IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SCHERZ als Vorsitzende und durch die Richterin Mag. TAURER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. HALBAUER als Beisitzende über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich (SMS), vom 03.07.2025, OB: XXXX , betreffend die Abweisung der beantragten Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 42 und 47 des Bundesbehindertengesetzes (BBG) iVm § 1 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen idgF als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
In einem Verfahren nach dem Familienlastenausgleichsgesetz wurde aufgrund eines Sachverständigengutachtens vom 16.05.2022 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 vH festgestellt.
Am 17.12.2024 beantragte der Beschwerdeführer die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung (StVO) und legte ein Konvolut an medizinischen Unterlagen vor.
Aufgrund des gegenständlichen Antrages des Beschwerdeführers wurde ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 14.04.2025, basierend auf einer Untersuchung des Beschwerdeführers am 11.04.2025, eingeholt.
Dieses Gutachten lautet auszugsweise wie folgt:
„[…] Anamnese:
FLAG-Gutachten vom 13.05.2022: GdB: 50% bei Epilepsie
Antrag auf BP und Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel"
Seit 2019 ist eine Epilepsie bekannt, (Verdacht auf fokale Epilepsie) außerdem umschriebene Entwicklungsstörung
Derzeitige Beschwerden:
laut Mutter Gedächtnisstörung, merkt sich wenig, ausgeprägte Wahrnehmungsstörung, oft orientierungslos, letztes Anfallsgeschehen kann nicht sicher angegeben werden
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Ospolot 50mg 2-0-2, Depakine chrono ret. 250mg 1-0-1, Frisium 10mg 0-0-1, Fortecortin-Stoßtherapie+Nexium, Ergotherapie
Sozialanamnese:
besucht 2. Schulstufe ASO
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
01.03.2023 Klinisch-Psychologischer Befund: Bezogen auf die Befunde aus den Testverfahren, den Fremdbeurteilungsfragebögen, der Exploration und der Verhaltensbeobachtung zeigte sich bei einem unterdurchschnittlichen Intelligenzquotienten eine kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung (F83 - Motorik, Kognition),
nachgereichter Befund KH XXXX , Anfallsambulanz vom 11.04.2025: Diganos bzw. Verdachtsdiagnose: fokale Epilepsie, Anlass der Vorstellung: Aufgrund der unzureichend gegen die bisherigen Dreifachkombination der antiepileptischen Therapie, der hohen spike wave Aktivität mit Generalisierung in der Nacht sowie Regression der kognitiven Leistung wird nun eine Cortisonstoßtherapie begonnen.
14.01.2025 Klinisch-Psychologischer Befund, Zusammenfassung: Unterdurchschnittliches Intelligenzniveau (IQ: 73), dies stellt aber keine Intelligenzminderung im klinischen Sinn dar, umschriebene Entwicklungsstörung der Grob- und Feinmotorik
31.01.2025 Schulnachricht ASO XXXX , 2. Klasse: Nicht genügend in Deutsch und Mathematik
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: gut, Ernährungszustand: gut, Größe: 125,00 cm, Gewicht: 24,00 kg
Klinischer Status – Fachstatus:
8-jähriger Bub kommt gehend in Begleitung seiner Mutter in meine Ordination, HNO bland, Pulmo sauber, Herztöne rein, Abdomen unauffällig
Gesamtmobilität – Gangbild:
Extremitäten frei beweglich, das Gangbild frei
Status Psychicus:
gut kontaktierbar, kooperativ und freundlich
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
[…]
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten: Im Vergleich zum FLAG-Gutachten von 05/2022 Leiden 1 gleichbleibend
Änderung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zu Vorgutachten:
[…] Nachuntersuchung 04/2027 – Evaluierung der Entwicklung
Aufgrund der vorliegenden funktionellen Einschränkungen liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme nachstehender Zusatzeintragungen vor:
[…] Der/Die Untersuchte […] ist Epileptikerin oder Epileptiker […]
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Keine, die kognitiven Defizite bestehen nicht in einem Ausmaß, welches die Orientierung und Gefahrenabschätzung im öffentlichen Raum in erheblichem Maße erschweren würde, auch handelt es sich nicht um eine anhaltend therapierefraktäre Form der Epilepsie, sodass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt ein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten?
Nein […]“
Am 20.05.2025 wurden ein Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt betreffend die Zuerkennung von Pflegegeld der Stufe 1 vom 27.03.2025 und ein Gutachten zum Pflegegeld vom 13.03.2025 vorgelegt.
Aufgrund des Pflegegeldgutachtens wurde eine Stellungnahme der befassten Ärztin für Allgemeinmedizin vom 28.05.2025 eingeholt, die auszugsweise lautet wie folgt:
„[…] Stellungnahme zum Gutachten vom 11.04.2025 bezüglich Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel", es wird ein Pflegegeldgutachten vom 13.03.2025 nachgereicht: Dg.: Entwicklungsrückstand, ESES (nicht sichtbare epileptische Anfälle), Lernbehinderung, Artikulationsstörung, Status: psychopathologisch: Bewusstseinsstörungen: nicht vorhanden, Orientierung, Auffassung, Konzentration, Gedächtnis, Merkfähigkeit: aufgrund der Artikulationsstörung nicht im Detail überprüfbar, jedoch störungsimmanent herabgesetzt, pathologische Ängste: nicht explorierbar, Zwänge: nicht explorierbar, Stimmung: euthym, Affekt: ausgeglichen, Affizierbarkeit: in beiden Skalenbereichen vorhanden, Antrieb: erhalten, Schlaf: unauffällig, Soziales Verhalten: unauffällig, Selbstgefährdung: explorierbar, Fremdgefährdung: nicht explorierbar, Gesamtbeurteilung: Der 8 Jahre und 1 Monat alte XXXX benötigt aufgrund des Entwicklungsrückstandes Unterstützung bei der täglichen und erweiterten Körperpflege, Teilhilfe beim An- und Auskleiden (Herrichten der Kleidung). Medikamente müssen verabreicht werden. Er benötigt Mobilitätshilfe im weiteren Sinne. Dies ergibt einen Pflegebedarf von 68 Stunden pro Monat und somit Pflegestufe 1.
Es besteht keine Einschränkung der Mobilität. Der sichere Transport, das Ein- und Aussteigen sowie das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke ist möglich. Trotz der Entwicklungsstörung ist eine Teilhabe am öffentlichen Leben möglich und somit besteht auch keine Einschränkung in Bezug auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Das Erfordernis einer Begleitperson kann aufgrund von Orientierungsmangel und kognitiven Einschränkungen begründet werden. […]“
Im Rahmen des gewährten Parteiengehörs gab der Beschwerdeführer keine Stellungnahme ab.
Mit Bescheid des SMS vom 03.07.2025 wurde der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Begründend wurde auf das eingeholte Gutachten verwiesen, nach dem die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorlägen.
Im Rahmen der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde wurde vorgebracht, dass es für den Beschwerdeführer nicht zumutbar sei, ein öffentliches Verkehrsmittel ohne Begleitperson zu nutzen. Es sei bei der Begutachtung nicht auf die tatsächliche Ursache einer Unzumutbarkeit eingegangen worden. Gebeten werde daher um erneute Evaluierung.
Das SMS legte am 21.08.2025 dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor. Diese langten am 22.08.2025 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer ist im Besitz eines bis 30.04.2027 befristeten Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung in der Höhe von 50 vH und den Zusatzeintragungen „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist Epileptiker/Epileptikerin“, „Der Inhaber/die Inhaberin kann die Fahrpreisermäßigung nach dem Bundesbehindertengesetz in Anspruch nehmen“ und „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“.
1.2. Dem Beschwerdeführer ist die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
1.2.1. Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung(en):
Beschwerderelevanter Status:
Klinischer Status – Fachstatus:
8-jähriger Bub kommt gehend in Begleitung seiner Mutter in meine Ordination, HNO bland, Pulmo sauber, Herztöne rein, Abdomen unauffällig
Gesamtmobilität – Gangbild: Extremitäten frei beweglich, das Gangbild frei
Status Psychicus: gut kontaktierbar, kooperativ und freundlich
Funktionseinschränkung: Epilepsie und kombinierte umschriebene Entwicklungsstörung
1.2.2. Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Die festgestellte Funktionseinschränkung wirkt sich nicht in erheblichem Ausmaß negativ auf die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel aus.
Beim Beschwerdeführer besteht keine Einschränkung der Mobilität. Der sichere Transport, das Ein- und Aussteigen sowie das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke sind möglich. Trotz der Entwicklungsstörung ist eine Teilhabe am öffentlichen Leben möglich und somit besteht auch keine Einschränkung in Bezug auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Das Erfordernis einer Begleitperson kann aufgrund von Orientierungsmangel und kognitiven Einschränkungen begründet werden. Die kognitiven Defizite bestehen nicht in einem Ausmaß, welches die Orientierung und Gefahrenabschätzung im öffentlichen Raum in erheblichen Maße erschweren würde, auch handelt es sich nicht um eine anhaltend therapierefraktäre Form der Epilepsie, sodass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist.
Beim Beschwerdeführer liegen keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten und Funktionen vor, die das Zurücklegen einer angemessenen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen oder die Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel beeinträchtigen.
Relevante Einschränkungen von Sinnesfunktionen konnten nicht festgestellt werden.
Es ist keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden.
2. Beweiswürdigung:
Zur Klärung des Sachverhaltes hatte die belangte Behörde zunächst ein Gutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 14.04.2025, basierend auf einer Untersuchung des Beschwerdeführers am 11.04.2025, eingeholt. Darin wurde unter Berücksichtigung der festgestellten Funktionsbeeinträchtigung „Epilepsie und kombinierte umschriebene Persönlichkeitsstörung“ kein Hindernis für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt. Im Vergleich zum Gutachten nach dem Familienlastenausgleichsgesetz von Mai 2022 war das Leiden gleichbleibend.
Nach Vorlage des Gutachtens und des Bescheides der Pensionsversicherungsanstalt bezüglich der Zuerkennung von Pflegegeld holte das SMS ergänzend eine Stellungnahme der befassten Gutachterin ein, die bei ihrer Einschätzung blieb und darlegte, dass beim Beschwerdeführer keine Einschränkung der Mobilität vorliege. Der sichere Transport, das Ein- und Aussteigen sowie das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke seien möglich. Trotz der Entwicklungsstörung sei eine Teilhabe am öffentlichen Leben möglich, weswegen auch keine Einschränkung in Bezug auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bestehe. Bereits im Gutachten vom 14.04.2025 beschrieb die Gutachterin den Beschwerdeführer als gut kontaktierbar, kooperativ und freundlich und gab an, dass die kognitiven Defizite nicht in einem Ausmaß bestünden, dass die Orientierung und Gefahrenabschätzung im öffentlichen Raum in erheblichen Maße erschweren würde.
Weiters geht aus dem Gutachten nachvollziehbar hervor, dass beim Beschwerdeführer kein Immundefekt vorliegt, im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten. Ein derartiger Defekt wurde auch nicht vorgebracht.
Relevante Einschränkungen von Sinnesfunktionen gehen aus dem Gutachten ebenso nicht hervor.
In der Beschwerde wird vorgebracht, dass es dem Beschwerdeführer nicht zumutbar sei, ein öffentliches Verkehrsmittel ohne Begleitperson zu benutzen, sowie dass bei der Begutachtung nicht auf die tatsächliche Ursache einer Unzumutbarkeit eingegangen worden sei. Dem Vorbringen bezüglich der Begleitperson ist entgegenzuhalten, dass der Behindertenpass des Beschwerdeführers laut einliegendem Datenstammblatt im Akt neben den Zusatzeintragungen „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist Epileptiker/Epileptikerin“ und „Der Inhaber/die Inhaberin kann die Fahrpreisermäßigung nach dem Bundesbehindertengesetz in Anspruch nehmen“ auch die Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson“ enthält. Wenn daher vorgebracht wird, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ohne Begleitperson nicht zumutbar sei, ist auf die Zusatzeintragung im Behindertenpass zu verweisen. Auch die befasste Gutachterin legte dar, dass das Erfordernis einer Begleitperson aufgrund des Orientierungsmangels und kognitiven Einschränkungen begründet werden könne, weswegen die Zusatzeintragung auch vorgenommen wurde.
Betreffend das pauschale Vorbringen, dass nicht auf die tatsächliche Ursache einer Unzumutbarkeit eingegangen worden sei, ist auf das Gutachten und die Stellungnahme zu verweisen. Die befasste Gutachterin untersuchte den Beschwerdeführer persönlich und berücksichtigte in dem Gutachten und der Stellungnahme alle vorliegenden medizinischen Unterlagen. Nach Durchsicht des Pflegegeldbescheides und des dazugehörigen Gutachtens verfasste die Gutachterin eine Stellungnahme, in der sie insofern ihre Einschätzung abändert, als nunmehr das Erfordernis einer Begleitperson mit dem Orientierungsmangel und den kognitiven Einschränkungen begründet wurde. Es ist nicht nachvollziehbar, inwiefern daher bei der Begutachtung nicht auf die tatsächliche Ursache einer Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel eingegangen worden hätte sein sollen. Die Gutachterin berücksichtigte die bestehende Funktionseinschränkung des Beschwerdeführers und legte vor diesem Hintergrund nachvollziehbar dar, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel trotz der Entwicklungsstörung zumutbar ist und keine Einschränkung der Mobilität vorliegt.
Es liegt kein geeignetes Vorbringen vor, das Ergebnis des Gutachtens samt Stellungnahme in Zweifel zu ziehen. Darin wurden die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen in Gesamtbetrachtung daher keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten. Diese wurden daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG).
Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3), der Behindertenpass gemäß § 43 Abs. 1 oder der Parkausweis für Menschen mit Behinderungen gemäß § 43 Abs. 1a eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu (§ 45 Abs. 2 BBG, auszugsweise).
Zur Frage der Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel:
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen (kurz: VO über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen), BGBl II 2013/495, zuletzt geändert durch BGBl II 2016/263, ist die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
– erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
– erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
– erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
– eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
– eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Gemäß § 1 Abs. 5 der VO über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.10.2011, 2009/11/0032).
In den Erläuterungen zur Stammfassung der VO über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen wird betreffend § 1 Abs. 2 Z 3 (in der geltenden Fassung geregelt in § 1 Abs. 4 Z 3) ausgeführt:
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.
Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:
- Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,
- hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,
- schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,
- nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.
Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:
- anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – severe combined immunodeficiency),
- schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z. B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),
- fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,
- selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt. Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).
Betreffend das Kalkül „kurze Wegstrecke“ wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer – unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse – durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 bis 400 m ausgeht (vgl. u.a. VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013; 27.01.2015, 2012/11/0186).
Beim Beschwerdeführer liegen – wie sich aus den getroffenen Feststellungen ergibt – weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten noch der körperlichen Belastbarkeit vor bzw. konnten keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten und Funktionen festgestellt werden. Es ist auch keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorhanden. Ebenso wenig liegen eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d der VO über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen vor.
Es ist beim Beschwerdeführer von einer ausreichenden Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparates auszugehen, da keine Einschränkung der Mobilität festgestellt werden konnte. Zwar können auch erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel begründen, insbesondere eine hochgradige Entwicklungsstörung mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten; jedoch liegt eine derartige Einschränkung beim Beschwerdeführer nicht vor. Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, bestehen beim Beschwerdeführer zwar ein Orientierungsmangel und kognitive Einschränkungen, jedoch nicht in einem derart hochgradigen Ausmaß mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten, dass eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar wäre.
Es wird im Beschwerdefall zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt somit davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nicht vorliegen.
Somit war spruchgemäß zu entscheiden.
Der Vollständigkeit halber wird auch darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO nicht vorliegen, zumal die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ im Behindertenpass nach dem Bundesbehindertengesetz Voraussetzung für die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO ist.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG).
Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist (§ 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG).
Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden (§ 24 Abs. 3 VwGVG).
Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen (§ 24 Abs. 4 VwGVG).
Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden (§ 24 Abs. 5 VwGVG).
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).
Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und – ihm folgend – des Verfassungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn die Tatfrage unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. VfGH 08.10.2020, E 1873/2020, mwN).
Zur Klärung des Sachverhaltes hatte die belangte Behörde zunächst ein Sachverständigengutachten sowie eine Stellungnahme einer Ärztin für Allgemeinmedizin eingeholt. Darin war kein Hindernis für die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt worden und nachvollziehbar das Nichtvorliegen der Voraussetzungen – konkret das Nichtvorliegen erheblicher Funktionseinschränkungen – für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung festgestellt.
Wie unter Punkt II. 2. bereits ausgeführt, wurde das Sachverständigengutachten als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Sohin erscheint der Sachverhalt geklärt, dem Bundesverwaltungsgericht liegt kein Vorbringen vor, das mit dem Beschwerdeführer mündlich zu erörtern gewesen wäre. Alle relevanten Befunde bzw. Unterlagen des Beschwerdeführers wurden in dem vom SMS eingeholten Gutachten und der Stellungnahme berücksichtigt. Durch die mündliche Erörterung war eine weitere Klärung der Rechtssache somit nicht zu erwarten.
Zudem wird darauf hingewiesen, dass der vorliegende Sachverhalt zur Gänze auf den dem Beschwerdeführer bekannten Aktenteilen basiert und dieser Sachverhalt in den entscheidungswesentlichen Punkten weder ergänzungsbedürftig ist noch in entscheidenden Punkten als nicht richtig erschien (vgl. VwGH 19.09.2018, Ra 2018/11/0145).
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher – trotz Beantragung – unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die Entscheidung hängt von Tatsachenfragen ab. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
Rückverweise