Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Mag. Malesich als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. *, 2. *, und 3. *, alle vertreten durch das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger, *, Vater: *, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 23. April 2025, GZ 45 R 237/25y 40 (Spruchpunkt 2.), womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 18. Februar 2025, GZ 83 Pu 74/20g 35, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung:
[1] Der * 1967 geborene Vater ist seit 2018 zu monatlichen Unterhaltsleistungen an die Minderjährigen von je 100 EUR pro Monat gerichtlich verpflichtet.
[2]Er wurde von der Finanzbehörde (Amt für Betrugsbekämpfung) mit am 18. 12. 2023 in Rechtskraft erwachsenem Bescheid wegen Verstoßes gegen §§ 33 Abs 1, 49 Abs 1a FinStrG zu einer Geldstrafe von 28.000 EUR bzw 70 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt; er verbüßte diese Ersatzfreiheitsstrafe von 25. 12. 2024 bis 5. 3. 2025 in der Justizanstalt *.
[3] Der Vater beantragte am 31. 12. 2024, von der Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt während seiner „Strafhaft“ entbunden zu werden.
[4] Die Minderjährigenbeantragten daraufhin die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 3 UVG in Höhe der Richtsätze nach § 6 Abs 2 UVG und erklärten, der Enthebung für die Zeit zuzustimmen, in welcher diese Haftvorschüsse gewährt würden.
[5] Das Erstgericht wies den Antrag der Minderjährigen auf Gewährung von Haftvorschüssen ebenso wie den Enthebungsantrag des Vaters ab. Der Vater sei nicht aufgrund eines strafgerichtlichen, sondern aufgrund eines verwaltungsbehördlichen Verfahrens in Haft. Diese dauere nicht einmal drei Monate und überdies sei der Vater laut Hauptverbandsauszug weiterhin beschäftigt.
[6] Infolge Rekurses des Vaters bestätigte das Rekursgericht die Abweisung des Antrags auf Gewährung von Richtsatzvorschüssen (Spruchpunkt 1. zu AZ 45 R 236/25a) – was unangefochten blieb – und änderte in Spruchpunkt 2. die Entscheidung über den Antrag des Vaters auf Enthebung von seiner Unterhaltsverpflichtung dahin ab, dass es ihm von 1. 1. 2025 bis 5. 3. 2025 Folge gab. Der Vater habe während seiner „Finanzstrafhaft“ kein Einkommen bezogen und sei daher mangels Leistungsfähigkeit in dieser Zeit nicht unterhaltspflichtig gewesen. Vorbringen, warum er anzuspannen gewesen wäre, hätten die Minderjährigen weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in ihrer Rekursbeantwortung erstattet.
[7] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels Rechtsprechung zur Frage zu, ob und unter welchen Voraussetzungen bei einer „Finanzstrafhaft“ in der Dauer von zweieinhalb Monaten die Unterhaltsverpflichtung bestehe, wegfalle oder herabzusetzen sei.
[8] Mit ihrem ordentlichen Revisionsrekurs beantragen die Minderjährigen, den erstgerichtlichen Beschluss wiederherzustellen.
[9] Der Vater erstattete keine Revisionsrekursbeantwortung.
[10] Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt .
[11] 1.Vorauszuschicken ist, dass es sich schon nach der im erstinstanzlichen Verfahren völlig klaren Aktenlage bei der vom Vater verbüßten „Finanzstrafhaft“ um eine verwaltungsbehördliche Ersatzfreiheitsstrafe im Sinne des § 20 FinStrG handelte.
[12] Die Rechtsmittelwerber weisen zutreffend darauf ebenso wie auf den Umstand hin, dass der Vater selbst in seinem Rekurs hervorgehoben hatte, eine Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüßen.
[13] 2.Eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen auf tatsächlich nicht erzieltes, aber erzielbares Einkommen hat zu erfolgen, wenn den Unterhaltsschuldner ein Verschulden daran trifft, dass er – anders als ein pflichtgetreuer Elternteil (vgl RS0047421) – keine seinen persönlichen Fähigkeiten und seiner Arbeitskraft entsprechende Erwerbstätigkeit ausübt (vgl RS0047495; RS0047686; RS0047511).
[14]Zwar findet bei Verbüßung einer (wie hier nicht nur ganz kurzfristigen) Haft der Anspannungsgrundsatz keine Anwendung (RS0047622; RS0111945; vgl auch RS0095108), sofern ein Einkommenserwerb wegen der Haft unmöglich und kein Vermögen des Unterhaltsschuldners vorhanden ist, das zur Deckung des angemessenen Unterhalts anzugreifen wäre (3 Ob 65/15b mwN; 8 Ob 78/15a; vgl auch RS0047414; RS0113786 [T3]).
[15] Ob diese Negativvoraussetzungen vorliegen, kann indes noch nicht beurteilt werden.
[16] 3.Nach § 179 Abs 1 FinStrG gelten die Bestimmungen für den Vollzug von Freiheitsstrafen auch für den Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafen. Nach § 179 Abs 3 FinStrG hat der Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe zu unterbleiben, wenn der Bestrafte in seinerFreizeit gemeinnützige Leistungen (§ 3a StVG) bei einer geeigneten Einrichtung (§ 202 StPO) erbringt, mit der er das Einvernehmen herzustellen hat, wobei der Zeitraum für die Erbringung dieser Leistungen nicht länger bemessen werden darf, als der Verurteilte bei wöchentlich zehn Arbeitsstunden benötigen würde; vier Stunden gemeinnütziger Leistungen entsprechen dabei einem Tag der Freiheitsstrafe (vgl § 3a Abs 1 StVG). Über diese Möglichkeit ist der Bestrafte in der Aufforderung zum Strafantritt zu informieren, wobei ihm auch das Ausmaß der zu erbringenden gemeinnützigen Leistungen mitzuteilen ist. § 3a Abs 1 bis 4 StVG und § 29b BewHG sind mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an Stelle des Gerichts die Finanzstrafbehörde tritt (§ 179 Abs 3 FinStrG).
[17] 4.1. Der vom Vater als einziger ins Treffen geführte, seiner Unterhaltserbringung entgegenstehende Umstand der Verbüßung einer finanzbehördlichen Ersatzfreiheitsstrafe lässt für sich noch nicht erkennen, ob er unverschuldet nicht in der Lage gewesen wäre, seiner Unterhaltspflicht nachzukommen.
[18] Zwar lässt der Umstand, dass ihm eine Ersatzfreiheitsstrafe auferlegt wurde, den Schluss zu, dass die Uneinbringlichkeit der Geldstrafe feststand oder zumindest äußerst wahrscheinlich war. Dies setzt die vorangehende Klärung durch Vollstreckungsversuch oder Erhebungen der Behörde voraus, dass der Bestrafte zur Leistung der Geldstrafe wirtschaftlich außerstande war ( Schmitt in Köck/Judmaier/Kalcher/Schmitt, FinStrG I 6 [2024] § 20 Rz 6 ; Judmaier in Köck/Judmaier/Kalcher/Schmitt, FinStrG II 5 [2021] § 179 Rz 7 ; Sautter in Althuber/Spornberger, FinStrG § 20 [2023] Rz 15 ; Seiler/Seiler, FinStrG 6 [2024] § 20 Rz 2 und § 179 Rz 3 ; alle mwN).
[19] Allerdings hätte das Gesetz dem Vater die Möglichkeit eingeräumt, den Strafvollzug zu vermeiden, indem er in seiner Freizeit gemeinnützige Leistungen für zehn Stunden pro Woche – für eine Dauer von 28 Wochen – erbringen, so weiter eine Erwerbstätigkeit ausüben und seinen Unterhaltsverpflichtungen nachkommen hätte können.
[20] 4.2.Nach § 14 AußStrG sind die Bestimmungen der ZPO über die Anleitungs- und Belehrungspflicht anzuwenden. Darüber hinaus hat das Gericht die Parteien, die nicht durch einen Rechtsanwalt oder Notar vertreten sind, über die bei dem Gegenstand des Verfahrens in Betracht kommenden besonderen Vorbringen und Beweisanbote zu belehren, die der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienen können, und sie zur Vornahme der sich anbietenden derartigen Verfahrenshandlungen anzuleiten. Dies ist hier unterblieben.
[21] 5. Die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen war daher unvermeidlich. Das Erstgericht wird Erörterungen zu pflegen und ausreichende Feststellungen zur Frage zu treffen haben, ob der Vater trotz Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe auf ein Einkommen anzuspannen gewesen wäre, das ihm die Leistung von Unterhalt an die Minderjährigen ermöglicht hätte.
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