Der Oberste Gerichtshof hat am 19. November 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Sadoghi sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Strubreiter in der Strafsache gegen * V* wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 17. Februar 2025, GZ 312 Hv 70/24f 38.5, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Korneuburg verwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gründe:
[1]Mit dem angefochtenen Urteil wurde * V* des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 2 StGB schuldig erkannt.
[2]Danach hat er – gekürzt wiedergegeben – Mitte Jänner 2024 in *, Bulgarien (§ 64 Abs 1 Z 8 StGB), mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, * A* (durch im Urteil näher bezeichnete Handlungen – US 3) dazu bestimmt, am 25. Jänner 2024 in M* Verfügungsberechtigte der S* GmbH durch Täuschung über Tatsachen, nämlich das angemietete Fahrzeug nach Beendigung des Mietvertrags ordnungsgemäß zurückzustellen, zu einer Handlung, nämlich zur Ausfolgung eines PKW B* im Wert von ca 70.000 Euro, zu verleiten, wodurch die S* GmbH in diesem Betrag am Vermögen geschädigt wurde.
[3]Dagegen richtet sich die auf Z 3, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Dieser kommt Berechtigung zu.
[4]Die Verfahrensrüge (Z 3) reklamiert zu Recht einen durch Verlesung (ON 38.4, 13 f) der Protokolle über die Vernehmungen des A* als Zeuge im Ermittlungsverfahren (ON 2.6 und ON 12.2) sowie als Beschuldigter in dem gegen ihn geführten Strafverfahren (ON 3.18.4) bewirkten Verstoß gegen § 252 Abs 1 StPO.
[5]Nach (dem hier maßgeblichen) § 252 Abs 1 Z 1 StPO dürfen Protokolle über die Vernehmung von Zeugen und andere amtliche Schriftstücke, in denen Aussagen von Zeugen festgehalten worden sind, nur verlesen oder vorgeführt werden, wenn (soweit hier relevant) der Aufenthalt der Vernommenen unbekannt ist oder ihr persönliches Erscheinen wegen entfernten Aufenthalts oder aus anderen erheblichen Gründen füglich nicht bewerkstelligt werden konnte.
[6] Nach den (im Protokoll über die Hauptverhandlung enthaltenen) Ausführungen (ON 38.4, 13 f) sei der Zeuge „eben zur Hv heute nicht erschienen“ und könne „seine Einvernahme wegen [(offenkundig gemeint:) unbekannten] Aufenthalts nicht bewerkstelligt werden“.
[7] Das Unbekanntsein des Aufenthalts ist anhand der Bemühungen (rechtlich) zu beurteilen, die zur Ausforschung des genannten Zeugen unternommen wurden (vgl RISJustiz RS0101349). Deren Intensität richtet sich nach der Lage des Einzelfalls und variiert in Abhängigkeit von der Bedeutung des Zeugenbeweises für die Wahrheitsfindung und dem Gewicht des dem Angeklagten zur Last liegenden Vorwurfs (vgl RISJustiz RS0108361).
[8] Das Erstgericht unternahm einen Versuch, den Zeugen A*, der bulgarischer Staatsangehöriger ist, (mit internationalem Rückschein) über die von ihm bekanntgegebene Adresse in Bulgarien (ON 3.22, 1) zu laden (ON 1.32). Sonstige Verfahrensergebnisse zum Aufenthaltsort dieses Zeugen lagen zum Zeitpunkt der Verlesung seiner Deponate nicht vor.
[9]Bei A* handelt es sich um den einzigen Zeugen, der über Wahrnehmungen zu den dem Angeklagten vorliegend zur Last gelegten Bestimmungshandlungen verfügt (vgl US 5 ff). Seine Bereitschaft, „vor Gericht“ im Verfahren gegen den Angeklagten auszusagen, hatte er bei seiner Vernehmung ausdrücklich bekräftigt (ON 2.6, 7). Da das Erstgericht erst gar nicht versuchte, den (derzeitigen) Aufenthaltsort des Zeugen auszuforschen (etwa durch ein an die bulgarischen Behörden gerichtetes Rechtshilfeersuchen, gegebenenfalls auch seine europaweite Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung [vgl hiezu 15 Os 76/24a [Rz 8]), konnte – nicht zuletzt auch mit Blick auf die Schwere des Anklagevorwurfs – sein Aufenthalt nicht als unbekannt iSd § 252 Abs 1 Z 1 StPO angesehen werden (vgl RISJustiz RS0108361 [T6, T10, T21]).
[10]Von anderen „erheblichen“ Gründen iSd § 252 Abs 1 Z 1 StPO, aufgrund derer ein persönliches Erscheinen des Zeugen „füglich nicht bewerkstelligt“ werden konnte, ging das Erstgericht zu Recht nicht aus. Die Voraussetzungen für die Verlesung seiner Aussage nach § 252 Abs 1 Z 1 StPO lagen demnach – wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt – nicht vor.
[11]Zudem waren auch andere in § 252 Abs 1 StPO normierte Gründe nicht gegeben, sodass die in Rede stehende Aussage nicht hätte verlesen werden dürfen. Zufolge Verstoßes gegen § 252 Abs 1 StPO ist daher der Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO verwirklicht.
[12]Das angefochtene Urteil war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung aufzuheben, eine neue Hauptverhandlung anzuordnen und die Sache an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e StPO). Auf das weitere Beschwerdevorbringen war nicht mehr einzugehen.
[13] Mit seiner Berufung war der Beschwerdeführer auf diese Entscheidung zu verweisen.
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