I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin ist eine in Syrien geborene staatenlose Palästinenserin, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Sie ist gemeinsam mit ihrem (geschiedenen) Ehemann und ihren Kindern beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East – UNRWA) im Libanon als palästinensischer Flüchtling registriert.
2. Die Beschwerdeführerin stellte am 17. Oktober 2021 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie brachte im Wesentlichen vor, dass sie wegen des Krieges in Syrien geflohen sei. Aus dem Libanon sei sie wegen der Explosion im Hafen Beiruts bzw wegen ihres Ehemannes, mit dem sie oft gestritten habe, geflohen.
3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag mit Bescheid vom 23. September 2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten und hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libanon ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005, erließ gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Libanon zulässig sei, und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
4. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 22. Mai 2023 als unbegründet ab.
Da die Beschwerdeführerin sich ab Oktober 2015 im Libanon aufgehalten habe, handle es sich beim Libanon um ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt, der als Herkunftsstaat anzusehen sei. Im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht ua aus, dass die Beschwerdeführerin als palästinensischer Flüchtling bei UNRWA registriert, diese Organisation nach wie vor im Libanon tätig sei und nicht festgestellt werden könne, dass der Schutz des UNRWA weggefallen sei. Das Verlassen des Einsatzgebietes des UNRWA sei freiwillig und nicht durch von ihr nicht zu kontrollierende und von ihrem Willen unabhängige Gründe begründet gewesen. Hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin behaupteten individuellen Bedrohung bzw Verfolgung im Libanon auf Grund der Explosion im Hafen von Beirut und der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage liege keine asylrelevante Verfolgung vor. Ebenso seien die Probleme mit ihrem geschiedenen Ehegatten nicht glaubhaft, weshalb insgesamt von keiner asylrelevanten Verfolgung der Beschwerdeführerin im Libanon auszugehen sei. Die Beschwerdeführerin könne in den Libanon zurückkehren und den Beistand ihrer Familie und des UNRWA in Anspruch nehmen. Die Beschwerdeführerin sei sohin gemäß §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 von der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ausgeschlossen.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Bei UNRWA handelt es sich um eine Organisation der Vereinten Nationen im Sinne des Art1 Abschnitt D GFK, auf den sowohl Art12 Abs1 lita Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (im Folgenden: Status RL), ABl. 2011 L 337, 9, als auch §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 Bezug nehmen. Die Rechtsstellung von Asylwerbern, die unter dem Schutz oder Beistand von UNRWA stehen, unterscheidet sich von jener anderer Asylwerber (VfSlg 19.777/2013; VfGH 24.9.2018, E761/2018 ua; 14.6.2021, E761/2022 mwN):
Gemäß §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 (in Umsetzung des Art12 Abs1 lita erster Satz Status RL und dieser wiederum in Entsprechung des Art1 Abschnitt D erster Satz GFK) sind diese Personen von der Anerkennung als Flüchtling zunächst ausgeschlossen. Sie genießen aber – nach der in diesem Punkt im innerstaatlichen Recht nicht umgesetzten und sohin unmittelbar anwendbaren Bestimmung des zweiten Satzes des Art12 Abs1 lita Status-RL – dann "ipso facto" den Schutz der Status RL bzw der GFK, wenn der Schutz oder Beistand von UNRWA "aus irgendeinem Grund" nicht länger gewährt wird. Dieser "ipso facto"-Schutz bewirkt insofern eine Privilegierung, als für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten keine Verfolgung aus den in Art1 Abschnitt A GFK genannten Gründen glaubhaft zu machen ist, sondern nur, dass sie erstens unter dem Schutz des UNRWA gestanden sind und zweitens, dass dieser Beistand aus "irgendeinem Grund" weggefallen ist.
Die erste Voraussetzung ist mit der Vorlage einer UNRWA Registrierungskarte erfüllt (EuGH 17.6.2010, C 31/09, Bolbol , Rz 52). Die zweite Voraussetzung erfordert eine Prüfung, "ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen" (EuGH 19.12.2012 [GK], C 364/11, El Kott , Rz 61). Ein Zwang zum Verlassen des Einsatzgebietes einer Organisation iSd Art12 Abs1 lita zweiter Satz Status RL liegt nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache El Kott dann vor, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der Aufgabe des UNRWA im Einklang stehen (EuGH, El Kott , Rz 65; vgl auch EuGH 25.7.2018, C 585/16, Alheto , Rz 86). Bei dieser Beurteilung ist nach der weiteren Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union auch festzustellen, ob der Betroffene derzeit daran gehindert ist, Schutz oder Beistand des UNRWA zu erhalten, weil sich mutmaßlich die Lage im betreffenden Einsatzgebiet aus nicht von ihm zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen verschlechtert hat (EuGH 3.3.2022, C-349/20, NB und AB , Rz 57).
Zur Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, sind im Rahmen einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände des fraglichen Sachverhalts alle Operationsgebiete des Einsatzgebietes des UNRWA zu berücksichtigen, in die ein Staatenloser palästinensischer Herkunft, der dieses Einsatzgebiet verlassen hat, eine konkrete Möglichkeit hat, einzureisen und sich dort in Sicherheit aufzuhalten (EuGH 13.1.2021, C 507/19, Bundesrepublik Deutschland , Rz 67).
3.2. Das Bundesverwaltungsgericht geht zwar zunächst zutreffend davon aus, dass die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer Registrierung bei UNRWA unter dem Schutz oder Beistand einer von Art1 Abschnitt D GFK erfassten Organisation der Vereinten Nationen stand und damit in den Anwendungsbereich des §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 und Art12 Abs1 lita Status-RL sowie Art1 Abschnitt D GFK fällt.
Bei der Prüfung, ob dieser Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt wird, geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die Beschwerdeführerin nicht zum Verlassen des Einsatzgebietes des UNRWA gezwungen gewesen sei, weil diese Organisation nach wie vor im Libanon tätig sei und Schutz oder Beistand bereitstelle und weder eine individuelle Bedrohung der Beschwerdeführerin vorliege noch sich aus den Länderberichten Anhaltspunkte dafür ergeben würden, dass die Beschwerdeführerin nicht in den Libanon zurückkehren und sich wieder dem Schutz des UNRWA unterstellen könne.
Das Bundesverwaltungsgericht gibt in seinem Erkenntnis Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zum Libanon vom 31. Oktober 2021 wieder, obwohl zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zum Libanon vom 1. März 2023 zur Verfügung stand. Diesen ist zur Einreise in den Libanon und zu den Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern des UNRWA Folgendes zu entnehmen:
"Lebensbedingungen und rechtliche Lage
Nach der jüngsten UNRWA-Erhebung gelten 93 % aller Palästina Flüchtlinge im Libanon als arm. Sehr viele palästinensische Flüchtlingsfamilien sind nicht mehr in der Lage, sich eine sekundäre Gesundheitsversorgung zu leisten. Einige lassen lebensrettende Behandlungen ausfallen, um keine Schulden anzuhäufen (UNRWA 21.10.2022). Repressionen allein aufgrund der palästinensischen Volkszugehörigkeit sind nicht bekannt (AA 5.12.2022). Palästinensische Flüchtlinge, darunter auch Kinder, haben aber nur eingeschränkte soziale und bürgerliche Rechte und keinen Zugang zu staatlich bereitgestellten Gesundheits , Bildungs- oder anderen sozialen Diensten (USDOS 12.4.2022). Sie dürfen, anders als andere Ausländer, im Libanon seit 2001 keinen Grund und Boden erwerben (AA 5.12.2022). Palästina Flüchtlinge dürfen im Libanon 39 Berufe nicht ausüben, unter anderem in den Bereichen Allgemeinmedizin, Zahnmedizin, Pharmazie, Ergotherapie und Recht (UNRWA 21.10.2022). Für ihre Schulbildung und gesundheitliche Versorgung hängt die palästinensische Bevölkerung ausschließlich vom UNRWA Hilfswerk bzw Hilfsleistungen anderer NGOs (zB des Palästinensischen Roten Halbmondes) ab (AA 5.12.2022). Da sie formell nicht die Staatsbürgerschaft eines anderen Staates besitzen, können die palästinensischen Flüchtlinge auch nicht die gleichen Rechte wie andere im Libanon lebende und arbeitende Ausländer beanspruchen (UNRWA o.D.a). Palästinenserinnen können per Gesetz durch Heirat die libanesische Staatsbürgerschaft erlangen, doch werden ihnen häufig gesetzlich nicht vorgesehene administrative Hürden in den Weg gestellt (zB Einbürgerung erst nach Geburt eines Sohnes). Libanesische Frauen, die mit einem Palästinenser (oder anderem Ausländer) verheiratet sind, können ihre Staatsangehörigkeit weder an ihren Ehemann noch an ihre Kinder weitergeben (AA 5.12.2022).
Am 3.6.2019 stellte der ehemalige libanesische Arbeitsminister *** eine Kampagne mit dem Titel 'Nur Ihre Landsleute können Ihnen helfen, Ihr Geschäft anzukurbeln' vor. Im Rahmen dieser Kampagne, die angeblich Teil der Bemühungen zur Regulierung ausländischer Arbeitskräfte ist, wurde Unternehmen und anderen Einrichtungen eine einmonatige Frist eingeräumt, um Mitarbeiterlisten zu 'korrigieren' und undokumentierte nicht libanesische Arbeitnehmer zu registrieren. Am 10.7.2019 begann eine landesweite Razzia, bei der viele Unternehmen in ausländischem Besitz, insbesondere syrische und palästinensische, gewaltsam geschlossen wurden. Daraufhin kam es unter anderem in den großen Lagern von Rashidieh und Ein el Hilweh im Südlibanon sowie in Nahr el Bared im Norden zu Massendemonstrationen. Am 8.12.2021 kündigte der aktuelle geschäftsführende libanesische Arbeitsminister *** einen Ministerbeschluss an, der es Palästinensern, die im Libanon geboren und beim Innenministerium registriert sind, ermöglichen würde, in Berufen zu arbeiten, die bisher nur libanesischen Staatsangehörigen offen standen. Im Februar 2022 focht die Maroniten Liga *** die Entscheidung an und legte beim Schura Rat Einspruch ein, um die Entscheidung rückgängig zu machen. Der Schura Rat gab dem Einspruch statt und setzte die Umsetzung des Beschlusses aus (Al Shabaka 7.3.2022)
Palästinensische Flüchtlingslager
45 % der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon leben in den zwölf Flüchtlingslagern des Landes: in der Nähe von Beirut (Mar Elias Camp, Burj Barajneh Camp, Dbayeh Camp, Shatila Camp), von Tripoli (Nahr el-Bared Camp, Beddawi Camp), von Sidon (Ein El Hilweh Camp, Mieh Mieh Camp), von Tyros (El Buss Camp, Rashidieh Camp, Burj Shemali Camp) und von Baalbek (Wavel Camp). Die Bedingungen in den Lagern sind katastrophal und gekennzeichnet durch Überbelegung, schlechte Wohnverhältnisse, Arbeitslosigkeit, Armut und fehlenden Zugang zur Justiz. Das UNRWA verwaltet und kontrolliert die Lager nicht, da dies in die Zuständigkeit der Behörden des Gastlandes fällt (UNRWA o.D.a). Die Sicherheitsbedingungen in einigen Lagern haben sich im Laufe der Jahre verschlechtert. Die Gewalt und der Gebrauch von Waffen haben zugenommen. Viele Flüchtlinge haben auf negative Bewältigungsmechanismen zurückgegriffen, unter anderem auf den Konsum von Drogen (UNRWA 21.10.2022). Die zwölf über das ganze Land verteilten palästinensischen Flüchtlingslager sind der Kontrolle durch staatliche Gewalt weitgehend entzogen. Die Sicherheit innerhalb der Lager wird teilweise durch palästinensische bewaffnete Ordnungskräfte und Volkskomitees gewährleistet, die von der jeweils politisch bestimmenden Fraktion gestellt werden. Ausnahme stellt das Lager Nahr El Bared dar, das unter libanesischer Kontrolle steht. Die libanesische Armee beschränkt sich auf Zugangskontrollen und die Sicherung der Umgebung (AA 5.12.2022). Die den zwölf offiziellen palästinensischen Flüchtlingslagern im Land zugewiesene Fläche hat sich seit 1948 nur geringfügig verändert, obwohl sich die Bevölkerungszahl vervierfacht hat. Folglich leben die meisten palästinensischen Flüchtlinge in überbevölkerten Lagern, von denen einige in den vergangenen Konflikten schwer beschädigt wurden (USDOS 12.4.2022). Immer wieder kommt es speziell in den Lagern Mieh Mieh und Ein El Hilweh zu schweren bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen extremistischen Gruppierungen (Jund al Scham, Abdullah Azzam-Brigaden, Ansar Allah etc.). Die libanesischen Sicherheitskräfte greifen in diese Auseinandersetzungen entgegen der bisherigen per Abkommen geregelten Praxis, immer häufiger ein, weil die eigentlich zuständigen palästinensischen Sicherheitsbehörden zunehmend überfordert scheinen (AA 5.12.2022). Die Gebäude in den Lagern sind alt und jederzeit einsturzgefährdet, die Infrastruktur ist unzureichend, die Wasserqualität schlecht und die Abfallentsorgung nicht vorhanden. Aufgrund der schlechten Wohnverhältnisse und der fehlenden sanitären Einrichtungen in den Lagern sind übertragbare Krankheiten unter den Flüchtlingen ebenfalls weit verbreitet (WRMEA 28.1.2022). Einzelne Hinweise deuten auch darauf hin, dass Kinderarbeit in den palästinensischen Flüchtlingslagern weit verbreitet ist (USDOS 12.4.2022).
[…]
23. Rückkehr
[…]
Laut Bericht des Danish Immigration Service (DIS) sträuben sich die libanesischen Behörden seit Mai 2018 den staatenlosen palästinensischen Flüchtlingen aus dem Libanon (PRLs), die sich im Ausland aufhalten, die Rückkehr in den Libanon zu gestatten, wenn sie keine Aufenthaltsgenehmigung in dem Land haben, in dem sie sich derzeit aufhalten. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rückkehr freiwillig oder zwangsweise erfolgen soll. Die Zahl der erfolgreichen Rückführungen innerhalb dieses Zeitraums ist sehr begrenzt. Anträge für neue oder zu verlängernde palästinensische Reisedokumente sowie die Ausstellung von Laissez passer für PRLs werden vom libanesischen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und Emigranten auf Eis gelegt. Es begründet dies damit, dass der Libanon bereits genug Flüchtlinge beherbergt und von der internationalen Gemeinschaft angesichts der großen Anzahl von Flüchtlingen im Libanon keine ausreichende Unterstützung erhält (DIS 9.3.2020). Laut offiziellen Angaben der libanesischer Botschaft Berlin ist für die Ausstellung eines Reisedokuments [DDV – Document de Voyage] für Palästinensische Volkszugehörige aus dem Libanon ein Aufenthaltstitel für Deutschland bzw eine Bescheinigung der zuständigen Ausländerbehörde, dass ein Aufenthaltstitel vorliegt bzw erteilt werden kann, notwendig (BL 11.2021). Ausländische Staatsangehörige, vor allem Syrer und Palästinenser, bei denen der Verdacht einer irregulären Einreise nach Deutschland besteht, müssen damit rechnen, dass ihnen die Einreise in den Libanon verweigert wird. Dies kann auch trotz einer aktuell gültigen Aufenthaltserlaubnis für Deutschland der Fall sein (AA 19.1.2023). Besteht bei der Einreise in den Libanon der Verdacht, dass ein Drittausländer vormals illegal nach Europa gelangt ist, verweigern libanesische Grenzbehörden die Einreise. Luftfahrtunternehmen sind dann in der Pflicht, den Passagier zurück zu befördern und pro Passagier wird ein Bußgeld in Höhe von derzeit 2.000 USD erhoben (AA 5.12.2022)."
3.3. Insbesondere mit der Annahme einer Einreisemöglichkeit für die Beschwerdeführerin in den Libanon ignoriert das Bundesverwaltungsgericht die von ihm selbst, auf der Grundlage des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zum Libanon vom 31. Oktober 2021, getroffenen Feststellungen zur Rückkehr in den Libanon (bzw zu den veränderten Einreisemöglichkeiten in den Libanon seit dem Jahr 2018) sowie das (nicht herangezogene) aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zum Libanon vom 1. März 2023. Schon vor diesem Hintergrund ergibt sich nicht nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin den Schutz des UNRWA freiwillig aufgegeben hat und diesen Schutz auch im Falle der Rückkehr wieder in Anspruch nehmen kann (vgl VfGH 18.9.2023, E1416/2023).
3.4. Indem das Bundesverwaltungsgericht den festgestellten Sachverhalt der wiedergegebenen Länderinformationen außer Acht gelassen und sich nicht mit den aktuellsten Länderinformationen auseinandergesetzt hat, hat es sein Erkenntnis mit Willkür belastet.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
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