Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Korn, Dr. Stiefsohn, Mag. Böhm und Dr. Gusenleitner-Helm in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. F*, geboren am * 2009, und 2. M*, geboren am * 2009, vertreten durch die Mutter S*, diese vertreten durch Mag. Andreas Krautschneider, Rechtsanwalt in Wien; Vater E*, vertreten durch Dr. Gerald Albrecht, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 12. Februar 2025, GZ 23 R 43/25h 15, mit dem dem Rekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Purkersdorf vom 30. Dezember 2024, GZ 1 Pu 122/24x-9, nicht Folge gegeben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Dem Revisionsrekurs wird Folge geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung:
[1] Die Minderjährigen sind die ehelichen Kinder von S* und E*. In der Scheidungsvereinbarung vom 11. 12. 2024 vereinbarten die Eltern, dass die Obsorge hinsichtlich der Kinder beiden Elternteilen gemeinsam zusteht. Der gewöhnliche Aufenthalt wurde bei der Mutter festgelegt. Der Vater verpflichtete sich, ab Jänner 2025 einen monatlichen Unterhalt von 300 EUR für jedes der beiden Kinder zu bezahlen. Weiters wurde festgehalten, dass Grundlage der Vereinbarung ein monatliches Nettoeinkommen des Vaters von 1.633 EUR sei. Der Vergleich ist rechtswirksam und vollstreckbar.
[2] Mit Schriftsatz vom 16. 12. 2024 beantragte der Vater , „den Scheidungsfolgenvergleich dahingehend zu berichtigen bzw zu ergänzen, dass die Unterhaltsleistung für die Dauer der Ausbildung der Minderjährigen (derzeit Elektro Lehre) wegen des Eigenverdienstes“ ruhe. In der Folge wurde klargestellt, dass damit ein Antrag auf Unterhaltsenthebung gemeint sei. Erst nach Rechtskraft des Vergleichs sei ihm zur Kenntnis gebracht worden, dass die Minderjährigen im Rahmen ihrer Lehre ein Einkommen von mindestens 900 EUR netto monatlich ins Verdienen brächten. Dies sei von der Mutter im Zuge der Vergleichsverhandlungen zumindest grob fahrlässig nicht thematisiert worden. Wäre er darüber nicht in Irrtum geführt worden, hätte er der Vereinbarung eines Unterhalts von 300 EUR nicht zugestimmt.
[3] Die Minderjährigen bestritten, dem Vater sei bereits im Oktober 2024 bekannt gewesen, dass sie eine Lehrlingsentschädigung beziehen. Er habe sie selbst bei der Suche nach einer Lehrstelle unterstützt.
[4] Das Erstgericht verpflichtete den Vater „in Minderung des ihm mit [dem] Scheidungsvergleich auferlegten Unterhaltsbeitrages“ ab 1. 1. 2025 bis auf weiteres 190 EUR je Kind zu zahlen. Das Mehrbegehren des Vaters, gerichtet auf eine Unterhaltsenthebung ab 1. 1. 2025 wurde „mit einem monatlichen Betrag von 110 EUR je Kind“ abgewiesen.
[5] Es ging dabei vom Inhalt des Scheidungsvergleichs und einem Eigeneinkommen der Kinder von je 958 EUR netto monatlich incl Sonderzahlungen aus. Da das Eigeneinkommen der Kinder dem Scheidungsfolgenvergleich nicht zu entnehmen sei, sei von einer wesentlichen Veränderung der Umstände auszugehen, weshalb eine Neubemessung gerechtfertigt sei. Ausgehend vom Ausgleichszulagenrichtsatz und dem Regelbedarf ergebe sich ein Unterhaltsanspruch von je 190 EUR.
[6] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Minderjährigen gegen diesen Beschluss, soweit damit der Unterhalt herabgesetzt wurde, nicht Folge. Eine Änderung auf Tatsachenebene, die eine Neubemessung des Unterhalts erlaube, liege zwar nicht vor. Dazu, ob sich bei Zustandekommen des Vergleichs eine Partei in einem Irrtum befunden habe, seien keine Feststellungen getroffen worden. „Offenkundig“ habe sich aber der Vater, sein Vertreter und wohl auch der Richter bei Abschluss des Vergleichs in einem Irrtum befunden. Die Mutter habe demgegenüber entweder ihre Aufklärungspflicht verletzt, habe diesen Umstand arglistig verschwiegen oder es sei von einem gemeinsamen Irrtum auszugehen. In jedem Fall habe es zu einer Vergleichsanpassung im Wege einer Unterhaltsherabsetzung zu kommen. Dabei komme es auf das Eigeneinkommen des Unterhaltspflichtigen nicht an.
[7] Der ordentliche Revisionsrekurs wurde vom Rekursgericht zur Frage zugelassen, ob bei einem gemeinschaftlichen Irrtum auch der Rechtsirrtum zur Vertragsanpassung führe.
[8] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass der Antrag auf Unterhaltsherabsetzung abgewiesen wird; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[9] Der Vater beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
[10] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
[11]1. Nach § 190 Abs 3 ABGB bedürfen vor Gericht geschlossene Vereinbarungen über die Höhe gesetzlicher Unterhaltsleistungen zu ihrer Rechtswirksamkeit keiner gerichtlichen Genehmigung und sind (nur) für den Unterhaltsverpflichteten verbindlich (vgl 1 Ob 151/17p ).
[12]2. Unterhaltsvereinbarungen unterliegen grundsätzlich der Umstandsklausel (vgl RS0053297). Der Anspruch kann daher im Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse neu festgelegt werden (vgl RS0007161 ).
[13] 3. Geänderten tatsächlichen Verhältnissen ist nach der Rechtsprechung ein Sachverhalt gleichzuhalten, bei dem die wahren Einkommensverhältnisse anlässlich der Unterhaltsfestsetzung unbekannt waren und die den Vergleich abschließenden Parteien irrtümlich von falschen Bemessungsgrundlagen ausgingen ( RS0107667 ). Einer Anfechtung des Unterhaltsvergleichs im streitigen Verfahren bedarf es dabei nicht (vgl RS0107666 [insb T1]; RS0053297 [T4]).
[14] 4. Aufgrund der Bindung des Unterhaltsverpflichteten ist aber eine Neufestsetzung des Unterhalts ohne eine Änderung der Verhältnisse nach Abschluss des Unterhaltsvergleichs bzw ohne Vorliegen eines relevanten Willensmangels nicht möglich.
[15]Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht keine Feststellungen zu dem vom Vater behaupteten Irrtum getroffen. Die Ausführungen des Rekursgerichts, dass dem Vater und seinem Vertreter „offenkundig [...] bei Abschluss der Vereinbarung nicht bewusst war, dass die Unterhaltsberechtigten über ein relevantes Eigeneinkommen verfügen“, findet keine Deckung in den Feststellungen und sind nicht Ergebnis eines wie immer gearteten Beweisverfahrens. Im Gegenteil war nach den Schriftsätzen im Scheidungsverfahren dem Vater bekannt, dass die Kinder eine Lehre absolvieren. Eine „Offenkundigkeit“ iSd § 269 ABGB liegt jedenfalls nicht vor. Auch die Überlegungen des Rekursgerichts, dass die Mutter diesen Umstand allenfalls vorsätzlich oder grob fahrlässig verschwiegen hätte oder ein gemeinsamer Irrtum vorliege, haben keine Grundlage im festgestellten Sachverhalt.
[16] 5. Dem Revisionsrekurs der Kinder war daher Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen waren aufzuheben und dem Erstgericht war eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Vor einer allfälligen Neubemessung des Unterhalts wird der Vater dazu anzuleiten sein zu konkretisieren, worin der behauptete Irrtum gelegen sein soll. Weiters werden Feststellungen zu treffen sein, nach denen beurteilt werden kann, ob und worüber der Vater bzw die Eltern bei Vergleichsabschluss geirrt haben.
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