Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Knapp, LL.M., als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Dr. Offer und Mag. Preßlaber als weitere Mitglieder des Senats in der Strafsache gegen den Erstangeklagten A* und die Zweitangeklagte B* wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerden der Angeklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 5.9.2025, GZ **-285, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Den Beschwerden wird teilweise F o l g egegeben und die über die Angeklagten an sich aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO berechtigt verhängte Untersuchungshaft unter Anwendung gelinderer Mittel a u f g e h o b e n , und zwar:
1. der Weisung an der Adresse ** zu wohnen (§ 173 Abs 5 Z 4 StPO)
2. jeden Wechsel des Aufenthalts anzuzeigen (§ 173 Abs 5 Z 5 StPO).
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug n i c h tzu (§ 89 Abs 6 StPO).
BEGRÜNDUNG:
Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 14.8.2025, 7 Bs 207/25m wurde – einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft Folge gebend – über den Erstangeklagten A* und die Zweitangeklagte B* die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO verhängt (ON 263) und die beiden Angeklagten in Umsetzung dieser Entscheidung am 20.8.2025 festgenommen (ON 269.2). Aufgrund einer gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts erhobenen Grundrechtsbeschwerde stellte der Oberste Gerichtshof mit Entscheidung vom 17.9.2025, 12 Os 107/25i, fest, dass die Genannten in ihrem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurden ohne die Haftentscheidung aufzuheben.
Aufgrund eines bereits am 29.8.2025 eingebrachten Enthaftungsantrags der Angeklagten (ON 280) führte der Vorsitzende des Schöffengerichts am 5.9.2025 eine Haftverhandlung durch (ON 284), in der er die Anträge der Genannten „1. die über sie verhängte Untersuchungshaft aufzuheben 2. in eventu diese a.) gemäß § 173a StPO als Hausarrest fortzusetzen b.) gegen gelinderer Mittel aufzuheben“ abwies und die Untersuchungshaft aus dem angezogenen Haftgrund weiter fortsetzte (ON 284).
Dagegen richten sich die unmittelbar nach Entscheidungsverkündung erhobenen (ON 284, 5) und in der Folge schriftlich näher ausgeführte Beschwerden der Angeklagten (ON 283, ON 287), zu denen sich die Oberstaatsanwaltschaft einer Stellungnahme enthalten hat und denen im spruchgemäßen Ausmaß Berechtigung zukommt.
Voranzustellen ist, dass laut Vorabinformation des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 23.9.2025 (ON 294) die beiden Angeklagten im Verfahren ** des Landesgerichts Innsbruck – soweit für das Beschwerdeverfahren von Relevanz - mittlerweile mit Urteil vom 22.9.2025 schuldig erkannt wurden, und zwar der Erstangeklagte A*
I.: des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB (Schaden insgesamt EUR 136.858,98)
II.: des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB (Schaden insgesamt EUR 623.384,56) und
die Zweitangeklagte B*
I.:des Verbrechens der betrügerischen Krida nach §§ 12 dritter Fall, 156 Abs 1 StGB (Schaden insgesamt EUR 136.858,98)
II.: des Verbrechens der Veruntreuung nach §§ 12 dritter Fall, 133 Abs 1 und 2 zweiter Fall StGB (Schaden insgesamt EUR 623.384,56).
Über beide Angeklagte wurde nach dem zweiten Strafsatz des § 133 Abs 2 StGB in Anwendung des § 28 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, die beim Erstangeklagten unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Geschworenengericht vom 13.12.2022 zu ** gemäß §§ 31 Abs 1, 40 StGB als Zusatzfreiheitsstrafe ausgesprochen wurde. Bei der Zweitangeklagten wurde in weiterer Anwendung des § 43a Abs 3 StGB ein Teil der ausgesprochenen Freiheitsstrafe von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Auf die ausgesprochenen Strafen wurden gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB die erlittenen Vorhaftzeiten angerechnet, und zwar beim Erstangeklagten von
19.10.2022, 08:31 Uhr, bis 24.10.2022, 13:00 Uhr,
04.11.2022, 09:00 Uhr, bis 13.12.2022, 13:30 Uhr,
07.02.2023, 06:06 Uhr, bis 22.03.2023, 10:00 Uhr,
17.04.2024, 10:14 Uhr, bis 22.04.2024, 09:30 Uhr,
14.07.2025, 17:34 Uhr, bis 15.07.2025, 15:30 Uhr,
20.08.2025, 09:50 Uhr, bis 23.09.2025, 13:45 Uhr,
und bei der Zweitangeklagten von
07.02.2023, 06:06 Uhr, bis 22.03.2023, 10:00 Uhr,
14.07.2025, 17:34 Uhr, bis 15.07.2025, 15:45 Uhr,
20.08.2025, 09:50 Uhr, bis 23.09.2025, 13:45 Uhr,
Gegen dieses Urteil haben die Angeklagten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe, die Staatsanwaltschaft Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe zum Nachteil der Angeklagten angemeldet (ON 292, 293).
Mit Blick auf den erstinstanzlichen Schuldspruch des Schöffensenats ist von einem dringenden Verdacht auszugehen, dass die Angeklagten die abgeurteilten Taten und damit die Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB und der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und 2 zweiter Satz StGB, die Zweitangeklagte je als Beitragstäterin nach § 12 dritte Alternative StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht begangen haben. Die fehlende Rechtskraft der kollegialrichterlichen Entscheidung steht dieser Verdachtseinschätzung nicht entgegen, es erübrigt sich daher ein Eingehen auf jene Beschwerdeausführungen, die den dringenden Tatverdacht bestreiten (RIS-Justiz RS0061112, RS0108486; Kirchbacher/Rami, WK StPO § 173 Rz 4).
Das Beschwerdegericht bejaht nach wie vor das Vorliegen des Haftgrunds der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO, wobei an dieser Stelle auf die Ausführungen im Beschluss auf Verhängung der Untersuchungshaft identifizierend verwiesen werden kann (PS 14 f in ON 263.3; erneut RIS-Justiz RS0124017 [T3, T4 und T6]). Gerade mit Blick darauf, dass sich beide Angeklagte trotz Kenntnis des gegen sie geführten Strafverfahrens bereits in einem anderen Bundesland verborgen gehalten und auch konkrete Anstalten und Vorbereitungen dafür getroffen haben, sich für geraume Zeit weiter zu verbergen, liegen jene aus dem Akteninhalt ableitbaren Tatsachen vor, aufgrund derer anzunehmen ist, die beiden Angeklagten werden sich dem weiteren Strafverfahren auf freiem Fuße belassen entziehen oder sich verborgen halten.
Die Fortsetzung der Untersuchungshaft ist mit Blick auf deren bisherige Dauer, die Bedeutung der Sache und die in erster Instanz - wenngleich nicht rechtskräftigen – ausgesprochenen Freiheitsstrafen auch nicht unverhältnismäßig, Erwägungen über die Erfolgsaussichten der gegen das erstinstanzliche Urteil angemeldete Rechtsmittel haben bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ebenso außer Betracht zu bleiben wie die Erwartung einer allfälligen bedingten Nachsicht bzw Entlassung (RIS-Justiz RS0108401; Kirchbacher/Rami aaO § 173 Rz 14).
Allerdings erachtet das Beschwerdegericht mit Blick auf den Umstand, dass die Hauptverhandlung gegen die beiden Angeklagten nunmehr durchgeführt, ein Urteil in erster Instanz gefällt wurde und schließlich die Strafen im unteren Drittel des möglichen Strafrahmens ausgemittelt wurden, den Fluchtanreiz und damit den vorliegenden Haftgrund als nicht mehr so intensiv, dass ihm nicht durch gelindere Mittel wie die aus dem Spruch ersichtlichen Weisungen effektiv entgegen getreten werden kann ( Nimmervoll , Haftrecht 3, Z 833, Z 836; RIS-Justiz RS0097850).
Damit drangen die Beschwerden im spruchgemäßen Ausmaß durch.
Die Einhaltung der Weisungen ist vom Erstgericht zu überwachen.
Rückverweise
Keine Verweise gefunden