Mit einem am 07.04.2022 wirksam gewordenen Verlangen wurde die Bundesministerin für Justiz aufgefordert, den beiden in Rede stehenden ergänzenden Beweisanforderungen vom 26.01.2022 zu entsprechen, in denen sie wiederum in mehreren Punkten um die "Auswertung des vorliegenden Datenbestands" ersucht worden war. Nicht vom erwähnten Verlangen gemäß §27 Abs4 VO-UA umfasst - und damit außerhalb des äußersten Rahmens des vorliegenden Verfahrens gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG - ist das Begehren im vorliegenden Antrag, "die Ergebnisse der beiden Beweiserhebungen dem Untersuchungsausschuss vollständig vorzulegen". Der Antrag erweist sich daher insoweit schon aus diesem Grund als unzulässig.
Der VfGH hat im vorliegenden Fall ausschließlich zu beurteilen, ob die nicht unverzüglich erfolgte Durchführung der mit den beiden in Rede stehenden ergänzenden Beweisanforderungen vom 26.01.2022 ersuchten Erhebungen aus den gegenüber dem ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss vorgebrachten Gründen zu Recht erfolgt ist oder nicht.
Wenngleich den Interessen der Strafverfolgung keine Vorrangstellung gegenüber den Aufgaben der wirksamen politischen Kontrolle durch einen Untersuchungsausschuss eingeräumt wird, ergibt sich aus einer Zusammenschau der Kompetenzen des VfGH nach Art138b Abs1 Z4 und 6 B-VG sowie aus den einfachgesetzlichen Regelungen der §§24, 25 und 27 VO-UA sowie §58 leg cit, dass der (Verfassungs-)Gesetzgeber mit den genannten Bestimmungen (unter einem) ein System geschaffen hat, in dem ua den Akten und Unterlagen sowie den Ergebnissen von Beweiserhebungen der Strafverfolgungsbehörden eine Sonderstellung zukommt. Der Bundesminister für Justiz kann - als einziges vorlagepflichtiges Organ - beim Vorsitzenden eines Untersuchungsausschusses die Aufnahme eines Konsultationsverfahrens verlangen, wenn er der Auffassung ist, dass ua Anforderungen von Akten und Unterlagen oder Ersuchen um Beweiserhebungen die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden in bestimmten Ermittlungsverfahren berühren.
Deutlich wird das Gewicht der Interessen der Strafverfolgung insbesondere dadurch, dass der Bundesminister für Justiz und der Untersuchungsausschuss gemäß Art138b Abs1 Z6 B-VG auch die Frage des Erfordernisses einer Vereinbarung an den VfGH herantragen können. Bestünde während eines laufenden Konsultationsverfahrens die Möglichkeit, ein Verfahren gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG zur Durchsetzung von Verlangen oder Beschlüssen erfolgreich anzustrengen, die den Inhalt des Konsultationsverfahrens berühren, verlöre die Klärung des Erfordernisses einer Konsultationsvereinbarung im Rahmen eines Verfahrens gemäß Art138b Abs1 Z6 B-VG ihre eigenständige Bedeutung, weil dessen Zweck damit hinfällig würde.
Ein Konsultationsverfahren, das vom Vorsitzenden auf Verlangen des Bundesministers für Justiz unverzüglich einzuleiten ist, bewirkt grundsätzlich eine Hemmung der Verpflichtungen des Bundesministers für Justiz gemäß §27 Abs1 bis 3 VO-UA, ua diesbezüglichen ergänzenden Beweisanforderungen gemäß §25 leg cit unverzüglich vollständig zu entsprechen (diese Verpflichtungen sind im Übrigen mit dem Umfang der sich aus den ergänzenden Beweisanforderungen ergebenden Erhebungen stets in Beziehung zu setzen) sowie seiner Behauptungs- und Begründungspflicht im Falle des Nicht-Entsprechens nachzukommen. Diese Hemmung bleibt in der Regel während eines laufenden Konsultationsverfahrens bestehen.
Mit der bestehenden Hemmung können zeitliche Beeinträchtigungen für die wirksame politische Kontrolle durch den Untersuchungsausschuss verbunden sein; da Art138b Abs1 Z6 B-VG einer Minderheit kein Recht einräumt, eine Meinungsverschiedenheit über das Erfordernis einer Konsultationsvereinbarung zur Entscheidung an den VfGH heranzutragen, die Rechte einer Minderheit, die Art53 Abs1 und Art138b Abs1 Z4 B-VG sowie die Bestimmungen der VO-UA dieser in Bezug auf Beweiserhebungen und den Gang des Verfahrens einräumen, jedoch ebenso beeinträchtigt werden können, sind derartige Verfahren zügig zu führen und verlieren - auch vor dem Hintergrund der befristeten Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses - spätestens nach drei Monaten die erwähnte hemmende Wirkung.
Wird der Bundesminister für Justiz daher nach Einleitung eines Konsultationsverfahrens und vor Abschluss einer Konsultationsvereinbarung dennoch gemäß §27 Abs4 VO-UA aufgefordert, seinen Verpflichtungen zur Vorlage von Akten und Unterlagen bzw zur Durchführung von Erhebungen zu entsprechen, kann er sein Nicht- oder teilweises Entsprechen mit einem laufenden (eine Dauer von längstens drei Monaten nicht übersteigenden) Konsultationsverfahren begründen. Diesfalls ist einem etwaigen auf Art138b Abs1 Z4 B-VG gestützten Antrag, mit dem der Bundesminister für Justiz verpflichtet werden soll, einem Untersuchungsausschuss einem laufenden Konsultationsverfahren unterliegende Akten und Unterlagen vorzulegen bzw solche Beweiserhebungen durchzuführen, der Erfolg zu versagen.
Im vorliegenden Fall hat die Bundesministerin für Justiz in mehreren Schreiben nach Zustellung der beiden in Rede stehenden ergänzenden Beweisanforderungen vom 26.01.2022 die Einleitung eines Konsultationsverfahrens verlangt; in mehreren Besprechungen im Rahmen dieses Verfahrens konnte im Hinblick auf die hier interessierenden Erhebungen (noch) kein Ergebnis erzielt werden, sodass diesbezüglich (noch) keine Konsultationsvereinbarung abgeschlossen war. Auf diesen Umstand hat die Bundesministerin für Justiz insbesondere auch in ihrem Schreiben vom 25.04.2022 hingewiesen, das in Beantwortung der dem vorliegenden verfassungsgerichtlichen Verfahren vorangegangenen Aufforderung gemäß §27 Abs4 VO-UA ergangen ist. Da die Verpflichtung der Bundesministerin für Justiz, den in Rede stehenden ergänzenden Beweisanforderungen vom 26.01.2022 vollständig zu entsprechen, auf Grund des Konsultationsverfahrens drei Monate lang gehemmt war und sie ihr Nicht-Entsprechen damit ausreichend begründet hat, ist der vorliegende Antrag abzuweisen.
Hinweis des VfGH:
Der Bundesminister für Justiz ist unmittelbar auf Grund von Art138b Abs1 Z6 B-VG - der mit der darin eröffneten Möglichkeit, eine Meinungsverschiedenheit über das Erfordernis einer Konsultationsvereinbarung an den VfGH heranzutragen, das Gewicht der Interessen der Strafverfolgung zum Ausdruck bringt - berechtigt, innerhalb der (längstens) dreimonatigen Hemmungsfrist einen Antrag auf Entscheidung über das Erfordernis einer Vereinbarung über die Rücksichtnahme auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden beim VfGH zu stellen. Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, besteht die Hemmung, die mit einem laufenden Konsultationsverfahren verbunden ist, für die Dauer des Verfahrens vor dem VfGH weiter. §58 Abs5 und 6 VO-UA sowie §56h Abs1 VfGG stehen dem - bei verfassungskonformer Interpretation - nicht entgegen.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes: Da die angesprochene Frist von längstens drei Monaten bereits verstrichen ist, steht der Bundesministerin für Justiz nicht mehr die Möglichkeit offen, allein gestützt auf Art138b Abs1 Z6 B-VG ein Verfahren beim VfGH anzustrengen. Sie trifft daher unverzüglich nach Zustellung des vorliegenden Erkenntnisses in Bezug auf die beiden in Rede stehenden ergänzenden Beweisanforderungen gegenüber dem ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss die Verpflichtung, ihrer bestehenden Behauptungs- und Begründungspflicht für das Nicht-Entsprechen nachzukommen (E 10.05.2021, UA4/2021). Vor dem Hintergrund der von der Bundesministerin für Justiz im Konsultationsverfahren vorgebrachten Gründe hat sie die Verpflichtung, den Untersuchungsausschuss umfassend über den Fortschritt der Erhebungen zu informieren und eine Prognose des erforderlichen Zeitaufwandes nachvollziehbar zu begründen, die auch den Einsatz der Personalressourcen umfasst. Dabei ist zu berücksichtigen, dass allfällige von der Bundesministerin für Justiz angenommene Ausnahmen von der Entsprechungsverpflichtung ihre Grundlage in Art53 B-VG haben müssen und entsprechend zu begründen sind; sollte die Bundesministerin für Justiz der Auffassung sein, Verlangen führten dazu, dass die Grenzen der Gewaltentrennung und Funktionsfähigkeit der Vollziehung überschritten werden, hätte sie diese Behauptung entsprechend zu begründen.
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