Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Mag. Reinberg als Vorsitzende und Mag. Haidvogl, BEd, sowie den Richter Mag. Huemer-Steiner in der Strafsache gegen A* B*wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels vom 31. Oktober 2025, Hv*-8, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Begründung:
Mit Strafantrag vom 10. Oktober 2025 (ON 5) legt die Staatsanwaltschaft Wels dem am ** geborenen Angeklagten A* B* das Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB zur Last.
Danach habe A* B* nachfolgende Opfer mit dem Vorsatz, durch deren Verhalten, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, mit der Vorgabe, er sei ein leistungsfähiger und leistungswilliger Käufer oder Verkäufer, sohin durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet, wodurch diese in selber, sohin insgesamt EUR 5.000,00 übersteigender Höhe am Vermögen geschädigt wurden, nämlich
1. am 08. April 2025 in ** C* durch die Vorgabe, einen Kaufpreis von EUR 7.000,00 für ein Motorrad zu bezahlen, zur Herausgabe des Motorrads, wodurch dieser in selber Höhe am Vermögen geschädigt wurde;
2. am 29. Juni 2025 in D* E* durch die Vorgabe, Motorradstiefel zu verkaufen, zur Zahlung von EUR 100,00, wodurch dieser in selber Höhe am Vermögen geschädigt wurde.
Am 29. Oktober 2025 langte beim Erstgericht ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe samt ausgefülltem Vermögensverzeichnis (ON 7) ein, in welchem der Angeklagte seine Einkommenslosigkeit behauptete, weshalb er sich keinen Rechtsanwalt leisten könne, und zudem ausführte, dass er nicht in der Lage sei, sich selbst vor Gericht zu verteidigen. Da er an ADHS leide, falle es ihm schwer, sich in rechtlichen Angelegenheiten zu orientieren, Unterlagen richtig zu bearbeiten und Fristen einzuhalten. Weiters verwies der Angeklagte auf einen zweiwöchigen stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus mit psychiatrischer Abteilung und seine laufende Behandlung. Im Übrigen stellte B* einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung zur Vermeidung von erheblichen seelischen Belastungen, da er in Situationen „mit vielen fremden Personen“ zu Panikattacken neige (ON 7, 3).
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 31. Oktober 2025 (ON 8) wies das Erstgericht den Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zusammengefasst mit der Begründung ab, dass ungeachtet der (im Beschluss nicht näher konstatierten) Einkommens- und Vermögenslage des Angeklagten weder ein Fall notwendiger Verteidigung, noch eine Haftsache oder eine schwierige Sach- oder Rechtslage vorliege.
Dagegen wendet sich die rechtzeitige Beschwerde des Angeklagten (ON 10), mit der er seine psychische Situation erneut ins Treffen führt und in Abänderung des angefochtenen Beschlusses die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers gemäß § 61 Abs 2 und 4 StPO für das weitere Verfahren anstrebt.
Die Beschwerde ist im Sinne des impliziten Kassationsbegehrens berechtigt.
Gemäß § 61 Abs 2 StPO hat das Gericht auf Antrag des Beschuldigten/Angeklagten, in den Fällen der Z 2 auch nach Ermessen des Gerichts von Amts wegen (vgl hiezu Soyer/Schumann, WK-StPO § 61 Rz 3 und 57), zu beschließen, dass diesem ein Verteidiger beigegeben wird, dessen Kosten er nicht oder nur zum Teil (§ 393 Abs 1a StPO) zu tragen hat, wenn der Beschuldigte außerstande ist, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalts die gesamten Kosten der Verteidigung zu tragen, soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich ist. Die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers liegt jedenfalls dann im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, wenn einer der in § 61 Abs 2 Z 1 bis Z 4 StPO aufgezählten Fälle vorliegt; über diese Konstellationen hinaus ist eine – im Lichte von Art 6 Abs 3 lit c MRK großzügig zu handhabende – Einzelfallprüfung vorzunehmen (vgl McAllister/Wessin LiK-StPO² § 61 Rz 17). Insofern kommen fallkonkret lediglich die Fälle der schwierigen Sach- oder Rechtslage (§ 61 Abs 2 Z 4 StPO) sowie der besonderen Schutzbedürftigkeit (§ 61 Abs 2 Z 2 lit b StPO) in Betracht.
Mangels Definition durch den Gesetzgeber steht dem Gericht bei der Frage, was als schwierige Sach- und Rechtslage iSd § 61 Abs 2 Z 4 StPO zu gelten hat, ein entsprechender Spielraum zur sachgerechten Beurteilung im Einzelfall zur Verfügung, wobei jedenfalls eine Orientierung am Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung geboten ist (vgl Soyer/Schumann , WK-StPO § 61 Rz 66 mwN). Insofern ist eine schwierige Sach- oder Rechtslage insbesondere bei komplexen Beweiserhebungen, vor allem bei Klärungsbedürftigkeit durch Sachverständige, oder bei aufwendig (schwierig) zu klärenden Tatfragen, die sowohl innere als auch äußere Tatsachen betreffen können, bzw diffizilen Rechtsfragen indiziert (vgl
Das fallkonkret dem Beschwerdeführer als Angeklagten zur Last gelegte Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB weist weder eine derartige diffizile Sachlage noch besonders schwierige Rechtsfragen auf, gilt es doch im Wesentlichen zu klären, ob der Angeklagte einerseits am 8. April 2025 gegenüber C* seine Fähigkeit bzw Willigkeit, den Kaufpreis in Höhe von EUR 7.000,00 für ein Motorrad zu bezahlen, andererseits am 29. Juni 2025 gegenüber E* seine Fähigkeit und Willigkeit, zum Preis von EUR 100,00 veräußerte Motorradstiefel zu liefern, jeweils mit zumindest bedingtem Vorsatz vorgetäuscht und hiebei jeweils auch mit zumindest bedingtem unrechtmäßigen Bereicherungsvorsatz gehandelt habe. Wie vom Erstgericht zutreffend dargelegt, weist dieser Verfahrensgegenstand weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten auf, sodass unter dem Aspekt des § 61 Abs 2 Z 4 StPO – auch mit Blick auf die gesetzlich verankerte Manuduktionspflicht (§ 6 Abs 2 erster Satz StPO; hiezu Wiederin, WK-StPO § 6 Rz 166) – die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nicht im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich ist (zu ähnlichen Sachverhaltskonstellationen vgl OLG Wien 21 Bs 127/25t; 19 Bs 119/20v; OLG Linz 9 Bs 226/21f, 9 Bs 227/21b; 8 Bs 51/08v).
Da der Beschwerdeführer seinen Antrag jedoch primär auf psychische Defizite gestützt hat, aufgrund derer er nicht in der Lage sei, sich selbst (adäquat) zu verteidigen, wäre das Erstgericht gehalten gewesen, sich auch mit den Voraussetzungen nach § 61 Abs 2 Z 2 lit b StPO auseinanderzusetzen.
Gemäß § 61 Abs 2 Z 2 lit b StPO ist die Beigebung eines Verteidigers jedenfalls erforderlich, wenn der Beschuldigte/Angeklagte schutzbedürftig ist, weil er an einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfähigkeit leidet under deshalb nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen. Hiedurch werden die besonderen Bedürfnisse von schutzbedürftigen Beschuldigten aufgrund der EU-Richtlinienvorgaben (vgl Art 9 RL (EU) 2016/1919 vom 26. Oktober 2016) berücksichtigt. Die Terminologie der psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung der Entscheidungsfähigkeit entspricht jener des 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes (vgl EBRV 52 BlgNR 27. GP 6). Die Neuformulierung „in vergleichbarer“ (statt früher „in anderer“) Weise indiziert, dass nur solche Beeinträchtigungen in Betracht zu ziehen sind, welche einer Behinderung iSd § 61 Abs 2 Z 2 lit a StPO oder einer psychischen Krankheit nach Art und Grad vergleichbar sind; insofern kann allerdings bereits eine intellektuelle Minderbegabung ausreichen, zumal ein großzügiger Maßstab anzulegen ist (v gl Soyer/Schumann , WK-StPO § 61 Rz 60).
Das Vorhandensein einer psychischen Erkrankung oder vergleichbaren Beeinträchtigung in der Entscheidungsfähigkeit reicht für sich genommen jedoch noch nicht aus, um die Erforderlichkeit für eine Verteidigerbeigebung gemäß § 61 Abs 2 StPO zu bejahen. Vielmehr wird dem Gericht über das weitere Kriterium, inwieweit der Beschuldigte/Angeklagte in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ( Soyer/Schumann , WK-StPO § 61 Rz 57; vgl auch OLG Graz 8 Bs 333/24t; OLG Wien 21 Bs 76/24s).
Bei der vom Beschwerdeführer behaupteten ADHS-Erkrankung handelt es sich grundsätzlich um eine psychische Störung (vgl ICD-10 Code F90.0: Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung; ICD-10 Code F90.1: Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens; vgl auch OLG Wien 23 Bs 178/21a; 17 Bs 169/17b). Weiters ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer auch sonstige „psychische Belastungen“, insbesondere in Form von Panikattacken, ins Treffen geführt hat, womit nicht nur die Frage der Verhandlungsfähigkeit tangiert, sondern auch eine weitere psychische (Angst-)Störung thematisiert wird.
Zur Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer aufgrund seiner konkret behaupteten Defizite (ADHS in Kombination mit Angststörung/Panikattacken) in ausreichendem Maße befähigt ist, sich vor Gericht zu verteidigen, enthält der angefochtene Beschluss weder ausreichende Konstatierungen noch eine Begründung. Dieser Begründungsmangel (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO) erfordert gemäß § 89 Abs 2a Z 3 StPO die Kassation der erstgerichtlichen Entscheidung (vgl Tipold , WK-StPO § 89 Rz 14/4).
Zur Verbreiterung seiner Entscheidungsgrundlagen wird das Erstgericht die vom Beschwerdeführer angebotenen ärztlichen Atteste (ON 7, 3) anzufordern haben, insbesondere auch hinsichtlich des behaupteten stationären Aufenthalts vom Dezember 2024 „auf einer geschlossenen Station“.
Zudem hat B* in der Beschwerde behauptet, sich nunmehr in einem „Erwachsenenvertretungsprogramm“ des VertretungsNetz am Standort D* zu befinden, wobei ihn dieses Programm bei der Bewältigung alltäglicher und rechtlicher Angelegenheiten unterstütze (ON 10, 1). Vor dem Hintergrund dieses Vorbringens kann (derzeit) auch nicht davon ausgegangen werden, dass der – inhaltlich und argumentativ überdurchschnittlich ausformulierte – Beschwerdeinhalt tatsächlich allein vom Beschwerdeführer B* (ohne Unterstützung) herrührt. Insofern ist es auch angezeigt, Grund und Umfang dieser behaupteten „Betreuung“ durch den Erwachsenenschutzverein zu erheben.
Schließlich geht aus dem VJ-Register zu AZ P* des Bezirksgerichts Vöcklabruck ein „offenes“ Pflegschaftsverfahren hervor, auf welches zur allfälligen Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen hingewiesen wird.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).
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