Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Weixelbraun als Vorsitzenden und die Richterinnen Mag. Tscherner und Mag. Viktorin in der Rechtssache der klagenden Partei A* B* , **, **, vertreten durch Dr. Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Lienz, gegen die beklagte Partei C* , geb. **, ** Straße **, **, wegen Unterlassung (EUR 21.000), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 3.4.2025, **-5, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos behoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens aufgetragen.
Die Kosten des Rekurses sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Der Kläger begehrt von der Beklagten, es zu unterlassen, mit ihrem Facebook-Profil „ ** “ auf der Website des Medieninhabers „ ** “ oder anderen öffentlich zugänglichen Facebook-Seiten österreichischer Medien, die über den *verdacht gegen den Kläger berichten, Kommentare folgenden Inhalts oder inhaltsgleiche Äußerungen die den Kläger beleidigend als * bezeichnen mit einem „Like“ zu unterstützen: „Der B*, der alte D*, soll den ehrenwerten E* da aus dem Spiel lassen“.
Der Medieninhaber von ** habe am 18.12.2024 auf seiner öffentlich zugänglichen Facebook-Seite im Zuge der Berichterstattung den Artikel mit dem Titel „B* attackierte Reporter bei Prozess: „Gehen Sie zum E*“ veröffentlicht. In diesem Artikel sei berichtet worden, dass gegen den Kläger im Zusammenhang mit seiner polizeilichen Tätigkeit beim F* eine Hauptverhandlung wegen des Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses stattgefunden habe. Dabei sei erwähnt worden, dass der Kläger im Umfeld dieser Verhandlung einen Reporter wegen unhöflichen Benehmens zurechtgewiesen habe. Dem Artikel sei ein Foto des Klägers beigefügt gewesen. Eine dritte Person habe als Reaktion auf diesen Artikel den Kommentar „ Der B*, der alte D*, soll den ehrenwerten E* da aus dem Spiel lassen “ veröffentlicht. Die Beklagte habe auf diesen Kommentar mit einem „Like“ reagiert. Durch das Setzen des „Likes“ habe sich die Beklagte die im Kommentar enthaltene unwahre und ehrverletzende Behauptung zu eigen gemacht und gegenüber Dritten deren Richtigkeit bestätigt. Aufgrund der algorithmischen Mechanismen von Facebook habe der Kommentar dadurch eine gesteigerte Sichtbarkeit erhalten und sei einem deutlich erweiterten Nutzerkreis zugänglich gemacht worden. Außerdem sei er zusätzlich im Newsfeed der Facebook-Freunde der Beklagten erschienen, verbunden mit dem ursprünglichen Artikel samt Foto des Klägers. Der Verfasser des Kommentars sei in seiner Absicht bestärkt worden, die ehrverletzende Äußerung weiterhin öffentlich zugänglich zu halten. Der von der Beklagten „gelikte“ Kommentar stelle den Kläger unwahr als Verbrecher dar und verletze ihn in seiner Ehre.
Der Kläger gab den Streitwert im Rubrum mit „Unterlassung EUR 21.000“ und im Anschluss an den Urteilsantrag mit „Bewertung EUR 21.000“ an.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Erstgericht a limine ausgesprochen, dass ( 1 .) der Streitwert der Klage derzeit EUR 15.000 nicht übersteige und ( 2 .) das Erstgericht unzuständig sei, sowie ( 3 .) die Rechtssache an das Bezirksgericht Mödling abgetreten.
In der Klage sei nicht dargelegt worden, aufgrund welcher Umstände sich der Streitwert von EUR 21.000 ergeben solle. Es sei fraglich, wie ein solches Unterlassungsbegehren betreffend eines „Likes“ zu einem Posting zu einem Zeitungsartikel zu bewerten sei. Dabei sei zu berücksichtigen, dass beim Verfahren vor dem Gerichtshof Anwaltspflicht herrsche, wodurch die Beklagte bei der Bestreitung der Vorwürfe einen Anwalt beiziehen müsse und Gefahr laufe, zumindest ihre eigenen Kosten bei Obsiegen letztlich tragen zu müssen, zum Beispiel wenn der Kläger zahlungsunfähig würde. Bei einem derart hohen Streitwert drohe ein hoher finanzieller Verlust. Dies scheine auch im Hinblick auf die behauptete Handlung und die damit im Zusammenhang begehrte Unterlassung nicht angemessen. Auch in § 10 Z 6 lit a RATG, die ohnehin nur als Bemessungsgrundlage für die Anwaltskosten relevant sei, seien EUR 21.000 als Höchstbetrag festgelegt. Beim konkreten Sachverhalt handle es sich auch nicht um eine komplexe Sach- oder Rechtslage, die die Beiziehung eines Rechtsanwalts erfordere; der Prozessgegenstand sei nicht etwa der Beitrag selbst oder der Kommentar dazu, sondern ein „Like“ zu einem von einem Dritten verfassten Posting zu einem Zeitungsartikel. Es sei anzunehmen, dass die Bewertung nur deshalb in dieser Höhe erfolgt sei, um eine Zuständigkeit des Landesgerichts zu bewirken. Ein tatsächlich konkreter Schaden sei in der Klage nicht behauptet. Unter Berücksichtigung von Art und Ausmaß der vorgebrachten Rechtsverletzung erscheine daher eine Bewertung des Streitgegenstands maximal in Höhe des Zweifelsstreitwerts des § 56 Abs 2 JN (EUR 5.000), und damit nicht der Anwaltspflicht unterliegend, als angemessen. Einen gewissen Anhaltspunkt für eine solche Bewertung liefere auch § 59a JN für Verfahren wegen erheblicher Verletzung von Persönlichkeitsrechten in einem elektronischen Kommunikationsnetz (§ 549 ZPO). Der Aufwand zur Herstellung und Aufrechterhaltung des vom Kläger behaupteten und angestrebten rechtmäßigen Zustands durch den im vorliegenden Verfahren angestrebten Unterlassungstitel erreiche bei weitem nicht den Betrag von EUR 15.000. Es liege daher eine übermäßig hoch gegriffene Bewertung des Streitgegenstands vor. Bei richtiger Bewertung sei die Zuständigkeit des Landesgerichts nicht gegeben.
Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Er beantragt, den Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Zugrundelegung des in der Klage angegebenen Streitwerts aufzutragen, in eventu den Beschluss aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Der Rekurs ist berechtigt .
1. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit ist zuerst auf die Rechtsrüge einzugehen:
1.1Nach § 60 Abs 1 JN kann der angerufene Gerichtshof erster Instanz, dem die in der Klage vorgenommene Bewertung des Streitgegenstandes übermäßig hoch gegriffen erscheint, wenn es gleichzeitig wahrscheinlich ist, dass bei richtiger Bewertung der Streitgegenstand die Wertgrenze für die Zuständigkeit des Gerichtshofs nicht erreichen dürfte, (1.) aussprechen, dass der Streitwert der Klage derzeit EUR 15.000 nicht übersteigt, (2.) seine Unzuständigkeit mit Beschluss feststellen und (3.) die Sache an das zuständige Bezirksgericht abtreten (vgl Gitschthaler in Fasching/Konecny 3§ 60 JN Rz 15). Der vor Streitanhängigkeit gefasste Beschluss kann vom Kläger ungeachtet des Rechtsmittelausschlusses in § 45 JN angefochten werden (vgl 3 Ob 302/01k mwN).
1.2Bei nicht in einem Geldbetrag bestehenden vermögensrechtlichen Streitgegenständen hat der Kläger den Streitgegenstand nach § 56 Abs 2 JN zu bewerten. Diese Bewertung nach dem Interesse des Klägers gilt nach § 59 JN auch für Unterlassungsklagen (vgl Mayr in Rechberger/Klicka ZPO 5§ 59 JN Rz 1f). Dabei ist der Kläger weitgehend frei (vgl MayraaO Rz 5). Beklagter, Gericht und Kläger sind nach § 60 Abs 4 JN grundsätzlich an die Bewertung gebunden (vgl 4 Ob 79/17x [1.]). Dadurch sollen unnötige Erhebungen und insbesondere eine überflüssige Ausweitung von Zuständigkeits- und Besetzungsstreitigkeiten abgeschnitten werden; dies soll auch deshalb zweckmäßig sein, weil es in der überwiegenden Anzahl der Fälle an objektiven Wertmaßstäben ohnehin mangle ( GitschthaleraaO § 60 JN Rz 6).
1.3Nur bei „übermäßig hoch“ gegriffenen Bewertungen kann das Gericht nach § 60 Abs 1 JN eine Überprüfung vornehmen, und zwar auch im Fall der – hier vorgenommenen – Bewertung nach § 59 JN (vgl RS0046484), um eine Erschleichung der Zuständigkeit des Gerichtshofs erster Instanz (oder einer Senatsbesetzung) zu verhindern (vgl RS0046518; Gitschthaler aaO Rz 6, 10).
1.4Der Kläger behauptet, die Beklagte habe sich durch ein „Like“ zu einem unwahren und ehrenbeleidigenden Kommentar eines Dritten den Inhalt dieses Kommentars zu eigen gemacht und dessen Verbreitung in einem Medium gefördert. Damit stützt der Kläger seinen Anspruch auf Unterlassung auf eine Verletzung von § 1330 ABGB durch Förderung des unmittelbaren Täters (vgl RS0031901).
Das Unterlassungsbegehren ist nach den §§ 56 Abs 2 und 59 JN frei anhand des vom Kläger angegebenen Interesses zu bewerten; der Kläger weist zu Recht darauf hin, dass die vom Erstgericht herangezogenen Kriterien der prognostizierten Erschwernisse der Beklagten durch die Führung eines Verfahrens mit Rechtsanwaltspflicht und höherem Streitwert für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 60 Abs 1 JN nicht relevant sind. Nach § 10 Z 6a RATG ist der Streitwert für den hier behaupteten Unterlassungsanspruch mit einem Betrag von bis zu EUR 21.000 zu bewerten (vgl ObermaieraaO Rz 2.30). Auch wenn der für die Rechtsanwaltskosten maßgebliche Streitwert nach dem RATG nicht auf den Streitwert nach der JN durchschlägt (vgl RS0042434), hat der Gesetzgeber damit immerhin zum Ausdruck gebracht, dass er die Bemessung der Rechtsanwaltskosten für derartige Streitigkeiten auf der Grundlage von bis zu EUR 21.000 als angemessen wertet. Bei einer in Anlehnung an den RATG-Streitwert vorgenommenen Bewertung sieht das Berufungsgericht keinen Anhaltspunkt für eine Überbewertung zur Erschleichung der Gerichtshofzuständigkeit. Eine Überbewertung im Sinn des § 60 Abs 1 JN ist nicht gegeben .
Schließlich ist dem Kläger darin zuzustimmen, dass der Hinweis des Erstgerichts auf § 59a JN zur Bewertung von Unterlassungsansprüchen nach § 549 ZPO schon deshalb nicht greift, weil sich der Kläger nicht des dort normierten Mandatsverfahrens wegen erheblicher Verletzung von Persönlichkeitsrechten in einem elektronischen Kommunikationsnetz bedient.
2. Da der Rekurs bereits in der Rechtsrüge erfolgreich ist, war auf die behaupteten Verfahrensfehler nicht einzugehen.
3.Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO. Ein Zwischenstreit liegt mangels Beteiligung der Beklagten nicht vor.
Ein Revisionsrekurs kommt nicht Betracht, weil der Kläger mit seinem Rechtsmittel durchdringt und die Beklagte noch keine Parteistellung hat (vgl RS0039200).
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