens, wie ihr die Flucht gelungen sei. Diese gravierenden Widersprüche zeigten, dass die Beschwerdeführerin derartiges tatsächlich nie erleben habe müssen. Dass die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeverhandlung behauptet habe, ihr Studium an der Universität in Damaskus nach den angeblichen Entführungen fortgesetzt zu haben, passe nicht zu ihren Angaben im erstinstanzlichen Verfahren. Das Bild der persönlichen Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin werde insofern abgerundet, als sie in der Verhandlung erstmals behauptet habe, es sei zu einer weiteren Attacke des Ex-Ehegatten beim Freund des Bruders Ende 2021 gekommen, danach jedoch angegeben habe, den letzten Kontakt zu ihrem Ehegatten bei der zweiten Entführung im Juni 2021 gehabt zu haben. Auch das erstmals am Ende der Verhandlung erstattete Vorbringen, ein Bruder der Beschwerdeführerin sei vom Ex-Ehegatten angeschossen, ein anderer entführt worden, sei ein so dramatisches und einprägsames Ereignis, das – würde es den Tatsachen entsprechen – die Beschwerdeführerin bereits viel früher angegeben hätte.
6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
7. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. In seiner Begründung stützt das Bundesverwaltungsgericht die fehlende Verfolgungsgefahr tragend auf die nicht näher untermauerte Mutmaßung, dass der Ex Ehemann der Beschwerdeführerin niemals eine Vergewaltigung durch andere Männer zugelassen hätte, weil diese im arabischen Kulturkreis als "unrein" gelte, womit er verunmöglicht hätte, die Beschwerdeführerin für sich zurückzugewinnen.
Mit diesen Ausführungen lässt das Bundesverwaltungsgericht seine eigenen Länderfeststellungen völlig außer Acht, denen zufolge das Ausmaß an Vergewaltigungen und sexueller Gewalt in Syrien als "endemisch, zu wenig berichtet und unkontrolliert" einzustufen sei. Eine von fünf Frauen in Syrien sei von sexueller Gewalt betroffen, wobei eine Zunahme von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt auf Grund der allgemeinen Unsicherheit und Perspektivenlosigkeit der Menschen und der verloren gegangenen Rolle des Mannes als "Ernährer der Familie" auch innerhalb der gebildeten städtischen Bevölkerung und auch in Damaskus zu verzeichnen sei. Insbesondere Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand seien einem erhöhten Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt.
3.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat es in diesem Zusammenhang überdies verabsäumt, sich näher mit der Lage der alleinstehenden Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr nach Syrien gemeinsam mit ihrem minderjährigen Kind zu befassen (zu den besonderen Begründungsanforderungen bei Frauen mit erhöhtem Risikoprofil in Syrien s. bereits VfGH 12.3.2024, E474/2024; 11.6.2024, E3551/2023 ua).
4. Das angefochtene Erkenntnis ist daher schon aus diesen Gründen mit Willkür belastet.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Rückverweise
Keine Verweise gefunden