Rückverweise
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Abweisung des Antrags auf Verleihung der Staatsbürgerschaft; keine Bedenken gegen die vom TilgungsG 1972 abweichende – im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gelegene – Regelung des Wohlverhaltenszeitraums; keine hinreichende Begründung der negativen Gefährdungsprognose mangels Einbeziehung des Gesamtverhaltens, der Einstellungen und Überzeugungen des Verleihungswerbers sowie des (mehrjährigen) Wohlverhaltenszeitraums
Die beiden strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers sind nach den Vorschriften des Tilgungsgesetzes 1972 bereits getilgt. Die angefochtene Entscheidung des LVwG Salzburg kann daher nur die auf §10 Abs1 Z6 StbG gestützte Alternativbegründung tragen.
Das LVwG nimmt zutreffend das Verhalten des Beschwerdeführers, das zu seiner Verurteilung wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung geführt hat, in den Blick und qualifiziert dieses grundsätzlich als solches, das mit den Anforderungen des §10 Abs1 Z6 StbG nicht im Einklang steht. Es geht aber ebenso zutreffend von der grundsätzlichen Überlegung aus, dass ein längeres Wohlverhalten des Verleihungswerbers seit einem diesbezüglich relevanten Fehlverhalten dennoch zu einer positiven Prognoseentscheidung und damit zum Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung des §10 Abs1 Z6 StbG führen kann. Dabei ist insbesondere zu beurteilen, ob das weitere Verhalten des Verleihungswerbers auch über die zur Tilgung der strafgerichtlichen Verurteilungen führende Zeitspanne hinaus angemessen Gewähr dafür bietet, dass ein Verhalten, wie es zur getilgten strafgerichtlichen Verurteilung geführt hat, nun nicht mehr zu befürchten ist, und daher in der gebotenen Gesamtbetrachtung die Voraussetzungen des §10 Abs1 Z6 StbG vorliegen.
Vor diesem Hintergrund teilt der VfGH auch die in der Literatur vorgetragenen und in der Beschwerde bezogenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §10 Abs1 Z6 StbG nicht. Diese Kritik stellt darauf ab, dass das Tilgungsgesetz 1972 keine Differenzierung der Unbescholtenheit kenne und sie daher unbeschränkt zu gelten habe.
Zwar sieht nach der verwaltungsgerichtlichen Rsp §10 Abs1 Z6 StbG gerade eine solche Berücksichtigung des Verhaltens des Verleihungswerbers, das zur mittlerweile getilgten strafgerichtlichen Verurteilung geführt hat, vor; das StbG regelt insofern als spezielle Vorschrift die Beurteilung der Voraussetzungen zur Verleihung der Staatsbürgerschaft. Solches ist dem Staatsbürgerschaftsgesetzgeber auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen verwehrt. Inhalt und Zielsetzung der Verleihungsvoraussetzungen des §10 Abs1 Z6 StbG rechtfertigen diese staatsbürgerschaftsrechtliche Regelung in gleichheitsrechtlicher Hinsicht. Der die gesamte Rechtsordnung durchziehende Grundsatz der Unschuldsvermutung steht dem ebensowenig entgegen. Zwar soll mit der Tilgung die "Stigmatisierung der Verurteilung endgültig beseitigt" werden, womit "auch jene nachteiligen Folgen, die mit einer Verurteilung verbunden sind und über die unmittelbaren Folgen der Bestrafung hinausgehen, im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben ein Ende finden" sollen. Dessen ungeachtet kann der Gesetzgeber die Verleihung des besonderen Rechtsstatus eines Staatsbürgers von einer individuellen Beurteilung des (gesamten) (Wohl‑)Verhaltens des Verleihungswerbers abhängig machen und ist verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, auch für die Prognoseentscheidung nach §10 Abs1 Z6 StbG die allgemeine, auf Fristablauf abstellende Regel des Tilgungsgesetzes 1972 zu übernehmen. Damit regelt der Gesetzgeber für die Verleihung im Staatsbürgerschaftsrecht auch die Folgen eines Verhaltens, das zu einer strafgerichtlichen Verurteilung geführt hat, was nicht mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung in Konflikt gerät. Die (zukunftsbezogene) staatsbürgerschaftsrechtliche Beurteilung nach §10 Abs1 Z6 StbG beruht auf Kriterien, die sich wesentlich von der strafrechtlichen Beurteilung des (vergangenen) Verhaltens unterscheiden.
§10 Abs1 Z6 zweiter Tatbestand StbG legt als Verleihungsvoraussetzung fest, dass der Verleihungswerber nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bieten muss, dass er weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Art8 Abs2 EMRK genannte öffentliche Interessen, und das schließt insbesondere den Respekt vor den Rechten anderer mit ein, gefährdet.
Nach der stRsp des VwGH ist für diese Prognoseentscheidung maßgebend, ob das Gesamtverhalten des Staatsbürgerschaftswerbers, insbesondere von ihm begangene Rechtsbrüche, den Schluss rechtfertigt, der Verleihungswerber werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung oder andere in Art8 Abs2 EMRK genannte Rechtsgüter erlassene Vorschriften missachten. Bei dieser Beurteilung der Einstellung des Betreffenden ist die Art, Schwere und Häufigkeit der Verstöße zu berücksichtigen.
Bei dieser Gesamtbetrachtung spielen insbesondere neuerliche Rechtsbrüche eine maßgebliche Rolle, wobei die Beurteilung, ob es sich insbesondere bei Verwaltungsübertretungen um solche handelt, die nach Art, Schwere und Häufigkeit eine negative Gefährdungsprognose rechtfertigen, das frühere, zu den wenn auch getilgten strafgerichtlichen Verurteilungen führende Verhalten des Verleihungswerbers mit in den Blick zu nehmen hat. Verwaltungsübertretungen können in einer solchen Konstellation schwerer wiegen, als wenn sie für sich genommen im Hinblick auf einen ansonsten mit (kriminal-)strafrechtlichen Vorschriften niemals in Konflikt geratenen Verleihungswerber zu beurteilen sind. Dabei ist freilich das Gesamtverhalten des Verleihungswerbers miteinzubeziehen, sodass es insbesondere auch auf den persönlichen Eindruck von den Einstellungen und Überzeugungen des Verleihungswerbers ankommt, den sich das Verwaltungsgericht als Grundlage für die Prognoseentscheidung zu verschaffen hat. Dabei hat es sich mit entsprechenden Erklärungen des Verleihungswerbers zur Begründung einer tatsächlichen und aus Überzeugung erfolgten Verhaltensänderung ebenso auseinanderzusetzen wie mit den Umständen früheren Verhaltens, das zu Rechtsbrüchen geführt hat. Es ist die wesentliche Aufgabe des Verwaltungsgerichtes, bei seiner Beurteilung insoweit Schutzbehauptungen von glaubhaftem Vorbringen zu unterscheiden und dies zu begründen; dass der bloße Hinweis auf das Vorliegen von Vorstrafen für die Beurteilung der von §10 Abs1 Z6 StbG geforderten Gefährdungsprognose nicht ausreicht; dass insbesondere wenn die relevanten Verstöße bereits mehrere Jahre zurückliegen, es Aufgabe der Behörde bzw des Verwaltungsgerichtes ist, anzuführen, warum trotz dieses bereits über einen längeren Zeitraum andauernden Wohlverhaltens von einer negativen Gefährdungsprognose auszugehen ist.
Schließlich hat das Verwaltungsgericht, kommt es zur Auffassung, dass in seinem Beurteilungszeitraum noch kein ausreichend langes Wohlverhalten des Verleihungswerbers seit einem relevanten Fehlverhalten vorliegt und somit zum Entscheidungszeitpunkt eine negative Gefährdungsprognose vorzunehmen ist, diese Entscheidung auch dahingehend zu begründen, warum ein (zumindest mehrjähriger) Wohlverhaltenszeitraum nicht ausreichend ist. Eine solche Begründung bedingt grundsätzlich (ungeachtet möglicher Ausnahmen im Einzelfall) eine gewisse Vorstellung von einem ausreichenden und damit angemessenen Wohlverhaltenszeitraum, auch um dem Verleihungswerber jene Orientierung zu geben, die in rechtsstaatlichen Verfahren in solchen Konstellationen mit angelegt ist.
Das LVwG begründet seine negative Prognoseentscheidung gemäß §10 Abs1 Z6 zweiter Tatbestand StbG mit Blick auf das (frühere) Verhalten des Beschwerdeführers, das insbesondere zur, wenn auch mittlerweile getilgten, strafgerichtlichen Verurteilung wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung (im Zusammenwirken mit anderen Tätern) geführt hat, folgendermaßen: Es hält dem Beschwerdeführer zunächst zugute, dass er in den darauffolgenden zehn Jahren strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist, sodass diese Zeitspanne grundsätzlich als Wohlverhaltenszeitraum gewertet werden könne. Allerdings habe der Beschwerdeführer als Lenker von Kraftfahrzeugen in diesem Zeitraum drei Verwaltungsübertretungen (Abstandsunterschreitung gemäß §18 Abs1 StVO, Abstellen eines Fahrzeuges im Halte- und Parkverbot sowie eine Überschreitung der höchstzulässigen Geschwindigkeit) begangen, wobei die letzte Verwaltungsübertretung aus dem Jahr 2021 stamme. Der gravierenden Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstandes und der erheblichen Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit sei ein erheblicher Unrechtsgehalt beizumessen. Daraus zieht das LVwG den Schluss, dass der Beschwerdeführer "derzeit aber noch nicht Gewähr dafür bietet, dass er keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt, und damit der Versagungsgrund des §10 Abs1 Z6 StbG verwirklicht ist".
Das LVwG setzt sich in keiner Weise mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers zum Hintergrund seines früheren (strafrechtlich relevanten) Verhaltens, aus dem sich ergebe, dass er sich zwischenzeitig grundsätzlich geändert habe, auseinander. Es ist aber für die Gefährdungsprognose nach §10 Abs1 Z6 zweiter Tatbestand StbG von wesentlicher Bedeutung, ob das LVwG der Auffassung ist, dass bestimmte Verwaltungsübertretungen zeigen, dass eine ausreichende Distanzierung des Beschwerdeführers von seinem früheren gewaltgeneigten Verhalten nicht vorliegt und der Beschwerdeführer deswegen keine Gewähr für einen entsprechenden Respekt vor den Interessen und Rechten anderer und der Allgemeinheit bietet, oder ob das LVwG der Auffassung anhängt, dass und warum die in Rede stehenden Verwaltungsübertretungen für sich bereits eine negative Gefährdungsprognose begründen. Die mehrfache Bezugnahme des LVwG auf das strafgerichtlich sanktionierte und in der Folge getilgte Verhalten des Beschwerdeführers legt zwar nahe, dass das LVwG diesem Verhalten – ungeachtet seiner oben wiedergegebenen Ausführungen zum Wohlverhaltenszeitraum – weiterhin Bedeutung zumisst. Dann fehlt es aber an der gebotenen Auseinandersetzung mit dem erwähnten Vorbringen des Beschwerdeführers.
Schließlich lässt das LVwG in seiner Begründung mit der ausschließlichen Aussage, dass der Beschwerdeführer "derzeit aber noch nicht Gewähr dafür bietet, dass er keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt", die gebotene Begründung seiner Prognoseentscheidung außer Acht, warum dies der Fall ist und welchen gegebenenfalls ausreichenden Wohlverhaltenszeitraum das LVwG als Bezugspunkt nimmt. Nur mit einer solchen Begründung wird die Frage, wann, Wohlverhalten unterstellt, eine allfällige Neuantragstellung auf Verleihung der Staatsbürgerschaft für den Beschwerdeführer sinnvoll sein kann, nicht zu einer Zufallsentscheidung, ob er gerade wieder "noch nicht" oder vielleicht "gerade schon" ein ausreichend langes Wohlverhalten vorweisen kann.
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