Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Dezember 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als Vorsitzende sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Oshidari, Dr. Setz-Hummel LL.M., Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi PMM in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Strubreiter in der Strafsache gegen * A* wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 6 U 50/25z des Bezirksgerichts Bregenz, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
[1] Mit Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 26. März 2025, GZ 6 U 50/25z13 (im Folgenden: Ersturteil), wurde * A* des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
[2]Der dagegen erhobenen „vollen“ Berufung (§ 464 Z 1 bis 3 StPO) gab das Landesgericht Feldkirch als Berufungsgericht mit Urteil vom 1. Oktober 2025, AZ 25 Bl 73/25m (im Folgenden: Berufungsurteil), keine Folge.
[3]Der eine Verletzung des Art 6 Abs 1 und 2 MRK behauptende Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO macht erkennbar geltend, dass das Berufungsgericht den dem Erstgericht unterlaufenen Grundrechtsverletzungen nicht abgeholfen habe. Damit richtet er sich nur gegen das Berufungsurteil (vgl auch den sich nur darauf beziehenden Rechtsmittelantrag des Erneuerungswerbers).
[4]Ein Erneuerungsantrag hat – weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein – eine Grundrechtsverletzung deutlich und bestimmt darzulegen (RIS-Justiz RS0122737 [T17]) und sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RISJustiz RS0124359), wobei nur eine Prüfung auf Grundrechtsstufe (Grobprüfung) und keine Auseinandersetzung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz im Sinn einer Feinprüfung auf Gesetzesstufe stattfindet (RISJustiz RS0129606 [T2, T3]; Rebisant, WK-StPO §§ 363a bis 363c Rz 43).
[5] Zunächst erachtet sich der Erneuerungswerber in seinem Recht zu Schweigen (Art 6 Abs 1 und 2 MRK) dadurch verletzt, dass das Erstgericht (vom Berufungsgericht unbeanstandet) seine leugnende Verantwortung in der Hauptverhandlung (ua) deswegen als Schutzbehauptung gewertet hat, weil er sich vor der Polizei zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen nicht geäußert hatte (Ersturteil US 4).
[6] Da sich der Schuldspruch allein auf die belastenden Angaben des Opfers (als somit unmittelbare Tatzeugin) stützte (Ersturteil US 4), hat das Berufungsgericht den auf die Verletzung des Schweigerechts gerichteten Rechtsmitteleinwand zu Recht (unter Hinweis auf RISJustiz RS0120768) mit dem Argument verworfen, dass die Berücksichtigung des Schweigens des Angeklagten in der Beweiswürdigung nicht unter allen Umständen ausgeschlossen ist, sondern ein solches Prozessverhalten nicht ausschließliche oder überwiegende Grundlage für einen Schuldspruch sein darf (Berufungsurteil US 5 f).
[7] Solcherart steht das Berufungsurteil auch im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR, der Schlussfolgerungen aus dem Schweigen des Angeklagten zulässt, wenn nach der Sachlage und den Beweisergebnissen eine Erklärung des Beschuldigten eindeutig zu erwarten ist oder bei freier Würdigung der Beweise abgeleitet werden kann, dass der Beschuldigte keine Antwort auf die Vorwürfe weiß (siehe dazu Harrendorf/König/Voigt in Meyer Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK 5 Art 6 Rz 162 mwN).
[8] Damit erübrigt sich ein Eingehen auf den in diesem Zusammenhang erhobenen Einwand, wonach aus der kritisierten Urteilsbegründung Befangenheit des Erstrichters abzuleiten sei.
[9]Die Kritik an der in vorübergehender Abwesenheit des Angeklagten vorgenommenen Vernehmung des Opfers (§ 250 Abs 1 StPO) zeigt mit Blick darauf, dass dieser – weiterhin von einem (sein Fragerecht auch ausübenden) Verteidiger vertreten – nach seinem Wiedererscheinen über das während seiner Abwesenheit Vorgekommene gemäß § 250 Abs 1 StPO in Kenntnis gesetzt wurde (vgl HV-Protokoll ON 12 S 4 f), keine Verletzung des durch Art 6 Abs 3 lit d MRK garantierten Rechts, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen, auf ( Kirchbacher , WK-StPO § 250 Rz 6; Hinterhofer , Zeugenschutz und Zeugnisverweigerungsrechte im österreichischen Strafprozess, 88).
[10] Auch insoweit greifen die Befangenheitsüberlegungen des Erneuerungswerbers nicht.
[11] Soweit eine Verletzung der Begründungspflicht nach Art 6 Abs 1 MRK behauptet wird, wiederholt der Antrag bloß das Berufungsvorbringen betreffend die seiner Ansicht nach nicht entsprechende Darstellung des Tatgeschehens in den Entscheidungsgründen. Damit verkennt er, dass die Behandlung von Erneuerungsanträgen gerade nicht eine Auseinandersetzung nach Art einer zusätzlichen Beschwerde- oder Berufungsinstanz bedeutet, sondern sich vielmehr auf die Prüfung der reklamierten Verletzung eines Rechts nach der MRK oder einem ihrer Zusatzprotokolle beschränkt (RISJustiz RS0129606 [insb T3]).
[12]Im Übrigen liegt eine Verletzung der Begründungspflicht aus dem Blickwinkel des Art 6 Abs 1 MRK nur bei willkürlichen oder grob unvernünftigen („arbitrary or manifestly unreasonable“) Urteilsannahmen vor. Dies ist dann der Fall, wenn die Begründung (zu entscheidenden Umständen) eindeutig unzureichend oder offensichtlich widersprüchlich ist oder eindeutig einen Irrtum erkennen lässt (vgl RIS-Justiz RS0129981), was hier nicht zutrifft.
[13]Ebenso wenig kann eine Grundrechtsverletzung aus der Ablehnung eines prozessual untauglichen Rechtsmitteleinwands abgeleitet werden. Dies übersieht der Erneuerungswerber, soweit er dem Berufungsgericht vorwirft, es hätte der pauschalen Behauptung der – die Konstatierungen des Erstgerichts (US 3) prozessordnungswidrig übergehenden (vgl aber RIS-Justiz RS0099810) – Subsumtionsrüge (§ 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 10 StPO) des Inhalts, „das Erstgericht hat es verabsäumt, klare Feststellungen zu treffen, die eine Abgrenzung zwischen den §§ 83 und 88 StGB ermöglichen“, Folge geben müssen.
[14]Schließlich wird Art 6 Abs 1 MRK nicht durch den Umstand tangiert, dass das Berufungsgericht bei Behandlung der Diversionsrüge (§ 468 Abs 1 Z 4 iVm § 281 Abs 1 Z 10a StPO) das Aussageverhalten des Angeklagten – entgegen der Ansicht des Verteidigers – nicht als Verantwortungsübernahme gewertet hat.
[15] Der Antrag auf Erneuerung des Verfahrens war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen (§ 363b Abs 1 und 2 StPO).
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