Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Senatspräsidentin Mag. Fisher als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Reden und den Richter Mag. Resetarits in der Rechtssache der klagenden Partei A* , Gastwirt, **, vertreten durch Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich (Bundesministerium für Finanzen) , vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen EUR 52.087,96 sA, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 19.7.2024, **-21, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
1. Die Bezeichnung der beklagten Partei wird berichtigt auf „Republik Österreich (Bundesministerium für Finanzen), vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien“.
2. Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 3.104,10 bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
zu 1.: Gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 COFAG-NoAG gehen sämtliche Rechte und Pflichten der COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG) aus Förderanträgen mit 1.8.2024 unverändert auf den Bund über. Nach § 6 Abs 2 COFAG-NoAG tritt in sämtlichen gerichtlichen Verfahren der COFAG, die vor dem 1.8.2024 – wie hier – anhängig geworden sind und die Ansprüche aus Förderanträgen, Förderverträgen oder Rückforderungen aus diesen zum Gegenstand haben, der Bund von Gesetzes wegen an die Stelle der COFAG. Die Parteienbezeichnung war daher im Sinne des mit der Berufungsbeantwortung gestellten Antrages der Beklagten zu berichtigen.
Zu 2.: Die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG), war mit der Abwicklung von „Corona-Hilfsleistungen“ für Unternehmen, die aufgrund der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in ihrem Betrieb beschränkt wurden, so auch zur Gewährung eines Ausfallsbonus gemäß der Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß § 3b Abs 3 des ABBAG-Gesetzes betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Ausfallsbonus an Unternehmen mit einem hohen Umsatzausfall (VO Ausfallsbonus), BGBl II Nr. 74/2021, betraut.
Gemäß Punkt 3.1.7. des Anhangs zur VO Ausfallsbonus durfte ein Ausfallsbonus nur gewährt werden, wenn über den Antragsteller oder dessen geschäftsführende Organe in Ausübung ihrer Organfunktion in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung keine rechtskräftige Finanzstrafe oder entsprechende Verbandsgeldbuße aufgrund von Vorsatz verhängt worden ist; ein Ausfallsbonus durfte jedoch dennoch gewährt werden, sofern es sich um eine Finanzordnungswidrigkeit oder eine den Betrag von EUR 10.000,-- nicht übersteigende Finanzstrafe oder Verbandsgeldbuße handelt.
Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 5.10.2023, V 172/2022-14, wurde bezüglich des Punktes 3.1.7. des Anhanges zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß § 3b Abs 3 des ABBAG-Gesetzes betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Ausfallsbonus an Unternehmen mit einem hohen Umsatzausfall (VO Ausfallsbonus I) die Wortfolge „über den Antragsteller oder dessen geschäftsführende Organe in Ausübung ihrer Organfunktion darf in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung keine rechtskräftige Finanzstrafe oder entsprechende Verfahrensgeldbuße aufgrund von Vorsatz verhängt worden sein; ein Ausfallsbonus darf jedoch dennoch gewährt werden, sofern es sich um eine Finanzordnungswidrigkeit oder eine den Betrag von EUR 10.000,-- nicht übersteigende Finanzstrafe oder Verbandsgeldbuße handelt“ als gesetzwidrig aufgehoben. Ausgesprochen wurde, dass die Aufhebung mit Ablauf des 15.4.2024 in Kraft tritt.
Der Kläger betreibt am Standort **, einen Gastronomiebetrieb mit dem Namen „B*“. Er beantragte per E-Mail am 13.4.2021 aus dem Titel des Ausfallsbonus für Februar 2021 eine Entschädigung von EUR 23.295,30 und mittels E-Mails vom 11.6.2021 aus dem Titel des Ausfallsbonus für März 2021 eine Entschädigung von EUR 28.792,66. Gegen den Kläger wurde in den letzten fünf Jahren vor Antragstellung wegen einer vorsätzlich begangenen Tat eine rechtskräftige Finanzstrafe in der Höhe von EUR 90.000,-- verhängt, die Hälfte davon bedingt nachgesehen. In einem Begleitschreiben zu seinen Anträgen wies der Kläger darauf hin, den Ausschlussgrund nach Punkt 3.1.7. des Anhangs zur VO Ausfallsbonus zu erfüllen, sowie darauf, dass dieser Ausschlussgrund wegen dessen offenkundiger Unsachlichkeit seinem Zahlungsanspruch dennoch nicht entgegenstehe. Bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz leistete die COFAG für die Monate Februar und März 2021 an den Kläger keinen Ausfallsbonus.
Mit der am 15.3.2024 eingebrachten Mahnklage begehrte der Kläger die Zahlung von EUR 52.087,96 sA u.a. mit dem Vorbringen, dass der Ausschlussgrund nach Punkt 3.1.7. des Anhangs zur VO Ausfallsbonus seinem Zahlungsanspruch wegen Unsachlichkeit nicht entgegenstehe und zwischenzeitlich vom VfGH aufgehoben worden sei. Es sei die geltende Rechtslage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz anzuwenden.
Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete – soweit im Berufungsverfahren noch relevant – ein, dass beim Kläger der Ausschlussgrund nach Punkt 3.1.7. des Anhanges zur VO Ausfallsbonus vorliege, der zu den Zeitpunkten der Antragstellung jeweils geltendes Recht gewesen sei. Der klagsgegenständliche Sachverhalt habe sich vor der Aufhebung verwirklicht. Bei der Frage der Prüfung des Sachverhalts sei ausschließlich auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen. Der Ausschlussgrund sei lediglich beim Anlassfall sowie bei quasi Anlassfällen nicht mehr anzuwenden. Beides liege beim Kläger nicht vor.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Es ging von dem auf den Seiten 1 bis 3 und 5 der UA ersichtlichen Feststellungen aus, auf die verwiesen wird. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, da es sich im vorliegenden Fall weder um einen Anlassfall noch um einen quasi Anlassfall handle, sei Punkt 3.1.7. des Anhangs zur Verordnung Ausfallsbonus I anzuwenden; es handle sich nämlich um einen vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestand. Der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung sei jener, zu dem sich der den Anträgen zugrundeliegende Sachverhalt ereignet habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem auf Klagsstattgebung gerichteten Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt .
Ist eine Verordnung vom Verfassungsgerichtshof wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben worden, so sind gemäß Artikel 139 Abs 6 B-VG alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des VfGH gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch die Verordnung weiterhin anzuwenden, sofern der VfGH nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der VfGH in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Artikel 139 Abs 5 B-VG gesetzt, so ist die Verordnung auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalls anzuwenden.
Aufhebende Erkenntnisse des VfGH wirken daher – außer im Anlassfall – vom Tag des Wirksamkeitsbeginns der Aufhebung an für die Zukunft. Auf vor Aufhebung verwirklichte Tatbestände (mit Ausnahme des Anlassfalls) ist das Gesetz (die Verordnung) jedoch Kraft ausdrücklicher Anordnung weiterhin anzuwenden, sofern der VfGH nichts anderes ausspricht (was im vorliegenden Fall nicht geschehen ist). Die vom VfGH aufgehobene Verordnungsbestimmung ist daher von den Gerichten und Verwaltungsbehörden mit Ausnahme des Anlassfalls auf all jene Sachverhalte anzuwenden, die vor dem Wirksamkeitsbeginn der Aufhebung liegen. Anlassfall ist der Rechtsfall, der den Anlass für das Gesetzesprüfungsverfahren gebildet hat.
Die Berufung wendet sich gegen die Beurteilung des Erstgerichts, dass im vorliegenden Fall ein vor Wirksamwerden der Aufhebung verwirklichter Sachverhalt vorliegt. Dabei habe es nicht berücksichtigt, dass es sich bei der vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Bestimmung um einen veränderbaren Tatbestand handle und nicht um einen solchen, der sich vor Wirksamwerden der Aufhebung abschließend und endgültig verwirklicht habe, sodass die aktuelle Rechtslage anzuwenden gewesen wäre. Unter Verweis auf die Ausführungen von Berchtold (in Festschrift Adamovic zum 60. Geburtstag, 10 ff) und das Erkenntis des Verfassungsgerichtshofs vom 3.12.2002, VfSlG 16.750, argumentiert der Berufungswerber, dass sich der Tatbestand erst im Vorgang der Entscheidung verwirkliche, wenn er die Prüfung und Entscheidung einer Behörde voraussetze. Im vorliegenden Fall trete die Rechtsfolge des Auszahlungsanspruchs keineswegs bereits mit der Betriebsbeschränkung und den daraus resultierenden Einnahmenausfällen ein. Selbst eine Antragstellung führe noch nicht zur Gewährung der beantragten Fördersumme. Vielmehr sei nach Punkt 7.1. VO Ausfallsbonus nach abgeschlossener Antragsprüfung über einen Antrag zu entscheiden, wobei die Auszahlung des Ausfallsbonus an den Antragsteller durch die COFAG als Annahme des Angebots auf Abschluss eines Fördervertrages mit der COFAG gelte. Die Verknüpfung von Tatbestand (Förderwürdigkeit) und Rechtsfolge (Auszahlungsanspruch) erfolge erst durch die behördliche Willenserklärung, nach Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen einen Vertrag schließen zu wollen, oder dies mangels Erfüllung der inhaltlichen Voraussetzungen nicht zu wollen. Die COFAG habe über den Antrag des Klägers aber bislang nicht entschieden. Hinzu komme, dass der fragliche Ausschlussgrund für sich genommen ein „veränderlicher“ sei, da auf die Verhängung einer Finanzstrafe über den Antragsteller oder dessen geschäftsführende Organe abgestellt werde, sich das geschäftsführende Organ einer Gesellschaft aber auch nach Antragstellung noch ändern könne, sodass der Tatbestand an einen veränderlichen Umstand anknüpfe.
Entgegen den Berufungsausführungen liegt hier kein veränderbarer Tatbestand vor. Der zu beurteilende Sachverhalt hat sich bereits vor dem Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnungsbestimmung mit 15.4.2024, konkret mit Antragstellung am 13.4.2021 und am 11.6.2021 dahin konkretisiert, dass für den Antragsteller in den letzten fünf Jahren vor der jeweiligen Antragstellung eine rechtskräftige Finanzstrafe aufgrund von Vorsatz verhängt wurde, die EUR 10.000,-- übersteigt. Einer behördlichen Entscheidung bedurfte es für die Verwirklichung dieses Sachverhaltes nicht.
Die Frage, wann ein „verwirklichter Tatbestand“ gegeben ist, hängt im Allgemeinen vom materiellen Recht, um dessen Anwendung es geht, ab. Ausgesprochen wurde dazu, dass die betreffende Norm auf bereits vor der Aufhebung „konkretisierte“ Sachverhalte weiter anzuwenden ist (10 ObS 132/21s). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs wird auf den dem jeweiligen Verfahren zugrundeliegenden Sachverhalt als Ausschnitt der Lebenswirklichkeit Bezug genommen. Ein verwirklichter Tatbestand liegt dann vor, wenn der Sachverhalt den in einer gesetzlichen Vorschrift abstrakt umschriebenen Lebensverhältnissen (dem Tatbestand) entspricht (10 ObS 132/21s mwN). Unter Konkretisierung eines Tatbestandes ist zu verstehen, dass ein Sachverhalt alle Voraussetzungen erfüllt hat, die eine Rechtsvorschrift für ihre Entscheidungsreife erfordert (RS0054186). Letzteres ist hier aber der Fall. Mit Antragstellung waren alle Voraussetzungen erfüllt, um über die Anträge des Klägers zu entscheiden.
Wenn die Berufung argumentiert, dass sich ein Tatbestand erst im Vorgang der behördlichen Entscheidung verwirkliche, und sich dazu auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichts VfSlg 16.750 beruft, so lässt sich aus diesem für den Standpunkt der Berufung nichts gewinnen. Denn diesem lag der Fall des § 113 Abs 2a vierter Unterpunkt der NÖ BauO 1976 zugrunde, der den Entfall der Anordnung des Abbruches eines Gebäudes durch den Verweis auf ein etwaiges Bauverbot in bestimmten Gefährdungsfällen an eine erst im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung beurteilbare Voraussetzung knüpfte, sodass eine Verwirklichung des gesamten Tatbestandes nach dieser Bestimmung erst mit der behördlichen Feststellung vorliegen konnte, dass für das betreffende Grundstück kein Bauverbot besteht. Dem von der Behörde zu erlassenden Bescheid kam insofern konstitutive Wirkung zu, als erst damit alle Voraussetzungen für die Erlassung des Bescheides gegeben waren. Ein solcher Fall, in dem ein Tatbestand als Element eine erst von der Behörde zu prüfende Voraussetzung enthält, sodass sich der Tatbestand erst durch den Vorgang dieser – insoweit – konstitutiven Entscheidung zur Gänze verwirklicht (vgl. Muzak B-VG 6 Artikel 140 Rz 21) liegt hier aber nicht vor.
Der Tatbestand des Punktes 3.1.7. des Anhangs zur VO Ausfallbonus enthält auch keine anderen veränderbaren Sachverhaltselemente. Ob zum Zeitpunkt der Antragstellung als maßgeblichem Zeitpunkt für die Erfüllung des Ausschlusskriteriums einer rechtskräftigen Finanzstrafe in den letzten fünf Jahren über den Antragsteller oder dessen geschäftsführende Organe eine Finanzstrafe verhängt wurde, ist ein unveränderbarer Tatbestand, auch wenn sich in der Person des Organs einer Gesellschaft nach Antragstellung etwas ändern kann.
Für den vorliegenden Fall folgt daraus, dass der vom VfGH aufgehobene Punkt 3.1.7. des Anhangs der VO Ausfallsbonus anzuwenden und dieser Ausschlussgrund für die Monate Februar und März 2021 erfüllt ist.
Der unberechtigten Berufung war damit ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Die ordentliche Revision war mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen.
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