GZ: 2025-0.117.456 vom 26. September 2025 (Verfahrenszahl: DSB-D124.2734/24)
[Anmerkung Bearbeiter/in: Namen und Firmen, Rechtsformen und Produktbezeichnungen, Adressen (inkl. URLs, IP- und E-Mail-Adressen), Aktenzahlen (und dergleichen), statistische Angaben etc., sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Pseudonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]
BESCHEID
SPRUCH
Die Datenschutzbehörde entscheidet über die Datenschutzbeschwerde von Doris A*** (beschwerdeführende Partei) vom 5. Dezember 2024 gegen Dr. Werner N*** (beschwerdegegnerische Partei) wegen einer behaupteten Verletzung in den Rechten auf 1) Information, 2) Auskunft und 3) Geheimhaltung wie folgt:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen .
2. Der Antrag auf Verhängung einer Geldbuße wird zurückgewiesen .
Rechtsgrundlagen : §§ 1 und 24 des Datenschutzgesetzes (DSG), BGBl. I Nr. 165/1999 idgF; Art. 55 Abs. 3 und Art. 77 der Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung, im Folgenden: DSGVO), ABl. Nr. L 119 vom 4.5.2016 S. 1; §§ 80 ff der Insolvenzordnung (IO), RGBl. Nr. 337/1914.
BEGRÜNDUNG
A. Vorbringen der Parteien, Verfahrensgang und Feststellungen
Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens wird folgender Sachverhalt festgestellt:
1. Die Beschwerdeführerin ist die Ehefrau von Ing. Moritz A***, über dessen Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
2. Der Beschwerdegegner ist der gerichtlich bestellte Insolvenzverwalter in diesem Verfahren.
3. In diesem Zusammenhang wurden ihm aufgrund der verhängten Postsperre gesammelt Briefsendungen übermittelt, welche nicht nur an den Ehemann der Beschwerdeführerin, sondern teilweise auch an die Beschwerdeführerin gerichtet waren. Einige dieser Briefsendungen wurden vom Beschwerdegegner versehentlich geöffnet und im Anschluss an den Ehemann der Beschwerdeführerin weitergeleitet.
4. Darüber hinaus hat der Beschwerdegegner über FinanzOnline eine Einheitswertabfrage zu einer Liegenschaft durchgeführt, die im Hälfteeigentum ihres Mannes und im Hälfteeigentum der Beschwerdeführerin steht.
5. Die Beschwerdeführerin hat am 6. November 2023 ein Auskunftsbegehren an den Beschwerdegegner gerichtet, welches dieser am 6. Dezember 2023 unvollständig beantwortete.
Beweiswürdigung : Die Feststellungen ergeben sich aus dem Vorbringen der Verfahrensparteien in ihren Stellungnahmen.
B. Beschwerdegegenstand
Beschwerdegegenstand ist die Frage, ob der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin durch die Öffnung der die Beschwerdeführerin betreffenden Briefe und Weiterleitung der Briefe an den Ehemann, durch die Einheitswertabfrage zu einem Grundstück, das im Hälfteeigentum der Beschwerdeführerin steht, sowie die Auskunftserteilung vom 6. Dezember 2023 in ihren Rechten auf Geheimhaltung, Information und Auskunft verletzt hat.
Zuvor ist aber zu prüfen, ob die Datenschutzbehörde zur inhaltlichen Entscheidung berufen ist.
C. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
Zu Spruchpunkt 1:
1. Gemäß Art. 55 Abs. 3 DSGVO sind die Aufsichtsbehörden nicht zuständig für die Aufsicht über die von Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit vorgenommenen Verarbeitungen.
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Art. 55 Abs. 3 DSGVO so auszulegen, dass die von Gerichten „im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit“ vorgenommenen Verarbeitungen nicht auf die Verarbeitung personenbezogener Daten beschränkt ist, die von den Gerichten im Rahmen konkreter Rechtssachen durchgeführt wird, sondern in weiterem Sinn alle Verarbeitungsvorgänge erfasst, die von den Gerichten im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeiten vorgenommen werden, so dass Verarbeitungsvorgänge von der Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde ausgeschlossen sind, deren Kontrolle durch diese Behörde mittelbar oder unmittelbar die Unabhängigkeit der Mitglieder oder der Entscheidungen der Gerichte beeinflussen könnte. Art und Ziel der Verarbeitung, die durch ein Gericht erfolgt, stehen insoweit zwar in erster Linie mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit dieser Verarbeitung in Verbindung, können jedoch Hinweise darauf darstellen, dass die Verarbeitung durch dieses Gericht zu seiner „justiziellen Tätigkeit“ gehört (Urteil vom 24. März 2022, C-245/20, Rz 34 und 35).
2. Nach der Rechtsprechung des VwGH stellen die Tätigkeiten von Exekutionsorganen, die im Rahmen eines Exekutionsverfahrens als Gerichtspolizei im engeren Sinn tätig werden und welche unter der Aufsicht und der Leitung des zuständigen Exekutionsgerichts handeln, justizielle Tätigkeiten eines Gerichts dar und fallen somit unter Art. 55 Abs. 3 DSGVO (Erkenntnis vom 1. Februar 2024, Ra 2021/04/008 mwN).
3. Gemäß § 80 Abs. 1 IO wird der Insolvenzverwalter vom Insolvenzgericht bestellt.
Nach § 84 Abs. 1 und 2 IO hat das Insolvenzgericht die Tätigkeit des Insolvenzverwalters zu überwachen. Es kann ihm schriftlich oder mündlich Weisungen erteilen, Berichte und Aufklärungen einholen, Rechnungen oder sonstige Schriftstücke einsehen und die erforderlichen Erhebungen vornehmen. Das Gericht kann anordnen, dass der Insolvenzverwalter über bestimmte Fragen Weisungen des Gläubigerausschusses einholt. Kommt der Insolvenzverwalter seinen Obliegenheiten nicht oder nicht rechtzeitig nach, so kann ihn das Gericht zur pünktlichen Erfüllung seiner Pflichten durch Geldstrafen anhalten und in dringenden Fällen auf seine Kosten und Gefahr zur Besorgung einzelner Geschäfte einen besonderen Verwalter bestellen.
Nach der Rechtsprechung des OGH erfasst die Überwachungspflicht des Insolvenzgerichts alle Tätigkeitsbereiche des Insolvenzverwalters. Auch die Weisungsbefugnis des Insolvenzgerichts ist zumindest grundsätzlich umfassend. Die Überwachungs- und Weisungsbefugnis des Insolvenzgerichts ist nicht auf den „operativen Bereich der Insolvenzverwaltertätigkeit“ beschränkt. Dem Gericht ist es z.B. auch möglich, im Fall der Säumnis eines Insolvenzverwalters mit dem Abschluss des Verfahrens, insbesondere mit der Vorlage von Schlussrechnung und Verteilungsentwurf, eine Weisung zu erteilen (RIS RS0133768).
4. Die Datenschutzbehörde geht - der oben genannten Rechtsprechung des EuGH, des VwGH und des OGH folgend - davon aus, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten eines bestellten Insolvenzverwalters in Ausübung seiner Funktion als justizielle Tätigkeiten eines Gerichts anzusehen sind.
Dies zunächst deshalb, da gemäß der oben zitierten Rechtsprechung dem Begriff „justizielle Tätigkeit“ ein weites Verständnis zugrundzulegen ist. Auch kann nicht gesagt werden, dass ein Insolvenzverwalter völlig losgelöst vom Insolvenzgericht und eigenständig handelt.
Es ist das Gegenteil der Fall:
Der Insolvenzverwalter wird vom Insolvenzgericht bestellt und umfassend überwacht. Er hat weiters im gerichtlichen Auftrag Handlungen zu setzen, die der Befriedigung der Forderungen der Gläubiger dienen.
Insofern ist eine Vergleichbarkeit zu § 16 Abs. 2 EO gegeben, wonach der Vollzug der Exekution entweder unmittelbar durch die Zivilgerichte oder durch Vollstreckungsorgane oder durch einen Verwalter bewirkt wird; welche dabei im Auftrage und unter Leitung des Gerichtes handeln .
Zu § 16 Abs. 2 EO hat der VwGH im oben zitierten Erkenntnis ausdrücklich ausgesprochen, dass sich „schon daraus ergibt, dass es sich bei den beauftragten Vollstreckungshandlungen jedenfalls um justizielle Tätigkeit handelt“ (siehe nochmals das Erkenntnis vom 1. Februar 2024, Rz 23).
Daran ändert nichts, dass der Beschwerdegegner lediglich im Hinblick auf das Insolvenzverfahren des Ehemannes der Beschwerdeführerin als gerichtlich bestelltes Organ tätig wurde, da weder vorgebracht noch nachgewiesen wurde, dass die vom Beschwerdegegner gesetzten Handlungen - auch wenn sie die Beschwerdeführerin betrafen - keinen inhaltlichen Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren aufwiesen.
Zwar greift die so genannte „Postsperre“ nach § 78 IO nur im Hinblick auf Sendungen, die den Schuldner betreffen . Allerdings kann es dem Beschwerdegegner nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn die zuständige Postfiliale diesbezüglich keine Unterscheidungen trifft und somit sämtliche Sendungen , die an die Wohnadresse des Ehemannes der Beschwerdeführerin - und damit auch an ihre Wohnadresse - gerichtet sind und welche ggf. an die Beschwerdeführerin adressiert sind, ohne weitere Unterscheidung dem Beschwerdegegner zustellt.
Nach der Rechtsprechung des VwGH bezieht sich die Postsperre nämlich nicht nur auf Sendungen, die das Konkursverfahren betreffen, weil das Gesetz dem Zustellorgan nicht die Prüfung zumutet, ob Sendungen die Masse berühren (VwSlg. 7978 F/2004).
Wenn aber selbst einem Zustellorgan diese Unterscheidung nicht zugemutet werden kann, muss dies im konkreten Fall ebenso für den bestellten Insolvenzverwalter gelten, zumal auch seitens der Beschwerdeführerin nicht behauptet wurde, dass die sie betreffenden Postsendungen vom Beschwerdeführer vorsätzlich - dh in Kenntnis dessen, dass sie nicht den Schuldner oder die Masse betrafen - geöffnet wurden.
Soweit es die Einheitswertabfrage betrifft, ist - wie festgestellt - die Beschwerdeführerin neben ihrem Ehemann Hälfteeigentümerin des Grundstücks. Ein inhaltlicher Zusammenhang zum Insolvenzverfahren ist somit gegeben.
Die Datenschutzbehörde kommt daher zum Ergebnis, dass die vom Beschwerdegegner in seiner Eigenschaft als gerichtlich bestellter Insolvenzverwalter gesetzten Handlungen justizielle Tätigkeiten eines Gerichts darstellen und daher unter Art. 55 Abs. 3 DSGVO fallen, was die Unzuständigkeit der Datenschutzbehörde zur Folge hat.
Der Rechtsschutz richtet sich diesbezüglich nach §§ 84 und 85 des Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG).
Zu Spruchpunkt 2:
Da die Datenschutzbehörde zur Behandlung der gegenständlichen Beschwerde unzuständig ist, ist sie auch zur Verhängung einer Geldbuße nach Art. 83 DSGVO unzuständig.
Abgesehen davon besteht kein subjektives Recht auf Verhängung einer Geldbuße (siehe dazu bspw. den Bescheid vom 19. Oktober 2021, 2021-0.717.031) sowie auf Verhängung einer ganz bestimmten Abhilfemaßnahme nach Art. 58 Abs. 2 DSGVO im Allgemeinen (EuGH, Urteil vom 26. September 2024, C 768/21).
Rückverweise