Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Röggla als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Schneider-Reich und den Richter Ing.Mag. Kaml als weitere Senatsmitglieder in der Maßnahmenvollzugssache des A*wegen bedingter Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24. April 2025, GZ **-11, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung:
A* wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. März 2011, rechtskräftig mit 25. August 2011, AZ **, wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt (ON 4 und ON 5). Unter einem wurde gemäß § 21 Abs 2 StGB seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (nunmehr: in einem forensisch-therapeutischen Zentrum [in der Folge: FTZ]) angeordnet.
Während der aktuellen Unterbringung wurde er mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. Juni 2020, AZ **, wegen der Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 zweiter und vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen erneut verurteilt und eine fünfmonatige Freiheitsstrafe über ihn verhängt (ON 6).
Seit 25. August 2011 wird er im Maßnahmenvollzug, aktuell im FTZ B*, angehalten, wobei (entsprechend § 24 Abs 1 zweiter Satz StGB) die Zeiten der Anhaltung von 25. August 2011 bis 17. Juni 2013 und von 19. Juni 2020 bis 19. November 2020 auf die Freiheitsstrafen angerechnet wurden.
Zuletzt wurde über die Entlassung des Untergebrachten aus dem Maßnahmenvollzug und das weitere Vorliegen der Voraussetzungen einer Unterbringung nach der neuen Gesetzeslage mit Beschluss vom 26. April 2024 zu AZ ** des Landesgerichts für Strafsachen Wien (rechtskräftig) entschieden und dabei die in Art 6 Abs 2 erster Satz Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 (MVAG 2022) normierte Prüfung vorgenommen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss erachtete das Erstgericht als zuständiges Vollzugsgericht, gestützt auf die forensische Stellungnahme des FTZ B* vom 8. April 2025 (ON 9.2) und der Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (in der Folge: BEST) vom 27. Februar 2025 (ON 8, 2 ff = ON 9.3), die weitere Unterbringung in einem FTZ als notwendig und wies unter einem den Antrag auf bedingte Entlassung ab.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige, im Wesentlichen die unterlassene Einholung eines aktuellen Sachverständigengutachtens kritisierende Beschwerde des Untergebrachten (ON 14), die im Aufhebungsbegehren berechtigt ist.
Denn wenn auch im Verfahren wegen Entscheidung über die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychiatrie oder Psychologie nicht generell zwingend vorgeschrieben sein mag (RIS-Justiz RS0087517; Pieber, WK² StVG § 162 Rz 18), so ist eine solche doch fallkonkret aufgrund des Zeitablaufs seit der letzten Begutachtung des Untergebrachten durch einen Sachverständigen beweismäßig im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand und seine Wesensart zur Klärung der Notwendigkeit der (weiteren) Unterbringung erforderlich. Vorliegendenfalls wurde zuletzt im September 2018 ein Sachverständigengutachten (vgl die Zusammenfassung des Gutachtens von Dr. C* in ON 8, 4 f) eingeholt, aktuellere Expertisen liegen nicht vor. In Fällen, in denen der Maßnahmenvollzug jedoch keine Freiheitsstrafe mehr vikariiert und das letzte Gutachten – wie im Anlassfall – bereits vor annähernd sieben (!) Jahren erstellt wurde, ist (auch mit Blick auf die seither absolvierten Therapien [vgl ON 9.2, 7 f]) ein aktuelles psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen (vgl Pieber, WK² StVG § 162 Rz 18), zumal eine Entscheidung nach § 47 Abs 2 letzter Halbsatz StGB auf der Grundlage einer nicht hinreichend faktenbasierten Entscheidungsgrundlage eine Verletzung des Art 5 Abs 1 lit a und e EMRK darstellt ( Pieber, WK² StVG § 162 Rz 18 mwN; vgl RIS-Justiz RS0128272; EGMR, Erkenntnis vom 20. Juli 2017, 11537/11, Lorenz/Österreich).
Der angefochtene Beschluss war daher infolge Unterlassens erforderlicher Beweisaufnahmen (§ 89 Abs 2a Z 3 StPO iVm §§ 17 Abs 1 Z 3, 163 StVG) aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach diesbezüglicher Verfahrensergänzung aufzutragen.
Bleibt final anzumerken, dass die unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Entscheidung vom 26. April 2024 über die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers, mag auch vor Beschlussfassung kein (aktuelles) psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt worden sein, ungeachtet dessen als erstmalige Überprüfung der Notwendigkeit der weiteren Unterbringung nach Inkrafttreten des MVAG 2022 zu qualifizieren ist.
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO iVm §§ 17 Abs 1 Z 3, 163 StVG).
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