Der Bescheid der Landeshauptwahlbehörde für Gemeinderatswahlen beim Amte der Bgld. Landesregierung vom 28. Juni 1968, betreffend die Gemeinderatswahl in Kaisersteinbruch, wird als rechtswidrig aufgehoben. (Rechtswidrige Eintragung von Heeresangehörigen in das Wählerverzeichnis.) Aufhebung des bekämpften Erkenntnisses der Landeswahlbehörde, weil der VfGH infolge Fehlens von verläßlichen Tatsachenfeststellungen in bezug auf den Wohnsitz der 27 Wahlteilnehmer zu einer Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gekommen ist.
Bei dem knappen Wahlresultat von 108:101 Stimmen (zwei wahlwerbende Parteien) ist die Frage der Rechtmäßigkeit von 27 Stimmen geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.
Im {Bundes-Verfassungsgesetz Art 95, Art. 95 Abs. 1 B-VG} wird bestimmt, daß zur Wahl der Landtage die Bundesbürger berechtigt sind, die im Lande ihren ordentlichen Wohnsitz haben. Für die Ortsgemeinden und Gebietsgemeinden hatte {Bundes-Verfassungsgesetz Art 119, Art. 119 Abs. 2 B-VG} bestimmt, daß die Bundesbürger zu den Wahlen in alle Vertretungen berechtigt sind, die im Bereich der zu wählenden Vertretung ihren ordentlichen Wohnsitz haben. Gegenwärtig gilt {Bundes-Verfassungsgesetz Art 117, Art. 117 Abs. 2 B-VG} (B-VG-Novelle 1962, BGBl. Nr. 205/1962) , nach welchem zu den Wahlen in den Gemeinderat die Staatsbürger berechtigt sind, die in der Gemeinde ihren ordentlichen Wohnsitz haben.
Die Bgld. Gemeindewahlordnung, LGBl. Nr. 22/1965, bestimmt im § 15 Abs. 1, daß jeder Wahlberechtigte in das Wählerverzeichnis der Gemeinde einzutragen ist, in der er am Stichtag seinen ordentlichen Wohnsitz hatte. Diesen definiert § 15 Abs. 2 wie folgt: "Der ordentliche Wohnsitz einer Person ist an dem Orte begründet, an dem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, ihn bis auf weiteres zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu wählen. Hiebei ist es unerheblich, ob die Absicht darauf gerichtet war, für immer an diesem Orte zu bleiben." § 15 Abs. 2 der Bgld. GWO stimmt daher wortwörtlich mit der Regelung des § 2 Abs. 2 des Wählerevidenzgesetzes, BGBl. Nr. 243/1960, überein.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Landesgesetzgebung zuständig wäre, den Begriff "ordentlicher Wohnsitz" in den zitierten Verfassungsbestimmungen selbständig zu regeln, denn keinesfalls liegt ein verfassungsrechtlicher Mangel vor, wenn die Landesgesetzgebung diesen Begriff vor den auf Grund bundesverfassungsgesetzlicher Ermächtigung erlassenen Ausführungsgesetzen des Bundes für die Wahlen zum Nationalrat für den Bereich der Gemeinderatswahlen übernimmt.
Die Nationalrats-Wahlordnung, BGBl. Nr. 129/1949, hatte im § 30 Abs. 1 lediglich bestimmt, daß jeder Wahlberechtigte in das Wählerverzeichnis der Gemeinde einzutragen ist, in der er am Stichtage seinen ordentlichen Wohnsitz hat, eine Definition des ordentlichen Wohnsitzes gab jedoch die Wahlordnung nicht. Hiebei blieb es bis zur Nationalrats-Wahlordnungsnovelle, BGBl. Nr. 25/1957, die den § 30 in der dargestellten Weise geändert hat. Bis dahin war der Begriff des ordentlichen Wohnsitzes mangels einer Verweisung nicht i. S. des {Jurisdiktionsnorm § 66, § 66 JN} auszulegen. In diese Zeit fällt das Erk. des VfGH Slg. 2935/1955. Darin wurde ausgeführt, daß ein ordentlicher Wohnsitz nur an jenem Orte begründet sei, welchen die betreffende Person zu einem Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen, beruflichen oder gesellschaftlichen Betätigung zu gestalten die Absicht hat, daß dies allerdings nicht bedeute, daß die Absicht dahin gehen müsse, an dem gewählten Ort für immer zu bleiben, es genüge durchaus, daß der Ort nur bis auf weiteres zu diesem Mittelpunkt frei gewählt worden sei.
Es könne darum der ordentliche Wohnsitz eines Studierenden am Studienort oder eines Arbeiters am Beschäftigungsort nicht mit der Begründung allein verneint werden, daß es sich nicht um auf Dauer berechnete Verhältnisse handle und in gleicher Weise wäre es unrichtig zu sagen, daß schlechthin am Studienort oder Beschäftigungsort ein ordentlicher Wohnsitz gegeben wäre.
Für den Bereich der Bgld. GWO ist jedoch nunmehr das Gegebensein eines ordentlichen Wohnsitzes ausschließlich und unmittelbar aus dem verfassungsgesetzlich unbedenklichen § 15 Abs. 2 abzuleiten, der eine ergänzende Anwendung des {Jurisdiktionsnorm § 66, § 66 Abs. 1 JN} wegen des verschiedenen Inhaltes ausschließt. Wegen der Beziehungslosigkeit des § 15 Abs. 2 der Bgld. GWO zur Jurisdiktionsnorm überhaupt kommt eine Anwendung des {Jurisdiktionsnorm § 68, § 68 JN} hier nicht in Betracht.
Der für die Wahlen zum Nationalrat nunmehr geltende Wohnsitzbegriff - § 29 Abs. 2 der Nationalrats-Wahlordnung 1962, BGBl. Nr. 246/1962, verweist auf das Wählerevidenzgesetz, BGBl. Nr. 243/1960, - ist von dem Wohnsitzbegriff der Jurisdiktionsnorm verschieden. {Jurisdiktionsnorm § 66, § 66 Abs. 1 zweiter Satz JN} sagt, daß der Wohnsitz einer Person an dem Ort begründet ist, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Das WählerevidenzG, BGBl. Nr. 243/1960 (früher schon das Stimmlistengesetz, BGBl. Nr. 271/1956) , hingegen spricht von der Absicht, den Ort bis auf weiteres zum Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu wählen, und erklärt, es sei unerheblich, ob die Absicht darauf gerichtet ist, für immer an diesem Ort zu bleiben. Mangels eines Zusammenhanges mit der Jurisdiktionsnorm kommt die Vorschrift des {Jurisdiktionsnorm § 68, § 68 JN} über den Ort der Garnison als Wohnsitz für die Ausübung des Wahlrechtes zum Nationalrat nicht in Betracht.
Die Meinung, die Einheit der Rechtsordnung verlange einen für alle Bereiche gleichen Begriff des ordentlichen Wohnsitzes, ist unzutreffend, denn es geht um verschiedene Bereiche, die darum auch verschiedene Regelungen zulassen.
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