Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterin Mag. Hemetsberger als Vorsitzende, die Richterin Mag. Haidvogl, BEd, und den Richter Mag. Grosser in der Strafsache „gegen A*wegen § 297 StGB“ über die Beschwerde der B* gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels vom 9. Oktober 2025, HR*-7, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Der Beschwerde wird Folge gegeben; der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass dem Einspruch der B* vom 12. September 2025 stattgegeben wird.
B* wurde durch die Verweigerung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft Wels in ihrem subjektiven Recht auf Akteneinsicht gemäß §§ 49 Abs 1 Z 3 iVm 51 Abs 1 StPO verletzt.
Der Staatsanwaltschaft wird aufgetragen, dem Antrag der B* auf Akteneinsicht nachzukommen.
Begründung:
Die Polizeiinspektion C* übermittelte der Staatsanwaltschaft am 7. August 2025 einen Bericht zur strafrechtlichen Beurteilung gemäß § 100 Abs 3a StPO, dem eine E-Mail der Absenderin „A*“ mit gegen B* erhobenen Vorwürfen (ON 2.3) zugrundelag. Bei Befragungen durch die Polizei gab B* zusammengefasst an, dass es sich (wieder) um eine Verleumdung handeln würde (ON 2). Am 8. August 2025 sah die Staatsanwaltschaft Wels zu St* von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 197a Abs 1 zweiter Fall StPO ab.
Nachdem B* mit Schriftsatz vom 21. August 2025 ua Akteneinsicht als Beschuldigte gemäß § 51 Abs 1 StPO beantragt hatte (ON 3), informierte die Staatsanwaltschaft sie vom Vorgehen gemäß § 197a Abs 1 zweiter Fall StPO, demnach de lege lata keine Verfahrensrechte bestünden. Zudem wies sie darauf hin, dass die Antragstellerin im angeführten Verfahren nicht als Beschuldigte geführt worden sei (ON 4).
Mit Schriftsatz vom 12. September 2025 (ON 5) erstattete B* daraufhin Strafanzeige gegen A* wegen des Verdachts der Verleumdung zu ihrem Nachteil, weil jene in dem bei der Polizeiinspektion C* **straße eingegangenen E-Mail B* der Begehung diverser Körperverletzungsdelikte, ua einer Genitalverstümmelung ihrer Tochter, verdächtigt habe. Weiters schloss sich B* gemäß § 67 Abs 3 StPO dem Strafverfahren als Privatbeteiligte an und stellte als Opfer und Privatbeteiligte den Antrag auf Akteneinsicht und erhob im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Wels zu St* Einspruch wegen Rechtsverletzung, weil die Staatsanwaltschaft offenbar unrichtig davon ausgegangen sei, dass kein Ermittlungsverfahren gegen B* eingeleitet worden sei.
Die Staatsanwaltschaft legte den Einspruch dem Landesgericht Wels vor und beantragte dessen Abweisung, weil keine Ermittlungen geführt, sondern lediglich Vorerhebungen getätigt worden seien, die ergeben hätten, dass kein ausreichend konkreter Anfangsverdacht auf einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt vorliege (ON 1.3).
B* äußerte sich am 23. September 2025 (ON 6) gegen die Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft und hielt ihren Einspruch wegen Rechtsverletzung vollumfänglich aufrecht.
Mit dem angefochtenen Beschluss wurde der Einspruch wegen Rechtsverletzung vom 12. September 2025 als unzulässig zurückgewiesen (ON 7), weil ein Ermittlungsverfahren zu keinem Zeitpunkt vorgelegen habe.
Die dagegen erhobene Beschwerde B* (ON 8) ist in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft vom 29. Oktober 2025 berechtigt.
Voranzustellen ist, dass die erstgerichtliche Argumentation schon deswegen nicht überzeugt, weil die Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 12. September 2025 die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen A* und nicht etwa gegen sie selbst angeregt hat (ON 5, 3f).
Ein Ermittlungsverfahren kann auch von der Kriminalpolizei begonnen werden (vgl Kirchbacher, StPO 15 § 1 Rz 5; Danek in Fuchs/Ratz, WK StPO § 1 Rz 43). Ermittlung ist jede Tätigkeit der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts, die der Gewinnung, Sicherstellung, Auswertung oder Verarbeitung einer Information zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat dient. Sie ist nach der in der StPO vorgesehenen Form entweder als Erkundigung oder als Beweisaufnahme durchzuführen (§ 91 Abs 2 StPO). Erkundigungen (§ 151 Abs 1 Z 1 StPO) zur Klärung, ob aufgrund bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass ein Sachverhalt einem gesetzlichen Tatbild entspricht, sind keine Ermittlungen iSd § 91 Abs 2 StPO.
Jegliche Abklärung eines gegen eine konkrete Person gerichteten Verdachts ist jedoch ausschließlich im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens zulässig (vgl Vogl in Fuchs/Ratz, WK StPO § 91 Rz 11/1 mwN; zu alledem eingehend Ratz in Fuchs/Ratz, WK StPO Vor §§ 197 a-c Rz 9 ff).
Im Sinne dieser Kriterien kann schon wegen der Befragungen der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten am 4. August 2025 und 7. August 2025 unter Vorhalt der per E-Mail eingelangten Anzeige der A* und der darin enthaltenen Vorwürfe nicht von bloßen Erkundigungen iSd § 91 Abs 3 StPO gesprochen werden. Vielmehr dienten diese in Übereinstimmung mit der Oberstaatsanwaltschaft offensichtlich der Aufklärung eines von der Kriminalpolizei gegen zumindest die einvernommene Beschwerdeführerin aufgrund der Anzeige angenommenen Anfangsverdachts iSd § 1 Abs 3 StPO. Dass die Befragungen nicht als formelle Beschuldigteneinvernahmen iSd § 164 StPO durchgeführt worden sind, ändert daran bei der hier anzustellenden Bewertung noch nichts.
Daher steht der Beschwerdeführerin Akteneinsicht iSd § 49 Abs 1 Z 3 StPO zu und sie wurde durch deren Verweigerung in ihrem subjektiven Recht auf Akteneinsicht verletzt. Diese Rechtsverletzung war festzustellen und im Übrigen war der Staatsanwaltschaft aufzutragen, dem Antrag auf Akteneinsicht vom 21. August 2025 nachzukommen (vgl Pilnacek/Stricker in Fuchs/Ratz, WK StPO § 107 Rz 14).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
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