Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*, vertreten durch Prutsch Lang Damitner Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei Dr. P*, vertreten durch Mag. Gregor Kohlbacher, Rechtsanwalt in Graz, wegen 56.068,89 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 15. Februar 2024, GZ 2 R 1/24w 53, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 2. November 2023, GZ 45 Cg 51/23b 46, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Berufungsentscheidung, die in ihrem aufhebenden Teil als in Rechtskraft erwachsen unberührt bleibt, wird im Umfang der Abänderung des Ersturteils aufgehoben und die Rechtssache wird insoweit an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der Kläger litt seit etwa 2009 oder 2010 unter Schmerzen im Bereich der unteren Wirbelsäule, die zunächst nur mittels Physiotherapie, Muskeltraining und Schmerzmitteln behandelt wurden. Im September 2020 suchte er erstmals die Ordination des Beklagten auf. Dieser nahm beim Kläger zunächst am 1. Oktober 2020 eine minimal invasive symptomatische Schmerzbehandlung (Facetten-gelenksdenervation) vor, wodurch sich die Schmerz-symptomatik nur vorübergehend besserte. Daraufhin nahm der Beklagte bei ihm am 11. März 2021 eine minimal invasive Thermoablation (Schmerzbehandlung) vor, die wiederum nur zu einer kurzfristigen Besserung der Beschwerden führte.
[2] Im Hinblick darauf riet der Beklagte dem Kläger schließlich zu einer am 7. April 2021 durchgeführten endoskopischen Bandscheibenoperation; dabei handelt es sich um eine Kausaltherapie, also eine Behandlung, die die Krankheitsursache beheben sollte. Nach dieser Operation kam es schicksalhaft zu einer schweren retroperitonealen Nachblutung (aufgrund der im Rahmen der Operation durch chirurgische Manipulation erfolgten Verletzung eines verhältnismäßig kleinen Muskelastes), die den Transfer des Klägers in ein Krankenhaus und eine akute Revisionsoperation am 8. April 2021 erforderlich machte.
[3] Sämtliche Behandlungen des Klägers durch den Beklagten entsprachen dem damaligen Stand der medizinischen Wissenschaft und wurden auch lege artis empfohlen und durchgeführt.
[4] Die Operation vom 7. April 2021 brachte keinen Erfolg im Sinn einer Behebung oder Besserung der Beschwerden des Klägers; vielmehr leidet er seither zusätzlich an plötzlich auftretenden Schmerzen und Sensibilitätsstörungen im linken Bein bis hin zum großen Zeh. Diese Beschwerden sind auf die Verwirklichung eines allgemeinen Operationsrisikos (intraoperative Verletzung, vorliegendes Restbandscheibengewebe und Narbe) zurückzuführen.
[5] Vor der Operation vom 7. April 2021 fand in der Ordination des Beklagten am 12. März 2021 ein Aufklärungsgespräch mit dem Kläger statt. Dabei erklärte der Beklagte, dass es bei der Operation zu Blutungen und Nervenverletzungen sowie damit einhergehenden Lähmungen kommen könne. Es wurde nicht explizit darüber gesprochen, dass sich die Beschwerden des Klägers durch die Operation auch verschlechtern können bzw ein Erfolg ausbleiben kann. Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, über welche konkreten Behandlungsalternativen, Risiken oder Komplikationen gesprochen wurde. Der Kläger unterschrieb den ihm am Operationstag vorgelegten und von ihm gelesenen Aufklärungsbogen (in dem es ua heißt, dass ein Operationserfolg nicht garantiert werden kann, und dass es auch zum erneuten Auftreten ähnlicher Störungen, zB Schmerzen und Taubheitsgefühl im Bein, oder gar zu einer Verschlechterung des Zustands im Vergleich zu jenem vor der Operation kommen kann).
Der Kläger hätte sich auch bei expliziter, persönlich durch den Beklagten erfolgter Aufklärung über das mögliche Risiko der tatsächlich verwirklichten Komplikation und des sich daraus ergebenden Verlaufs für die Durchführung der Operation entschieden, weil er auf den ärztlichen Rat des Beklagten vertraute.
[6] Der Kläger begehrt Schadenersatz und die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Folgen der drei Eingriffe. Dem Beklagten seien Behandlungsfehler unterlaufen, und er habe den Kläger nicht ordnungsgemäß aufgeklärt. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte der Kläger (insbesondere) in die Operation vom 7. April 2021 keinesfalls eingewilligt.
[7] Der Beklagte bestritt das gesamte Vorbringen des Klägers und wendete im Wesentlichen ein, er sei lege artis vorgegangen.
[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Behandlung durch den Beklagten sei lege artis erfolgt. Der Beklagte habe den Kläger zwar nicht ausreichend genau über die Risiken der beiden ersten Eingriffe aufgeklärt, bei der dritten Operation habe der Kläger jedoch bereits mit dem Risiko der Möglichkeit eines ausbleibenden Operationserfolgs rechnen müssen. Abgesehen davon stehe ohnehin (im Sinn des rechtmäßigen Alternativverhaltens) fest, dass der Kläger auch bei umfassender(er) Aufklärung in sämtliche Eingriffe eingewilligt hätte.
[9] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in ein Teilzwischenurteil über das Zahlungsbegehren ab und hob es (ohne Rechtskraftvorbehalt) im Umfang der Entscheidung über das Feststellungsbegehren zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die ordentliche Revision ließ es mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.
[10] Das Berufungsgericht übernahm die oben kursiv gedruckt wiedergegebene, vom Kläger bekämpfte Feststellung als (vermeintlich) überschießend nicht und führte rechtlich aus, dass die Aufklärung durch den Beklagten (auch) hinsichtlich der Operation vom 7. April 2021 nicht ausreichend gewesen und der Eingriff daher rechtswidrig erfolgt sei.
[11] In seiner außerordentlichen Revision macht der Beklagte insbesondere geltend, es liege kein überschießendes Beweisergebnis vor, weil die diesbezügliche Behauptung des Klägers von ihm bestritten und das Gegenteil unter Beweis gestellt worden sei. Bezüglich des rechtmäßigen Alternativverhaltens sei er seiner Beweislast nachgekommen.
[12] Der Kläger beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung , die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
[13] Die Revision ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt .
[14]1. Überschießend und daher nicht zu berücksichtigen sind Feststellungen, die im Parteivorbringen keinerlei Grundlage finden (RS0037972 [T14]). Bei der Beurteilung, ob es sich um eine unzulässige überschießende Feststellung handelt, ist nicht darauf abzustellen, ob sich der vom Erstgericht getroffene Sachverhalt wörtlich mit den Parteienbehauptungen deckt, sondern nur zu prüfen, ob sich die Feststellungen im Rahmen des geltend gemachten Klagsgrundes oder der erhobenen Einwendungen halten (RS0037972 [T22]; RS0040318).
[15]2. Für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht trifft den beklagten Arzt die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zu der ärztlichen Maßnahme erteilt hätte (RS0108185 [T2]). Der Patient ist nicht beweispflichtig für den Umstand, dass er dem Eingriff bei ordentlicher Aufklärung nicht zugestimmt hätte; insofern trifft die Behauptungsund Beweislast einer Einwilligung des Patienten selbst im Fall einer vollständigen Aufklärung den Beklagten (vgl RS0038485 [T10]).
[16] 3. Dem Berufungsgericht ist dahin zuzustimmen, dass der Beklagte kein eigenes Vorbringen zum Thema rechtmäßiges Alternativverhalten erstattet hat. Allerdings hat der Kläger ein entsprechendes (wenn auch zur getroffenen Feststellung gegenläufiges) Vorbringen erstattet, dessen Richtigkeit der Beklagte bestritten hat.
[17]4. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die den Beklagten begünstigende Feststellung zur Frage des rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht bereits deshalb überschießend, weil nicht der Beklagte, sondern – nur, aber immerhin – der Kläger Vorbringen zu diesem Thema erstattet hat. Enthält aber das Prozessvorbringen des Klägers ein entsprechendes Tatsachensubstrat, sind die darauf beruhenden Feststellungen trotz fehlenden ausdrücklichen Einwands des Beklagten für die rechtliche Beurteilung unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens beachtlich (vgl ). Für den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens reicht es ja aus, dass der beklagte Arzt vorbringt, der Kläger hätte – für den Fall, dass das Gericht davon ausgehen sollte, dass die Aufklärung nicht ausreichend war – selbst bei umfassender Aufklärung in die Operation eingewilligt. Da der Kläger das Gegenteil bereits in der Klage behauptet hatte, genügte es, dass der Beklagte (auch) dieses Vorbringen bestritt.
[18] 5. Es kommt daher entscheidend auf die vom Erstgericht getroffene Feststellung zur hypothetischen Einwilligung des Klägers an. Das Berufungsgericht wird deshalb im fortgesetzten Verfahren die sich darauf beziehende Beweisrüge des Klägers zu erledigen und anschließend neuerlich zu entscheiden haben.
[19]6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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