Der Wahlanfechtung (Wahlen des Gemeinderates und der Bezirksvertretungen in Wien am 27. April 1969) wird nicht stattgegeben.
In einem Fall, in dem es für die Rechtmäßigkeit des Wahlverfahrens entscheidend ist, ob die Bestimmungen der Wahlordnung über die Rechtswirksamkeit der Einbringung (Vorlage) der Wahlvorschläge verfassungsmäßig sind, ist die Berechtigung zur Anfechtung der Wahl i. S. des § 67 Abs. 2 VerfGG 1953 jedenfalls gegeben (vgl. Erk. Slg. 4992/1965 in Abweichung von den Erk. Slg. 3482/1958 und 3611/1959) .
Gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 95, Art. 95 Abs. 2 B-VG} dürfen die Landtagswahlordnungen die Bedingungen des aktiven und des passiven Wahlrechtes nicht enger ziehen als die Wahlordnung zum Nationalrat. Gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 117, Art. 117 Abs. 2 B-VG} (i. d. F. BGBl. Nr. 205/1962) dürfen in der Wahlordnung zum Gemeinderat die Bedingungen des aktiven und des passiven Wahlrechtes nicht enger gezogen sein als in der Wahlordnung zum Landtag.
Maßstab für die Abgrenzung des aktiven und passiven Wahlrechtes zum Landtag und zum Gemeinderat ist also die Wahlordnung zum Nationalrat.
Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß sich aus dem B-VG selbst Grundsätze für die einzelnen Wahlordnungen ergeben, die es nicht erlauben, die Schranken der Art. 95 Abs. 2 und 117 Abs. 2 B-VG schematisch zu ziehen.
Das aktive Wahlrecht und das passive Wahlrecht sind nur im Rahmen des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechtes gegeben (Art. 26 Abs. 1, Art. 95 Abs. 1 und {Bundes-Verfassungsgesetz Art 117, Art. 117 Abs. 2 B-VG}) . Die Vorschriften, die für die Einbringung eines Wahlvorschlages eine bestimmte Zahl von Unterschriften und die Erlegung eines Beitrages zu den Kosten des Wahlverfahrens vorsehen, sind daher an den Maßstäben zu messen, die sich aus diesen Verfassungsbestimmungen ergeben.
Für das Wesen des Verhältniswahlsystems ist es charakteristisch, daß die Idee der Proportionalität darauf gerichtet ist, zwar womöglich allen politischen Parteien eine verhältnismäßige Vertretung zu gewähren, jedoch mit Ausschluß jener kleinen Gruppen, welche die Mindestzahl von Stimmen, die sogenannte Wahlzahl, nicht erreichen, über die eine Partei verfügen muß, um wenigstens einen Abgeordneten zu erhalten; diese Mindestzahl, die Wahlzahl, ist mit dem Verhältniswahlsystem wesensnotwendig verknüpft.
Ist nun das Verhältniswahlrecht in diesem Sinne verfassungsgesetzlich verankert, so ist es (da die Verhinderung einer allzu großen Zersplitterung zum Wesen der Verhältniswahl gehört) nicht verfassungswidrig, zu bestimmen, daß Wahlvorschläge eine Mindestanzahl von Unterschriften Wahlberechtigter ausweisen müssen, denn dadurch werden im Interesse der Vereinfachung des Wahlverfahrens und zur Vermeidung einer unnötigen Stimmenzersplitterung solche Gruppen von der Wahlwerbung ausgeschlossen, die nicht einmal eine bestimmte Unterschriftenanzahl aufbringen können und daher von vornherein gar keine Aussicht auf Erlangung eines Mandates haben. Es würde aber den Grundsätzen einer demokratischen Verhältniswahl widersprechen, wenn so viele Unterschriften auf einen Wahlvorschlag gefordert würden, daß dadurch auch ernsthafte Wahlwerbungen verhindert würden. Verfassungsrechtlich wirksam bekämpfbar wäre es deshalb, wenn die in der Wahlordnung geforderte Mindestzahl von Unterschriften auf den Wahlvorschlägen so hoch angesetzt wäre, daß dies einen Ausschluß von Gruppen, die sich andernfalls mit Erfolg an der Wahlwerbung beteiligen könnten, bedeuten würden.
Gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 26, Art. 26 Abs. 2 B-VG} wird für die Wahl zum Nationalrat das Bundesgebiet in räumlich geschlossene Wahlkreise geteilt, deren Grenzen die Landesgrenzen nicht schneiden dürfen. Auch für die Wahlen zum Landtag und für die Wahlen in den Gemeinderat sind Wahlkreise, von denen jeder ein geschlossenes Gebiet umfassen muß, vorgesehen (Art. 95 Abs. 3 und {Bundes-Verfassungsgesetz Art 117, Art. 117 Abs. 2 B-VG}) .
Im Rahmen dieser Bestimmungen ist der einfache Gesetzgeber in der räumlichen Abgrenzung der Wahlkreise frei; so hat der VfGH z. B. festgestellt, daß das Wort "Wahlkreis" im ersten Satz des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 26, Art. 26 Abs. 2 B-VG} sowohl die Wahlkreise als auch die mehrerer Länder umfassenden Wahlkreisverbände deckt.
Aus der in der Nationalrats-Wahlordnung 1962 (§ 49 Abs. 2) getroffenen Regelung, daß ein Kreiswahlvorschlag von wenigstens 200 Wahlberechtigten des Wahlkreises unterschrieben sein muß, kann schon für die Wahl zum Nationalrat nicht die Normierung einer Relation zu der Zahl der Wähler abgeleitet werden, denn die genannte Unterschriftenzahl gilt in gleicher Weise für große und für kleine Wahlkreise mit unterschiedlicher Wählerzahl. Diese Regelung steht aber auch in keinem rechtlichen Zusammenhang mit den Regelungen, die bezüglich der für Wahlen zu einem Landtag oder in einen Gemeinderat vom zuständigen Gesetzgeber gebildeten Wahlkreise gelten.
Es liegt in der Natur der Sache, daß die für die Wahl zum Nationalrat zu bildenden Wahlkreise eine andere Ausdehnung haben als etwa die Wahlkreise für Wahlen in den Gemeinderat einer Gemeinde, die begrifflich nur Teile eines Gemeindegebietes umfassen können. So sieht auch die Nationalrats-Wahlordnung 1962, mit Ausnahme der Wr. Wahlkreise, keinen Wahlkreis vor, der nur Teile eines Gemeindegebietes umfaßt. Aus den tatsächlichen Verhältnissen in Wien, das allein wegen seiner Bevölkerungszahl auch für die Wahl zum Nationalrat in mehrere Wahlkreise eingeteilt ist (vergleichsweise bilden die Länder Burgenland, Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg je einen Wahlkreis) , kann aber keine rechtliche Abhängigkeit der für die Wahl in den Gemeinderat zu treffenden Regelung von der für die Wahl zum Nationalrat geltenden abgeleitet werden. Der zuständige Gesetzgeber ist nur an den für jede demokratische Verhältniswahl geltenden Grundsatz gebunden, daß die für einen Wahlvorschlag geforderte Mindestzahl von Unterschriften eine ernsthafte Wahlwerbung nicht verhindern darf.
Die Meinung, daß durch die Regelung des § 43 Abs. 2 Gemeindewahlordnung, wonach jeder Wahlvorschlag von wenigstens 100 Wählern des Gemeindebezirkes unterschrieben sein muß, der verfassungsgesetzlich verankerte Grundsatz des geheimen Wahlrechtes verletzt werde, trifft nicht zu. Der Grundsatz des geheimen Wahlrechtes bezieht sich nur auf die Stimmenabgabe, nicht jedoch auf die Wahlwerbung, die ihrem Wesen nach öffentlich ist.
Gegen die im § 43 Abs. 2 GWO getroffene Regelung, daß jeder Bezirkswahlvorschlag für den Gemeinderat von wenigstens 100 Wählern des Gemeindebezirkes unterschrieben sein muß, bestehen somit keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch gegen die Regelung des § 47 Abs. 2 GWO, wonach ein Wahlvorschlag, der nicht die erforderliche Zahl von Unterschriften aufweist, als nicht eingebracht gilt, bestehen keine derartigen Bedenken.
Keine Bedenken gegen § 43 Abs. 2 der Wr. GWO, LGBl. Nr. 17/1964, i. d. F. Nr. 3/1969, in der Richtung, daß die darin für den Wahlvorschlag geforderte Mindestzahl von 100 Unterschriften in einer Höhe angesetzt ist, die einen Ausschluß von Gruppen, die sich andernfalls mit Erfolg an der Wahlwerbung beteiligen könnten, bewirken würde (gemessen an der am 27. April 1969 gegeben gewesenen Anzahl der Wahlberechtigten und den bei der damaligen Wahl maßgeblichen Wahlzahlen) .
Es bestehen gegen die in § 44 GWO getroffene Regelung, daß bei der Vorlage eines Bezirkswahlvorschlages für die Gemeinderatswahl ein Beitrag zu den Kosten des Wahlverfahrens in der Höhe von 600 S zu erlegen ist, sowie gegen die im § 47 Abs. 2 GWO damit im Zusammenhang stehende Regelung, wonach bei Nichterlag dieses Beitrages der Wahlvorschlag als nicht eingebracht gilt, keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Der VfGH hat sich schon im Erk. Slg. 3611/1959 mit dem Beitrag befaßt, der gemäß § 49 Abs. 6 der Nationalrats-Wahlordnung 1959 zu den Kosten des Wahlverfahrens gleichzeitig mit der Übermittlung des Kreiswahlvorschlages zu erlegen war. Der Gerichtshof führte aus, daß die Einführung eines solchen Kostenbeitrages keine verfassungswidrige Einschränkung des passiven Wahlrechtes bedeute, weil diese Einführung im Zusammenhang mit der Einführung des amtlichen Stimmzettels erfolgte, der die Wahlwerbung erleichterte. Ein Kostenbeitrag von 2000 S stelle nur einen Teil jener Summe dar, die wahlwerbende Parteien sonst aus eigenem hätten aufbringen müssen, sofern sie sich mit Aussicht auf Erfolg an der Wahl beteiligen wollten. Daraus folge aber, daß auch die Regelung des § 49 Abs. 5 der Nationalrats- Wahlordnung 1959, wonach bei Nichterlag des Kostenbeitrages der Wahlvorschlag als nicht eingebracht gilt, unbedenklich sei. Diese Überlegungen, die der VfGH aufrecht hält, gelten in gleicher Weise für die inhaltlich unveränderte Regelung des § 49 Abs. 6 der Nationalrats-Wahlordnung 1962. Auch die Einführung eines Beitrages zu den Kosten des Wahlverfahrens in der Stadt Wien ist im Zusammenhang mit der Einführung des amtlichen Stimmzettels erfolgt, und zwar durch das Gesetz vom 10. April 1959 über die Änderung der Gemeindewahlordnung der Stadt Wien, LGBl. Nr. 14/1959. Damit ist aber auch schon gesagt, daß für die Regelung des § 44 in Zusammenhang mit § 47 Abs. 2 GWO die gleiche Beurteilung Platz zu greifen hat, wie bezüglich des § 49 Abs. 6 der Nationalrats-Wahlordnung.
Bezüglich der Höhe des Kostenbeitrages kann aus einem Vergleich mit der in der Nationalrats-Wahlordnung 1962 getroffenen Regelung eine Verfassungswidrigkeit nicht abgeleitet werden.
Bezüglich der Wahlen der Bezirksvertretungen sind im B-VG keine ausdrücklichen Bestimmungen enthalten, wie sie in Art. 95 Abs. 2 für die Wahlen zum Landtag und im Art. 117 Abs. 2 für die Wahlen in den Gemeinderat getroffen sind.
Der VfGH hat im gegebenen Zusammenhang keine Bedenken, daß die Bestimmungen des § 43 Abs. 2, des § 44 und des § 47 Abs. 2 GWO, soweit sie die Bezirkswahlvorschläge für die Bezirksvertretungen betreffen (diese Bestimmungen sind inhaltlich gleich den die Bezirkswahlvorschläge für den Gemeinderat betreffenden) , gegen verfassungsgesetzliche Bestimmungen verstießen.
Es ist zwar einzuräumen, daß die im § 43 Abs. 2 GWO auch für den die Bezirksvertretungen betreffenden Wahlvorschlag geforderte Mindestzahl von 100 Unterschriften relativ hoch ist. Die Wahlzahl für die Wahl in die Bezirksvertretungen am 27. April 1969 lag zwischen 425 im 1. Bezirk und 2772 im 10. Bezirk, wobei die Zahl der gültigen Stimmen im Verhältnis zur Zahl der Wahlberechtigten im 1. Bezirk nur rund 63 % und im 10. Bezirk nur rund 70 % betrug. Die in § 43 Abs. 2 GWO getroffene Regelung verstößt aber nicht gegen die Grundsätze der demokratischen Verhältniswahl, denn die Unterstützung des Wahlvorschlages wird nicht in einem Ausmaß gefordert, das ernsthafte Wahlwerbungen verhindert.
In einer Verlautbarung nach § 85 GWO liegt nicht die Anerkennung als wahlwerbende Partei mit der Wirkung, daß die Bezirkswahlbehörden gehalten wären, die Parteilisten einer eine solche Anmeldung erstattenden Partei gemäß § 50 GWO zu veröffentlichen. Verlautbart die Stadtwahlbehörde gemäß § 85 GWO die Anmeldung einer Partei, deren Wahlvorschlag i. S. des § 47 Abs. 2 GWO als nicht eingebracht gilt, so ist dies zwar rechtswidrig, berührt aber nicht die Rechtswirkung einer Feststellung nach § 47 Abs. 2 GWO.
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