Die Überprüfung eines Verfassungsgesetzes des Bundes auf die Verfassungsmäßigkeit seines Inhaltes erscheint nicht möglich, weil dem VfGH nach keinem der seine Zuständigkeit regelnden Art. 137 - 145 B-VG eine solche Berechtigung zusteht und weil im allgemeinen jeder Maßstab für eine solche Prüfung fehlt. Zur Überprüfung des formgerechten Zustandekommens eines Verfassungsgesetzes ist aber der VfGH zweifellos berufen. Handelt es sich bei einer solchen Überprüfung um die Frage, ob das Gesetz gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 44, Art. 44 Abs. 2 B-VG} der Abstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen war, dann wird allerdings auch die Beurteilung des Inhaltes der zu überprüfenden Gesetzesstelle mittelbar zur Vorfrage des verfassungsgerichtlichen Erkenntnisses.
Das demokratische Prinzip ist im {Bundes-Verfassungsgesetz Art 1, Art. 1 B-VG} verankert, der besagt, daß Österreich eine demokratische Republik ist, deren Recht vom Volk ausgeht.
Dem rechtsstaatlichen Prinzip entspricht es, daß alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und mittelbar letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und daß für die Sicherung dieses Postulates wirksame Rechtsschutzeinrichtungen bestehen.
Das B-VG selbst bringt keine Umschreibung des Begriffes " Gesamtänderung der Bundesverfassung" , es läßt auch nähere Erläuterungen dieses Begriffes vermissen. Nach der Auslegungsregel des ABGB wird man daher, unter Bedachtnahme auf Sinn und Wortlaut des {Bundes-Verfassungsgesetz Art 44, Art. 44 Abs. 2 B-VG}, unter Gesamtänderung der Verfassung eine solche Veränderung verstehen müssen, die einen der leitenden Grundsätze der Bundesverfassung berührt.
Maßgebend sind nicht die verschiedenen einander vielfach widersprechenden Theorien vom Wesen des Bundesstaates, sondern ausschließlich die positiven Bestimmungen des B-VG. Nach Art. 2 B-VG ist Österreich ein Bundesstaat, der aus den neun namentlich aufgezählten Ländern besteht. Dieser Bestimmung, der zunächst wohl nur die Bedeutung einer programmatischen Erklärung beizumessen ist, kommt aber darüber hinaus auch ein normativer Inhalt zu, und zwar muß aus Art. 2 im Zusammenhalt mit {Bundes-Verfassungsgesetz Art 44, Art. 44 Abs. 2 B-VG} gefolgert werden, daß eine Aufhebung wesentlicher Bestimmungen des B-VG, die sich auch in allen anderen bundesstaatlichen Verfassungen finden, als eine Gesamtänderung der Verfassung anzusehen wäre. Als solche für eine bundesstaatliche Verfassung typische Einrichtungen wären vor allem die Aufteilung der staatlichen Funktionen, d. h. die Kompetenzverteilung zwischen dem Oberstaat und den Gliedstaaten und die Beteiligung der Gliedstaaten an der oberstaatlichen Gesetzgebung durch die Einrichtung einer aus Vertretern der Gliedstaaten gebildeten Länderkammer, anzusehen. Die Beseitigung - nicht auch eine bloße Modifikation - einer dieser beiden für die bundesstaatliche Organisationsform typischen Einrichtungen wäre daher als eine Gesamtänderung der Verfassung anzusehen.
Der Bestand einer eigenen Landesbürgerschaft gehört nicht zum Wesen der bundesstaatlichen Organisationsform, daher wird der Fortbestand des Bundesstaates durch das Fehlen einer besonderen Landesbürgerschaft nicht berührt. Bundesbürgerschaft und Landesbürgerschaft sind nach der österreichischen Bundesverfassung inhaltsgleich. Die Landesbürgerschaft hat überhaupt keinen besonderen rechtlichen Inhalt, aus ihr ergeben sich auch keinerlei besondere Rechte und Pflichten. Ein besonderer rechtlicher Gehalt der Landesbürgerschaft wäre sogar verfassungswidrig, weil nach {Bundes-Verfassungsgesetz Art 6, Art. 6 Abs. 3 B-VG} jeder Bundesbürger in jedem Lande gleiche Rechte und Pflichten hat wie die Bürger des Landes selbst. Es liegt hier in Wahrheit überhaupt nur ein Rechtsverhältnis vor, nämlich das Verhältnis der Staatsbürgerschaft, das als Oberbegriff die beiden Seiten der Betrachtung - Landesbürgerschaft und Bundesbürgerschaft - in sich schließt. Liegt aber tatsächlich nur ein Rechtsverhältnis vor, dann kann auch die gesetzliche Regelung nur durch eine der beiden Staatsgewalten - Oberstaat oder Gliedstaaten - erfolgen.
Tatsächlich erklärt {Bundes-Verfassungsgesetz Art 11, Art. 11 B-VG} die Gesetzgebung in Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft und des Heimatrechtes, wobei der Begriff Staatsbürgerschaft als Oberbegriff über die Unterbegriffe Landesbürgerschaft und Bundesbürgerschaft gebraucht wird, als Bundessache, die Vollziehung dieser Angelegenheiten hingegen als Landessache.
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