Die Abs. 2 und 4 im § 5 und Abs. 2 im § 6 des Agrarbehördengesetzes 1950 (BGBl. 1/1951) werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Der Zusammenlegungsplan verändert nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes 1951 und der dazu ergangenen Ausführungsgesetze der Bundesländer die Eigentumsverhältnisse an den das Zusammenlegungsgebiet bildenden Grundflächen. Weil er danach für die privatrechtlichen Beziehungen zwischen den betroffenen Grundeigentümern maßgebend ist, stellt sich eine den Zusammenlegungsplan betreffende behördliche Entscheidung nach Ansicht des VfGH - aber auch nach Ansicht der Bundesregierung - als eine über "zivilrechtliche Ansprüche" i. S. des {Europäische Menschenrechtskonvention Art 6, Art. 6 Abs. 1 MRK} dar. Die Agrarsenate haben also jedenfalls im Zusammenlegungsverfahren auch über zivilrechtliche Ansprüche i. S. der genannten Konventionsbestimmung zu entscheiden (vgl. auch {Wald- und Weidenutzungsrechte - Felddienstbarkeiten § 34, § 34 Abs. 4 Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951}) .
Die Agrarsenate haben im Zusammenlegungsverfahren auch über zivilrechtliche Ansprüche i. S. des {Europäische Menschenrechtskonvention Art 6, Art. 6 Abs. 1 MRK} zu entscheiden.
Dies wäre im gegebenen Zusammenhang ohne Bedeutung, wenn, wie der VfGH in seinen Erk. Slg. 5741/1968, 5943/1969 und 6044/1969 entschieden hat, Art. 12 Abs. 2 B-VG im Verhältnis zu Art. 6 MRK als lex specialis anzusehen sein sollte, der erstgenannten Bestimmung entsprechende einfachgesetzliche Regelungen daher nicht an Art. 6 MRK zu messen wären. Die Bundesregierung hat den in den hg. Unterbrechungsbeschlüssen geäußerten Zweifeln an der Richtigkeit dieser vom VfGH bisher vertretenen Auffassung entgegengehalten, daß sich nach ihrer Meinung "aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte betreffend Ringeisen allein keine Notwendigkeit ergebe, die Auffassung, daß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 Abs. 2 B-VG} im Verhältnis zu {Europäische Menschenrechtskonvention Art 6, Art. 6 MRK} als lex specialis anzusehen sei, zu revidieren" . Es wird weiters dargelegt, es ergebe sich daraus, daß "eine Verfassungsbestimmung nicht ausdrücklich von einem Vorbehalt zur MRK erfaßt ist, keineswegs zwingend die Schlußfolgerung, daß der Grundsatz, wonach die spezielle Norm der generellen Norm vorangeht, im Verhältnis zwischen dem innerstaatlichen Recht und dem einen Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnung bildenden völkerrechtlichen Vertragsrecht nicht zur Anwendung" komme.
Der VfGH hat in seinen dieses Verfahren einleitenden Beschlüssen in Erwägung gezogen, daß Art. 12 Abs. 2 B-VG nicht ausschließe, die Agrarsenate so einzurichten, daß sie als Tribunale i. S. des Art. 6 Abs. 1 MRK zu qualifizieren sind. Diese Annahme trifft zu. Weder Art. 12 Abs. 2 B-VG noch eine andere Norm im Verfassungsrang kann als Ermächtigung gedeutet werden, die Agrarsenate anders als andere über zivilrechtliche Ansprüche entscheidende Behörden nicht dem {Europäische Menschenrechtskonvention Art 6, Art. 6 Abs. 2 MRK} entsprechend einzurichten. Das aber bedeutet, daß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 Abs. 2 B-VG} und Art. 6 MRK nicht im Verhältnis einer lex specialis und lex generalis zueinanderstehen. Es bedarf dazu nicht mehr der Berufung auf den - allerdings in dieselbe Richtung weisenden - Ratifikationsvorbehalt zur genannten Konventionsbestimmung. Der VfGH vermag daher an seiner bisher vertretenen gegenteiligen Auffassung nicht länger festzuhalten. Auch dieses Ergebnis könnte jedoch die Verfassungswidrigkeit der §§ 5 Abs. 2 und 6 Abs. 2 AgrarbehördenG allein noch nicht dartun. Ein Widerspruch zu Art. 6 Abs. 1 MRK läge vielmehr dessen ungeachtet dann nicht vor, wenn gegen jene Entscheidungen der Agrarsenate, die mit einem administrativen Rechtsmittel nicht mehr angefochten werden können - also gegen alle Bescheide des Obersten Agrarsenates und gegen die nach § 7 AgrarbehördenG einer Berufung nicht unterliegenden Bescheide der Landesagrarsenate - Beschwerde sowohl vor dem VwGH ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 131, Art. 131 B-VG}) als auch vor dem VfGH ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 144, Art. 144 B-VG}) erhoben werden könnte (vgl. Slg. 5100/1965 und 7068/1973) . Dies ist jedoch nicht der Fall. Alle Agrarsenate sind nach dem Muster des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 133, Art. 133 Z 4 B-VG} eingerichtete Kollegialbehörden, gegen deren Bescheide die Beschwerde an den VwGH nicht ausdrücklich als zulässig erklärt worden, sohin aber ausgeschlossen ist. Die Agrarsenate müssen demnach von Verfassung wegen als Tribunale i. S. des {Europäische Menschenrechtskonvention Art 6, Art. 6 Abs. 1 MRK} eingerichtet werden.
Das ist nicht geschehen. Gemäß § 6 Abs. 2 AgrarbehördenG gehören dem Obersten Agrarsenat als Vorsitzender der BM für Landwirtschaft und Forstwirtschaft und als Mitglieder Personen an, die vom BM für Landwirtschaft und Forstwirtschaft bzw. vom BM für Justiz jederzeit abberufen werden können. Die nach dem Erk. Slg. 7099/1973 für die Qualifikation einer Behörde als Tribunal wesentliche Voraussetzung ihrer Trennung von der Exekutive ist also nicht gegeben. Bezüglich der Einwände der Bundesregierung, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe in seinem Urteil betreffend Ringeisen erkannt, daß "die Teilnahme von Vertretern von Interessengruppen (es handelte sich um Mitglieder, die von den Landwirtschaftskammern zu entsenden sind) in einem Kollegialorgan die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit dieses Organs i. S. des Art. 6 MRK nicht ausschließt" und daß ihrer Meinung nach "die persönliche Rückverbindung eines Mitgliedes einer solchen Behörde an einer Interessengruppe nicht anders zu beurteilen" sei "als diese Bindung bei einem Mitglied einer Landesregierung" sowie daß "das Moment der jederzeitigen Abberufbarkeit zumindestens beim Landeshauptmann als Vorsitzenden des Landesagrarsenates und beim BM für Landwirtschaft und Forstwirtschaft als Vorsitzenden des Obersten Agrarsenates nicht zum Tragen kommt, da in jenen Fällen die Abberufung nur infolge des Verlustes der Organstellung als Landeshauptmann bzw. BM erfolgen kann" , wird auf das Erk. Slg. 7099/1973 verwiesen. Daraus ergibt sich, daß die Mitgliedschaft eines obersten Organs der Vollziehung zu einem Kollegialorgan unter dem Blickwinkel des {Europäische Menschenrechtskonvention Art 6, Art. 6 Abs. 1 MRK} entgegen der Meinung der Bundesregierung keineswegs ebenso zu beurteilen ist, wie die Mitgliedschaft eines Organs einer Interessenvertretung. Das hat jedoch mit der von der Bundesregierung aufgeworfenen Frage der Abberufbarkeit nichts zu tun.
Es ist für das gegenständliche Verfahren ohne Bedeutung, ob in allen Beschwerdefällen, die Anlaß zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der die Einrichtung der Agrarsenate regelnden §§ 5 Abs. 2 und 6 Abs. 2 AgrarbehördenG gegeben haben, Bescheide angefochten worden sind, mit denen über "zivilrechtliche Ansprüche" entschieden worden ist.
Obzwar Art. 6 MRK in jenen Fällen, in denen Behörden - hier: Agrarsenate - über andere als zivilrechtliche Ansprüche zu entscheiden haben, als Maßstab überhaupt nicht in Betracht kommt, kann doch die Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen - alle Entscheidungen der Agrarsenate gleicherweise zugrunde liegenden - Gesetzesstellen nicht jeweils danach verschieden beurteilt werden, ob diese Behörden im Einzelfall über zivilrechtliche Ansprüche und über andere Angelegenheiten entscheiden. Allein der Umstand, daß diese Behörden nach dem Gesetz auch über zivilrechtliche Ansprüche zu entscheiden berufen sind, läßt die §§ 5 Abs. 2 und 6 Abs. 2 AgrarbehördenG als verfassungswidrig erscheinen. Dasselbe gilt sinngemäß für den Umstand, daß nicht in allen Beschwerdefällen, die Anlaß zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des die Einrichtung der Landesagrarsenate regelnden § 5 Abs. 2 AgrarbehördenG gegeben haben, Bescheide von Landesagrarsenaten angefochten sind. So verlangt der {Europäische Menschenrechtskonvention Art 6, Art. 6 MRK} lediglich, daß über zivilrechtliche Ansprüche "letzten Endes" Tribunale entscheiden müssen (vgl. VfGH Slg. 5100/1965) , das bedeutet, daß die Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche durch die Landesagrarsenate dann nicht an den genannten Konventionsbestimmungen zu messen ist, wenn gegen diese Entscheidung ein administratives Rechtsmittel zulässig ist. Nichtsdestoweniger kann die Verfassungsmäßigkeit des - allen Entscheidungen der Landesagrarsenate gleicherweise zugrunde liegenden - § 5 Abs. 2 AgrarbehördenG nicht jeweils danach verschieden beurteilt werden, ob gegen die Entscheidung einer dieser Behörden im Einzelfall gemäß § 7 AgrarbehördenG eine Berufung an den Obersten Agrarsenat zulässig ist oder nicht. Allein der Umstand, daß die Landesagrarsenate nach dem Gesetz auch zu letztinstanzlichen Entscheidungen berufen sind, läßt § 5 Abs. 2 AgrarbehördenG als verfassungswidrig erscheinen.
Der Wortlaut des Art. 12 Abs. 2 B-VG ist eindeutig. Er besagt, daß die Einrichtung, die Aufgaben und das Verfahren der Senate durch Bundesgesetz geregelt werden und gibt selbst keinerlei Auskunft über die Zuständigkeit zur Vollziehung dieses Bundesgesetzes. Art. 12 Abs. 2 B-VG bestimmt danach nicht, daß der Bund zur Vollziehung des genannten Bundesgesetzes in bezug auf die Organisation der - anders als der Oberste Agrarsenat - als Landesbehörden eingerichteten Landesagrarsenate (§ 8 Abs. 1 und 4 ÜG 1920) zuständig wäre. Der VfGH hält im Hinblick auf diesen klaren Wortlaut des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 12, Art. 12 Abs. 2 B-VG} eine historische Interpretation für unzulässig (vgl. Slg. 4340/1962, 4442/1963 und 5153/1965) . Die Bestellung der richterlichen Mitglieder (Ersatzmänner) der Landesagrarsenate durch den BM für Justiz und die Bestimmung der übrigen Mitglieder (Ersatzmänner) durch den Landeshauptmann als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung ist auch durch eine andere verfassungsgesetzliche Vorschrift nicht gedeckt. Da jede nicht dem Bund vorbehaltene Gesetzesvollziehung in die Zuständigkeit der Länder fällt ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 15, Art. 15 B-VG}) , erweisen sich die gegen § 5 Abs. 4 AgrarbehördenG bestehenden Bedenken als begründet. Diese Bestimmung steht im Widerspruch zu den Kompetenzvorschriften des B-VG.
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