Unzulässigkeit eines Individualantrags auf Aufhebung der Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft über das Aktionsprogramm zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (Nitrat-Aktionsprogramm-Verordnung - NAPV), BGBl II 495/2022, zur Gänze.
Aus dem Urteil EuGH 03.10.2019, Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland ua, geht unzweifelhaft hervor, dass die Antragsteller einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Festlegung eines Aktionsprogramms oder zusätzlicher Maßnahmen haben, solange der Nitratgehalt im Grundwasser ohne solche Maßnahmen an einer oder mehreren Messstellen im Sinne des Art5 Abs6 der Richtlinie 91/676/EWG zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (Nitrat-Richtlinie) 50 mg/l überschreitet oder zu überschreiten droht.
Die staatlichen Behörden sind verpflichtet, einen unionsrechtskonformen Rechtszustand herzustellen. Nach der Rsp des EuGH verbleibt den Behörden die Wahl der zu ergreifenden Maßnahmen. Die von den Behörden gesetzten Maßnahmen müssen aber dafür sorgen, dass das nationale Recht so schnell wie möglich mit dem Unionsrecht in Einklang gebracht und den Rechten, die dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsen, die volle Wirksamkeit verschafft wird. Soweit unionsrechtliche Vorschriften in Bezug auf die Modalitäten der gerichtlichen Kontrolle fehlen, kommt es der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaates zu, diese Modalitäten im Einklang mit dem Grundsatz der Verfahrensautonomie zu regeln, wobei diese nach dem Äquivalenzgrundsatz nicht ungünstiger sein dürfen als die Modalitäten, die für gleichartige interne Sachverhalte gelten, und nach dem Effektivitätsgrundsatz die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen.
Gemäß §55p Abs1 WRG 1959 ist der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft (BMLFRW) verpflichtet, "durch Verordnung Programme zur schrittweisen Reduzierung und Verhinderung der weiteren Verschmutzung der Gewässer (§30) durch direkte oder indirekte Ableitungen von Stickstoffverbindungen aus landwirtschaftlichen Quellen zu erlassen". Ein Verfahren zur Geltendmachung eines Anspruchs iSd Art5 Abs5 und Anhang I Punkt A Nr 2 Nitrat-Richtlinie hat der Gesetzgeber bislang nicht vorgesehen.
Nach der Entscheidung des EuGH Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland ua haben die Antragsteller einen Anspruch auf Erlassung jener Maßnahmen, die erforderlich sind, damit der sich aus Anhang I Punkt A Nr 2 Nitrat-Richtlinie ergebende Grenzwert im Hinblick auf ihren Grundwasserkörper eingehalten wird; auf Grund (der gebotenen Effektivität) des Unionsrechts haben die Antragsteller auch ein Recht auf Durchsetzung dieser materiellen Ansprüche.
Dieser unionsrechtlich gebotene Rechtsschutz der Antragsteller kann, wie der vorliegende Sachverhalt zeigt, nicht in jedem Fall effektiv gesichert werden, wenn der zuständige Bundesminister gemäß §55p Abs1 WRG 1959 ausschließlich zur Erlassung einer Verordnung verpflichtet ist. Weder können die Antragsteller die Erlassung bestimmter Maßnahmen in einer Verordnung unmittelbar vor einem Gericht durchsetzen, noch hat der VfGH von Verfassungs wegen die Kompetenz, gleichsam anstelle des Verordnungsgebers allenfalls erforderliche zusätzliche Maßnahmen vorzusehen.
§55p WRG 1959 sieht (ergänzend) unionsrechtskonform ausgelegt vor, dass der zuständige Bundesminister bei entsprechenden Anträgen auf Erlassung zusätzlicher Maßnahmen oder verstärkter Aktionen gemäß §55p WRG 1959 iVm Art5 Abs5 Nitrat-Richtlinie darüber (auch) in Bescheidform abzusprechen hat. Nur so kann der unionsrechtlich gebotene effektive Rechtsschutz für die Antragsteller sichergestellt werden:
Aus diesem Grund muss den Antragstellern die Möglichkeit eingeräumt werden, einen Antrag an den BMLFRW zu stellen, mit dem zusätzliche Maßnahmen oder verstärkte Aktionen gemäß §55p WRG 1959 iVm Art5 Abs5 Nitrat-Richtlinie begehrt werden. Der zuständige Bundesminister hat im Verwaltungsverfahren zunächst zu ermitteln, ob eine Überschreitung des sich aus Anhang I Punkt A Nr 2 Nitrat-Richtlinie ergebenden Grenzwertes bei den Antragstellern tatsächlich vorliegt oder eine Überschreitung droht. Liegt keine (drohende) Überschreitung vor, so ist der Antrag mit Bescheid abzuweisen.
Liegt eine (drohende) Überschreitung vor, ist vom zuständigen Bundesminister zu prüfen, ob über die Verordnung hinausgehende zusätzliche Maßnahmen zur Erreichung bzw Einhaltung des sich aus Anhang I Punkt A Nr 2 Nitrat-Richtlinie ergebenden Grenzwertes erforderlich sind.
Kommt der zuständige Bundesminister im Rahmen des behördlichen Ermittlungsverfahrens zur Auffassung, dass die bestehenden Maßnahmen zur Erreichung bzw Einhaltung des sich aus Anhang I Punkt A Nr 2 Nitrat-Richtlinie ergebenden Grenzwertes ausreichend sind, hat er den Antrag mittels Bescheid abzuweisen. Werden eine (drohende) Überschreitung des Grenzwertes sowie das Fehlen notwendiger Maßnahmen festgestellt, obliegt es dem zuständigen Bundesminister, die notwendigen Maßnahmen mittels Bescheid (und möglicherweise darüber hinaus auch im Wege einer neuen Verordnung bzw Verordnungsänderung iSd §55p WRG 1959) anzuordnen.
Auch wenn die notwendigen Maßnahmen durch Erlassung einer Verordnung bzw Verordnungsänderung angeordnet werden, enthebt dies den zuständigen Bundesminister nicht davon, ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchzuführen und einen - das Verwaltungsverfahren erledigenden - Bescheid gegenüber den Antragstellern zu erlassen.
Dieser - sich aus dem unionsrechtlich gebotenen Verständnis des §55p WRG 1959 ergebende - Anspruch auf bescheidförmige Erledigung ihrer Anträge stellt aber auch einen zumutbaren Weg für die Antragsteller dar, ihre Ansprüche auf Erlassung zusätzlicher Maßnahmen oder verstärkter Aktionen gemäß §55p WRG 1959 iVm Art5 Abs5 Nitrat-Richtlinie durchzusetzen.
Der BMLFRW hat dabei sicherzustellen, dass alle von den letztlich zu ergreifenden verwaltungsbehördlichen Maßnahmen in ihren subjektiven Rechten Betroffenen im Verfahren ihre Rechte als Parteien geltend machen können und die bescheidmäßige Entscheidung in einer allen Parteien zugänglichen Form kundgemacht wird.
Der durch den zuständigen Bundesminister erlassene Bescheid kann von den Antragstellern beim zuständigen Verwaltungsgericht im Wege einer Beschwerde gemäß Art130 Abs1 Z1 B-VG bekämpft werden.
Stellt das Verwaltungsgericht fest, dass die vom zuständigen Bundesminister gesetzten Maßnahmen nicht ausreichen, um die sich aus der Nitrat-Richtlinie ergebenden Grenzwerte einzuhalten bzw zu erreichen, hat das Verwaltungsgericht jenen Bescheid, mit dem zusätzliche Maßnahmen angeordnet werden, gemäß §28 Abs2 bis 5 VwGVG aufzuheben oder in der Sache selbst zu entscheiden. Gegebenenfalls hat das Verwaltungsgericht eine entgegenstehende Verordnung gemäß Art139 Abs1 Z1 B-VG beim VfGH anzufechten.
Sollte auch ein Verfahren vor dem zuständigen Verwaltungsgericht für die Antragsteller erfolglos bleiben, besteht die Möglichkeit, Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG gegen die als verfassungswidrig angesehene Entscheidung an den VfGH zu erheben und darüber hinaus im Rahmen dieser Beschwerde allenfalls auch die Prüfung der (geänderten) NAPV anzuregen.
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