Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende, Mag. Hemetsberger und Mag. Kuranda in der Strafsache gegen A*und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des A* gegen den Beschluss der Einzelrichterin des Landesgerichts Ried im Innkreis (im Ermittlungsverfahren) vom 28. März 2024, 11 HR 145/23d-173, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
Die Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis führte zu 4 St 195/23y gegen den am ** geborenen A* und weitere Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen. Über A* wurde mit Beschluss vom 23. November 2023 (ON 90) die Untersuchungshaft verhängt. Mit Beschluss vom selben Tag wurde dem Beschuldigten A* ein Verfahrenshilfeverteidiger beigegeben und mit Bescheid der B* Mag. C* bestellt (ON 91.2). Diesem wurde am 24. November 2023 der Akt für die elektronische Akteneinsicht freigeschaltet (ON 1.66).
Mit Schriftsatz vom 9. Februar 2024 (ON 157.2) beantragte der bestellte Verfahrenshilfeverteidiger, dem Beschuldigten über dessen Ersuchen die im Antrag genannten Aktenstücke in die Justizanstalt Ried im Innkreis zu übermitteln, weil es nach Rücksprache mit der Justizanstalt nicht möglich sei, die der Verteidigung gewährte Akteneinsicht per USB-Stick oder digital an den Beschuldigten zuzustellen.
In einer dem Verfahrenshilfeverteidiger am 15. Februar 2024 zugestellten Note gab die Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis dem Antrag des Verteidigers nicht statt und führte aus, dass durch die Freischaltung des elektronischen Aktes für den Verteidiger dem Recht auf Akteneinsicht entsprochen worden sei. Eine Zustellung oder Übermittlung einer Aktenkopie in Papierform gäbe es nicht mehr und sei durch einen Erlass des Leiters der Vollzugsdirektion vom 14. Februar 2014 die Mitnahme elektronischer Geräte bei der Besprechung des Verteidigers mit dem inhaftierten Beschuldigten zulässig (ON 159).
Dagegen erhob der Verfahrenshilfeverteidiger am 25. März 2024 Einspruch wegen Rechtsverletzung mit dem Ziel, dass dem Beschuldigten die in seinem Antrag genannten Aktenstücke in die Justizanstalt zugestellt werden. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass es ein Ungleichgewicht darstellen würde, wenn dem sich in Haft befindlichen Beschuldigten die Akten auf seinen persönlichen Antrag hin postalisch übermittelt werden würden, während ihm eine postalische Übermittlung verwehrt werde, wenn dieses Recht sein Verteidiger ausübt. Die Möglichkeit einer Besprechung des Aktes mit einem Laptop entspreche nicht dem Recht auf Akteneinsicht und stoße auf faktische Hindernisse (ON 168.2).
Die Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis legte den Einspruch wegen Rechtsverletzung mit ablehnender Stellungnahme und unter Verweis auf die Note vom 15. Februar 2024 der Haft- und Rechtsschutzrichterin des Landesgerichts Ried im Innkreis zur Entscheidung vor (ON 1.139).
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 28. März 2024 wies die Einzelrichterin des Landesgerichts Ried im Innkreis (im Ermittlungsverfahren) den Einspruch des Beschuldigten A* wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 Abs 1 StPO mit der Begründung ab, dass nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes dem in § 52 Abs 3 erster Satz StPO normierten Gebot, nämlich das Zustellen von Kopien des Aktes an den Verfahrenshelfer, von Amts wegen entsprochen sei, wenn dem Verfahrenshelfer die elektronische Akteneinsicht ermöglicht wurde. Nach § 52 Abs 1 StPO seien dem Beschuldigten im Rahmen der Akteneinsicht auf Antrag und gegen Gebühr Kopien (Ablichtungen oder andere Wiedergaben des Akteninhaltes) auszufolgen oder sei ihm nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zu gestatten, Kopien selbst herzustellen, sofern dieses Recht nicht durch einen Verteidiger ausgeübt werde. Die genannten Rechte des Beschuldigten entfielen daher, wenn sie sein Verteidiger ausübt (ON 173).
Dagegen richtet sich die Beschwerde des A*, mit der dieser die Zustellung einzelner angeführter Aktenteile bzw des gesamten Strafaktes postalisch in die Justizanstalt Ried im Innkreis begehrt (ON 178.2).
Die Beschwerde, zu der sich die Oberstaatsanwaltschaft Linz nicht geäußert hat, ist nicht berechtigt.
§§ 51 bis 53 StPO setzen das in Art 6 Abs 1 iVm Abs 3 lit a und lit b EMRK verfassungsrechtlich geschützte Recht des Beschuldigten auf Akteneinsicht auf einfachgesetzlicher Ebene um. Sie verpflichten die Strafverfolgungsbehörden, gegenüber dem Beschuldigten alles in ihrem Besitz befindliche Beweismaterial offen zu legen, um ihn in die Lage zu versetzen, sich dazu zu äußern. Das Recht auf Akteneinsicht ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Wahrung des rechtlichen Gehörs, die wirksame Ausübung der Verteidigung und die Waffengleichheit. Das Recht auf Akteneinsicht steht dem Beschuldigten, bei jugendlichen Beschuldigten auch dem gesetzlichen Vertreter zu, so er nicht selbst dieser Straftat verdächtig ist. Hat der Beschuldigte einen Verteidiger, dann kann das Recht auf Akteneinsicht nur durch seinen Verteidiger ausgeübt werden ( Soyer/Stuefer in Fuchs/RatzWK-StPO § 53 Rz 1 und 3; RIS-Justiz RS0096775).
Da sich der Beschuldigte zu jenem Zeitpunkt, als er die Übermittlung bestimmter Aktenstücke in die Justizanstalt Ried im Innkreis beantragte (mit einem am 12. Februar 2024 bei der Staatsanwaltschaft Ried im Innkreis eingelangten Schreiben [ON 157.2]), bereits in Untersuchungshaft befand und er seit jenem Tag – entsprechend § 61 Abs 1 Z 1 StPO – durch einen Verteidiger vertreten wurde, konnte das Recht auf Akteneinsicht nur mehr durch diesen ausgeübt werden.
In seiner Entscheidung vom 1. August 2023 zu 14 Os 57/23y sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass Kopien iSd § 52 Abs 3 erster Satz StPO, die dem Verfahrenshilfeverteidiger unverzüglich und von Amts wegen zuzustellen sind, „Ablichtungen“ oder „andere Wiedergaben des Akteninhalts“ sind, wobei diese Begrifflichkeiten medien- und technologieneutral zu verstehen sind. Daher können „andere Wiedergaben des Akteninhalts“ auch im Wege elektronischer Datenübertragung erfolgen, sodass die Staatsanwaltschaft mit Freischaltung des elektronisch geführten Aktes für den Verteidiger Kopien desselben an ihn ausgefolgt, mit anderen Worten ihm zugestellt hat (14 Os 57/23y, EvBl 2024/57). Die vom Verteidiger in seiner Beschwerde abermals zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 3 Ob 221/23f, die über den außerordentlichen Revisionsrekurs in einem zivilgerichtlichen Verfahren zur Frage der Gewährung von Akteneinsicht ergangen ist, ist nicht geeignet, die in einem Strafverfahren ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (14 Os 57/23y) zu konterkarieren, in der sich das Höchstgericht mit dem in § 52 Abs 3 erster Satz StPO normierten Gebot, dem Verfahrenshelfer unverzüglich Kopien des Aktes von Amts wegen herzustellen, auseinandergesetzt und anhand einer Wortinterpretation dieser Bestimmung festgestellt hat, dass dem Gebot durch die Freischaltung des elektronisch geführten Aktes für den Verteidiger entsprochen wurde. Im Übrigen gründet die angefochtene Entscheidung auf die – im Zivilverfahren nicht anzuwendende-Bestimmung des § 52 Abs 1 Satz 1 StPO, die – wie bereits ausgeführt – regelt, dass die Rechte des Beschuldigten auf Akteneinsicht durch seinen Verteidiger ausgeübt werden.
Rechtsmittelbelehrung:
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