Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richterin Mag a . Berzkovics (Vorsitz), die Richterin Mag a . Haas und den Richter Mag. Petzner, Bakk. in der Strafsache gegen A*und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Berufung des Angeklagten A* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 29. Oktober 2024, GZ **-16, nach der am 20. August 2025 in Gegenwart des Oberstaatsanwalts Mag. Liensberger, LL.M., des Angeklagten A* und seines Verteidigers Rechtsanwalt Mag. Klein durchgeführten öffentlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
Der Berufung des Angeklagten A* wegen des Ausspruchs über die Schuld wird Folge gegeben, das ihn betreffende Urteil aufgehoben und in der Sache erkannt:
A* wird von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf, er habe am 22. Juni 2024 in ** B* vorsätzlich am Körper verletzt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung herbeigeführt, indem er ihm einen Kopfstoß gegen die Nase versetzte, wodurch B* einen Nasenbeinbruch, der operativ versorgt werden musste, erlitt, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Mit seiner weiteren Berufung wird der Angeklagte darauf verwiesen.
gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen bereits in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch des B* wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (2.) enthält (siehe Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 1. Juli 2025), wurde der am ** geborene A* des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (1.) schuldig erkannt, nach dieser Gesetzesstelle in Anwendung des § 43a Abs 2 StGB zur Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je EUR 15,00, im Uneinbringlichkeitsfall zu 90 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, sowie zur für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Kostenersatz verpflichtet.
Nach dem Schuldspruch hat er am 22. Juni 2024 in ** B* vorsätzlich am Körper verletzt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung herbeigeführt, indem er ihm einen Kopfstoß gegen die Nase versetzte, wodurch B* einen Nasenbeinbruch, der operativ versorgt werden musste, erlitt.
Der Angeklagte A* bekämpft das Urteil mit Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 „Z 9a bzw. 9b“ iVm § 489 Abs 1 StPO) und wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe (ON 18).
Die Schuldberufung, die vor dem Eingehen auf den geltend gemachten materiellen Nichtigkeitsgrund zu prüfen ist ( Ratz , WK-StPO § 476 Rz 9), hat Erfolg.
Das Berufungsgericht hegt Bedenken gegen die mit der Verantwortung des B* (der allerdings das Würgen überhaupt in Abrede stellte), der „Art der Tathandlung“ und dem nach der Tat fortgesetzten aggressiven Verhalten des Angeklagten (US 5) begründeten Feststellungen zur subjektiven Tatseite, insbesondere gegen die Annahme, A* habe den Kopfstoß nicht als Abwehrhandlung gesetzt, sondern B* gezielt angreifen wollen (US 3; vgl disloziert auch US 5).
Das Berufungsgericht nahm daher in diesem Umfang eine Beweiswiederholung (§ 473 Abs 2 iVm § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) durch Vernehmung des Angeklagten und der Zeugen C*, D*, E* und F* vor. Als deren Ergebnis wird in Ergänzung der erstgerichtlichen Konstatierungen unter gleichzeitiger Abänderung der vorangeführten entgegenstehenden Urteilsannahmen festgestellt:
Als B* A* am Hals erfasste und würgte, standen neben B* weitere Personen bedrohlich um A* herum. A* rief seinen Schwager C* um Hilfe. Nachdem es A* nicht gelang, B* mit den Händen von sich wegzustoßen, versetzte er B* einen gezielten Kopfstoß in das Gesicht, wodurch B* einen (geschlossenen) Nasenbeinbruch, der operativ versorgt werden musste (Nasenbeinaufrichtung), erlitt. Erst danach ließ B* von ihm ab. A* hielt es dabei zumindest ernstlich für möglich und fand sich damit ab, dass B’* durch den Kopfstoß am Körper verletzt wird. Er fand sich jedoch nicht damit ab, B* dadurch eine an sich schwere und/oder mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit verbundene Körperverletzung, etwa in Form eines Knochenbruchs, zuzufügen. Der mögliche Eintritt einer solchen – auch schweren – Verletzungsfolge war für ihn allerdings vorhersehbar. Er tat dies im Wissen um den fortdauernden Angriff des B* auf seine körperliche Unversehrtheit und wollte sich mit dem Kopfstoß dagegen zur Wehr setzen.
In beweiswürdigender Hinsicht ist zunächst festzuhalten, dass der Schuldspruch gegen B* (dem Kopfstoß unmittelbar vorangehendes Würgen des A*) infolge des Urteils des Oberlandesgerichts Graz vom 1. Juli 2025 in Rechtskraft erwachsen ist, sodass sich weitere Ausführungen dazu erübrigen.
Die weiteren Feststellungen stützen sich auf die unbedenklichen Angaben des Angeklagten, der den Geschehensablauf und den Verletzungshergang nachvollziehbar, ohne seine eigene Rolle zu beschönigen, schilderte (ON 2.8 und ON 15, 3 f, Protokoll über die Berufungsverhandlung). Der Zeuge C* bestätigte die Angaben des Angeklagten, konnte aber den Kopfstoß selbst nicht wahrnehmen, weil er von den um A* stehenden Personen attackiert wurde und deswegen zu Boden fiel (ON 2.10, 3, Protokoll über die Berufungsverhandlung). Die teils widersprüchlichen Aussagen der Zeugen D*, E* und F* waren hingegen erkennbar vom Bemühen getragen, die Verantwortung des B*, der das Würgen überhaupt in Abrede stellte und A* als den alleinigen Aggressor darzustellen versuchte, obwohl er eigentlich der Auslöser für die Auseinandersetzung war (Zünden des Bengalfeuers und Weigerung dieses zu entfernen), zu bestätigen und konnten folglich nicht Feststellungsbasis werden. Die an sich schwere Verletzung des B* (vgl dazu Leukauf/Steininger/Nimmervoll, StGB 4§ 84 Rz 16 mwN) ergibt sich schlüssig aus dem Arztbefund (ON 2.15) und den Lichtbildern (ON 2.16, 2 ff). Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite können aus einer lebensnahen Betrachtung des objektiven Tatgeschehens abgeleitet werden (RIS-Justiz RS0098671). Die Art der Tathandlung (unvermittelter Kopfstoß gegen den Gesichtsbereich) indiziert klar das Vorliegen eines zumindest bedingten Körperverletzungsvorsatzes. Bei einer Gesamtbetrachtung ist zwar nicht davon auszugehen, dass der Angeklagte auch schwere Verletzungsfolgen des Opfers (wie Knochenbrüche) hinzunehmen bereit war. Nach allgemeiner Lebenserfahrung musste bei einem Kopfstoß gegen das Gesicht einer direkt gegenüber stehenden Person aber typischerweise auch mit schweren Verletzungsfolgen (wie einer Bruchverletzung) gerechnet werden, die solcherart auch für den Angeklagten vorhersehbar waren. Die Kenntnis des Angeklagten von der Notwehrlage und sein Vorsatz in Bezug auf das Handeln in Reaktion auf den Angriff des B* ergibt sich aus einer lebensnahen Betrachtung des objektiven Tatgeschehens in Verbindung mit der auch insoweit glaubhaften Verantwortung des Angeklagten.
Aufgrund des festgestellten Sachverhalts hat der Angeklagte das Verbrechen nach § 84 Abs 4 StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht verwirklicht. Hinsichtlich der Schwere der Verletzungsfolge genügt Fahrlässigkeit (vgl Leukauf/Steininger/Nimmervoll, StGB 4 § 84 Rz 39).
Gemäß § 3 Abs 1 StGB handelt nicht rechtswidrig, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren. Notwehr setzt damit eine Notwehrlage sowie die Notwendigkeit der Gegenwehr voraus. Notwendig ist stets nur jene Verteidigung, die aus der Situation des Angegriffenen gesehen und unter Beachtung objektiver Kriterien gerade so weit in die Rechtsgüter des Angreifers eingreift, dass der Angreifer letztlich und endgültig abgewehrt werden kann (RIS-Justiz RS0088842, RS0089270 [T4]). Ein spezifischer Verteidigungswille (JBl 1980, 494 mit Anm Burgstaller) ist bei objektiv gegebener Notwehrlage zwar nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0088836), sehr wohl jedoch als „subjektives Rechtfertigungselement“ die Kenntnis des Angegriffenen von der Notwehrlage. Der (zumindest bedingte) Vorsatz des (sich zur Wehr setzenden) Täters hat sich einerseits auf das Vorliegen eines (gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden) rechtswidrigen Angriffs auf eines der in § 3 Abs 1 genannten Rechtsgüter zu beziehen, wobei die Erfassung der normativen Elemente in ihrem sozialen Bedeutungsinhalt („Parallelwertung in der Laiensphäre“) ausreicht, und muss andererseits den Zusammenhang zwischen Angriff und (inkriminierter) Verteidigungshandlung dergestalt einschließen, dass diese in Reaktion auf Ersteren erfolgt, also ein intentionaler Zusammenhang besteht (so jüngst 14 Os 28/24k; RIS-Justiz RS0135216, RS0088836 [T3]).
Auf Basis der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen stellte das Würgen des B* einen gegenwärtigen Angriff auf die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten und damit eine Notwehrsituation dar. Der Kopfstoß war außerdem ein geeignetes und unter den gegebenen Umständen (Mehrzahl von Angreifern; misslungenes Wegstoßen mit den Händen) keineswegs überzogenes Mittel, um den Angriff sofort und endgültig abzuwehren. Der Angeklagte handelte überdies im Wissen um das Vorliegen einer Notwehrsituation und wollte sich durch den Kopfstoß gegen den (fortdauernden) Angriff des B* zur Wehr setzen. Das Verhalten des Angeklagten ist damit durch Notwehr iSd § 3 Abs 1 StGB gerechtfertigt.
In Konsequenz dessen war das den Angeklagten A* betreffende Urteil aufzuheben und der Genannte von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf gemäß § 259 Z 3 StPO freizusprechen.
Mit seiner weiteren Berufung, auf deren Vorbringen infolge des Freispruchs nicht mehr einzugehen ist, ist der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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