Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Jilke als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Neubauer und Mag. Wolfrum, LL.M., als weitere Senatsmitglieder in der Maßnahmenvollzugssache der A*wegen bedingter Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB über deren Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 19. August 2025, GZ **-8, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung:
Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 8. November 2018, GZ **-14, (ON 4) wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung der am ** geborenen österreichischen Staatsbürgerin A* in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (nunmehr: in einem forensisch-therapeutischen Zentrum [in der Folge: FTZ]) angeordnet, weil sie unter dem Einfluss paranoider Schizophrenie (ICD-10: F 20.0) sowie psychischer und Verhaltensstörung durch Cannabinoide/schädlicher Gebrauch (ICD-10: F 12.1) und durch Alkohol/schädlicher Gebrauch (ICD-10: F 10.1), somit eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen bzw seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, dadurch, dass sie während einer der Aufklärung einer Sachbeschädigung dienenden Amtshandlung einen Hammer in die Hand nahm, auf den Polizeibeamten GI B* zuging und sinngemäß sagte, sie habe Angst und wolle, dass die Beamten ihre Wohnung verlassen, wobei sie den Hammer trotz mehrmaliger vergeblicher Aufforderung letztlich erst nach Einsatz des Pfeffersprays fallen ließ, einen Beamten durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper an einer Amtshandlung, nämlich der Durchführung von Ermittlungen nach der Strafprozessordnung durch Aufnahme des Sachverhalts bei der Beschuldigten, zu hindern versuchte, sohin eine Tat begangen hat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist und die ihr, wäre sie zurechnungsfähig gewesen, als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 (erster Fall) StGB zuzurechnen wäre, wobei nach ihrer Person und ihrem Zustand sowie nach der Art der Tat zu befürchten ist, dass sie ohne ausreichende Behandlung unter dem Einfluss ihrer geistigen und seelischen Abartigkeit höheren Grades eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen wie die ihr zur Last gelegte begehen werde.
Seit 3. April 2019 wird sie im Maßnahmenvollzug, aktuell nach wie vor im Landesklinikum C*, angehalten. Zuletzt wurde über die Entlassung der Untergebrachten aus dem Maßnahmenvollzug und das weitere Vorliegen der Voraussetzungen einer Unterbringung nach ihrer Anhörung mit Beschluss vom 19. August 2024 zu AZ ** des Landesgerichts St. Pölten entschieden.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss erachtete das Erstgericht als zuständiges Vollzugsgericht, gestützt auf die jährliche Stellungnahme des Landesklinikum C*, Abteilung für Forensische Psychiatrie, vom 2. Juni 2025 (ON 6) und das Gutachten des Sachverständigen DI Dr. D* vom 5. August 2023 (ON 5) die weitere Unterbringung in einem FTZ als notwendig und wies unter einem den Antrag auf bedingte Entlassung ab.
Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene und zu ON 9 ausgeführte Beschwerde der Untergebrachten, die im Aufhebungsbegehren berechtigt ist.
Die strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB idgF setzt – neben einer unter dem maßgeblichen Einfluss einer im Zeitpunkt der Tat die Zurechnungsfähigkeit (§ 11 StGB) bedingenden schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung begangenen und mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohten Anlasstat – ein ungünstige Prognose dahingehend voraus, dass der Rechtsbrecher nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde. Wenn (wie hier) die angedrohte Freiheitsstrafe der Anlasstat drei Jahre nicht übersteigt,muss sich die Befürchtung nach § 21 Abs 1 StGB auf eine gegen Leib und Leben gerichtete, mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlung oder auf eine gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung gerichtete, mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohten Handlung beziehen (§ 21 Abs 3 StGB). Die (befürchtete) Verletzung eines Beamten am Körper oder Schädigung an seiner Gesundheit während oder wegen Vollziehung seiner Aufgaben oder Erfüllung seiner Pflichten (§ 83 Abs 1, § 84 Abs 2) ist nicht als Tat mit schweren Folgen zu bewerten (14 Os 138/21g, EvBl 2022/101, 754; 15 Os 55/14y). Die freiheitsentziehende Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB darf nur aufrecht erhalten werden, wenn die der Unterbringung zugrunde liegende Gefährlichkeit weiter vorliegt und sie außerhalb des forensisch-therapeutischen Zentrums nicht hintangehalten (substituiert) werden kann (vgl dazu und zu den gleich gesetzten Begriffen Gefährlichkeit im Sinne des § 47 Abs 2 StGB und Notwendigkeit des Maßnahmenvollzugs im Sinne des § 25 Abs 3 StGB Haslwanter, WK 2StGB § 47 Rz 5 ff).
Fallbezogen handelt es sich zwar nicht um die erstmalige Überprüfung der Einweisung bzw Unterbringung der Betroffenen, eine tatsächliche Begutachtung der Unterbringungsvoraussetzungen am Maßstab der neuen Rechtslage ist bislang jedoch offenbar nicht erfolgt. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass die Grundlage für den in Rede stehenden Maßnahmenvollzug das rechtskräftige Einweisungserkenntnis nach § 21 Abs 1 StGB bildet, sodass die – in der Strafregisterauskunft aktuell nicht einmal mehr aufscheinende – Vorstrafe, die das Erstgericht offenbar hinsichtlich zu erwartender Prognosetaten in seine Überlegungen miteinbezog (vgl. BU S 5), außer Beurteilung zu bleiben hat. In Fällen, in denen das letzte Gutachten – wie im Anlassfall – bereits vor annähernd zwei Jahren erstellt wurde, ist (auch mit Blick auf die seither absolvierten Therapien und etwaige Behandlungsfortschritte (vgl. BU, S 6)) ein aktuelles psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen (vgl Pieber, WK² StVG § 162 Rz 18), zumal eine Entscheidung nach § 47 Abs 2 letzter Halbsatz StGB auf der Grundlage einer nicht hinreichend faktenbasierten Entscheidungsgrundlage eine Verletzung des Art 5 Abs 1 lit a und e EMRK darstellt (erneut Pieber, aaO Rz 18 mwN; vgl RIS-Justiz RS0128272; EGMR, Erkenntnis vom 20. Juli 2017, 11537/11, Lorenz/Österreich).
Vorliegendenfalls wurde zuletzt im August 2023 ein Sachverständigengutachten (vgl ON 5) eingeholt, aktuellere Expertisen liegen nicht vor. Wenn auch im Verfahren wegen Entscheidung über die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychiatrie oder Psychologie nicht generell zwingend vorgeschrieben sein mag (RIS-Justiz RS0087517; Pieber, WK² StVG § 162 Rz 18), so ist eine solche angesichts der Art der vorliegenden Anlasstat und aufgrund des Zeitablaufs seit der letzten Begutachtung der Untergebrachten durch einen Sachverständigen fallkonkret beweismäßig im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand und ihre Wesensart zur Klärung der Notwendigkeit der (weiteren) Unterbringung unbedingt erforderlich. Das Erstgericht wäre zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage dazu verhalten gewesen, ein aktuelles Sachverständigengutachten, eventuell des Dr. E* (vgl. ON 9, 4), zur Abklärung des Vorliegens der durch das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 geschaffenen Unterbringungsvoraussetzungen einzuholen. Zusätzlich wäre es mit Blick auf den Antrag der Untergebrachten (ON 2.2) geboten gewesen, diese persönlich anzuhören.
Der angefochtene Beschluss war somit infolge Unterlassens erforderlicher Beweisaufnahmen aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach diesbezüglicher Verfahrensergänzung aufzutragen.
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