§ 14 Abs. 1 Z 3 und Abs. 4 sowie § 24 Abs. 2 letzter Satz, Abs. 3 und 4 der Verfassung der Bundeshauptstadt Wien (Wiener Stadtverfassung - WStV) , Anlage zur Kundmachung der Wr. Landesregierung vom 15. Oktober 1968, LGBl. Nr. 28, mit der die Verfassung der Bundeshauptstadt Wien wiederverlautbart wird, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Aus Art. 117 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 95 Abs. 2 B-VG ergibt sich, daß die Wr. Gemeinderatswahlordnung die "Bedingungen des aktiven und passiven Wahlrechtes nicht enger ziehen" darf als "die Wahlordnung zum Nationalrat" , die ihrerseits selbstverständlich auch der Bundesverfassung - insbesondere dem demokratischen Prinzip und den Regeln über das Wesen des demokratischen Wahlrechtes i. S. des B-VG - entsprechen muß. Unter "Wahlordnung" i. S. dieser Stellen des B-VG können nicht etwa nur die Wahlverfahrensvorschriften gemeint sein, sondern es müssen darunter alle jene gesetzlichen Regelungen verstanden werden, die "die Bedingungen des aktiven und passiven Wahlrechtes" festsetzen. Schon gar nicht kann es auf die äußere Bezeichnung als "Wahlordnung" ankommen. Der Bundesverfassungsgesetzgeber wollte nämlich für alle Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern ein in den Grundzügen einheitliches aktives und passives Wahlrecht schaffen (vgl. Erk. Slg. 3426/1958, 3560/1959) . Dazu hat er die Anordnungen des Art. 95 Abs. 2 und des Art. 117 Abs. 2 zweiter Satz (früher Art. 119) B-VG getroffen. Dem Verfassungsgesetzgeber war im Jahre 1962, als mit der B-VG-Novelle, BGBl. Nr. 205/1962, u. a. auch Art. 117 B-VG einen völlig neuen Wortlaut erhielt, die zitierte Rechtsprechung des VfGH bekannt. Hätte er dem auch in {Bundes-Verfassungsgesetz Art 117, Art. 117 Abs. 2 B-VG} wieder verwendeten Begriff "Wahlordnung" einen anderen Inhalt geben wollen als den eben umschriebenen, dann hätte er dies - um die Rechtsprechung des VfGH in andere Bahnen zu lenken - zum Ausdruck gebracht. Daraus ergibt sich auch, daß die Meinung nicht richtig ist, der Inhalt des Begriffes "Wahlordnung zum Nationalrat" sei durch die Fassung der Nationalratswahlordnung im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vorschrift des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 95, Art. 95 Abs. 2 B-VG} bestimmt.
{Europäische Menschenrechtskonvention Art 6, Art. 6 MRK} enthält keine Anordnung, gemäß der widersprechende generelle Vorschriften mit dem Inkrafttreten der MRK aus dem Rechtsbestande ausgeschieden werden.
Im Erk. Slg. 3169/1957 hat der VfGH ausgeführt, das passive Wahlrecht erschöpfe sich nicht im Recht, gewählt zu werden, es schließe auch das Recht in sich ein, gewählt zu bleiben. Das Recht des zu einem allgemeinen Vertretungskörper Gewählten auf Ausübung seines Amtes sei - weil es zum Inhalt des passiven Wahlrechtes gehöre - verfassungsgesetzlich gewährleistet.
Auch im Erk. Slg. 3560/1959 hat der VfGH zum Ausdruck gebracht, daß dem Mandatar das Recht gewährleistet ist, sein Amt auszuüben.
Der VfGH hält an dieser Rechtsprechung fest. Das Recht auf Ausübung des Mandates ist ein Teil des passiven Wahlrechtes. Durch das Recht auf Ausübung des Mandates ist - soweit nicht die Verfassung selbst Ausnahmen zuläßt - nicht nur die Beibehaltung des Mandates, sondern auch die rechtliche Möglichkeit, es auszuüben, gewährleistet; andernfalls könnte das Recht völlig ausgehöhlt, also inhaltslos, werden.
Keine der gesetzlichen, das passive Wahlrecht zum Nationalrat bestimmenden Vorschriften (vgl. insbesondere auch die Geschäftsordnung des Nationalrates, BGBl. Nr. 178/1961) hat einen Inhalt, der die "Bedingungen" des Rechtes auf Ausübung des Mandates, wie sie hier in § 14 Abs. 4 und § 24 Abs. 2 letzter Satz WStV gezogen worden sind, i. S. des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 95, Art. 95 Abs. 2 B-VG} rechtfertigen könnte. Keine jener Vorschriften erlaubt irgend eine Sistierung des Mandates für die Dauer eines bestimmten Sachverhaltes oder den Ausschluß von einzelnen Sitzungen des Vertretungskörpers aus irgendwelchen Gründen.
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