W202 2286515-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Bernhard SCHLAFFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzlich vertreten durch XXXX , diese vertreten durch XXXX , gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.01.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.01.2025, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 18.09.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 11.10.2022 wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.
Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, wegen den Taliban geflüchtet zu sein. In Afghanistan herrsche Krieg und es gebe dort keine Sicherheit. Sein Vater sei XXXX , weswegen sie verfolgt werden. Bei einer Rückkehr in seine Heimat habe der BF Angst vor dem Krieg und um sein Leben.
2. Am 28.12.2022 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen.
Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, sein Vater sei in Afghanistan XXXX gewesen und sei geflohen, als die Taliban gekommen seien. Die Taliban haben den BF festnehmen sollen, um dadurch eine Rückkehr des Vaters zu bezwecken, weshalb der BF aus Afghanistan ausgereist sei.
3. Mit Schreiben vom 09.01.2023 wurde, bezugnehmend auf die Einvernahme vor dem BFA vom 28.12.2022, eine schriftliche Stellungnahme erstattet.
In dieser wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass dem BF in Afghanistan Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie und der Kinder bzw. Waisenkinder ohne soziales Netz, sowie aufgrund der unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung drohe. Der BF sei ein Kind im Sinne der UN- Kinderrechtskonvention und aufgrund seines jugendlichen Alters, des Verlustes seiner Familie und der damit verbundenen Sorgen, der traumatischen Gewalterfahrungen im Herkunftsland und auf der Flucht sowie seines langen Auslandsaufenthalts als besonders vulnerabel anzusehen. Als alleinstehender männlicher Jugendlicher ohne familiäres Netz und ohne jegliche Form von Ausbildung sei er im Falle einer Rückkehr als de facto Waise einer erheblichen Gefahr ausgesetzt.
4. Mit Schreiben vom 19.01.2023 wurden Unterlagen und Fotos zu seinem Fluchtvorbringen an das BFA übermittelt.
5. Mit ergänzender schriftlicher Stellungnahme vom 21.03.2023 wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass dem BF auch aufgrund der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppe der Familie seines Cousins väterlicherseits Verfolgung drohe, da dieser XXXX habe, und auf die Vulnerabilität des BF als Kind im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention verwiesen. Es wurden Unterlagen und Fotos zum Fluchtvorbringen des BF vorgelegt.
6. Am 19.07.2023 und am 13.12.2023 wurden jeweils Unterlagen zur Integration des BF im Bundesgebiet an das BFA übermittelt.
7. Mit Bescheid des BFA vom 11.01.2024 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 18.09.2022 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde ausgeführt, der BF habe keine glaubhafte Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vorgebracht. Die aktuelle Sicherheitslage sei im Allgemeinen und in seiner Herkunftsprovinz als ausreichend sicher festzustellen. Aufgrund der allgemeinen prekären Versorgungslage und seiner individuellen Lebenssituation könne jedoch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohe.
8. Gegen den Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, in welcher im Wesentlichen dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wurde. Es wurden Unterlagen zur Person des BF sowie ein USB-Stick vorgelegt, auf dem der Vater des BF XXXX zu sehen sei.
9. Mit Beschwerdevorlage vom 12.02.2024, eingelangt am 14.02.2024, legte das BFA die Beschwerde samt den Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge: BVwG) vor.
10. Mit Schreiben vom 28.01.2025 wurde, bezugnehmend auf das anhängige Beschwerdeverfahren und die mündliche Verhandlung am 30.01.2025, eine schriftliche Stellungnahme erstattet.
In dieser wurden diverse Länderberichte angeführt und vorgebracht, dass sich aus diesen sowie dem Vorbringen des BF unzweifelhaft ergebe, dass dem BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan aktuelle, asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie bzw. der ihm aufgrund seiner Angehörigeneigenschaft zumindest unterstellten politischen Gesinnung bzw. Religion drohe. Zudem werde ihm aufgrund seines mehrjährigen Aufenthaltes in Österreich und der nunmehr von ihm angenommenen westlichen Wertehaltung vorgeworfen, vom Glauben abgefallen zu sein, weshalb er einer Verfolgung wegen „Verwestlichung“ ausgesetzt sei.
11. Am 30.01.2025 fand vor dem BVwG eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in welcher der BF ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Das BFA blieb der Verhandlung entschuldigt fern. Der BF legte Unterlagen zu seinem Fluchtvorbringen vor.
12. Am 13.03.2025 langte beim BVwG die erfolgte Übersetzung zu vorgelegten Unterlagen des BF zu seinem Fluchtvorbringen ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der BF führt den Namen XXXX , wurde am XXXX geboren und ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen und der Religionsgemeinschaft des Islam an. Seine Muttersprache ist Paschtu.
Der BF stammt aus dem Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Nangarhar, und lebte vor seiner Ausreise aus Afghanistan im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Nangarhar. Er hat in Afghanistan XXXX die Schule besucht und ist keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen.
Er ist strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen
Der Vater des BF hat in Afghanistan in seiner Funktion als XXXX gearbeitet und ist aufgrunddessen in den Fokus der Taliban geraten. Nach der Machtübernahme der Taliban sah sich sein Vater daher gehalten, aus Afghanistan auszureisen. Die Taliban erschienen XXXX im Haus der Familie des BF, wobei sie XXXX nach dem Vater des BF und XXXX nach dem BF selbst suchten, um diesen festzunehmen und somit eine Rückkehr des Vater nach Afghanistan zu erzwingen. Der BF sah sich folglich gehalten, ebenso aus Afghanistan auszureisen.
Sowohl der Vater des BF als auch der BF werden verdächtigt, XXXX . Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem BF daher individuell und konkret Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban. Diese Bedrohung bezieht sich auf das gesamte Staatsgebiet, zumal ganz Afghanistan unter der Kontrolle der Taliban steht und eine Änderung der Situation nicht absehbar ist.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan
1.3.1. Auszug aus dem COI-CMS Afghanistan vom 31.01.2025, Version 12:
Regionen Afghanistans
[…] Afghanistan verfügt über 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.230 Quadratkilometern (CIA 25.11.2024) leben ca. 35 (NSIA 7.2024) bis 40,1 Millionen Menschen (CIA 25.11.2024). Es grenzt an sechs Länder: China (91 km), Iran (921 km) Pakistan (2.670 km), Tadschikistan (1.357 km), Turkmenistan (804 km), Usbekistan (144 km) (CIA 25.11.2024). Seit der beinahe kampflosen Einnahme Kabuls am 15.8.2021 steht Afghanistan nahezu vollständig unter der Kontrolle der Taliban (AA 12.7.2024; vgl. EUAA 1.11.2024). […]
Ost-Afghanistan
[…] Der Osten Afghanistans grenzt an Pakistan und ist ein wichtiger Teil des paschtunischen Heimatlandes, dessen Stammeseinfluss sich bis nach Westpakistan erstreckt. Jalalabad, die Hauptstadt der Provinz Nangarhar, liegt auf halbem Weg zwischen Torkham (Ende des Khyber-Passes/Grenze zu Pakistan) und Kabul. Sie gilt als die wichtigste afghanische Stadt im Osten und als das Tor nach Afghanistan vom Khyber-Pass aus. Berge und Täler (oft sehr abgelegen) dominieren die Region (NPS o.D.d). In der östlichen Region liegt die durchschnittliche Temperatur im Winter bei etwa 10 Grad (IOM 2.12.2024). […]
Distrikte nach Provinz (NSIA 4.2022)
Kabul: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara, Surubi/Surobi/Sarobi
Kapisa: Alasay, Hesa Awal Kohistan, Hesa Duwum Kohistan, Koh Band, Mahmud Raqi, Nijrab, Tagab
Khost: Ali Sher (Tirzayee), Baak, Gurbuz, Jaji Maidan, Khost (Matun), Manduzay (Esmayel Khil), Muza Khel, Nadir Shah Kot, Qalandar, Sabari (Yaqubi), Shamul, Spera, Tanay
Kunar: Bar Kunar (auch Asmar), Chapa Dara, Sawkay (auch Chawkay), Dangam, Dara-e-Pech (auch Manogi), Ghazi Abad, Khas Kunar, Marawara, Narang wa Badil, Nari, Noorgal, Sar Kani, Shigal, Watapoor sowie der temporäre Distrikt Sheltan
Laghman: Alingar, Alishing, Dawlat Shah, Mehtarlam, Qarghayi, Bad Pash (also Bad Pakh)
Logar: Azra, Baraki Barak, Charkh, Khar War, Khushi, Mohammad Agha, Pul-e-Alam
Nangarhar: Achin, Bati Kot, Behsud, Chaparhar, Dara-e-Nur, Deh Bala (auch Haska Mena), Dur Baba, Goshta, Hesarak, Jalalabad, Kama, Khugyani, Kot, Kuzkunar, Lalpoor, Muhmand Dara, Nazyan, Pachiragam, Rodat, Sher Zad, Shinwar, Surkh Rud
Paktia: Ahmadaba, Jaji, Dand Patan, Gardez, Jani Khel, Laja Ahmad Khel (auch Laja Mangel), Samkani (auch Chamkani, Tsamkani), Sayyid Karam (auch Mirzaka), Shwak, Wuza Zadran, Zurmat sowie die vier temporären Distrikte Laja Mangel, Mirzaka, Garda Siray, Rohany Baba
Paktika: Barmal, Dila Wa Khushamand, Gomal, Giyan, Jani Khel, Mata Khan, Nika (Naka), Omna, Surobi, Sar Rawzah, Sharan, Turwo, Urgoon, Wazakhwah, Wormamay, Yahya Khel, Yosuf Khel, Zarghun Shahr (auch Khairkot), Ziruk sowie die vier temporären Distrikte Shakeen, Bak Khil, Charbaran, Shakhil Abad […]
Politische Lage
Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert (AA 26.6.2023). Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt (UNSC 1.6.2023b). Sie bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USIP 17.8.2022; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem "islamischen Recht und den afghanischen Werten" regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweise bestimmen (USIP 17.8.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Im September 2022 betonte der Justizminister der Taliban, dass eine Verfassung für Afghanistan nicht notwendig sei (AA 26.6.2023).
Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban auch schnell staatliche Institutionen (USIP 17.8.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. REU 7.9.2021a, VOA 19.8.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 8.9.2021; vgl. DIP 4.1.2023). Haibatullah hat sich dem Druck von außen, seine Politik zu mäßigen, widersetzt (UNSC 1.6.2023b) und baut seinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen auf nationaler und subnationaler Ebene auch im Jahr 2023 weiter aus (UNGA 20.6.2023). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass andere in Kabul ansässige Taliban-Führer die Politik wesentlich beeinflussen können. Kurz- bis mittelfristig bestehen kaum Aussichten auf eine Änderung (UNSC 1.6.2023b). Innerhalb weniger Wochen nach der Machtübernahme kündigten die Taliban "Interims"-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.8.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.8.2022; vgl. HRW 4.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge "Sittenpolizei" berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.8.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.8.2021; vgl. USDOS 12.4.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.9.2021; vgl. Guardian 20.9.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 26.6.2023).
Der Ernennung einer aus 33 Mitgliedern bestehenden geschäftsführenden Übergangsregierung im September 2021 folgten zahlreiche Neuernennungen und Umbesetzungen auf nationaler, Provinz- und Distriktebene in den folgenden Monaten, wobei Frauen weiterhin gar nicht und nicht-paschtunische Bevölkerungsgruppen nur in geringem Umfang berücksichtigt wurden (AA 26.6.2023). […]
Die Regierung der Taliban wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der sogenannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 8.9.2021; vgl. REU 7.9.2021b, Afghan Bios 18.7.2023).
Stellvertretende vorläufige Premierminister sind Abdul Ghani Baradar (AJ 7.9.2021; vgl. REU 7.9.2021b, Afghan Bios 16.2.2022), der die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in Doha vertrat und das Abkommen mit ihnen am 29.2.2021 unterzeichnete (AJ 7.9.2021; vgl. VOA 29.2.2020), und Abdul Salam Hanafi (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 7.7.2022b), der unter dem ersten Taliban-Regime Bildungsminister war (Afghan Bios 7.7.2022b; vgl. UNSC o.D.a). Im Oktober 2021 wurde Maulvi Abdul Kabir zum dritten stellvertretenden Premierminister ernannt (Afghan Bios 27.11.2023; vgl. 8am 5.10.2021, UNGA 28.1.2022).
Weitere Mitglieder der vorläufigen Taliban-Regierung sind unter anderem Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerkes (Afghan Bios 4.3.2023; vgl. JF 5.11.2021) als Innenminister (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 4.3.2023) und Amir Khan Mattaqi als Außenminister (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 14.12.2023), welcher die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen vertrat und im ersten Taliban-Regime unter anderem den Posten des Kulturministers innehatte (Afghan Bios 14.12.2023; vgl. UNSC o.D.b). Der Verteidigungsminister der vorläufigen Taliban-Regierung ist Mohammed Yaqoob (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 6.9.2023), dem 2020 der Posten des militärischen Leiters der Taliban verliehen wurde (Afghan Bios 6.9.2023; vgl. RFE/RL 29.8.2020).
Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.8.2022). Diese Dynamik wurde am 23.3.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.8.2022; vgl. RFE/RL 24.3.2022, UNGA 15.6.2022). Seitdem ist die Bildung von Mädchen und Frauen und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von "duellierenden Machtzentren" zwischen den in Kabul und Kandahar ansässigen Taliban zu sprechen (USIP 17.8.2022) und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 3.6.2022a). Doch der Emir und sein Kreis von Beratern und Vertrauten in Kandahar kontrollieren nicht jeden Aspekt der Regierungsführung. Mehrere Ad-hoc-Ausschüsse wurden ernannt, um die Politik zu untersuchen und einen Konsens zu finden, während andere Ausschüsse Prozesse wie die Versöhnung und die Rückkehr politischer Persönlichkeiten nach Afghanistan umsetzen. Viele politische Maßnahmen unterscheiden sich immer noch stark von einer Provinz zur anderen des Landes. Die Taliban-Beamten haben sich, wie schon während ihres Aufstands, als flexibel erwiesen, je nach den Erwartungen der lokalen Gemeinschaften. Darüber hinaus werden viele Probleme nach wie vor über persönliche Beziehungen zu einflussreichen Taliban-Figuren gelöst, unabhängig davon, ob deren offizielle Position in der Regierung für das Problem verantwortlich ist (USIP 17.8.2022).
In seiner traditionellen jährlichen Botschaft zum muslimischen Feiertag Eid al-Fitr im Jahr 2023 sagte Haibatullah Akhundzada, sein Land wünsche sich positive Beziehungen zu seinen Nachbarn, den islamischen Ländern und der Welt, doch dürfe sich kein Land in deren innere Angelegenheiten einmischen. Er vermied es, direkt auf das Bildungsverbot von Mädchen und die Beschäftigungseinschränkungen von Frauen einzugehen, sagte jedoch, dass die Taliban-Regierung bedeutende Reformen in den Bereichen Kultur, Bildung, Wirtschaft, Medien und anderen Bereichen eingeleitet hat, und "die schlechten intellektuellen und moralischen Auswirkungen der 20-jährigen Besatzung" dabei seien, zu Ende zu gehen (AnA 18.4.2020; vgl. BAMF 30.6.2023).
Anfang Juni 2023 wurde berichtet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Taliban die Stadt Kandahar zu ihrem Stützpunkt machen würden. Dies wir als ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der gemäßigteren Taliban-Mitglieder in der Hauptstadt Kabul gesehen, während das Regime seine repressive Politik weiter verschärft. In den letzten Monaten haben Vertreter des Regimes Delegationen aus Japan und Katar nach Kandahar eingeladen, anstatt sich mit anderen Beamten in Kabul zu treffen. Der oberste Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, und ein zweiter Informationsbeauftragter aus Nordafghanistan, Inamullah Samangani, wurden von ihren Büros in Kabul nach Kandahar verlegt (WP 5.6.2023; vgl. BAMF 30.6.2023).
Im Mai 2023 traf sich der Außenminister der Taliban mit seinen Amtskollegen aus Pakistan und China in Islamabad. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Einbeziehung Afghanistans in den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) sowie die Situation von Frauen in Afghanistan (AnA 5.5.2023; vgl. VOA 6.5.2023).
Am 22.11.2023 verkündeten die Taliban den Abschluss einer zweitägigen Kabinettssitzung in der Provinz Kandahar unter der Leitung von Hebatullah Akhundzada. Auffallend war, dass Themen wie das Recht der Frauen auf Arbeit und Zugang zu Bildung sowie ihre Teilhabe an der Gesellschaft nicht Gegenstand der Beratungen waren. Es wurden Gespräche über Themen wie die Rückführung von Migranten, die Entwicklung diplomatischer Beziehungen zur Bewältigung bestehender Probleme, Import-Export- und Transitfragen sowie die Beibehaltung der Geldpolitik der Taliban geführt (AT 22.11.2023; vgl. AMU 22.11.2023).
Internationale Anerkennung der Taliban
Mit Anfang 2024 hat noch kein Land die Regierung der Taliban anerkannt (TN 9.1.2024; vgl. VOA 10.12.2023) dennoch sind Vertreter aus Indien, China, Usbekistan, der Europäischen Union, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kabul präsent (TN 30.10.2022). Im März 2023 gab der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid bekannt, dass Diplomaten in mehr als 14 Länder entsandt wurden, um die diplomatischen Vertretungen im Ausland zu übernehmen (PBS 25.3.2023; vgl. OI 25.3.2023). Im November 2023 sagte der stellvertretende Taliban-Außenminister, dass derzeit 20 Botschaften in Nachbarländern aktiv wären (TN 29.11.2023), einschließlich der afghanischen Botschaft in Teheran (TN 27.2.2023) und des strategisch wichtigen Generalkonsulats in Istanbul (Afintl 27.2.2023; vgl. KP 23.2.2023). Berichten zufolge nahm auch die Türkei im Oktober 2023 einen neuen von den Taliban ernannten Diplomaten in der afghanischen Botschaft in Ankara auf (Afintl 14.2.2024). Eine Reihe von Ländern verfügt auch weiterhin über offizielle Botschafter in Afghanistan. Dazu gehören China und andere Nachbarländer wie Pakistan, Iran und die meisten zentralasiatischen Republiken, aber auch Russland, Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Japan (AAN/Ruttig 7.12.2023). Aber auch westliche Länder (mit Ausnahme Australiens) haben weder ihre Botschaften in Kabul offiziell geschlossen noch die diplomatischen Beziehungen offiziell abgebrochen. Vielmehr unterhalten sie kein diplomatisches Personal im Land. Einige Länder haben immer noch amtierende Botschafter oder nachrangige Diplomaten, die nicht in Kabul ansässig sind, und es gibt auch eine (schrumpfende) Anzahl von Sonderbeauftragten für Afghanistan (im Rang eines Botschafters). Die meisten westlichen Kontakte mit Taliban-Beamten finden in Katars Hauptstadt Doha statt, wo Diplomaten unterhalb der Botschafterebene ihre Länder bei den Treffen vertreten (AAN/Ruttig 7.12.2023).
Am 24.11.2023 entsandten die Taliban ihren ersten Botschafter in die Volksrepublik China (KP 26.11.2023; vgl. AMU 25.11.2023). Dieser Schritt folgt auf die Ernennung eines Botschafters Chinas in Afghanistan zwei Monate zuvor, womit China das erste Land ist, das einen Botschafter nach Kabul unter der Taliban-Regierung entsandt hat (AMU 25.11.2023; vgl. VOA 10.12.2023). Nach Ansicht einiger Analysten sowie ehemaliger Diplomatinnen und Diplomaten bedeutet dieser Schritt die erste offizielle Anerkennung der Taliban-Übergangsregierung durch eine große Nation (VOA 31.1.2024; vgl. REU 13.9.2023). Nach Angaben des US-Außenministeriums prüfen die USA die Möglichkeit von konsularischem Zugang in Afghanistan. Dies solle keine Anerkennung der Taliban-Regierung bedeuten, sondern dem Aufbau funktionaler Beziehungen dienen, um eigene Ziele besser verfolgen zu können (USDOS 31.10.2023). Ebenso am 24.11.2023 wurde die afghanische Botschaft in Neu-Delhi, die von loyalen Diplomaten der Vor-Taliban-Regierung geleitet wurde, endgültig geschlossen. Einige Tage später erklärten Taliban-Vertreter, dass die Botschaft bald wieder eröffnet und von ihren Diplomaten geleitet werden wird (Wilson 12.12.2023; vgl. VOA 29.11.2023).
Drogenbekämpfung
Im April 2022 verfügte der oberste Taliban-Führer Haibatullah Akhundzada, dass der Anbau von Mohn, aus dem Opium, die wichtigste Zutat für die Droge Heroin, gewonnen werden kann, streng verboten ist (BBC 6.6.2023).
Die vom Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) im Jahr 2023 durchgeführte Opiumerhebung in Afghanistan ergab, dass der Schlafmohnanbau nach einem von den Taliban-Behörden im April 2022 verhängten Drogenverbot um schätzungsweise 95 % zurückgegangen ist (UNODC 11.2023; vgl. UNGA 1.12.2023), wobei ein anderer Experte den Rückgang des Mohnanbaus zwischen 2022 und 2023 auf 80 % schätzt (BBC 6.6.2023). Der Opiumanbau ging in allen Teilen des Landes von 233.000 Hektar auf 10.800 Hektar im Jahr 2023 zurück, was zu einem Rückgang des Opiumangebots von 6.200 Tonnen im Jahr 2022 auf 333 Tonnen im Jahr 2023 führte. Der drastische Rückgang hatte unmittelbare humanitäre Folgen für viele gefährdete Gemeinschaften, die auf das Einkommen aus dem Opiumanbau angewiesen sind. Das Einkommen der Bauern aus dem Verkauf der Opiumernte 2023 an Händler sank um mehr als 92 % von geschätzten 1,36 Milliarden Dollar für die Ernte 2022 auf 110 Millionen Dollar im Jahr 2023 (UNODC 11.2023; vgl. UNGA 1.12.2023). Der weniger rentable Weizenanbau hat den Mohn auf den Feldern verdrängt - und viele Landwirte berichten, dass sie finanziell darunter leiden (BBC 6.6.2023).
Am 30.9.2023 veröffentlichte der Oberste Gerichtshof der Taliban eine Reihe von Drogenstrafverfahren, die Strafen für den Anbau, den Verkauf, den Transport, die Herstellung und den Konsum von Mohn, Marihuana und anderen Rauschmitteln vorsehen. Die vorgeschriebenen Freiheitsstrafen reichen von einem Monat bis zu sieben Jahren ohne die Möglichkeit, eine Geldstrafe zu zahlen (UNGA 1.12.2023).
Anfang 2024 verkündete der amtierende Verteidigungsminister der Taliban, dass im Zuge der Bekämpfung der Drogenproduktion im Jahr 2023 4.472 Tonnen Rauschgift vernichtet, 8.282 an der Produktion und am Schmuggel beteiligte Personen verhaftet und 13.904 Hektar Mohnanbaufläche gerodet wurden. Experten gehen jedoch davon aus, dass die Armut in den ländlichen und landwirtschaftlichen Gemeinden wieder zum Mohnanbau führen könnte (VOA 3.1.2024). So gab ein Farmer, dessen Feld von den Taliban wegen Mohnanbaus zerstört wurde an, dass er durch Weizenanbau nur einen Bruchteil dessen verdienen würde, was er mit Mohn verdienen könnte (BBC 6.6.2023).
Sicherheitslage
[Anm.: In diesem Kapitel werden aufbereitete Daten von verschiedenen Quellen dargestellt. Aufgrund der unterschiedlichen Methodologien bzw. Definitionen können die Daten voneinander abweichen. Für weitere Informationen sei auf das Kapitel Länderspezifische Anmerkungen verwiesen.]
Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15.8.2021 ist das allgemeine Ausmaß des Konfliktes zurückgegangen (AI 24.4.2024; vgl. UNAMA 27.6.2023). Nach Angaben der Vereinten Nationen gab es beispielsweise weniger konfliktbedingte Sicherheitsvorfälle wie bewaffnete Zusammenstöße, Luftangriffe und improvisierte Sprengsätze (IEDs) (UNGA 28.1.2022) sowie eine geringere Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung (UNAMA 27.6.2023; vgl. UNAMA 7.2022). Die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) und Amnesty International (AI) haben jedoch weiterhin ein erhebliches Ausmaß an zivilen Opfern (AI 24.4.2024; vgl. UNAMA 27.6.2023) durch vorsätzliche Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs) dokumentiert (UNAMA 27.6.2023).
Nach Angaben der Vereinten Nationen entwickelten sich die sicherheitsrelevanten Vorfälle seit der Machtübernahme der Taliban folgendermaßen:
19.8.2021 - 31.12.2021: 985 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 91 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 28.1.2022)
1.1.2022 - 21.5.2022: 2.105 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 467 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 15.6.2022)
22.5.2022 - 16.8.2022: 1.642 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 77,5 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 14.9.2022)
17.8.2022 - 13.11.2022: 1.587 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 23 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 7.12.2022)
14.11.2022 - 31.1.2023: 1.088 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 10 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 27.2.2023)
1.2.2023 - 20.5.2023: 1.650 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 20.6.2023)
20.5.2023 - 31.7.2023: 1.259 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 18.9.2023)
1.8.2023 - 21.10.2023: 1.414 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 2 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 1.12.2023)
1.11.2023 - 10.1.2023: 1.508 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 38 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 28.2.2024)
1.2.2024 - 13.5.2024: 2.505 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 55 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 13.6.2024)
14.5.2024 - 31.7.2024: 2.127 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 53 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 9.9.2024)
Nachfolgende Grafik zeigt den Verlauf der sicherheitsrelevanten Vorfälle zwischen Jänner 2023 und Dezember 2024 laut ACLED an. Unterteilt wurde diese vom OSIF-Projekt der Staatendokumentation erstellte Grafik in die Vorfallsarten battles, explosions/remote violence sowie violence against civilians. [für weitere Informationen zu Datenerfassung und Methodologie von ACLED sei auf die entsprechende Passage im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen verwiesen]:

Quelle: erstellt vom Projekt OSIF der Staatendokumentation basierend auf Daten von ACLED (ACLED 13.1.2025)
Wie den oben aufgeführten Daten von ACLED (ACLED 13.1.2025) und den Vereinten Nationen zu entnehmen ist, sind die sicherheitsrelevanten Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2024 angestiegen. Dies hängt laut den Vereinten Nationen vor allem mit vermehrten Zwischenfällen im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln (UNGA 9.9.2024; vgl. UNGA 13.6.2024, UNGA 28.2.2024) und Grundstückstreitigkeiten zusammen (UNGA 9.9.2024; vgl. UNGA 13.6.2024) und war zum Teil auf die Bemühungen der Taliban-Behörden zurückzuführen, das Verbot des Mohnanbaus durchzusetzen (UNGA 13.6.2024).

Quelle: erstellt vom Projekt OSIF der Staatendokumentation basierend auf Daten des Uppsala Conflict Data Program (UCDP) (UCDP 9.12.2024)
Auch die vom Uppsala Conflict Data Program (UCDP) erfassten Vorfälle zeigen dieses Bild. Mit Beginn des Jahres 2022 gehen die sicherheitsrelevanten Vorfälle deutlich zurück. In der ersten Jahreshälfte 2024 ist jedoch wieder ein Anstieg zu verzeichnen. Bei jenen sicherheitsrelevanten Vorfällen, die den ISKP betreffen, erkennt man einen Rückgang im Laufe der letzten Jahre, wobei auch hier ein leichter Anstieg in der ersten Jahreshälfte 2024 zu erkennen ist (UCDP 9.12.2024). [Für weitere Informationen zu Datenerfassung und Methodologie von UCDP sei auf die entsprechende Passage im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen verwiesen]:
Laut Angaben der Vereinten Nationen hatten sich die Aktivitäten des ISKP nach der Machtübernahme der Taliban zunächst verstärkt (UNGA 28.1.2022; vgl. UNGA 15.6.2022, UNGA 14.9.2022, UNGA 7.12.2022). Im Lauf der Jahre 2022 (UNGA 7.12.2022; vgl. UNGA 27.2.2023) und in 2023 nahmen diese Aktivitäten jedoch wieder ab (UNGA 20.6.2023; vgl. UNGA 18.9.2023, UNGA 1.12.2023). Ein Trend, der sich auch 2024 fortsetzt (UNGA 28.2.2024). Ziele der Gruppierung sind die schiitischen Hazara (AI 24.4.2024; vgl. UNAMA 22.1.2024, UNGA 13.6.2024, UNGA 28.2.2024), ausländische Staatsbürger (UNGA 9.9.2024) sowie Mitglieder der Taliban (UNGA 9.9.2024; vgl. UNGA 13.6.2024, UNGA 28.2.2024). Die Taliban führen weiterhin Operationen gegen den ISKP durch (UNGA 13.6.2024), unter anderem in Nangarhar (UNGA 9.9.2024).
Ende 2022 und während des Jahres 2023 nehmen die Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppierungen und den Taliban weiter ab (UNGA 27.2.2023; vgl. UNGA 20.6.2023, UNGA 18.9.2023). Dieser Trend setzt sich auch im Jahre 2024 fort. Nach dem Dafürhalten der Vereinten Nationen stellt die bewaffnete Opposition mit 2024 weiterhin keine nennenswerte Herausforderung für die territoriale Kontrolle der Taliban dar (UNGA 9.9.2024; vgl. UNGA 13.6.2024, UNGA 28.2.2024). Die Nationale Widerstandsfront und die Afghanische Freiheitsfront gehen mit einer "Hit-and-Run"-Taktik gegen die Taliban-Sicherheitskräfte vor, greifen deren Posten und Fahrzeuge an und verübten Hinterhalte und gezielte Tötungen (UNGA 9.9.2024).
Mit Verweis auf das United Nations Department of Safety and Security (UNDSS) berichtet IOM (International Organization for Migration), dass organisierte Verbrechergruppen in ganz Afghanistan an Entführungen zur Erlangung von Lösegeld beteiligt sind. 2023 wurden 21 Entführungen dokumentiert, 2024 waren es, mit Stand Februar 2024, zwei. Anscheinend werden nicht alle Entführungen gemeldet, und oft zahlen die Familien das Lösegeld. Die meisten Entführungen (soweit Informationen verfügbar waren) fanden in oder in der Nähe von Wohnhäusern statt und nicht auf der Straße. Von den 21 im Jahr 2023 gemeldeten Entführungen ereigneten sich vier in Kabul. Zwei der Vorfälle in Kabul betrafen die Entführung ausländischer Staatsangehöriger, wobei nur wenige Einzelheiten über die Umstände der Entführungen bekannt wurden. Die Taliban-Sicherheitskräfte reagierten aktiv auf Entführungsfälle. Im Juni 2023 leiteten die Taliban beispielsweise in Kabul eine erfolgreiche Rettungsaktion eines entführten ausländischen Staatsangehörigen. In der Provinz Balkh führte eine Reaktion der Taliban gegen die Entführer im Februar 2023 zum Tod eines Entführers und zur Festnahme von zwei weiteren Personen (IOM 22.2.2024).
In einem Interview durchgeführt von EUAA in Kooperation mit dem schwedischen Migrationsamt (Migrationsverket), der Staatendokumentation und Landinfo gab ein afghanischer Forscher befragt zur Sicherheitslage an, dass die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Afghanistan zurückgegangen ist. Es gibt, seiner Einschätzung nach, keine Region in Afghanistan, in welcher oppositionelle Gruppen offen die Kontrolle haben. In Provinzen wie Panjsher, Baghlan, Badakhshan, Kunduz und Takhar, in denen es in der Vergangenheit zu Kämpfen zwischen den Taliban und verschiedenen Gruppierungen gekommen ist, verlief der Verkehr normal und Einheimische in der Region erzählten dem Forscher, dass es keine Zwischenfälle geben würde. Betreffend die Kapazitäten des NRF hatte er nur wenig Informationen, er schreibt dem ISKP jedoch zumindest die Möglichkeit operativer Aktivitäten zu, wobei er anfügt, dass die Taliban immer effizienter bei der Aushebung von ISKP-Zellen zu werden scheinen. Dies zeigt sich in einer entspannteren Sicherheitslage in beispielsweise Kabul und Herat. Der Forscher schließt daraus, dass weder der ISKP noch andere Gruppierungen aktuell wirklich ein Problem für die Taliban sind (VQ AFGH 3 1.10.2024).
Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul-Stadt, Herat-Stadt und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie gaben 68,3 % der Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese Ergebnisse nicht auf die gesamte Region oder das ganze Land hochgerechnet werden können. Die Befragten wurden gefragt, wie sicher sie sich in ihrer Nachbarschaft fühlen, was sich davon unterscheidet, ob sie sich unter dem Taliban-Regime sicher fühlen oder ob sie die Taliban als Sicherheitsgaranten betrachten, oder ob sie sich in anderen Teilen ihrer Stadt oder anderswo im Land sicher fühlen würden. Das Sicherheitsgefühl ist auch davon abhängig, in welchem Ausmaß die Befragten ihre Nachbarn kennen und wie vertraut sie mit ihrer Nachbarschaft sind und nicht darauf, wie sehr sie sich in Sachen Sicherheit auf externe Akteure verlassen. Nicht erfasst wurde in der Studie, inwieweit bei den Befragten Sicherheitsängste oder Bedenken in Hinblick auf die Taliban oder Gruppen wie den ISKP vorliegen. In Bezug auf Straßenkriminalität und Gewalt gaben 70,7 % bzw. 79,7 % der Befragen an, zwischen September und Oktober 2021 keiner Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. An dieser Stelle ist zu beachten, dass die Ergebnisse nicht erfassen, welche Maßnahmen der Risikominderung von den Befragten durchgeführt werden, wie z. B.: die Verringerung der Zeit, die sie außerhalb ihres Hauses verbringen, die Änderung ihres Verhaltens, einschließlich ihres Kaufverhaltens, um weniger Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sowie die Einschränkung der Bewegung von Frauen und Mädchen im Freien (ATR/STDOK 18.1.2022).
Im Dezember 2022 wurde von ATR Consulting erneut eine Studie im Auftrag der Staatendokumentation durchgeführt. Diesmal ausschließlich in Kabul-Stadt. Hier variiert das Sicherheitsempfinden der Befragten, was laut den Autoren der Studie daran liegt, dass sich Ansichten der weiblichen und männlichen Befragten deutlich unterscheiden. Insgesamt gaben die meisten Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen, wobei die relativ positive Wahrnehmung der Sicherheit und die Antworten der Befragten, nach Meinung der Autoren, daran liegt, dass es vielen Befragten aus Angst vor den Taliban unangenehm war, über Sicherheitsfragen zu sprechen. Sie weisen auch darauf hin, dass die Sicherheit in der Nachbarschaft ein schlechtes Maß für das Sicherheitsempfinden der Menschen und ihre Gedanken über das Leben unter dem Taliban-Regime ist (ATR/STDOK 3.2.2023).
Sicherheitsrelevante Vorfälle und zivile Opfer nach Provinzen (25.11.2023 - 25.11.2024)

Quelle: erstellt vom Projekt-OSIF der Staatendokumentation basierend auf Daten von ACLED (ACLED 13.1.2025) und UCDP (UCDP 9.12.2024)
Laut den von ACLED erfassten Daten fanden in allen drei angeführten Bereichen die meisten der Vorfälle in Ost-Afghanistan statt, wobei hier vor allem in Kabul ein Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle stattfand (ACLED 13.1.2025).
Im Zeitraum zwischen 25.11.2023 und 25.11.2024 gab es die meisten zivilen Opfer (mehr als 60 %), gemäß UCDP, in Nord-Afghanistan. Ca. ein Viertel (100) gab es in Ost-Afghanistan. 30 Todesopfer gab es in Zentralafghanistan, 17 in West-Afghanistan und 2 in Süd-Afghanistan. Auf Provinzebene gab es die meisten Todesopfer in Badakhshan (168), gefolgt von Kabul (56) und Baghlan (44) (UCDP 9.12.2024).
[Anm.: Für weitere Informationen zu Datenerfassung und Methodologie von ACLED und UCDP sei auf die entsprechende Passage im Kapitel Länderspezifische Anmerkungen verwiesen]
Verfolgungungspraxis der Taliban, neue technische Möglichkeiten
Trotz mehrfacher Versicherungen der Taliban, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitsbehörden abzusehen (AA 26.6.2023; vgl. USDOS 20.3.2023a), wurde nach der Machtübernahme der Taliban berichtet, dass diese auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten. Ein Mitglied einer Rechercheorganisation, welche einen (nicht öffentlich zugänglichen) Bericht zu diesem Thema für die Vereinten Nationen verfasste, sprach von einer "schwarzen Liste" der Taliban und großer Gefahr für jeden, der sich auf dieser Liste befände (BBC 20.8.2021b; vgl. DW 20.8.2021). Im Zuge der Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden (HRW 1.11.2021; vgl. NYT 29.8.2021), unter anderem auf eine biometrische Datenbank mit Angaben zu aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Armee und Polizei bzw. zu Afghanen, die den internationalen Truppen geholfen haben (Intercept 17.8.2021). Auch Human Rights Watch (HRW) zufolge kontrollieren die Taliban Systeme mit sensiblen biometrischen Daten, die westliche Geberregierungen im August 2021 in Afghanistan zurückgelassen haben. Diese digitalen Identitäts- und Gehaltsabrechnungssysteme enthalten persönliche und biometrische Daten von Afghanen, darunter Irisscans, Fingerabdrücke, Fotos, Beruf, Wohnadressen und Namen von Verwandten. Die Taliban könnten diese Daten nutzen, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen, und Untersuchungen von Human Rights Watch deuten darauf hin, dass sie die Daten in einigen Fällen bereits genutzt haben könnten (HRW 30.3.2022). So wurde beispielsweise berichtet, dass ein ehemaliger Militäroffizier nach seiner Abschiebung von Iran nach Afghanistan durch ein biometrisches Gerät identifiziert wurde und danach von den Taliban gewaltsam zum Verschwinden gebracht wurde. Ein weiterer Rückkehrer aus Iran berichtet, dass im Zuge der Abschiebung aus Iran Daten der Rückkehrer vom iranischen Geheimdienst an die Taliban weitergegeben werden (KaN 18.10.2023).
Die Taliban sind in den sozialen Medien aktiv, unter anderem zu Propagandazwecken. Die Gruppierung nutzt soziale Medien und Internettechnik jedoch nicht nur für Propagandazwecke und ihre eigene Kommunikation, sondern auch, um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren (Golem 20.8.2021; vgl. BBC 20.8.2021b, 8am 14.11.2022), was dazu führt, dass Afghanen seit der Machtübernahme der Taliban in den sozialen Medien Selbstzensur verüben, aus Angst und Unsicherheit (Internews 12.2023). So wurde beispielsweise ein afghanischer Professor verhaftet, nachdem er die Taliban via Social Media kritisierte (FR24 9.1.2022), während ein junger Mann in der Provinz Ghor Berichten zufolge nach einer Onlinekritik an den Taliban verhaftet wurde (8am 14.11.2022). Einem afghanischen Journalisten zufolge verwenden die Taliban soziale Netzwerke wie Facebook und LinkedIn, um jene Afghanen zu identifizieren, die mit westlichen Gruppen und der US-amerikanischen Hilfsagentur USAID zusammengearbeitet haben (ROW 20.8.2021). Ein hochrangiges Mitglied der ehemaligen Streitkräfte berichtet, dass ihm vor seiner Rückkehr verschiedene Versprechen gemacht wurden, er bei Ankunft auf dem Flughafen in Kabul jedoch wie ein Feind behandelt wurde. Er wurde sofort erkannt, da die Taliban sein Bild und weitere Informationen zu seiner Person über die sozialen Medien verbreiteten. Mit Stand Oktober 2023 lebt er in Kabul, sein Haus wurde mehrfach durch die Taliban durchsucht und sein Bankkonto gesperrt. Ein anderes Mitglied der ehemaligen Streitkräfte gab an, dass seine Informationen vor seiner Rückkehr auf Twitter [Anm.: jetzt X] verbreitet wurden und ein weiterer Rückkehrer berichtete, dass er eine biometrische Registrierung durchlaufen musste (KaN 18.10.2023).
Im Sommer 2023 wurde berichtet, dass die Taliban ein groß angelegtes Kameraüberwachungsnetz für afghanische Städte aufbauen (AI 5.9.2023; vgl. VOA 25.9.2023), das die Wiederverwendung eines Plans beinhalten könnte, der von den Amerikanern vor ihrem Abzug 2021 ausgearbeitet wurde, so ein Sprecher des Taliban-Innenministeriums. Die Taliban-Regierung hat sich auch mit dem chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei über eine mögliche Zusammenarbeit beraten, sagte der Sprecher (VOA 25.9.2023; vgl. RFE/RL 1.9.2023), wobei Huawei bestritt, beteiligt zu sein (RFE/RL 1.9.2023). Beobachter befürchten jedoch, dass die Taliban ihr Netz von Überwachungskameras auch dazu nutzen werden, abweichende Meinungen zu unterdrücken und ihre repressive Politik durchzusetzen (RFE/RL 1.9.2023), einschließlich der Einschränkung des Erscheinungsbildes der Afghanen, der Bewegungsfreiheit, des Rechts zu arbeiten oder zu studieren und des Zugangs zu Unterhaltung und unzensierten Informationen (RFE/RL 1.9.2023).
Zentrale Akteure
Taliban
Die Taliban sind eine überwiegend paschtunische, islamisch-fundamentalistische Gruppe (CFR 17.8.2022), die 2021 nach einem zwanzigjährigen Aufstand wieder an die Macht in Afghanistan kam (CFR 17.8.2022; vgl. USDOS 20.3.2023a). Die Taliban bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USDOS 20.3.2023a; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen (USIP 17.8.2022).
Die Taliban-Regierung weist eine starre hierarchische Struktur auf, deren oberstes Gremium die Quetta-Shura ist (EER 10.2022), benannt nach der Stadt in Pakistan, in der Mullah Mohammed Omar, der erste Anführer der Taliban, und seine wichtigsten Helfer nach der US-Invasion Zuflucht gesucht haben sollen. Sie wird von Mawlawi Hibatullah Akhundzada geleitet (CFR 17.8.2022; vgl. PJIA/Rehman 6.2022), dem obersten Führer der Taliban (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. CFR 17.8.2022, PJIA/Rehman 6.2022). Er gilt als die ultimative Autorität in allen religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten (EUAA 8.2022; vgl. Afghan Bios 7.7.2022a, REU 7.9.2021a).
Nach der Machtübernahme versuchten die Taliban sich von "einem dezentralisierten, flexiblen Aufstand zu einer staatlichen Autorität" zu entwickeln (EUAA 8.2022; vgl. NI 24.11.2021). Im Zuge dessen herrschten Berichten zufolge zunächst Unklarheiten unter den Taliban über die militärischen Strukturen der Bewegung (EUAA 8.2022; vgl. DW 11.10.2021) und es gab in vielen Fällen keine erkennbare Befehlskette (EUAA 8.2022; vgl. REU 10.9.2021). Dies zeigte sich beispielsweise in Kabul, wo mehrere Taliban-Kommandeure behaupteten, für dasselbe Gebiet oder dieselbe Angelegenheit zuständig zu sein. Während die frühere Taliban-Kommission für militärische Angelegenheiten das Kommando über alle Taliban-Kämpfer hatte, herrschte Berichten zufolge nach der Übernahme der Kontrolle über das Land unter den Kämpfern vor Ort Unsicherheit darüber, ob sie dem Verteidigungsministerium oder dem Innenministerium unterstellt sind (EUAA 8.2022; vgl. DW 11.10.2021).
Haqqani-Netzwerk
Das Haqqani-Netzwerk hat seine Wurzeln im Afghanistan-Konflikt der späten 1970er-Jahre. Mitte der 1980er-Jahre knüpfte Jalaluddin Haqqani, der Gründer des Haqqani-Netzwerks (GSSR 12.11.2023), eine Beziehung zum Führer von al-Qaida, Osama bin Laden (UNSC o.D.c; vgl. FR24 21.8.2021). Jalaluddin schloss sich 1995 der Taliban-Bewegung an (UNSC o.D.c; vgl. ASP 1.9.2020), behielt aber seine eigene Machtbasis an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan (UNSC o.D.c). Der Kern der Ideologie der Gruppe ist eine antiwestliche, regierungsfeindliche und "sunnitisch-islamische Deobandi"-Haltung, die an die Einhaltung orthodoxer islamischer Prinzipien glaubt, die durch die Scharia geregelt werden, und die den Einsatz des Dschihad zur Erreichung der Ziele der Gruppe befürwortet. Die Haqqanis lehnen äußere Einflüsse innerhalb des Islams strikt ab und fordern, dass die Scharia das Gesetz des Landes ist (GSSR 12.11.2023).
Nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 übernahm Jalaluddins Sohn, Sirajuddin Haqqani, die Kontrolle über das Netzwerk (UNSC o.D.c, vgl. VOA 4.8.2022). Er ist seit 2015 auch einer der Stellvertreter des Taliban-Anführers Haibatullah Akhundzada (FR24 21.8.2021; vgl. UNSC o.D.c). Das Haqqani-Netzwerk gilt dank seiner finanziellen und militärischen Stärke - und seines Rufs als skrupelloses Netzwerk - als halbautonom (FR24 21.8.2021), auch wenn es den Taliban angehört (UNSC 21.11.2023; vgl. FR24 21.8.2021).
Das Netzwerk unterhält Verbindungen zu al-Qaida und, zumindest zeitweise bis zur Machtübernahme der Taliban, der Gruppierung Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) (VOA 30.8.2022; vgl. UNSC 26.5.2022). Es wird angemerkt, dass nach der Machtübernahme und der Eskalation der ISKP-Angriffe kein Raum mehr für Unklarheiten in der strategischen Konfrontation der Taliban mit ISKP bestand und es daher nicht im Interesse der Haqqanis lag, solche Verbindungen zu pflegen (UNSC 26.5.2022). Zudem wird vermutet, dass auch enge Verbindungen zum pakistanischen Geheimdienst (VOA 30.8.2022; vgl. DT 7.5.2022) und den Tehreek-e-Taliban (TTP), den pakistanischen Taliban, bestehen (UNSC 26.5.2022).
Sicherheitsbehörden
Mit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 brach die 350.000 Mann starke Armee des früheren Regimes zusammen (TN 15.8.2022) und die Taliban haben faktisch die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernommen. Sie haben begonnen, ihre bisherigen Milizen-Strukturen in geordnete Sicherheitskräfte zu übertragen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Im Bereich der Streitkräfte kündigte der Taliban-Armeechef Qari Fasihuddin im November 2021 den Aufbau einer 150.000 Mann starken Armee inkl. Freiwilliger an; andere Mitglieder der Taliban-Regierung haben sich für eine kleinere Berufsarmee ausgesprochen (AA 26.6.2023; vgl. CPJ 1.3.2022). Dem Taliban-Stabschef der Streitkräfte zufolge bestünde die Armee mit Stand März 2023 aus 150.000 Taliban-Kämpfern und solle kommendes Jahr auf 170.000 vergrößert werden. Angestrebt sei eine 200.000 Mann starke Armee (AA 26.6.2023). Der Geheimdienst (General Directorate for [Anm.: auch "of"] Intelligence, GDI), ein Nachrichtendienst, der früher als "National Directorate of Security" (NDS) bekannt war (CPJ 1.3.2022; vgl. AA 26.6.2023), wurde dem Taliban-Staatsoberhaupt Emir Hibatullah Akhundzada direkt unterstellt. Das Innenministerium der Taliban-Regierung hat wiederholt angekündigt, Polizisten, u. a. im Bereich der Verkehrspolizei, zu übernehmen. Dies ist nach Angaben von UNAMA zumindest in Kabul teilweise erfolgt. Es zeichnet sich ab, dass die Taliban mit Ausnahme der Luftwaffe (hier sollen laut afghanischen Presseangaben fast die Hälfte der ehemaligen Soldaten zurückgekehrt sein) von den bisherigen Kräften nur vereinzelt Fachpersonal übernehmen. Eine breit angelegte Integration der bisherigen Angehörigen der Sicherheitskräfte hat bisher nicht stattgefunden (AA 26.6.2023) und auch ein internationaler Analyst führte an, dass die Zahl der rekrutierten ehemaligen Sicherheitskräfte begrenzt sei und es sich im Allgemeinen um Spezialisten handele (EUAA 12.2023). Experten zufolge sind die Taliban jedoch noch weit davon entfernt, eine funktionierende Luftwaffe zu verwirklichen, die den Luftraum im Falle ausländischer Übergriffe oder inländischer Aufstände sichern könnte. Der Bestand an Hubschraubern und Fluggeräten gilt als veraltet und es gibt zumindest fünf bestätigte Unfälle in der Militärluftfahrt seit der Machtübernahme, wobei Pilotenfehler als wahrscheinlichste Ursache gelten. Nach Ansicht eines Afghanistan-Experten, müssten die Taliban in erheblichem Umfang Piloten ausbilden und Strategien für die Kommunikation und Koordination mit den Bodentruppen entwickeln, um eine funktionsfähige Luftwaffe aufzubauen. Zwar versuchen die Taliban, Piloten auszubilden, veröffentlichen jedoch keine Zahlen über die Anzahl ihrer Piloten und Techniker und auf Grundlage von Fotos und Videos wird mit Stand Mai 2023 von etwa 50 einsatzfähigen Flugzeugen und Hubschraubern ausgegangen (RFE/RL 25.5.2023).
Folter und unmenschliche Behandlung
Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen durch die Taliban (AA 26.6.2023, vgl. HRW 11.1.2024). Die Vereinten Nationen berichten über Folter und Misshandlungen von ehemaligen Sicherheitskräften bzw. ehemaligen Regierungsbeamten (UNAMA 22.8.2023; vgl. HRW 11.1.2024). Auch über Gewalt gegen Journalisten und Medienschaffende (HRW 11.1.2024; vgl. AA 26.6.2023) sowie gegen Frauenrechtsaktivisten (AA 26.6.2023 vgl. HRW 11.1.2024, AI 7.12.2023) auch in Gefängnissen wird berichtet (AA 26.6.2023; vgl. HRW 11.1.2024). Amnesty International berichtet beispielsweise über kollektive Strafen gegen Bewohner der Provinz Panjsher, darunter Folter und andere Misshandlungen (AI 8.6.2023).
Es gibt Berichte über öffentliche Auspeitschungen durch die Taliban in mehreren Provinzen, darunter Zabul (UNGA 1.12.2023), Maidan Wardak (8am 10.7.2023; vgl. BAMF 31.12.2023), Kabul (ANI 12.7.2023; vgl. AMU 12.7.2023), Kandahar (KaN 17.1.2023; vgl. KP 17.1.2023) und Helmand (KP 2.2.2023; vgl. KaN 2.2.2023). Der oberste Taliban-Führer, Emir Hibatullah Akhundzada, begrüßte die Einführung von Scharia-Gerichten und -Praktiken, einschließlich Qisas (z. B. Auspeitschungen oder Hinrichtungen), die die Öffentlichkeit mit eigenen Augen sieht (BAMF 31.12.2023).
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Die Lage von Menschenrechtsaktivisten in Afghanistan hat sich seit der Machtübernahme durch die Taliban verschlechtert (FH 1.2023; vgl. USDOS 12.4.2022a, AA 26.6.2023). Sie sind unter den Taliban nicht nur in ihrer Arbeit eingeschränkt, sondern müssen auch aktiv um ihr Überleben im Land kämpfen, da das Taliban-Regime und andere Akteure sie mit Gewalt, Diskriminierung und Propaganda bedrohen. Menschenrechtsverteidiger im ganzen Land sind mehrfachen Risiken und Bedrohungen ausgesetzt, wie z. B. Entführung und Inhaftierung, körperliche und psychische Gewalt, Diffamierung, Hausdurchsuchungen, willkürliche Verhaftung und Folter, Androhung von Einschüchterung und Schikanen sowie Gewalt gegen Aktivisten oder Familienmitglieder durch die Taliban, einschließlich Mord (FH 1.2023; vgl. FIDH 12.8.2022, AA 26.6.2023). Anfang Februar 2022 führten die Taliban beispielsweise flächendeckend Hausdurchsuchungen zunächst in Kabul, anschließend auch in angrenzenden Provinzen durch. Sie werden punktuell landesweit fortgesetzt, v. a. in Kabul und anderen Großstädten (AA 26.6.2023).
Einige afghanische Menschenrechtsorganisationen wollen ihre Arbeit aus dem Ausland fortsetzen und bauen zu diesem Zweck ihre oftmals zusammengebrochenen Informationsnetzwerke wieder auf (AA 26.6.2023). Die Afghan Independent Human Rights Commission (AIHRC), deren Rolle in der Verfassung aus Zeiten der Republik verankert ist, war seit August 2021 faktisch aufgelöst. Im Mai 2022 ist per Dekret die rückwirkende Auflösung auch formell beschlossen worden, der von der Taliban-Regierung beschlossene Haushalt sieht keine Mittel für die Institution vor. Ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Menschenrechtskommission bauen ein unabhängiges Menschenrechtsinstitut im Exil auf (AA 26.6.2023; vgl. AIHRC 26.5.2022).
Trotz der weitreichenden und zunehmenden Unterdrückung des Widerstands gegen die Taliban-Herrschaft hat die NGO Afghan Witness seit der ersten Demonstration im August 2021 fast 70 von Frauen geführte Straßendemonstrationen verifiziert, die zum großen Teil gegen die zunehmenden Einschränkungen des Zugangs von Mädchen und Frauen zu Bildung und Arbeit protestierten. Zwischen dem 1.3.2023 und dem 27.6.2023 hat Afghan Witness 95 separate Frauenproteste aufgezeichnet und analysiert, darunter 84 Proteste in Innenräumen und 11 Straßendemonstrationen in 12 Provinzen in Afghanistan (AfW 15.8.2023). Ab Mitte Jänner 2022 werden Aktivistinnen der seit August 2021 vor allem in Kabul aktiven Protestbewegung sukzessive durch die Sicherheitskräfte der Taliban festgenommen (AA 26.6.2023; vgl. HRW 12.1.2023) und es gibt Berichte über Haftbedingungen, u. a. zu Misshandlungen und sexuellen Übergriffen, auch wenn diese schwer zu verifizieren sind (AA 26.6.2023). Die Taliban-Behörden reagierten auch mit Gewalt auf Demonstranten (HRW 30.11.2023; vgl. AI 7.12.2023) und setzten scharfe Munition ein, um diese aufzulösen (HRW 12.10.2022; vgl. Guardian 2.10.2022). Human Rights Watch (HRW) berichtet, dass Frauen zusammen mit Familienmitgliedern, einschließlich kleiner Kinder, verhaftet wurden (HRW 30.11.2023; vgl. AI 7.12.2023). Sie werden unter missbräuchlichen Bedingungen festgehalten und manchmal gefoltert. Wenn sie freigelassen werden, verlangen die Taliban Urkunden über den Besitz ihrer Familie und drohen, diesen zu konfiszieren, wenn die Frau ihren Aktivismus fortsetzt (HRW 30.11.2023).
Berichte über Verhaftungen von Menschenrechtsaktivistinnen setzten sich über die Jahre 2022 (AI 16.11.2022; vgl. HRW 20.10.2022, Rukhshana 4.8.2022, AfW 15.8.2023) und 2023 fort (HRW 11.1.2024; vgl. AJ 21.7.2023, RFE/RL 21.8.2023, AfW 15.8.2023). So wurden beispielsweise Ende 2022 mehrere Frauen aufgrund der Teilnahme an Protesten gegen das Universitätsverbot verhaftet (BBC 22.12.2022; vgl. RFE/RL 22.12.2022) oder im Juli 2023 Proteste gegen die Schließung von Schönheitssalons gewaltsam aufgelöst (RFE/RL 19.7.2023; vgl. DW 20.7.2023).
Am 24.12.2022 erließen die Taliban-Behörden ein Dekret, das Frauen die Arbeit in NGOs verbietet (OHCHR 27.12.2022; vgl. Guardian 26.12.2022). Fünf führende NGOs haben daraufhin ihre Arbeit in Afghanistan eingestellt. Care International, der Norwegische Flüchtlingsrat (NRC) und Save the Children erklärten, sie könnten ihre Arbeit "ohne unsere weiblichen Mitarbeiter" nicht fortsetzen. Auch das International Rescue Committee stellte seine Dienste ein, während Islamic Relief erklärte, es stelle den Großteil seiner Arbeit ein (BBC 26.12.2022; vgl. Guardian 26.12.2022).
Allgemeine Menschenrechtslage
Die in der Vergangenheit von Afghanistan unterzeichneten oder ratifizierten Menschenrechtsabkommen werden von der Taliban-Regierung, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt anerkannt; es wird ein Islamvorbehalt geltend gemacht, wonach islamisches Recht im Falle einer Normenkollision Vorrang hat (AA 26.6.2023).
Seit dem Sturz der gewählten Regierung haben die Taliban die Menschenrechte und Grundfreiheiten der afghanischen Bevölkerung zunehmend und in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Insbesondere Frauen und Mädchen wurden in ihren Rechten massiv eingeschränkt und aus den meisten Aspekten des täglichen und öffentlichen Lebens verdrängt (UNICEF 9.8.2022; vgl. AA 26.6.2023, AfW 15.8.2023).
Die Taliban-Führung hat ihre Anhänger verschiedentlich dazu aufgerufen, die Bevölkerung respektvoll zu behandeln (AA 26.6.2023). Es gibt jedoch Berichte über grobe Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021 (HRW 11.1.2024; vgl. AA 26.6.2023, USDOS 20.3.2023a, UNGA 1.12.2023), darunter Hausdurchsuchungen (AA 26.6.2023), Willkürakte und Hinrichtungen (AA 26.6.2023, AfW 15.8.2023). Es kommt zu Gewalt und Diskriminierung gegenüber Journalisten (AA 26.6.2023; vgl. HRW 12.1.2023, AfW 15.8.2023) und Menschenrechtsaktivisten (FH 1.2023; vgl. FIDH 12.8.2022, AA 26.6.2023, AfW 15.8.2023). Auch von gezielten Tötungen wird berichtet (HRW 11.1.2024; vgl. AA 26.6.2023). Menschenrechtsorganisationen berichten auch über Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte (AA 26.6.2023; vgl. HRW 11.1.2024, AfW 15.8.2023). Weiterhin berichten Menschenrechtsorganisationen von Rache- und Willkürakten im familiären Kontext - also gegenüber Familienmitgliedern oder zwischen Stämmen/Ethnien, bei denen die Täter den Taliban nahestehen oder Taliban sind. Darauf angesprochen, weisen Taliban-Vertreter den Vorwurf systematischer Gewalt zurück und verweisen wiederholt auf Auseinandersetzungen im familiären Umfeld. Eine nachprüfbare Strafverfolgung findet in der Regel nicht statt (AA 26.6.2023). Die NGO Afghan Witness berichtet im Zeitraum vom 15.1.2022 bis Mitte 2023 von 3.329 Menschenrechtsverletzungen, die sich auf Verletzungen des Rechts auf Leben, des Rechts auf Freiheit von Folter, der Pressefreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Rechte der Frauen und mehr beziehen. Für denselben Zeitraum gibt es auch immer wieder Berichte über die Tötung und Inhaftierung ehemaliger ANDSF-Mitglieder. Hier wurden durch Afghan Witness 112 Fälle von Tötungen und 130 Inhaftierungen registriert, wobei darauf hingewiesen wurde, das angesichts der hohen Zahl von Fällen, in denen Opfer und Täter nicht identifiziert wurden, die tatsächliche Zahl wahrscheinlich höher ist (AfW 15.8.2023).
Die Taliban ließen wiederholt friedliche Proteste gewaltsam auflösen. Es kam zum Einsatz von scharfer Munition (AA 26.6.2023; vgl. HRW 12.10.2022, Guardian 2.10.2022) und es gibt auch Berichte über Todesopfer bei Protesten (FH 24.2.2022, AI 15.8.2022).
Afghan Witness konnte zwischen dem ersten und zweiten Jahr der Taliban-Herrschaft einige Unterschiede erkennen. So gingen die Taliban im ersten Jahr nach der Machtübernahme im August 2021 hart gegen Andersdenkende vor und verhafteten Berichten zufolge Frauenrechtsaktivisten, Journalisten und Demonstranten. Im zweiten Jahr wurde hingegen beobachtet, dass sich die Medien und die Opposition im Land aufgrund der Restriktionen der Taliban und der Selbstzensur weitgehend zerstreut haben, obwohl weiterhin über Verhaftungen von Frauenrechtsaktivisten, Bildungsaktivisten und Journalisten berichtet wird. Frauen haben weiterhin gegen die Restriktionen und Erlasse der Taliban protestiert, aber die Proteste fanden größtenteils in geschlossenen Räumen statt - offenbar ein Versuch der Demonstranten, ihre Identität zu verbergen und das Risiko einer Verhaftung oder Gewalt zu verringern. Trotz dieser Drohungen sind Frauen weiterhin auf die Straße gegangen, um gegen wichtige Erlasse zu protestieren (AfW 15.8.2023).
Haftbedingungen
Vor der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 wurden Gefängnisse, Jugendrehabilitationszentren und andere Haftanstalten von unterschiedlichen Organisationen verwaltet: Das General Directorate of Prisons and Detention Centers (GDPDC), ein Teil des Innenministeriums (MoI), war verantwortlich für alle zivil geführten Gefängnisse, sowohl für weibliche als auch männliche Häftlinge, inklusive des nationalen Gefängniskomplexes in Pul-e Charkh. Das National Directorate of Security (NDS) war verantwortlich für Kurzzeit-Haftanstalten auf Provinz- und Distriktebene, die in der Regel mit den jeweiligen Hauptquartieren zusammenarbeiten. Das Verteidigungsministerium betrieb die Nationalen Haftanstalten Afghanistans in Parwan (USDOS 12.4.2022a). Die Überbelegung der Gefängnisse war auch unter der ehemaligen Regierung ein ernstes und weitverbreitetes Problem. Nach der Übernahme Kabuls durch die Taliban haben sich viele Gefängnisse geleert, da fast alle Gefangenen entkamen oder freigelassen wurden (USDOS 12.4.2022a; vgl. UNHRC 8.3.2022).
Trotz anhaltender Bemühungen, die Zahl der Inhaftierten zu reduzieren (UNGA 1.12.2023), gab der stellvertretende Leiter der Gefängnisverwaltung im Jänner 2024 bekannt, dass die Gefängnispopulation 19.300 Personen erreicht habe, von denen 800 Frauen sind (UNAMA 1.5.2024). Im September 2024 gab die Generaldirektion für Gefängnisse und Haftanstalten der Taliban bekannt, dass etwa 23.000 Personen in Afghanistan inhaftiert sind (SWN 2.9.2024). Einen Tag zuvor hatten Beamte des Direktorats noch angegeben, dass 11.000 Personen in afghanischen Gefängnissen inhaftiert wären, wovon 2.000 Frauen und Kinder wären (KP 1.9.2024; vgl. SWN 2.9.2024). Dies wurde insofern richtiggestellt, als darauf hingewiesen wurde, dass neben den ca. 11.000 schon verurteilten Inhaftierten etwa 12.000 Personen in Haftanstalten auf Gerichtsurteile warten (SWN 2.9.2024).
Die Situation in den Gefängnissen in Afghanistan wird von den Vereinten Nationen als sehr schlecht bezeichnet, kann jedoch aufgrund von nur punktuellem Zugang für Menschenrechtsorganisationen nicht abschließend beurteilt werden (AA 12.7.2024). Es scheint keine landesweiten Haftstandards und keinen Mechanismus zu geben, um die Haftbedingungen anzufechten (AHR 29.4.2024). Finanzielle Engpässe und die Einstellung der Finanzierung durch Geber wirkten sich weiterhin auf die Fähigkeit der Gefängnisverwaltung aus, internationale Standards zu erfüllen (UNGA 1.12.2023), einschließlich der systematischen Bereitstellung angemessener Nahrungsmittel, Hygieneartikel (UNGA 1.12.2023; vgl. AHR 29.4.2024), der beruflichen Aus- und Weiterbildung sowie der medizinischen Versorgung (UNGA 1.12.2023).
UNAMA berichtet von Fällen, in denen Personen zum Zeitpunkt der Festnahme nicht über die Gründe für ihre Festnahme informiert wurden. Des Weiteren werden laut UNAMA Inhaftierte auch weder über ihre Rechte, noch darüber informiert, wie sie während der Haft Beschwerden vorbringen können. Es wurden auch Fälle dokumentiert, in denen Inhaftierte nicht über ihr Recht auf einen Anwalt informiert wurden oder ihnen die Kontaktaufnahme mit ihrer Familie verwehrt wurde (UNAMA 1.9.2023). Viele Strafverteidiger haben von Schwierigkeiten beim Zugang zu ihren Mandanten berichtet (AHR 29.4.2024). Zwischen 1.1.2022 und 31.7.2023 dokumentierte UNAMA über 1.600 Menschenrechtsverletzungen (11 % betrafen Frauen) durch die Taliban-Behörden im Zusammenhang mit der Festnahme und anschließenden Inhaftierung von Personen. Knapp 50 % dieser Verstöße betrafen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung. Diese Vorfälle ereigneten sich in 29 der 34 Provinzen Afghanistans (UNAMA 1.9.2023). Inhaftierte Personen beschreiben verschiedene Formen der Folter, wie z. B. Schläge, kopfüber aufgehängt zu werden, Elektroschocks, Ersticken (AHR 29.4.2024) und Gewalteinwirkung im Genitalbereich. Einem Bericht zufolge sollen seit der Machtübernahme der Taliban 87 Personen in Taliban-Gefängnissen an den Folgen von Folter gestorben sein (Afintl 8.8.2024).
Es existieren Berichte über Folter an Journalisten, Anwälten, Frauenrechtsaktivistinnen und -aktivisten und ihren Verwandten, Demonstrierenden und ehemaligen Sicherheitskräften (AA 12.7.2024) bzw. Gefangene, die mit der ehemaligen Regierung in Verbindung standen (USDOS 20.3.2023a). Des Weiteren sollen festgenommene Frauenrechtsaktivistinnen psychologischer und physischer Folter sowie sexueller Gewalt durch Taliban-Sicherheitskräfte ausgesetzt worden sein. Verifiziert sind zudem mehrere Fälle, in denen festgesetzte Journalisten geschlagen wurden (AA 12.7.2024).
Der Verhaltenskodex der Taliban zur Reform des Gefängnissystems sieht keine unverzügliche medizinische Untersuchung bei der Einweisung in eine Haftanstalt vor. Er sieht vor, dass in den Gefängnissen Erste-Hilfe-Einrichtungen und -Vorräte zur Verfügung stehen müssen und dass für die notwendige Behandlung von Schwerkranken rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zu treffen sind. Mehrere Taliban-Polizeibehörden bestätigten gegenüber UNAMA, dass die Personen vor ihrer Einlieferung in die Polizeieinrichtungen von einem Arzt untersucht und bei Bedarf in ein Krankenhaus gebracht werden. Allerdings dokumentierte UNAMA keinen Fall, bei dem eine Person bei der Inhaftierung oder vor einer Befragung medizinisch untersucht wurde, wobei eingeräumt wird, dass insbesondere in abgelegenen Gebieten nicht immer Ärzte zur Verfügung stehen (UNAMA 1.9.2023).
Todesstrafe
Die Gesetze aus der Zeit vor der Machtergreifung der Taliban im August 2021 sehen die Verhängung der Todesstrafe in bestimmten Fällen vor (AA 26.6.2023; vgl. UNAMA 8.5.2023). Zwischen 2001 und dem 15.8.2021 hat die Regierung der Islamischen Republik Afghanistan Berichten zufolge mindestens 72 Personen hingerichtet (UNAMA 8.5.2023).
Seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan am 15.8.2021 haben die Taliban de facto die Körperstrafen und die Todesstrafe eingeführt (UNAMA 8.5.2023). Die Taliban haben hierzu bisher keine gesetzlichen Regelungen erlassen. Die sowohl während des ersten Taliban-Regimes, als auch vor dem Zusammenbruch der Republik in von den Taliban kontrollierten Gebieten angewandte Rechtspraxis auf Grundlage ihrer Auslegung der Scharia, sieht die Todesstrafe vor (AA 26.6.2023). Ende November 2022 ordnete der oberste Führer der Taliban, Haibatullah Akhundzada, allerdings Richtern an, Strafen zu verhängen, die öffentliche Hinrichtungen, öffentliche Amputationen und Steinigungen umfassen können (BBC 14.11.2022; vgl. Guardian 14.11.2022, UNAMA 8.5.2023).
Am 7.12.2022 fand die erste öffentliche Hinrichtung der Taliban in Afghanistan seit der Machtübernahme im August 2021 statt (AA 26.6.2023; vgl. BBC 7.12.2022, REU 7.12.2022). Der Hingerichtete soll gestanden haben, vor fünf Jahren bei einem Raubüberfall einen Mann mit einem Messer getötet und dessen Motorrad und Telefon gestohlen zu haben (RFE/RL 7.12.2022; vgl. BBC 7.12.2022, REU 7.12.2022). Im Juni 2023 wurde in Laghman ein Mann durch die Taliban hingerichtet, der für schuldig befunden wurde, im vergangenen Jahr fünf Menschen ermordet zu haben (AP 20.6.2023; vgl. AJ 20.6.2023). Im Februar 2024 vollstreckten die Taliban eine Doppelhinrichtung in Ghazni, bei der Angehörige der Opfer von Messerstechereien vor Tausenden von Zuschauern mit Gewehren auf zwei verurteilte Männer schossen (AI 23.2.2024; vgl. ABC News 26.2.2024).
Religionsfreiheit
Etwa 99 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7 % und die Schiiten auf 7 bis 15 % der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 1.2.2024; vgl. AA 26.6.2023). Andere Glaubensgemeinschaften machen weniger als 0,3 % der Bevölkerung aus (CIA 1.2.2024; vgl. USDOS 15.5.2023). Die Zahl der Ahmadiyya-Muslime im Land geht in die Hunderte. Zuverlässige Schätzungen über die Gemeinschaften der Baha'i und der Christen sind nicht verfügbar. Es gibt eine geringe Anzahl von Anhängern anderer Religionen. Es gibt keine bekannten Juden im Land (USDOS 15.5.2023).
Anhänger des Baha'i-Glaubens leben vor allem in Kabul und in einer kleinen Gemeinde in Kandahar. Im Mai 2007 befand der Oberste Gerichtshof, dass der Glaube der Baha'i eine Abweichung vom Islam und eine Form der Blasphemie sei. Auch wurden alle Muslime, die den Baha'i-Glauben annehmen, zu Abtrünnigen erklärt. Internationalen Quellen zufolge leben Baha'is weiterhin in ständiger Angst vor Entdeckung und zögerten, ihre religiöse Identität preiszugeben (USDOS 15.5.2023).
Sikhs sehen sich seit Langem Diskriminierungen im mehrheitlich muslimischen Afghanistan ausgesetzt (EUAA 23.3.2022; vgl. DW 8.9.2021). Als die Taliban im August 2021 nach dem Abzug der US-Truppen die Macht in der Hauptstadt wiedererlangt hatten, floh eine weitere Welle von Sikhs aus Afghanistan (EUAA 23.3.2022; vgl. TrI 12.11.2021). Nach der Machtübernahme gaben die Taliban öffentliche Erklärungen ab, wonach deren Rechte geschützt werden würden (EUAA 23.3.2022; vgl. USCIRF 3.2023, USDOS 15.5.2023). Trotz dieser Zusicherungen äußerten sich Sikh-Führer in Medienerklärungen im Namen ihrer Gemeinschaft jedoch besorgt über deren Sicherheit (EUAA 23.3.2022; vgl. USDOS 15.5.2023). Berichten zufolge lebten mit Ende 2022 nur noch neun Sikhs und Hindu in Afghanistan (USDOS 15.5.2023).
Die Möglichkeiten der konkreten Religionsausübung für Nicht-Muslime waren und sind durch gesellschaftliche Stigmatisierung, Sicherheitsbedenken und die spärliche Existenz von Gebetsstätten extrem eingeschränkt (USCIRF 3.2023; vgl. AA 26.6.2023). Mit der rigorosen Durchsetzung ihrer strengen Auslegung der Scharia gegenüber allen Afghanen verletzen die Taliban die Religions- und Glaubensfreiheit von religiösen Minderheiten (USCIRF 3.2023). Nominal haben die Taliban religiösen Minderheiten die Zusicherung gegeben, ihre Religion auch weiterhin ausüben zu können (USCIRF 3.2023; vgl. AA 26.6.2023); insbesondere der größten Minderheit, den überwiegend der schiitischen Konfession angehörigen Hazara. In der Praxis ist der Druck auf Nicht-Sunniten jedoch hoch und die Diskriminierung von Schiiten im Alltag verwurzelt (AA 26.6.2023).
Trotz ständiger Versprechen, alle in Afghanistan lebenden ethnischen und religiösen Gemeinschaften zu schützen, ist die Taliban-Regierung nicht in der Lage oder nicht willens, religiöse und ethnische Minderheiten vor radikaler islamistischer Gewalt zu schützen, insbesondere in Form von Angriffen der Gruppierung Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) und Fraktionen der Taliban selbst (USCIRF 3.2023).
In einigen Gebieten Afghanistans (unter anderem Kabul) haben die Taliban alle Männer zur Teilnahme an den Gebetsversammlungen in den Moscheen verpflichtet und/oder Geldstrafen gegen Einwohner verhängt, die nicht zu den Gebeten erschienen sind (RFE/RL 19.1.2022) bzw. gedroht, dass Männer, die nicht zum Gebet in die Moschee gehen, strafrechtlich verfolgt werden könnten (BAMF 10.1.2022; vgl. RFE/RL 19.1.2022).
Ethnische Gruppen
In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 34,3 (NSIA 4.2022) und 38,3 Millionen Menschen (8am 30.3.2022; vgl. CIA 1.2.2024). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016; vgl. CIA 1.2.2024), da die Behörden des Landes nie eine nationale Volkszählung durchgeführt haben. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass keine der ethnischen Gruppen des Landes eine Mehrheit bildet, und die genauen prozentualen Anteile der einzelnen Gruppen an der Gesamtbevölkerung Schätzungen sind und oft stark politisiert werden (MRG 5.1.2022).
Die größten Bevölkerungsgruppen sind Paschtunen (32-42 %), Tadschiken (ca. 27 %), Hazara (ca. 9-20 %) und Usbeken (ca. 9 %), gefolgt von Turkmenen und Belutschen (jeweils ca. 2 %) (AA 26.6.2023).
Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.3.2023a).
Die Taliban gehören mehrheitlich der Gruppe der Paschtunen an. Seit der Machtübernahme der Taliban werden nicht-paschtunische Ethnien in staatlichen Stellen zunehmend marginalisiert. So gibt es in der Taliban-Regierung z. B. nur wenige Vertreter der usbekischen und tadschikischen Minderheit sowie lediglich einen Vertreter der Hazara (AA 26.6.2023).
Die Taliban haben wiederholt erklärt, alle Teile der afghanischen Gesellschaft zu akzeptieren und ihre Interessen berücksichtigen zu wollen. Aber selbst auf lokaler Ebene werden Minderheiten, mit Ausnahmen in ethnisch von Nicht-Paschtunen dominierten Gebieten vor allem im Norden, kaum für Positionen im Regierungsapparat berücksichtigt, da diese v. a. paschtunischen Taliban-Mitgliedern vorbehalten sind. Darüber hinaus lässt sich keine klare, systematische Diskriminierung von Minderheiten durch die Taliban-Regierung feststellen, solange diese den Machtanspruch der Taliban akzeptieren (AA 26.6.2023).
Paschtunen
Ethnische Paschtunen sind mit ca. 42 % der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans (MRG 5.2.2021a; vgl. AA 26.6.2023). Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime und leben hauptsächlich im Süden und Osten des Landes (MRG 5.2.2021a; vgl. Print 21.9.2021). Sie teilen sich in zwei große Gruppen auf - Durrani und Gheljai (auch Ghilzai or Ghilzay) - und in weitere Untergruppen von mehr als hundert kleineren Stämmen. Die Durrani sind vor allem in den südlichen Provinzen des Landes wie Kandahar, Zabul, Helmand, Uruzgan, sowie verstreut in anderen Provinzen verbreitet, während die Gheljai eher in Provinzen wie Paktia, Logar, Khost, Paktika, Maidan Wardak und anderen anzutreffen sind (STDOK/VQ AFGH 4.2024). Traditionell waren die Paschtunen nomadisierende oder halbnomadische Viehzüchter, Ackerbauern und Händler. Seit langer Zeit sind sie in Städten ansässig geworden, wo sie verschiedensten Tätigkeiten nachgehen. Paschtunische Stämme waren stets die militärische Stütze des afghanischen Königshauses und wurden dafür mit einigen Privilegien (Steuervergünstigungen, weitgehende Autonomie in inneren Angelegenheiten u. a.) versehen (STDOK 1.7.2016).
Bei den Paschtunen haben Familienstand, Stammeseinfluss, Besitz und Einfluss einen hohen Stellenwert. Ein hoher Anteil von Männern in paschtunischen Familien gilt als ein Zeichen der Stärke. Aufgrund der bedeutenden Rolle der Familie kann individuelles Fehlverhalten auch der Familie schaden und unschuldige Familienmitglieder zu Opfern machen. Die meisten Paschtunen bevorzugen Ehen mit anderen Paschtunen und sind ggf. mit der Heirat von nahen Verwandten einverstanden. Ehen zwischen Paschtunen und Mitgliedern anderer Ethnien wie Hazara, Usbeken oder Tadschiken sind selten (STDOK/VQ AFGH 4.2024).
Relevante Bevölkerungsgruppen
Kinder
Ca. 40 % (CIA 1.2.2024) bis 43 % (UNFPA 2023) der afghanischen Bevölkerung (ca. 15,6 Millionen) ist unter 14 Jahren und das Bevölkerungswachstum liegt 2023 bei 2,26 % (CIA 1.2.2024). Das Medianalter in Afghanistan liegt zwischen 17 (WoM 2023) und 19,5 Jahren (CIA 1.2.2024) und die Geburtenrate liegt im Jahr 2023 bei ca. 4,5 Kindern pro Frau (CIA 1.2.2024; vgl. UNFPA 2023).
Weiterhin fortbestehende Probleme sind sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen sowie Kinderarbeit und Prostitution (AA 26.6.2023). Die NGO Rawadari dokumentierte Vorfälle über sexuellen Missbrauch in Madrassas, die von den Ausbildern dieser Einrichtungen begangen werden, wobei aufgrund des hohen Grades der Stigmatisierung viele dieser Fälle verheimlicht werden (Rawadari 11.2023). Berichten zufolge sind auch Früh- und Zwangsverheiratungen weiterhin weit verbreitet (USDOS 20.3.2023a; vgl. AI 7.8.2023), obwohl die Taliban Anfang Dezember 2021 ein Verbot der Zwangsverheiratung in Afghanistan verkündeten. In dem Erlass wurde kein Mindestalter für die Eheschließung genannt, das bisher auf 16 Jahre festgelegt war (AP 3.12.2021; vgl. AJ 3.12.2021). NGOs führen dies auf Faktoren zurück, von denen viele direkt auf Einschränkungen durch und das Verhalten der Taliban zurückzuführen sind. Zu den häufigsten Ursachen für Kinder-, Früh- und Zwangsverheiratung seit August 2021 gehören die wirtschaftliche und humanitäre Krise, fehlende Bildungs- und Berufsperspektiven für Mädchen (AI 7.2022), das Bedürfnis der Familien, ihre Töchter vor der Heirat mit einem Taliban-Mitglied zu schützen (AI 7.2022; vgl. RFE/RL 14.12.2022), Familien, die Frauen und Mädchen zwingen, Taliban-Mitglieder zu heiraten und Taliban-Mitglieder, die Frauen und Mädchen zwingen, sie zu heiraten (AI 7.2022). Rawadari konnte mehrere Fälle von Zwangsverheiratungen junger (minderjähriger) Mädchen, beispielsweise in Kandahar und Helmand, mit älteren Männern gegen Geld feststellen und verifizieren. Auch über Zwangsehen von Minderjährigen mit Mitgliedern der Taliban wird berichtet (Rawadari 11.2023).
Die Kinderarbeit ist seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan angestiegen (RFE/RL 17.5.2023). Die afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok Afghan News berichtet im November 2023, dass jedes fünfte Kind in Afghanistan von Kinderarbeit betroffen ist. Es wird ausgeführt, dass die Zahl der arbeitenden Kinder in den Provinzen Khost, Bamyan und Helmand im Landesvergleich besonders hoch ist, während andere Provinzen wie Kabul, Badakhshan und Laghman weniger davon betroffen sind (PAN 23.11.2023). Laut einem Bericht von Save the Children aus dem Jahr 2023, im Zuge dessen Erwachsene und Kinder in sechs Provinzen Afghanistans (Balkh, Faryab, Jawzjan, Kabul, Nangarhar und Sar-e-Pul) interviewt wurden, sind mehr als ein Drittel der befragten Kinder zur Arbeit gezwungen, um ihren Familien zu helfen. Ebenso gaben mehr als 75 % der befragten Kinder an, dass sie weniger essen würden, als im selben Zeitraum des Vorjahres (STC 15.8.2023). Human Rights Watch schätzt, dass in Afghanistan Millionen von Kindern von Unterernährung betroffen sind (HRW 12.2.2024), während UNICEF die Zahl der von akuter Unterernährung betroffenen Kinder für das Jahr 2023 auf rund 2,3 Millionen schätzt (UNICEF 7.8.2023). Nach Angaben von Save the Children ist das Ausmaß des Hungers im Norden Afghanistans höher, wo Familien stark von der Landwirtschaft abhängig sind (STC 15.8.2023).
Kinder litten bis zur Machtübernahme der Taliban besonders unter dem bewaffneten Konflikt und wurden Opfer von Zwangsrekrutierung, vor allem vonseiten der Taliban (AA 26.6.2023; vgl. USDOS 20.3.2023a) und einige Quellen berichten, dass es auch nach der Machtübernahme zu Zwangsrekrutierungen von Kindern kam (Rawadari 11.2023; vgl. USDOS 15.6.2023a). Einem afghanischen Analysten zufolge haben die Taliban eine Kommission gebildet, um Kindersoldaten aus ihren Reihen zu entfernen, und heute vermeiden die Taliban in der Regel die Rekrutierung zu junger Männer, indem sie Kinder ohne Bart ablehnen (EUAA 12.2023). Rawadari berichtet jedoch, dass beispielsweise einige Moschee-Imame und Taliban-Funktionäre in den südlichen Provinzen das Erlernen gewaltsamer Kriegstaktiken offen fördern und die Kinder ermutigen, sich den Reihen der Taliban anzuschließen (Rawadari 11.2023). […]
Mitglieder der ehemaligen Regierung / Streitkräfte / ausländischer Organisationen
Die Taliban haben offiziell eine "Generalamnestie" für Angehörige der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräfte angekündigt (AA 26.6.2023; vgl. UNAMA 22.8.2023). Hochrangige Taliban, auch das Oberhaupt der Bewegung, Emir Haibatullah Akhundzada, haben die Taliban-Kämpfer wiederholt zur Einhaltung der Amnestie aufgefordert und angeordnet, von Vergeltungsmaßnahmen abzusehen (AA 26.6.2023; vgl. UNAMA 22.8.2023). Berichte über Verstöße gegen diese Amnestie wurden von den Taliban-Behörden zurückgewiesen und erklärt, dass diese Verstöße auf "persönlicher Feindschaft oder Rache" beruhten und nicht auf einer offiziellen Anweisung zu solchen Handlungen (UNAMA 22.8.2023). Außerhalb offizieller Kommunikation jedoch verbreiten Taliban-Offizielle bzw. ihnen nahestehende Kommentatoren, u. a. in den sozialen Medien, das Narrativ, dass ehemalige Regierungsmitglieder bzw. -angestellte, aber auch Personen, die mit ausländischen Regierungen gearbeitet haben, Verräter am Islam und an Afghanistan sind (AA 26.6.2023). Es wird berichtet, dass sich die Kampagnen der Taliban auch gegen die Familienmitglieder ehemaliger Militär- und Polizeikräfte richten (KaN 18.10.2023).
Während zielgerichtete, groß angelegte Vergeltungsmaßnahmen gegen ehemalige Angehörige der Regierung oder Sicherheitskräfte, oder Verfolgung bestimmter Bevölkerungsgruppen, bislang nicht nachgewiesen werden konnten (AA 26.6.2023), berichten Menschenrechtsorganisationen allerdings über Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte (AA 26.6.2023; vgl. HRW 12.1.2023). Diese Fälle lassen sich zumindest teilweise eindeutig Taliban-Sicherheitskräften zuordnen. Inwieweit diese Taten politisch angeordnet wurden, ist nicht zu verifizieren. Sie wurden aber durch die Taliban-Regierung trotz gegenteiliger Aussagen mindestens toleriert bzw. nicht juristisch verfolgt (AA 26.6.2023).
Im März 2022 gründeten die Taliban die Kommission für die Verbindungsaufnahme und Rückführung afghanischer Persönlichkeiten (KaN 18.10.2023; vgl. SIGAR 2.2023), um mit hochrangigen ehemaligen Beamten und Spitzenmilitärs über ihre Rückkehr ins Land zu verhandeln und ihnen Sicherheit und Schutz zu versprechen. Die Rückkehrer erhalten "Immunitätskarten", um sicherzustellen, dass sie nicht aufgrund ihrer früheren Tätigkeit inhaftiert werden. Einige müssen sich die Karten nach ihrer Rückkehr besorgen, was sich als äußerst schwierig erweist, da die Taliban keine speziellen Registrierungszentren bekannt gegeben haben und der Zugang zur Kommission nach wie vor schwierig ist. Die Kommission wird von Shahabuddin Delawar, dem Taliban-Minister für Bergbau und Erdöl, geleitet und umfasst sechs weitere hochrangige Taliban-Mitglieder aus Militär und Geheimdienst (KaN 18.10.2023; vgl. TN 17.3.2022). Seit ihrer Gründung ist es der Kommission gelungen, eine Reihe ehemaliger Beamter, darunter hochrangige Militär- und Polizeibeamte, zur Rückkehr in das Land zu bewegen. Während einige von ihnen der Rückkehr zugestimmt haben, haben viele aus Angst vor den "falschen Versprechungen" der Taliban beschlossen, nicht zurückzukehren. Die Taliban haben sich jedoch jeden prominenten Rückkehrer zunutze gemacht, indem sie ihn auf dem Flughafen von Kabul gefilmt und die Videos dann in den sozialen Medien als Werbematerial verbreitet haben. Die meisten Rückkehrer werden später zu Taliban-Unterstützern, befürworten ihre Ideologie und fordern weltweite Anerkennung. Manche sehen diese Rückkehr als eine Treueerklärung an die Taliban. Einige Mitglieder der ehemaligen Streitkräfte, die nach Versprechungen der Taliban nach Afghanistan zurückgekehrt waren, gaben an, wie Feinde behandelt worden zu sein, und dass ihre persönlichen Daten über Social-Media verbreitet wurden. Während einer angab, dass er kurzfristig verhaftet und verhört und sein Haus im Anschluss mehrfach von den Taliban durchsucht wurde, gab ein anderer Rückkehrer an, dass er zusätzlich einen Taliban-Beamten mit 50.000 AFN bestechen musste, um eine "Immunitätskarte" zu erhalten. Zusätzlich mussten Rückkehrer einen Treueid auf die Taliban leisten (KaN 18.10.2023).
Die Vereinten Nationen (VN) (UNAMA 22.1.2023), Nichtregierungsorganisationen (NGOs) (HRW 11.1.2024) sowie Medien (Afintl 3.2.2024; vgl. RFE/RL 13.11.2023, KaN 18.10.2023, 8am 23.7.2023) berichten von Entführungen und Ermordungen von ehemaligen Regierungs- und Sicherheitskräften seit August 2021 (AA 26.6.2023; vgl. ACLED 11.8.2023). Täter können davon ausgehen, dass auch persönlich motivierte Taten gegen diesen Personenkreis nicht geahndet werden (AA 26.6.2023).
Für den Zeitraum vom 16.8.2021 - 30.5.2023 verzeichnet ACLED über 400 Gewalttaten gegen ehemalige Regierungs- und Sicherheitsbeamte, von denen 290 von den Taliban verübt wurden (siehe nachstehende Grafik). Bei vielen Angriffen, die von nicht identifizierten Angreifern verübt wurden, haben lokale Quellen oder Familien der Opfer die Taliban beschuldigt, dafür verantwortlich zu sein (ACLED 11.8.2023).

Quelle: ACLED 11.8.2023
UNAMA dokumentiert für denselben Zeitraum (15.8.2021 - 30.6.2023) sogar mindestens 800 Menschrechtsverletzungen gegen ehemalige Regierungs- und Sicherheitsbeamte, darunter außergerichtliche Tötungen, gewaltsames Verschwinden, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Folter und Misshandlungen sowie Drohungen (UNAMA 22.8.2023).

Quelle: UNAMA 22.8.2023
Nach Angaben von UNAMA sind ehemalige Angehörige der afghanischen Nationalarmee am stärksten von Menschenrechtsverletzungen bedroht, gefolgt von der Polizei (sowohl der afghanischen Nationalpolizei (ANP) als auch der afghanischen Lokalpolizei (ALP)) und Beamten der National Directorate of Security (NDS). Menschenrechtsverletzungen gegen ehemalige Regierungsbeamte und Angehörige der ANDSF wurden in allen 34 Provinzen registriert, wobei die meisten Verletzungen in den Provinzen Kabul, Kandahar und Balkh verzeichnet wurden. Die oben genannten Gruppen sind zwar in allen Provinzen gefährdet, doch scheint es in einigen Gegenden zu einer verstärkten gezielten Gewalt zu kommen. So dokumentierte UNAMA mindestens 33 Menschenrechtsverletzungen gegen ehemalige ANP-Mitglieder in Kandahar (mehr als ein Viertel aller Menschenrechtsverletzungen gegen ehemalige ANP-Mitglieder im ganzen Land) und mindestens elf Fälle von Menschenrechtsverletzungen in Khost gegen ehemalige Mitglieder der Khost Protection Force (KPF), darunter außergerichtliche Tötungen, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen sowie Folter und Misshandlungen (UNAMA 22.8.2023).
Für die meisten der von UNAMA berichteten Verstöße liegen nur begrenzte Informationen über die Maßnahmen vor, die von den Taliban-Behörden ergriffen wurden, um die Vorfälle zu untersuchen und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. In einigen Fällen hat UNAMA Berichte erhalten, dass die mutmaßlichen Täter von Vorfällen, die sich gegen ehemalige Regierungsbeamte und ANDSF-Mitglieder richteten, festgenommen wurden. Die Taliban-Behörden haben auch öffentlich ihre Absicht angekündigt, bestimmte Vorfälle zu untersuchen (UNAMA 22.8.2023).
Personen denen vorgeworfen wird, von westlichen Werten beeinflusst zu sein
Berichten zufolge haben die Taliban das Ziel, die afghanische Gesellschaft zu "reinigen" (JS 20.4.2023; vgl. WP 18.2.2023) und "ausländischen" Einfluss aus Afghanistan zu vertreiben (CTC Sentinel 9.8.2022). Die afghanische Gesellschaft soll von allem "gesäubert" werden, was die Taliban als "westliche" Werte ansehen, einschließlich Bildung für Mädchen, Beschäftigung und Bewegungsfreiheit für Frauen sowie Meinungs- und Versammlungsfreiheit (JS 20.4.2023).
Während einer vom Dänischen Flüchtlingsrat (DRC) am 28.11.2022 organisierten Konferenz gab Dr. Liza Schuster, Dozentin für Soziologie an der University of London, an, dass diejenigen, die nach 2021 ausgereist sind, von den Taliban oft als "Verräter" angesehen werden. Einzelne Taliban-Mitglieder erklären in weitverbreiteten Videoaufnahmen, dass es eine Sünde sei, Afghanistan zu verlassen, und diejenigen, die gehen, werden als Sünder bezeichnen. Darüber hinaus erklärte Dr. Schuster, dass die Taliban Profile in den sozialen Medien kontrollieren und Personen deshalb der moralischen Korruption bezichtigt wurden. Familienangehörige von Ausgereisten wurden laut Dr. Schuster auch von Taliban-Beamten und Nachbarn schikaniert, unter anderem durch Vertreibungen und aggressive Verhöre (DRC 28.11.2022; vgl. EUAA 12.2023).
So haben sie in einigen Gegenden Anweisungen gegen das Kürzen von Bärten erlassen und Männern geraten, keine westliche Kleidung zu tragen (RFE/RL 17.6.2022). Obwohl keine allgemeine Kleiderordnung für Männer erlassen wurde (India Today 28.7.2023; vgl. EUAA 12.2023), finden sich auf Social Media Angaben von jungen afghanischen Männern, die von Taliban-Kämpfern geschlagen wurden, weil sie "westliche" Kleidung wie Jeans trugen (WION 27.7.2023). Auch wurde Regierungsangestellten angeordnet, sich einen Bart wachsen zu lassen und eine Kopfbedeckung zu tragen. Es wurde berichtet, dass in bestimmten Fällen gegen jene vorgegangen wurde, die sich nicht an diese Anordnungen gehalten haben (Afintl 1.3.2024; vgl. REU 28.3.2022). Ein Taliban-Beamter rief dazu auf, die Krawatte nicht mehr zu tragen, da sie ein Symbol für das christliche Kreuz sei (BAMF 31.12.2023; vgl. AT 26.7.2023), wobei die Taliban bereits im Jahr 2022 Studenten und Lehrende dazu aufriefen, keine Krawatten zu tragen (TN 15.4.2022).
Im Februar 2024 hielt ein hochrangiger Taliban Medienschaffende in Afghanistan dazu an, auf das Rasieren von Bärten und das Fotografieren zu verzichten. Er sagte weiter, dass der Bartwuchs im Islam obligatorisch sei und dass es eine große Sünde sei, ihn zu rasieren (KaN 21.2.2024; vgl. KP 21.2.2024). Zuvor hatte der Gouverneur der Taliban in Kandahar kürzlich eine schriftliche Anweisung an alle Institutionen und Behörden der Taliban in dieser Provinz herausgegeben, die das Fotografieren von formellen und informellen Treffen und Zeremonien verbietet (KP 21.2.2024; vgl. WION 19.2.2024). Im März 2024 gab ein Sprecher des Ministeriums für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern an, dass "dünne Kleidung" im Widerspruch zur Scharia und der afghanischen Kultur stehen würde, und forderte Händler auf, auf die Einfuhr solcher Kleidung zu verzichten (Afintl 1.3.2024).
Es gibt jedoch auch Berichte über Menschen, die in Kabul in bestimmten Teilen der Stadt T-Shirts und westliche Kleidung mit US-Motiven trugen (NYT 29.6.2023; vgl. SIGA 25.7.2023). Es wird auch darauf hingewiesen, dass man sich in Afghanistan praktisch alles kaufen kann, wenn man das Geld dazu hat (SIGA 25.7.2023). Außerdem berichtete die New York Times über Fast-Food-Restaurants und Bodybuilding-Fitnessstudios, die es in Kabul-Stadt gibt. Die Autoren erklären sich diese Dissonanz damit, dass in Kabul gemäßigtere Beamte tätig sind, als in der Kernzone der Taliban in Kandahar (NYT 29.6.2023).
Während einigen Quellen zufolge Musik in Afghanistan verboten ist (KP 6.2.2024; vgl. UNGA 9.9.2022), berichten andere, dass das Spielen von Musik in der Öffentlichkeit verboten sei (BBC 31.7.2023) und dass Taliban Veranstaltungen, bei denen Musik gespielt wird, unterbrechen und Menschen wegen des Spielens von Musik verhaften (Rukhshana 22.7.2022; vgl. KP 6.2.2024), während in einigen Lokalen in Kabul weiterhin Musik gespielt wird (SIGA 25.7.2023; vgl. NYT 29.6.2023). In Kandahar wurde durch das Ministerium für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern das Spielen und Hören von Musik in der ganzen Stadt verboten (8am 27.6.2023) und in Kabul forderten die Taliban Besitzer von Hochzeitssälen auf, keine Musik zu spielen (RFE/RL 12.6.2023). Berichten zufolge konfiszieren Taliban Musikinstrumente und verbrennen sie öffentlich (DW 31.7.2023; vgl. RFE/RL 18.8.2023) und gehen auch gegen Personen vor, die Musik in Privatfahrzeugen oder auf Telefonen abspielen (Afintl 31.7.2023).
Bewegungsfreiheit
Afghanistan befindet sich aktuell weitgehend unter der Kontrolle der Taliban; Widerstandsgruppen gelingt es bislang nicht oder nur vorübergehend, effektive territoriale Kontrolle über Gebiete innerhalb Afghanistans auszuüben. Dauerhafte Möglichkeiten, dem Zugriff der Taliban auszuweichen, bestehen daher gegenwärtig nicht. Berichte über Verfolgungen machen deutlich, dass die Taliban aktiv versuchen "Ausweichmöglichkeiten" im Land zu unterbinden (AA 26.6.2023).
Nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 war der Reiseverkehr zwischen den Städten im Allgemeinen ungehindert möglich (USDOS 20.3.2023a). Die Taliban setzen jedoch Kontrollpunkte ein, um den Verkehr innerhalb des Landes zu regeln, und es wird berichtet, dass sie Reisende durchsuchen und nach bekannten oder vermeintlichen Regimegegnern fahnden. Außerdem werden Mobiltelefone und Social-Media-Aktivitäten der Reisenden überprüft (FH 9.3.2023). So wurde im Jahr 2022 berichtet, dass zwischen dem Flughafen von Kabul und der Stadt Kabul bewaffnete Taliban Kontrollpunkte besetzen und die Straßen patrouillierten (VOA 12.5.2022; vgl. NPR 9.6.2022). Einem ehemaligen afghanischen Militärkommandanten zufolge überprüfen Taliban-Kräfte die Namen und Gesichter von Personen an Kontrollpunkten anhand von "Listen mit Namen und Fotos ehemaliger Armee- und Polizeiangehöriger" (HRW 30.3.2022). Meistens handelt es sich um Routinekontrollen (IOM 22.2.2024), bei denen nur wenig kontrolliert wird (SIGA 25.7.2023). Wenn jedoch ein Kontrollpunkt aus einem bestimmten Grund eingerichtet wird, kann diese Durchsuchung darauf abzielen, bestimmte Gegenstände wie Drogen, Waffen oder Sprengstoff aufzuspüren. Kontrollpunkte, die von den Taliban besetzt sind, sind über ganz Afghanistan verteilt und befinden sich in der Regel entlang der Hauptversorgungsrouten und in der Nähe der Zugänge zu größeren Städten. Die Haltung und der Umfang der Durchsuchungen an diesen Kontrollpunkten variieren je nach Sicherheitslage. Darüber hinaus werden je nach Bedarf Kontrollpunkte und Straßensperren für Suchaktionen, Sicherheitsvorfälle oder VIP-Bewegungen eingerichtet (IOM 22.2.2024).
Seit Dezember 2021 ist es afghanischen Frauen untersagt, ohne einen Mahram Fernreisen zu unternehmen. Innerhalb besiedelter Gebiete konnten sich Frauen freier bewegen, obwohl es immer häufiger Berichte über Frauen ohne Mahram gab, die angehalten und befragt wurden (USDOS 20.3.2023a). Das Taliban-Ministerium für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern hat es Fahrern verboten, allein reisende Frauen mitzunehmen (RFE/RL 19.1.2022; vgl. DW 26.12.2021). Zu darüber hinausgehenden Bewegungseinschränkungen liegen IOM-Afghanistan keine offiziellen Berichte vor. Es gab jedoch Fälle, in denen Bürger misshandelt wurden, weil sie sich nicht an die von den Taliban auferlegten üblichen Regeln hielten. IOM berichtet auch über eine steigende Anzahl von Vorfällen, bei denen UNSMS-Personal (United Nations Security Management System) vorübergehend angehalten wurde, wobei hier die Vorgehensweise der Taliban je nach Ort unterschiedlich ist (IOM 22.2.2024).
Anm.: Mahram kommt von dem Wort "Haram" und bedeutet "etwas, das heilig oder verboten ist". Im islamischen Recht ist ein Mahram eine Person, die man nicht heiraten darf, und es ist erlaubt, sie ohne Kopftuch zu sehen, ihre Hände zu schütteln und sie zu umarmen, wenn man möchte. Nicht-Mahram bedeutet also, dass es nicht Haram ist, sie zu heiraten, von einigen Ausnahmen abgesehen. Das bedeutet auch, dass vor einem Nicht-Mahram ein Hijab getragen werden muss (Al-Islam TV 30.10.2021; vgl. GIWPS 8.2022).
Afghanische Flüchtlinge in Iran und Pakistan
Afghanen in Iran
Iran hat die Genfer Flüchtlingskonvention mit Vorbehalten unterzeichnet. Die Regierung ist restriktiv in der Vergabe des Flüchtlingsstatus, jedoch bietet die Islamische Republik Iran seit Jahrzehnten Millionen von afghanischen (SEM 30.3.2022) sowie irakischen Flüchtlingen und Migranten Zuflucht und Unterstützung (AA 30.11.2022). Iran ist Gastland für eine der größten Flüchtlings- und Migrantenpopulationen weltweit, insbesondere für Afghanen (UNGA 6.10.2023). Iran duldet viele afghanische Staatsangehörige, die sich irregulär im Land aufhalten. Ein beträchtlicher Anteil befindet sich im Rahmen der Arbeitsmigration in Iran, die ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor für das Land ist. Im Rahmen verschiedener Regularisierungsinitiativen haben die iranischen Behörden einigen von ihnen einen regulären Aufenthalt bzw. eine Duldung ermöglicht (SEM 30.3.2022).
Die traditionell hohe Migration von Afghanen nach Iran (SEM 29.8.2023; vgl. Stimson 24.10.2023) hat mit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 weiter zugenommen (SEM 29.8.2023; vgl. UNHCR 14.1.2024), wobei keine genauen Zahlen zur Einreise von Afghanen seit August 2021 vorliegen. Die iranischen Behörden erheben bzw. kommunizieren hierzu keine verlässlichen Zahlen (SEM 29.8.2023). Von den 2,6 Mio. im Rahmen einer Zählung im Jahr 2022 erfassten, zuvor undokumentierten Personen waren rund eine Million nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 nach Iran eingereist (UNGA 6.10.2023). IOM hat im ersten Jahr nach der Machtübernahme der Taliban (15.8.2021-14.8.2022) eine größere Anzahl an Bewegungen aus Afghanistan nach Iran verzeichnet als im zweiten Jahr (15.8.2022-15.8.2023), nämlich 1,7 Mio. vs. 605.000 Personen (IOM 5.2.2024).
Das Amt für Ausländer- und Einwanderungsangelegenheiten (Bureau for Aliens and Foreign Immigrant´s Affairs, BAFIA) ist für die Registrierung von Asylwerbern und Flüchtlingen sowie für die Feststellung des Flüchtlingsstatus gemäß den iranischen Rechtsvorschriften zuständig (UNHCR 26.9.2021). Gemäß einem Gesetzesentwurf wird künftig die "Nationale Migrationsorganisation" (Farsi: sazman-e melli-ye mohajerat [englisches Akronym: NOM]) diese Aufgabe übernehmen und das BAFIA ablösen. Laut Diaran, einer auf Migrationsfragen spezialisierten Webseite, hat diese neue Migrationsorganisation bereits inoffiziell ihre Arbeit im Innenministerium aufgenommen (SEM 29.8.2023). Bis zum März 2025 soll die neue Behörde offiziell eingerichtet sein (IRNA 19.6.2023). UNHCR nimmt in Iran keine Asylanträge an und entscheidet nicht über diese (UNHCR 26.9.2021).
Aufenthaltsmöglichkeiten
Schutzsuchende aus Afghanistan haben in Iran folgende faktische Aufenthaltsmöglichkeiten: regulärer Aufenthalt per Pass und Visum; regulärer Aufenthalt als "anerkannte Flüchtlinge" (für Afghanen: Besitzer der Amayesh-Karte, für Iraker: Besitzer der Hoviat-Karte (UNHCR o.D.a)); halbregulärer Aufenthalt als registrierte, irreguläre Flüchtlinge (mit Laissez-Passer); und irregulärer Aufenthalt als nicht-registrierte Flüchtlinge (SEM 29.8.2023; vgl. IOM 11.4.2024). Die gesetzliche Regulierung von afghanischer Migration geschieht v. a. über Dekrete. Dekrete können ad hoc erlassen werden. Für die betroffenen Migranten bedeutet dies ein Mangel an Sicherheit und Vorhersehbarkeit bezüglich ihres Aufenthaltsstatus. Die erwähnten Aufenthaltstitel sind für einen begrenzten Zeitraum gültig und müssen jeweils erneuert werden (Asghari/RLI 3.2024).
Laut UNHCR halten sich insgesamt rund 4,5 Mio. vertriebene Personen in Iran auf (UNHCR 31.12.2023). Hinsichtlich ihres Aufenthaltsstatus verteilen sie sich zahlenmäßig folgendermaßen: [...]
Neu geflüchtete Personen können nach iranischem Recht grundsätzlich beim BAFIA ein Asylgesuch stellen. Gemäß dem US-amerikanischen Außenministerium und UNHCR verfügt Iran weiterhin über ein System zum Schutz von Flüchtlingen. UNHCR weiß jedoch nicht, wie das BAFIA Asylentscheide konkret vornimmt (SEM 29.8.2023; vgl. AI 8.2022). Asylsuchende erhielten seit 2003 mit wenigen Ausnahmen kein Asyl (SEM 29.8.2023). Während manche Quellen Amayesh-Karteninhaber als afghanische "Flüchtlinge" bezeichnen [Anm.: und diese in der oben dargestellten Grafik von UNHCR als "Flüchtlingskartenbesitzer" geführt werden], haben weder die iranischen Behörden noch UNHCR bei der Erteilung des Status eine Feststellung der Flüchtlingseigenschaft im eigentlichen Sinne vorgenommen (Asghari/RLI 3.2024). Die Bestimmungen zu den Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und Arbeitsmöglichkeiten für Amayesh-Karteninhaber sind ebenfalls nicht mit den Rechten eines Flüchtlingsstatus nach der Genfer Konvention von 1951 ident (Eurac 3.7.2023). Nichtsdestotrotz erkennt UNHCR die Amayesh-Karteninhaber als "persons of concern" an, was sie zu der Gruppe macht, die Flüchtlingen in Iran am nächsten kommt. Sie sind die einzige Gruppe von Afghanen in Iran, die von UNHCR geschützt wird (Asghari/RLI 3.2024).
Bei den Afghanen mit "Familienpass" (UNHCR 31.12.2023), auch "Haushaltspass" (Asghari/RLI 3.2024), handelt es sich um zuvor undokumentierte Afghanen, die sich seit 2010 registrieren ließen und afghanische Reisepässe mit Visa erhielten, welche seit 2012 mehrmals verlängert wurden (MBZ 9.2023; vgl. Asghari/RLI 3.2024) - allerdings mit einer Lücke zwischen 2016 und 2020, in der die Passinhaber als undokumentiert galten (Asghari/RLI 3.2024). Im Jahr 2022 haben die iranischen Behörden im Rahmen einer Zählung ("headcount") von Ausländern ohne Aufenthaltsstatus zusätzlich rund 2,6 Mio. Afghanen registriert und sie mit headcount slips, d. h. mit Laissez-Passers für einen temporären Aufenthaltsstatus ausgestattet (UNGA 6.10.2023), der bis zum 20.4.2023 verlängert wurde. Danach wurden keine diesbezüglichen Ankündigungen mehr gemacht. Stattdessen soll ein neues, einheitliches Ausweismodell ("Unified IDs scheme") geschaffen werden [Anm.: s. dazu auch weiter unten] (UNHCR 14.1.2024).
Eine weitere Gruppe stellen Afghanen dar, die über einen Reisepass samt gültigem Visum verfügen, beispielsweise ein Studienvisum oder ein Visum für Langzeitaufenthalte. Beide Visumsarten müssen jährlich verlängert werden (Asghari/RLI 3.2024).
Im Juni 2023 hat die Regierung die Einführung eines "Smart Governance Scheme for Foreign Nationals" angekündigt. Im Rahmen dieses Programms sollen Inhaber von Amayesh-Karten, headcount slips und Aufenthaltsvisa künftig eine Smart ID-Karte erhalten. In der Pilotphase erhalten scheinbar Amayesh-Karteninhaber in der Provinz Qom Smart ID-Karten. Die Details zu diesem Programm sind noch nicht zur Gänze bekannt (Asghari/RLI 3.2024).
Während UNHCR schätzt, dass sich ca. 500.000 Afghanen ohne Aufenthaltsstatus im Land aufhalten (UNHCR 31.12.2023), gehen die iranische Regierung (SEM 29.8.2023) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) eher von einer Million Menschen aus (IOM 11.4.2024). Dies sind beispielsweise Personen, die nicht am headcount von 2022 teilgenommen haben, die nach Abschluss dieser Registrierungsrunde nach Iran migriert sind, oder die ihren legalen Aufenthaltsstatus verloren haben (SEM 29.8.2023).
Regulär nach Iran einreisen kann nur, wer im Besitz eines gültigen Passes und Visums für Iran ist. Iran hatte seine konsularischen Dienste nach Machtübernahme der Taliban teils vorübergehend eingestellt (z. B. in Herat), sodass keine neuen Visa mehr beantragt werden konnten. Seit Ende 2021 können in Afghanistan jedoch wieder regulär Visumsanträge gestellt werden, wenngleich teils mit Unterbrechungen (z. B. im April 2022 oder Ende 2022/Anfang 2023 in Herat). Dennoch findet die große Mehrheit der Einreisen nach Iran wohl immer noch irregulär statt (SEM 29.8.2023).
In mehreren Fällen sind Afghanen an der iranischen Grenze zu Afghanistan und an der türkischen Grenze zu Iran gewaltsam zurückgedrängt worden (MMC 3.2023). [Anm.: s. Abschnitt "Rückkehr" in diesem Kapitel für weitere Informationen]
Amayesh-Programm
Mit der Durchführung des Amayesh-Programms für Flüchtlinge in Iran wurde in der Zeit von 2001 bis 2003 begonnen. Die Personen, die durch das Programm registriert worden sind, bekamen sogenannte Amayesh-Karten ausgestellt, die unter anderem das Recht auf medizinische Versorgung und Ausbildung einschließen (Migrationsverket 10.4.2018; vgl. UNHCR o.D.a). Die Amayesh-Karten wurden für Haushalte (und nicht Einzelpersonen) ausgestellt, wobei die Registrierung der Haushalte v. a. auf den Eigenangaben der Antragsteller basierte (Asghari/RLI 3.2024). Ein Anrecht auf die Amayesh-Karte haben praktisch nur Flüchtlinge, die sich bereits vor 2001 in Iran aufhielten, sowie deren (auch später geborene) Kinder [Anm.: sie weiter unten bzgl. der Weitergabe des Status] (SEM 29.8.2023). Die Registrierung für den Amayesh-Status war in dieser Hinsicht eine einmalige Gelegenheit, die nicht in eine [permanente] Zugangsmöglichkeit zu einem Aufenthaltsstatus umgewandelt wurde, der auf der Grundlage von Anspruchsvoraussetzungen gewährt würde (Asghari/RLI 3.2024).
Offiziell handelt es sich bei der Amayesh-Karte um eine zeitlich beschränkte Aufenthaltserlaubnis. Die Karte muss entsprechend regelmäßig erneuert werden. Seit 2011 hat sie jeweils eine Gültigkeit von einem Jahr (SEM 29.8.2023). Kartenbesitzer, die eine Registrierungsrunde verpasst haben, oder die für manche Afghanen nicht unerheblichen Erneuerungskosten nicht aufbringen können, verlieren die Karte und damit ihren Aufenthaltsstatus (Eurac 3.7.2023, NRC 1.6.2023). In der Vergangenheit (Amayesh-Runden 14, 15 und 17) wurden jedoch teils Ausnahmen für ehemalige Amayesh-Karteninhaber gemacht, die vergessen hatten, sich zu registrieren (SEM 29.8.2023).
Im November 2023 hat die Regierung ein neues System eingeführt, das die abgelaufenen Amayesh-Karten durch sogenannte Smart ID-Karten ersetzen soll. Dieses neue System ermöglicht ebenfalls einen zeitlich begrenzten Aufenthalt in Iran. Die Smart ID-Karte ist mit einer SIM-Karte und einer Bankkarte verbunden und kostet etwa 22 EUR (IOM 11.4.2024). Mit Beginn der Pilotphase dieses Projekts wurde die Erneuerung der Amayesh-Karten eingestellt und die Gültigkeitsdauer der vorigen Amayesh-Karten um ein Jahr verlängert (Asghari/RLI 3.2024).
Registrierung von Personen ohne Aufenthaltsstatus (Ausgabe von headcount slips)
Bereits 2017 und 2018 hatte der Iran eine Zählung und Registrierung (headcount) von Ausländern ohne regulären Aufenthalt durchgeführt. Ende 2017 waren dabei rund 800.000 Personen registriert worden, in der überwiegenden Mehrheit Afghanen. Diese Personen erhielten einen Papierbeleg (headcount slip), der sie vor einer Rückführung nach Afghanistan schützte. Bei einer früheren Registrierungsrunde (Comprehensive Regularization Plan) von 2010 und 2012) war registrierten Afghanen später sogar ein Aufenthalt per Visum ermöglicht worden (SEM 29.8.2023).
Beim letzten Zählungszyklus für Afghanen, der im Juni 2022 endete, wurden drei Kategorien von Berechtigten registriert:
1. Besitzer von headcount slips der Zählung von 2017;
2. Afghanische Staatsangehörige ohne Papiere, die bereits ihre "Impfeinführungsbriefe" von Kefalat-Zentren* erhalten haben und nicht an der Zählung von 2017 teilgenommen haben;
3. Ausländer ohne Papiere, die an keiner der bisherigen Zählungen/Impfplänen teilgenommen haben (UNHCR o.D.b).
Die Kosten für die Registrierung und Teilnahme von Afghanen ohne Aufenthaltsstatus an der Zählung beliefen sich zwischen 270.000 IRR und 310.000 IRR pro Person (UNHCR o.D.b).
Die Gültigkeit der 2022 ausgestellten headcount slips wurde systematisch bis zum 20.4.2023 verlängert (UNHCR 14.1.2024), im November 2023 erfolgte eine Ankündigung, wonach sich Inhaber von headcount slips, die von einem Pishkan-Zentrum* ausgestellt wurden, bei einem Kefalat-Zentrum* melden sollen, da ihre headcount slips sonst die Gültigkeit verlieren würden (UNHCR 19.11.2023). Die iranische Regierung führt laut UNHCR ein einheitliches Ausweismodell ("Unified IDs scheme") ein, das einen stabileren Rechtsstatus für ausländische Staatsangehörige in Iran schaffen soll (UNHCR 14.1.2024). Dabei handelt es sich wahrscheinlich um das Projekt der neuen Smart ID-Karte für Flüchtlinge und Ausländer (SEM 29.8.2023). Inhaber von headcount slips sollen die Möglichkeit zum Erhalt einer Smart ID-Karte bekommen, wobei in der Einführungsphase die Amayesh-Karten getauscht werden und die headcount slips später folgen. Anders als Amayesh-Karteninhaber müssen die Inhaber von headcount slips dazu laut IOM allerdings an einem Investitionsprogramm für ausländische Staatsangehörige teilnehmen. Dabei wird die erforderliche Investitionssumme von einer Mrd. IRR (21.893 EUR) pro Haushaltsvorstand und allen erwachsenen männlichen Familienmitgliedern für ein Jahr eingefroren und kann in Infrastrukturprojekte investiert werden. Während das Programm laut Regierung freiwillig ist, riskieren Personen, welche nicht daran teilnehmen, laut IOM eine Ausweisung, vor allem, wenn ihre headcount slips ablaufen. Die headcount slips derjenigen, die Ablehnungen für Smart ID-Karten erhalten haben, werden derzeit noch als gültig betrachtet. Die Einzelheiten des Plans sind noch in der Ausarbeitung und ändern sich möglicherweise noch (IOM 11.4.2024). Die Teilnahme an dem "freiwilligen" Investitionsprogramm ermöglicht laut einer Ankündigung des iranischen Innenministeriums den Zugang zu privilegierten Diensten wie zum Beispiel verschiedenen Versicherungsarten und einer Aufenthaltsbewilligung. Nach Ankündigung der National Organization for Migration (NOM) ist die Nichtteilnahme an diesem Programm "lediglich ein Zeichen für mangelndes Interesse an den von diesem Programm gebotenen Diensten" (UNHCR 28.1.2024).
* Anm.: Pishkan- und Kefalat-Zentren sind lokale Servicezentren, die von den iranischen Behörden in Kooperation mit privaten Anbietern eingerichtet wurden.
Rechte und Zugang zu Leistungen
Während Afghanen unabhängig von ihrem Status freien Zugang zum Schulwesen haben und viele von ihnen die versteckten Subventionen nutzen können, die die Regierung zur Kontrolle der Preise für Lebensmittel, Medikamente und Benzin bereitstellt, sind Personen ohne Aufenthaltsstatus beispielsweise nicht in der Lage, Bankkonten zu eröffnen oder Wohnungen und SIM-Karten für Mobiltelefone zu kaufen (AJ 12.6.2022). Auch Afghanen mit einem Aufenthaltsstatus sind von bestimmten Einschränkungen betroffen. Laut einer neuen Direktive ist es Afghanen mit einer Aufenthaltsbewilligung z. B. nur mehr erlaubt, Bankkonten bei einer Bank (und nicht bei mehreren) zu eröffnen (8am 24.2.2024).
Amayesh-Karteninhaber sowie durch den headcount registrierte Afghanen sind in ihrer Bewegungsfreiheit im Land eingeschränkt (IOM 11.4.2024; vgl. UNHCR o.D.c, UNHCR 3.8.2022). Die Aufenthaltstitel sind an bestimmte Provinzen gebunden, die nicht ohne Genehmigung verlassen werden dürfen. Inhaber von Amayesh-Karten oder headcount slips können sich auch nicht in einer anderen Provinz als der, in der sie registriert sind, für staatliche Leistungen wie zum Beispiel den Schulbesuch anmelden. Darüber hinaus sind 16 Provinzen [Anm.: von insg. 31] Betretungsverbotszonen für Afghanen (IOM 11.4.2024). Letzteres hat nach einer Ankündigung des BAFIA-Büros in Kermanshah Medienaufmerksamkeit erhalten (IOM 11.4.2024; vgl. RFE/RL 4.12.2023, IRINTL 3.12.2023), allerdings ist diese Praxis laut Regierungsangaben nicht neu. Manche Provinzen, wie zum Beispiel Sistan und Belutschistan, sind seit langem Verbotszonen für afghanische Staatsbürger (IOM 11.4.2024). Besitzer gültiger Aufenthaltsvisa (Asghari/RLI 3.2024; vgl. IOM 4.5.2022), wie z. B. Studienvisa, können sich frei im Land bewegen (IOM 11.4.2024), so es sich dabei nicht um Verbotszonen für Ausländer handelt. Mit einem Aufenthaltsvisum ist außerdem eine Reise ins Ausland möglich. Inhaber von Amayesh-Karten können das Land nicht verlassen, da sie ihren Status sonst verlieren (Asghari/RLI 3.2024).
Die iranischen Behörden arbeiten mit UNHCR zusammen, um Flüchtlingen, aus Iran nach Afghanistan zurückkehrenden Flüchtlingen, Asylwerbern und anderen Personen Hilfe bereitzustellen (USDOS 20.3.2023b), vor allem in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Lebensunterhalt (UNHCR 9.1.2024). Internationale Organisationen wie UNHCR und NGOs bestätigen, dass Iran afghanische Flüchtlinge einerseits in den vergangenen Jahren sehr großzügig aufgenommen und behandelt, andererseits aber sehr wenig internationale Unterstützung erhalten hat (ÖB Teheran 11.2021; vgl. IOM 11.4.2024). Von iranischer Seite gibt es einige NGOs, die sich um afghanische Flüchtlinge kümmern. Die iranischen Behörden haben den Spielraum dieser unabhängigen Organisationen in den letzten Jahren allerdings eingeschränkt (SEM 30.3.2022).
Bildungswesen
Seit 2015 haben afghanische Kinder Zugang zu kostenloser Bildung bis zum Ende der Oberstufe (IOM 11.4.2024; vgl. ÖB Teheran 11.2021). Afghanen mit Papieren können sich direkt bei den Schulen einschreiben. Der Zugang ist für Inhaber von Amayesh-Karten und headcount slips gewährleistet. Afghanen ohne Papiere haben formell Zugang zu Grund- und weiterführenden Schulen mit einigen Einschränkungen (zwei Jahre Wohnsitznachweis), in der Praxis ist der Zugang jedoch schwierig (IOM 11.4.2024). Sie können sich mit einer speziellen "Bildungsschutzkarte" oder blue card an Schulen anmelden, die vom BAFIA ausschließlich für die Einschreibung an Schulen in einer bestimmten Provinz ausgestellt wird. Diese ist jeweils für ein Jahr gültig (UNHCR o.D.a). Während es ursprünglich vergleichsweise einfach war, eine blue card zu erhalten, ist dies nach Angaben eines Aktivisten für Flüchtlingsrechte in Iran zunehmend schwieriger geworden und blue cards werden vor allem für Afghanen ausgestellt, die vor 2021 ins Land gekommen sind (MMC 3.2023). Auch finden nicht alle Kinder einen Schulplatz, etwa weil erschwingliche Transportmöglichkeiten fehlen, die Kinder illegal arbeiten geschickt werden, die allgemeine Einschreibegebühr von umgerechnet 60 USD zu hoch ist, oder Eltern iranischer Kinder gegen die Aufnahme von afghanischen Kindern sind (ÖB Teheran 11.2021).
Flüchtlingskinder lernen Seite an Seite mit ihren iranischen Klassenkameraden nach dem iranischen Lehrplan. Es gibt einige von der afghanischen Gemeinschaft betriebene Schulen, in denen in Dari oder anderen in Afghanistan gesprochenen Sprachen unterrichtet wird. Diese Schulen sind mittlerweile anerkannt, nachdem sie zuvor regelmäßig von den Behörden geschlossen wurden (ACCORD 4.5.2020).
Bildung auf höherem Niveau ist nur für Inhaber eines Visums zugänglich. Inhaber einer Amayesh-Karte und Migranten ohne Registrierung können sich nicht für ein Hochschulstudium oder eine Berufsausbildung einschreiben (IOM 4.5.2022; vgl. IOM 11.4.2024). Um an einer Universität zu studieren, müssen Inhaber einer Amayesh-Karte und Inhaber einer Aufenthaltsgenehmigung ihren Status aufheben, das Land verlassen und erneut ein Visum für die Ausbildung beantragen, um nach Iran einzureisen (IOM 4.5.2022; vgl. IOM 11.4.2024, TN 20.2.2023), bzw. ist eine Visumsbeantragung auch auf der Insel Kish in Südiran möglich (UNHCR 1.12.2023; vgl. UNHCR 26.10.2021). Nach Studienabschluss kann der Amayesh-Status nicht wiedererlangt werden. Ehemalige Amayesh-Kartenbesitzer können dann um eine jährlich zu verlängernde Aufenthaltsbewilligung ansuchen, die i.d.R. verlängert wird, solange die Antragsteller in Iran leben. Da es sich dabei um ein Dekret handelt, kann sich dies in der Zukunft allerdings auch ändern (Asghari/RLI 3.2024).
Gesundheitswesen
Medizinische Grundversorgung ist für alle Menschen in Iran gratis zugänglich, nicht registrierte Flüchtlinge haben jedoch oft Angst, abgeschoben zu werden, und nehmen diese nicht in Anspruch (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Eurac 3.7.2023). Der Zugang zur staatlichen Krankenversicherung ist hingegen abhängig vom konkreten Aufenthaltsstatus (SEM 30.3.2022). Seit 2016 können sich alle registrierten Flüchtlinge [Anm.: Inhaber einer Amayesh-Karte] zur staatlichen Krankenversicherung anmelden, müssen allerdings eine Gebühr zahlen, die sich viele nicht leisten können. UNHCR zahlt diese Gebühr für die vulnerabelsten Flüchtlinge (ÖB Teheran 11.2021). Inhaber der Amayesh-Karte sind über das von UNHCR unterstützte Versicherungssystem krankenversichert, Visuminhaber meist über eine Beschäftigung bei einer iranischen Organisation oder einem Unternehmen. Das mit der Smart ID-Karte verbundene Investitionsprogramm, an dem Inhaber von Amayesh-Karten und headcount slips teilnehmen können, soll eine Krankenversicherung beinhalten. Migranten ohne Papiere haben keinen Zugang zu einer Krankenversicherung, und wenn sie eine Gesundheitseinrichtung aufsuchen wollen, müssen sie alle Kosten selbst tragen. Es gibt keine ausreichenden Kapazitäten von NGOs, um Migranten ohne Aufenthaltstitel bei der Deckung medizinischer Kosten zu unterstützen. Lediglich bei den Grundkosten kann UNHCR teilweise helfen. Inhaber von headcount slips können in Ausnahmefällen bei schweren Fällen wie Krebs, Nierenversagen/Dialyse Zugang zu medizinischen Leistungen erhalten. Die Universelle Öffentliche Krankenversicherung (Universal Public Health Insurance, UPHI), eine der nationalen Krankenversicherungen in Iran, ist die am besten zugängliche Versicherung für in Iran lebende Afghanen. Sie deckt jedoch nicht die gesamten Behandlungs- und Medikamentenkosten ab (IOM 11.4.2024).
Arbeitsmöglichkeiten
Amayesh-registrierte Afghanen [Anm.: Hier sind nur Männer gemeint] im Alter von 18 bis 60 Jahren müssen um eine Arbeitserlaubnis ansuchen, um legal in Iran arbeiten zu dürfen (IOM 11.4.2024). Die Arbeitsgenehmigung wird gemeinsam mit der Amayesh-Verlängerung beantragt (Diaran 25.7.2022). Amayesh-registrierte Frauen können keine offizielle Arbeitserlaubnis in Iran beantragen, aber in der Praxis arbeiten auch einige afghanische Frauen, oft zu Hause (Migrationsverket 10.4.2018). Bei Erhalt einer Smart ID-Karte müssen Inhaber von Amayesh-Karten und headcount slips separat für eine Arbeitserlaubnis bezahlen. Die Kosten für ein Arbeitsvisum in Iran belaufen sich auf neun Mio. IRR (197,12 EUR) bei erstmaligem Erhalt, bei Verlängerung acht Mio. IRR (175,21 EUR). Das mit der Smart ID-Karte verbundene Investitionsprogramm soll eine Sozialversicherung beinhalten (IOM 11.4.2024). Der headcount slip alleine enthält keine Arbeitserlaubnis (Asghari/RLI 3.2024).
Die meisten Afghanen arbeiten im informellen Sektor (IOM 11.4.2024) und gehen eher schlecht bezahlten Tätigkeiten nach (am Bau, Reinigung/Müllabfuhr oder in der Landwirtschaft), die offiziell versicherungspflichtig sind (AA 30.11.2022). Selbst mit einer Arbeitserlaubnis können Afghanen nur in bestimmten, vorher festgelegten Arbeitsbereichen wie Bauwesen, Reinigung usw. arbeiten. Es gibt keine offizielle Bekanntgabe dieser Arbeitsbereiche. Dies wird in der Regel durch interne Richtlinien des Arbeitsministeriums bekannt gegeben. Die afghanische Bevölkerung in Iran hat meist keinen Zugang zu qualifizierter Arbeit. Wenn qualifizierte Ausländer jedoch ein Arbeitsvisum beantragen und es erhalten, können sie in ihrem jeweiligen Bereich arbeiten (IOM 11.4.2024).
Zugang zu Wohnraum
Nach iranischem Recht ist es Ausländern nicht gestattet, unbewegliches Eigentum wie Grundstücke und Gebäude zu besitzen, es sei denn, es gelten ganz besondere Bedingungen und Vereinbarungen zwischen Iran und anderen Ländern. Legale Migranten und Inhaber einer Amayesh-Karte können Geschäftsräume und Wohnungen zu Wohnzwecken mieten. Es ist verboten, Immobilien an Migranten ohne Papiere zu vermieten (IOM 11.4.2024). Die Wohnungskosten stellen einen der größten Ausgabenposten für Afghanen in Iran dar. Bei der Anmietung eines Hauses wird eine Kaution an den Besitzer bezahlt, und je größer die Kaution, die hinterlegt werden kann, desto billiger werden die Mietkosten (Migrationsverket 10.4.2018). Nach Angaben des UNHCR wohnen trotzdem nur etwa sechs Prozent der Afghanen in Iran in Lagern, während die überwiegende Mehrheit unter der iranischen Bevölkerung lebt (AJ 12.6.2022). Es gibt offiziell ausgewiesene Siedlungen, meist in abgelegenen Gebieten, die in Iran "Gaststädte" heißen und in denen rund drei Prozent der Amayesh-Karteninhaber leben (Asghari/RLI 3.2024).
Zugang zu afghanischen Dokumenten, Heirat und Staatsbürgerschaft von Kindern
Nach Angaben des UNHCR Iran konnten sich afghanische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Iran früher an die afghanische Botschaft in Teheran oder das Konsulat in Mashhad wenden, um sich beraten zu lassen und Unterstützung bei der Beschaffung von Ausweispapieren zu erhalten, wenn die Person keine Tazkira und/oder keinen gültigen Reisepass besaß. Dies hat sich jedoch nach der Machtübernahme der Taliban in der Praxis geändert. Laut IOM Teheran kann die Botschaft der afghanischen De-facto-Behörden in Teheran keine Tazkira ausstellen, es ist nur möglich, eine Tazkira in Afghanistan zu erhalten. Verwandte väterlicherseits, die sich in Afghanistan aufhalten, können die Tazkira im Namen des Migranten entgegennehmen. Für die Ausstellung eines Reisepasses innerhalb Irans ist in Teheran, Mashhad und Zahedan eine Tazkira zusammen mit einer iranischen Aufenthaltsgenehmigung erforderlich. Die Pässe werden in Afghanistan gedruckt, und das gesamte Verfahren dauert etwa zwei Monate. Diejenigen, die keine Tazkira und keine Verwandten väterlicherseits haben, müssen nach Afghanistan zurückkehren, um eine Tazkira zu erhalten, oder sie müssen das Land mit einem Laissez-Passer verlassen (IOM 11.4.2024).
Afghanische Staatsangehörige können unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus in Iran heiraten, sofern sie ein gültiges Ausweisdokument besitzen. Ihre Ehe unterliegt den afghanischen Gesetzen und wird bei der afghanischen Botschaft registriert (IOM 4.5.2022). Hochzeiten zwischen Iranern und afghanischen Flüchtlingen sind, obwohl keine Seltenheit, schwierig, da die iranischen Behörden dafür Dokumente der Botschaft oder der afghanischen Behörden benötigen (ÖB Teheran 11.2021; vgl. IOM 4.5.2022).
Eine Ehe führt nicht automatisch zu Papieren. Ein Amayesh-Karteninhaber gibt seinen Aufenthaltsstatus nicht mit der Heirat an den Ehepartner weiter (IOM 11.4.2024). Wenn die Inhaber einer Amayesh-Karte und eines Aufenthaltsvisums heiraten, können die Ehepartner jeweils ihren eigenen Aufenthaltsstatus behalten. Sollte das Paar Kinder haben, können die Kinder allerdings nur Papiere bekommen, wenn der Elternteil mit der Amayesh-Karte seinen Aufenthaltstitel auf ein Aufenthaltsvisum umändert (Asghari/RLI 3.2024).
Seit 2019 ist es möglich, dass iranische Frauen ihre Staatsbürgerschaft an Kinder mit einem ausländischen Vater weitergeben können, auch wenn dies nicht automatisch geschieht, sondern beantragt werden muss (USDOS 15.6.2023b; vgl. IOM 11.4.2024). Ein Kind eines iranischen Vaters und einer afghanischen Mutter, das im Rahmen einer offiziellen Ehe geboren wird, erhält automatisch die iranische Staatsangehörigkeit (IOM 4.5.2022).
Weitere Aspekte
Kulturell, sprachlich, religiös und in den Grenzbereichen auch ethnisch bestehen Gemeinsamkeiten zwischen Iranern und Afghanen (ÖB Teheran 11.2021). Die iranischen Behörden sind sich jedoch uneins darüber, wie sie mit der wachsenden Zahl illegaler afghanischer Einwanderer umgehen sollen (IRINTL 28.9.2023). Iranische Behörden fürchten einerseits einen noch größeren Zustrom von Afghanen und verweisen auf die bereits große afghanische Gemeinde in Iran und die schlechte Wirtschaftslage. Es werden Spannungen zwischen ansässiger Bevölkerung und Neuankömmlingen befürchtet (ÖB Teheran 11.2021). Afghanische Medien berichten, dass sich afghanische Migranten in Iran mit zahlreichen Herausforderungen durch iranische Behörden und Bürger gleichermaßen konfrontiert sehen. Zu diesen Herausforderungen gehören Schikanen, Inhaftierung, Missachtung ihrer Rechte und Zwangsabschiebung (KP 25.2.2024; vgl. 8am 24.2.2024). Es gibt wachsende Ressentiments gegen Afghanen in der iranischen Bevölkerung (IOM 11.4.2024), wobei Afghanen auch schon bisher teilweise diskriminiert wurden (ÖB Teheran 11.2021; vgl. Stimson 24.10.2023). Es kam zu anti-afghanischen Protesten (ÖB Teheran 11.2021; vgl. IRINTL 14.10.2023), z. B. gegen die Aufnahme afghanischer Kinder in Schulen (ÖB Teheran 11.2021). Auch wurde von einzelnen Vorfällen gewalttätiger Angriffe auf Afghanen (8am 24.2.2024, IRINTL 14.10.2023) bzw. einem gewaltsamen Zusammenstoß zwischen Afghanen und Iranern berichtet (IOM 11.4.2024). Andererseits werben manche Hardliner-Medien angesichts der gesunkenen Geburtenrate und gestiegenen Emigration von Iranern auch um eine Akzeptanz der Afghanen (IRINTL 28.9.2023). Die meisten Flüchtlinge gehen gering qualifizierten und schlecht bezahlten Arbeiten nach (AA 30.11.2022) und sehen sich mit Vorurteilen und negativen Stereotypen konfrontiert (Stimson 24.10.2023). Sie sind im Großen und Ganzen - auch wenn sie zum Teil bereits in der zweiten Generation in Iran leben - wenig integriert (AA 30.11.2022).
Die Revolutionsgarden sollen Tausende von in Iran lebenden afghanischen Migranten mithilfe von Zwangsmaßnahmen für den Kampf in Syrien rekrutiert haben. Human Rights Watch berichtete, dass sich unter den Rekrutierten auch Kinder im Alter von 14 Jahren befanden (FH 2024; vgl. USDOS 15.6.2023b). Das US-amerikanische Außenministerium berichtete zudem, dass die iranischen Behörden ehemalige Mitglieder der afghanischen Spezialeinheiten gezwungen haben, für die von Iran unterstützten Houthis im Jemen zu kämpfen, um ihren legalen Aufenthaltsstatus in Iran zu behalten, nachdem sie eine Verlängerung ihres Visums für den Verbleib in Iran beantragt hatten (USDOS 15.6.2023b).
Freiwillige und zwangsweise Rückkehr
Es existieren keine verlässlichen Daten zur freiwilligen wie auch unfreiwilligen Rückkehr aus Iran nach Afghanistan. Verschiedene Quellen geben zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Schätzungen wieder (SEM 29.8.2023). Die freiwillige Rückkehr von registrierten afghanischen Flüchtlingen findet gemäß Daten von UNHCR seit August 2021 auf einem niedrigeren Niveau statt als zuvor (UNHCR 31.12.2023), wobei im Jahr 2023 mit insgesamt 521 Personen mehr registrierte afghanische Flüchtlinge mit UNHCR-Unterstützung freiwillig nach Afghanistan zurückkehrten als 2022 (379 Personen) (UNHCR 9.1.2024). IOM verzeichnete im ersten Jahr nach der Machtübernahme der Taliban (15.8.2021-14.8.2022) mit rund einer Million Rückkehrern dagegen eine höhere Anzahl als im zweiten Jahr (15.8.2022-15.8.2023), als ca. 838.000 Personen erfasst wurden, die von Iran nach Afghanistan zurückkehrten (IOM 5.2.2024).
Die Literatur unterscheidet bei der unfreiwilligen Rückkehr zwischen Pushbacks von neu einreisenden Flüchtlingen an der Grenze und Rückführungen von Flüchtlingen aus dem Landesinnern. Auch zu diesem Verhältnis existieren keine genauen Zahlen. Die iranischen Behörden schieben irregulär einreisende Afghanen nach Möglichkeit umgehend nach Afghanistan zurück. Auch für Afghanen ohne legalen Aufenthalt in Iran besteht das Risiko einer Rückführung nach Afghanistan (SEM 29.8.2023). Abschiebungen finden in großer Zahl statt (IOM 11.4.2024), wobei die Abschiebung illegaler Einwanderer in großem Umfang entgegen der Meinung vieler Iraner schon immer auf der Agenda der Islamischen Republik stand. In den letzten Jahren wurden Hunderttausende der Einwanderer aus Iran abgeschoben, wobei zu ihrer Anzahl keine konsistenten Statistiken veröffentlicht wurden (Diaran 1.1.2024). Mit einer Ankündigung, alle Migranten ohne Papiere auszuweisen, wurden Abschiebungen Ende 2023 intensiviert (RFE/RL 18.10.2023). Zwischen September und Dezember 2023 betraf dies laut Taliban-Angaben über 345.000 Afghanen (TN 11.12.2023). Anfang 2024 hat der iranische Innenminister erneut betont, dass Afghanen ohne Aufenthaltsdokumente des Landes verwiesen werden, auch zwangsweise (8am 24.2.2024).
Nach Schätzungen von UNHCR wurden 2023 rund 40 % der neu ankommenden Afghanen abgeschoben und Berichte von IOM legen nahe, dass jeden Monat rund 40.000 Afghanen an der Grenze abgewiesen wurden (USDOS 23.4.2024a). IOM führte die Zahl der Ausreisen von Afghanen aus Iran, die beispielsweise im März 2023 über jenen der Einreisen lag, vor allem auf "systematische Pushbacks" durch die iranischen Behörden zurück (IOM 26.5.2023). Die bislang ausführlichsten Informationen zu Pushbacks aus Iran stammen von Amnesty International (AI) und decken einen Zeitraum bis Mitte 2022 ab (SEM 29.8.2023). AI berichtet dabei über Fälle von zwangsweisen Rückschiebungen von Afghanen durch die iranischen Sicherheitsbehörden an der Grenze zu Afghanistan, ohne dass deren individueller Bedarf an internationalem Schutz bewertet worden wäre, und dokumentierte Fälle, bei denen die iranischen Sicherheitsbehörden das Feuer auf Afghanen eröffneten, die versuchten, die Grenze zu überqueren, und sie erschossen (AI 8.2022).
Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen zeigte sich besorgt über Berichte zur gewaltsamen Abschiebung einer großen Zahl von Afghanen seit August 2021 ohne individuelle Prüfung des Schutzbedarfs, und über Pushback-Operationen, die durch übermäßige Gewaltanwendung gekennzeichnet sind, ebenso wie über Berichte zur Inhaftierung von Ausländern ohne Papiere im Rahmen von Razzien, die zu Abschiebungen, auch von Kindern, führen können, ohne dass ein Prüfverfahren durchgeführt wird (UNHRCOM 23.11.2023). Die iranischen Behörden haben keine Anstrengungen unternommen, um Opfer von Menschenhandel in dieser besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppe zu ermitteln oder zu identifizieren. Nach Angaben einer internationalen Organisation nahmen die Behörden später sowohl dokumentierte als auch undokumentierte Afghanen fest, denen die Einreise nach Iran gelungen war. Während sie sich in staatlichem Gewahrsam befanden, wurden einige der inhaftierten Migranten - darunter auch Kinder - schwer misshandelt, erhielten über längere Zeit keine Nahrung und kein Wasser und hatten keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, auch nicht zur Behandlung von Schusswunden, die sie an der Grenze von iranischen Behörden erlitten hatten (USDOS 15.6.2023b). UNHCR erwähnt mehrere "Transit- oder Deportationszentren" entlang der iranisch-afghanischen Grenze sowie "formale Haftzentren" in verschiedenen Städten. Diese Einrichtungen werden oft als überfüllt und schmutzig beschrieben, mit mangelnder Ernährung und medizinischer Versorgung (SEM 29.8.2023).
Andererseits arbeitet die Regierung an neuen Strategien und Maßnahmen, darunter auch einige Bestimmungen zum Thema Schutzbedürftigkeit. Ein Gesetzentwurf sieht u. a. vor, dass die iranischen Behörden schutzbedürftige Migrantengruppen wie Kinder, schwangere Frauen, ältere Menschen und kranke Migranten nicht abschieben werden (IOM 11.4.2024).
Dokumente
Das Personenstands- und Beurkundungswesen in Afghanistan wies bereits vor der Machtübernahme der Taliban gravierende Mängel auf und stellte aufgrund der Infrastruktur, der langen Kriege, der wenig ausgebildeten Behördenmitarbeiter und weitverbreiteter Korruption ein Problem dar. Von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden konnte nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Personenstandsurkunden wurden oft erst viele Jahre später, ohne adäquaten Nachweis und sehr häufig auf Basis von Aussagen mitgebrachter Zeugen, nachträglich ausgestellt. Gefälligkeitsbescheinigungen und/oder Gefälligkeitsaussagen kamen sehr häufig vor (AA 16.7.2020; vgl. SEM 12.4.2023). Ein weiteres Problem ist der Umstand, dass die Personenregister lückenhaft und nicht ausreichend miteinander vernetzt sind. Zudem sind viele Mitarbeiter der zuständigen Behörden nicht ausreichend geschult im Umgang mit den Registern und der Ausstellung von Dokumenten. Aus diesen Gründen ist es den Behörden oft nicht möglich, die Angaben der Personen, die Dokumente beantragen, zuverlässig zu verifizieren. Stattdessen müssen sie sich auf die mündlichen Angaben der Antragsteller und der Zeugen verlassen. Außerdem besteht je nach Dokument eine unterschiedliche Praxis, Geburtsdatum, Geburtsort und Nachnamen einzutragen. Deshalb kommt es vor, dass die Personalien derselben Person in verschiedenen Dokumenten unterschiedlich eingetragen sind (SEM 12.4.2023).
Besonders fälschungsanfällig sind Papier-Tazkira [Anm.: Tazkira ist ein nationales Personaldokument] (SEM 12.4.2023; vgl. MBZ 3.2022). In Pakistan sind zahlreiche gefälschte Tazkira im Umlauf. Bei der schwarz-weißen Papier-Tazkira sind weder Layout noch Drucktechnik standardisiert. Die verwendeten Stempel sind aufgrund der großen Anzahl zuständiger Behörden nicht überprüfbar. Die Dokumente sind deshalb leicht fälschbar. In der Regel ist es unmöglich, die Authentizität solcher Dokumente zu prüfen. Reisepass und e-Tazkira haben ein einheitliches Layout mit zahlreichen Sicherheitsmerkmalen. Deshalb lässt sich die Authentizität dieser Dokumente am besten überprüfen. Es besteht aber auch hier die Möglichkeit, dass Inhalte manipuliert sind oder dass sie an nicht berechtigte Personen ausgestellt sind (SEM 12.4.2023).
Mit Stand Februar 2024 können Reisepässe, Tazkira und e-Tazkira laut einem Rechtsanwalt in Kabul in allen Provinzen Afghanistans beantragt werden. Die Ausstellung von Reisepässen kann jedoch bis zu einem Jahr dauern. Reisepässe sehen noch genauso aus wie früher. Die e-Tazkira werden jedoch mit einigen Änderungen in Bezug auf das Layout ausgestellt. Auf der Vorderseite der e-Tazkira steht nicht mehr "Innenministerium", sondern "Nationale Behörde für Statistik und Information" in persischer Sprache. Außerdem wird auf der Vorder- und Rückseite der e-Tazkira das Datum des Ablaufs der Gültigkeit hinzugefügt, was vorher nicht der Fall war (RA KBL 19.2.2024). Zusätzlich sind neben der Religion auch die Nationalität, der Stamm und die ethnische Zugehörigkeit vermerkt (USDOS 15.5.2023). IOM weist jedoch darauf hin, dass Reisepässe nicht in allen Provinzen erhältlich sind. Das Innenministerium der Taliban hat in 15 der 34 Provinzen (Farah, Nimroz, Badghis, Paktika, Samangan, Laghman, Uruzgan, Kunar, Takhar, Zabul, Jawzjan, Bamyan, Panjsher, und Baghlan) Passämter wiedereröffnet und verlangt von den Antragstellern, dass sie sich in ihrer Herkunftsprovinz einen Pass besorgen. Die Funktionsfähigkeit dieser Abteilungen ist jedoch nach wie vor unklar. Verlängerungen von Reisepässen sind laut IOM möglich, unterliegen jedoch denselben geografischen Einschränkungen wie bei der Beantragung eines neuen Passes. Laut IOM gibt es in Afghanistan insgesamt 74 Verteilungszentren für elektronische Personalausweise und alle 34 Provinzen verfügen über solche Einrichtungen (IOM 22.2.2024).
Andere Dokumente wie Heiratsurkunden können nach Angaben von IOM nur in sieben Provinzen ausgestellt werden: in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Balkh, Herat, Paktia, Kandahar und Khost. Einwohner aus anderen Provinzen müssen in eine dieser Provinzen reisen, um diese Dokumente zu erhalten (IOM 22.2.2024). […]
Tazkira
Um eine Tazkira oder e-Tazkira zu erhalten, muss der Antragsteller ein (online-) Antragsformular ausfüllen, das die folgenden Informationen/Unterlagen/Überprüfungen erfordert:
Persönliche Informationen des Antragstellers
Tazkira des Vaters des Antragstellers (falls der Antragsteller unter 18 Jahre alt ist)
Lichtbild des Antragstellers
Bestätigung des Gebietsvertreters
Um eine e-Tazkira zu erhalten, ist zusätzlich die Papier-Tazkira des Antragstellers notwendig (RA KBL 11.3.2024). Falls der Antragsteller keine Tazkira in Papierform besitzt, ist für Antragsteller unter 18 Jahren eine Geburtsurkunde erforderlich. Für Personen, die älter als 18 Jahre sind, ist die Tazkira (entweder elektronisch oder auf Papier) eines der Hauptverwandten des Antragstellers vorzulegen (Vater, Bruder, Onkel ... usw.) und zwei andere Personen müssen die Identität des Antragstellers bescheinigen (RA KBL 11.3.2024). In weiterer Folge muss der Antragsteller bei der e-Tazkira-Ausgabestelle erscheinen, um seine biometrischen Daten erfassen zu lassen und die entsprechende Gebühr (diese wurde vor Kurzem von 800 AFN auf 1.000 AFN angehoben) zu zahlen (RA KBL 19.2.2024). Nach Angaben von IOM liegen die Kosten für den Erhalt einer Tazkira bei 700 AFN (IOM 22.2.2024).
Reisepass
Seit der Machtübernahme der Taliban gibt es immer wieder Probleme, wenn es um die Ausstellung von Reisepässen geht. Beispielsweise wurde die Ausstellung von Reisepässen für einige Monate ausgesetzt, da es nach Angaben der Passdirektion technische Schwierigkeiten gab (RA KBL 26.1.2023; vgl. KP 8.10.2022, SEM 12.4.2023). Es kam immer wieder zu Beschwerden über die langen Bearbeitungsdauern von Reisepässen (TN 11.12.2022; vgl. PAN 9.1.2023, TN 1.8.2023. AAN 5.2.2024). Es wird auch berichtet, dass Wartezeiten durch Zusatzzahlungen verringert werden können, wenn man über eine Kontaktperson in einem Passbüro verfügt (AAN 5.2.2024). Ein in Afghanistan tätiger Rechtsanwalt bestätigt, dass dies (im geringen Ausmaß) vorkommt, jedoch beide Seiten eine Strafe erhalten, sollte es bekannt werden (RA KBL 11.3.2024). Im August 2024 gab die Generaldirektion für Pässe im Innenministerium der Taliban an, dass täglich 12.000 Reisepässe (davon 6.000 in Kabul) ausgestellt werden. Insgesamt wurden, nach Angaben der Generaldirektion für Pässe, im Jahr 2023 über zwei Millionen Reisepässe ausgestellt. Afghanische Bürger beschweren sich jedoch weiterhin darüber, dass es in den Provinzen nicht dieselben Einrichtungen zur Erlangung eines Reisepasses geben würde wie in Kabul (SWN 21.8.2024).
Laut einer Erklärung des Sprechers der Generaldirektion für Pässe werden keine Pässe an Personen mit Ausreiseverboten wegen beispielsweise unbezahlter Schulden oder laufenden Straf-, Zivil- oder Handelsverfahren oder an Kinder, die keinen gesetzlichen Vormund haben, ausgestellt (TN 1.8.2023). Laut Angaben eines lokalen Rechtsanwalts in Kabul ist es für Frauen möglich, in Afghanistan auch ohne Begleitung eines Mahram [Anm.: männl. Begleitperson] einen Reisepass zu erhalten (RA KBL 11.3.2024), auch wenn sich die Behandlung der Antragsstellerinnen von Ort zu Ort unterscheiden kann. In Kabul ist es derzeit nicht vorgeschrieben. Der Erhalt eines Reisepasses für Frauen ist auch möglich, wenn sich der Ehemann der Frau zum Antragszeitpunkt im Ausland befindet (RA KBL 29.8.2023).
Für den Erhalt eines Reisepasses gelten dieselben Voraussetzungen wie für eine e-Tazkira. Es muss ein Formular online ausgefüllt werden, und nach Vorlage eines Identitätsdokumentes (e-Tazkira, Tazkira in Papierform oder Geburtsurkunde) sowie eines Lichtbildes und der Unterschrift (RA KBL 26.1.2023; vgl. RA KBL 19.2.2024, IOM 22.2.2024), werden die Fingerabdrücke des Antragsstellers biometrisch erfasst. Falls der Antragssteller bereits einen Reisepass besessen hat, so ist dieser ebenso vorzulegen bzw. sind Informationen zu diesem notwendig. Nach dem Ausfüllen des Online-Antragsformulars muss der Antragsteller die Gebühr entrichten und zu einem bestimmten Termin zur biometrischen Untersuchung in der Passabteilung erscheinen (RA KBL 26.1.2023; vgl. RA KBL 19.2.2024). Die Gebühr für einen Reisepass liegt zwischen 10.000 AFN (RA KBL 19.2.2024; vgl. IOM 16.8.2023) und 11.000 AFN für einen Reisepass, der für zehn Jahre gültig ist, bzw. bei 5.900 AFN für einen Reisepass mit fünfjähriger Gültigkeit (IOM 22.2.2024; vgl. RA KBL 11.3.2024). Bis vor Kurzem gab es nur einen Reisepass mit zehnjähriger Gültigkeit (RA KBL 11.3.2024).
Reisepässe außerhalb Afghanistans
Berichte über die Ausstellung bzw. Verlängerung von afghanischen Reisepässen im Ausland sind unterschiedlich. Laut Angaben eines Rechtsanwalts in Kabul ist die Erlangung eines Reisepasses außerhalb von Afghanistan mit Stand Februar 2024 in einigen wenigen Ländern, nämlich China, Pakistan, Iran und Usbekistan, mit Einschränkungen möglich (RA KBL 19.2.2024). IOM weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass neue afghanische Reisepässe außerhalb Afghanistans in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Pakistan (Islamabad und Peshawar) ausgestellt werden. Zusätzlich können afghanische Reisepässe in Saudi Arabien (Riyadh) verlängert, jedoch nicht neu ausgestellt werden (IOM 22.2.2024).
Für weitere Informationen zu afghanischen Dokumenten wird auf den Bericht Identitäts- und Zivilstandsdokumente des Staatssekretariats für Migration [Schweiz] verwiesen (SEM 12.4.2023).
Anm.: Mahram kommt von dem Wort "Haram" und bedeutet "etwas, das heilig oder verboten ist". Im islamischen Recht ist ein Mahram eine Person, die man nicht heiraten darf, und es ist erlaubt, sie ohne Kopftuch zu sehen, ihre Hände zu schütteln und sie zu umarmen, wenn man möchte. Nicht-Mahram bedeutet also, dass es nicht Haram ist, sie zu heiraten, von einigen Ausnahmen abgesehen. Das bedeutet auch, dass vor einem Nicht-Mahram ein Hijab getragen werden muss (Al-Islam TV 30.10.2021; vgl. GIWPS 8.2022).
1.3.2. Auszug aus den UNHCR Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen, Stand: Februar 2023
Internationaler Schutzbedarf
UNHCR ruft weiterhin alle Staaten dazu auf, der aus Afghanistan fliehenden Zivilbevölkerung Zugang zu ihrem Staatsgebiet zu gewähren, das Recht, Asyl zu suchen, zu garantieren und die Einhaltung des Non-Refoulement-Grundsatzes durchgehend sicherzustellen. UNHCR ruft die Staaten dazu auf, Ankommende, die internationalen Schutz suchen, zu registrieren und allen Betroffenen Nachweise über ihre Registrierung auszustellen.
Alle Anträge auf internationalen Schutz von afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan sollten in fairen und effizienten Verfahren im Einklang mit internationalem und regionalem Flüchtlingsrecht sowie anderen relevanten rechtlichen Standards behandelt werden.
Die noch nie dagewesene humanitäre Krise in Afghanistan, darf nicht über die Situation weitverbreiteter Bedrohungen von Menschenrechten hinwegtäuschen. Personen, die aus Afghanistan fliehen, werden möglichweise zunächst ihre dringendsten Überlebensbedürfnisse als Fluchtgrund benennen. Dies sollte einer gründlichen Prüfung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender jedoch nicht entgegenstehen. Unter Verweis auf die geteilte Beweislast ruft UNHCR Entscheidungsträgerinnen und -träger dazu auf, sicherzustellen, dass Asylsuchende die Möglichkeit erhalten, ihre Fluchtgründe vollständig und vollumfänglich vorzutragen, einschließlich einer möglichen Furcht vor Verfolgung im Falle der Rückkehr. […]
Weitere Profile mit einem seit dem 15. August 2021 erhöhten Schutzbedarf
Basierend auf verfügbaren Berichten über weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan, darunter Berichte, die UNHCR im Rahmen seines breiten Monitoring-Programms von auf der Flucht und bereits im Ausland befindlichen Afghaninnen und Afghanen erhalten hat, werden viele Afghaninnen und Afghanen einen internationalen Schutzbedarf haben. Wie in den untenstehenden Absätzen 20-25 beschrieben, unterliegt die Informationsbeschaffung in Afghanistan ernsthaften Einschränkungen, die es schwierig machen, ein umfassendes Verständnis für die Behandlung von Afghaninnen und Afghanen mit verschiedenen Profilen in ganz Afghanistan zu erlangen. UNHCR ist jedoch besorgt über einen Anstieg des Bedarfes an internationalem Flüchtlingsschutz für aus Afghanistan fliehende Personen seit der Machtübernahme durch die Taliban.
Neben der oben beschriebenen Situation von Frauen und Mädchen, zählen zu den Profilen mit einem seit dem 15. August 2021 erhöhten Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz:
(i) Afghaninnen und Afghanen, die mit der ehemaligen Regierung oder der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan verbunden sind, einschließlich frühere Mitarbeitende von Botschaften und Angestellte internationaler Organisationen;
(ii) ehemalige Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte und Afghaninnen und Afghanen, die mit den ehemaligen internationalen Streitkräften in Afghanistan verbunden sind;
(iii) Journalistinnen und Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen; Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger und Aktivistinnen und Aktivisten, sowie sie unterstützende Verteidigerinnen und Verteidiger;
(iv) Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten, einschließlich Hazaras;
(v) Afghaninnen und Afghanen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, geschlechtlichen Identitäten und/oder Ausdrucksweisen.
Diese Liste erhebt nicht den Anspruch, eine vollständige Aufzählung aller Afghaninnen und Afghanen zu enthalten, die möglicherweise eine begründete Furcht vor Verfolgung haben. Jeder Antrag auf internationalen Schutz sollte unter Berücksichtigung der von den Antragstellenden vorgebrachten Beweismittel, sowie der verfügbaren und relevanten Herkunftslandinformationen inhaltlich geprüft werden. UNHCR merkt an, dass Familienangehörige und andere Personen, die mit von Verfolgung Bedrohten eng verbunden sind, häufig einem eigenen Risiko ausgesetzt sind.
1.3.3. Auszug aus der EUAA Country-Guidance Afghanistan, Stand Mai 2024
1. Aktuelle Entwicklungen […]
3. Flüchtlingsstatus […]
3.1. Mitglieder der Sicherheitsbehörden der ehemaligen Regierung
Dieses Profil umfasst Angehörige der ehemaligen ANDSF, einschließlich der ehemaligen afghanischen Lokalpolizei (ALP) und regierungsnaher Milizen. […]
In den Jahren des Konflikts waren Angehörige der ANDSF, sowohl im Dienst als auch außerhalb des Dienstes, ein vorrangiges Ziel der Taliban. Berichten zufolge wurden Angriffe auf Regierungskräfte in Armeestützpunkten, Polizeistationen und Kontrollpunkten, gezielte Tötungen, Hinrichtungen, Entführungen und Folterungen von Gefangenen, einschließlich Angehöriger der ANDSF, verübt und ausdrücklich durch die Taliban-Layeha (Verhaltenskodex) legitimiert [Anti-government elements 2020, 1. 2.1., S. 13-15; 2.5., S. 21-22; 2.6.1., S. 22-23; Staatsstruktur, 2.1., S. 26-27; Sicherheit 2020, 1.1.1., S. 20; 1.3., S. 30-31; 1.5.2, S. 51]. Im Sommer 2021 wurden Fälle gemeldet, in denen die Taliban Mitglieder der ANDSF töteten, die sich ergeben hatten oder in Haft waren [Targeting 2022, 2.1., S. 56]. Quellen berichteten, dass ab Juni 2022 ehemalige ANDSF-Mitglieder, einschließlich ehemaliger ALP- und regierungsnaher Milizen, weiterhin ein Hauptziel der Taliban-Gewalt waren [Targeting 2022, 2.1., S. 57-63; 2.7., S. 72].
Nach der Machtübernahme erließen die Taliban eine Amnestie für alle, die gegen sie gekämpft hatten. Der Inhalt der Amnestie ist nicht bekannt, abgesehen von allgemeinen Hinweisen auf ihre Existenz, auch nicht von hochrangigen Taliban-Vertretern, was zu Unklarheiten über den zeitlichen Geltungsbereich und die Folgen eines Verstoßes gegen die Amnestie führt. Quellen zufolge verfolgen die Taliban keine Politik, die auf ehemalige afghanische Sicherheitskräfte abzielt. Dennoch wird immer wieder behauptet, dass Taliban-Mitglieder gegen die Amnestie verstoßen und ehemalige ANDSF-Mitglieder und ihre Angehörigen im ganzen Land Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt haben, darunter Tötungen, gewaltsames Verschwindenlassen und Folter [Country Focus 2023, 4.1.1, S. 56].
Obwohl die Taliban ihre Mitglieder aufgefordert haben, die Amnestie zu respektieren, gibt es nur wenige Informationen über Personen, die bei einem Verstoß gegen die Amnestie mit Konsequenzen rechnen müssen. Obwohl bestimmte Faktoren wie die „Rachekultur“, persönliche Streitigkeiten und Vergeltungsmaßnahmen nach dem Konflikt als mögliche Gründe für die gezielten Tötungen genannt wurden, ist es nicht möglich, eindeutige Muster zu erkennen, wer unter den ehemaligen Regierungsangehörigen zur Zielscheibe wird und wer nicht. Quellen betonten, dass es schwierig sei, die Motive für die Tötungen zu erkennen, und dass Personen aufgrund persönlicher Streitigkeiten ins Visier genommen werden könnten. Auch die Taliban haben behauptet, dass die Amnestie aufgrund persönlicher Animositäten verletzt worden sei. Eine Quelle berichtete weiter, dass es für die Taliban am wichtigsten sei, dass die Menschen heute loyal zu ihnen stünden, und nicht ihre Loyalität aus der Zeit vor der Machtübernahme [Country Focus 2023, 4.1.1, S. 56; 4.1.3, S. 59].
Die verfügbaren Daten über Tötungen und Misshandlungen umfassen Opfer, die unterschiedliche Positionen innerhalb der Sicherheitskräfte der ehemaligen Regierung innehatten. Das Vorgehen der Taliban gegenüber ehemaligen Beamten war „inkonsequent“, „ad hoc“ und eine „Mischung aus widersprüchlichen Maßnahmen“. Einerseits konnten einige ehemalige Sicherheitsbeamte in den De-facto-Truppen der Taliban arbeiten, über die Rückkehrkommission der Taliban aus dem Ausland zurückkehren und offene Proteste gegen die Nichtzahlung von Renten organisieren. Andererseits leben einige ehemalige Sicherheitskräfte seit der Machtübernahme untergetaucht, während es zu Tötungen und verschiedenen Formen von Misshandlungen gekommen ist. Darüber hinaus haben einzelne Quellen angedeutet, dass einige Tötungen mit der „stillschweigenden Billigung“ hochrangiger Taliban-Befehlshaber durchgeführt wurden und dass die Operationen der Taliban gegen Widerstandsgruppen und die ISKP in Wirklichkeit ein Mittel sein könnten, um ehemalige ANDSF-Mitglieder ins Visier zu nehmen [Country Focus 2023, 4.1.2., S. 56-57].
Bis zum 30. Juni 2023 hatten die De-facto-Behörden nach Angaben der UNAMA seit der Machtübernahme mindestens 800 Fälle von Menschenrechtsverletzungen gegen ehemalige zivile und militärische Mitarbeiter begangen. Zu den erfassten Verstößen gehörten 218 Tötungen, 14 Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen, 424 willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, 144 Fälle von Folter und zahlreiche Drohungen. Die meisten Fälle ereigneten sich in den vier Monaten unmittelbar nach der Machtübernahme im Jahr 2021, Tötungen und andere Menschenrechtsverletzungen wurden jedoch auch in den Jahren 2022 und 2023 fortgesetzt. Im Jahr 2022 verzeichnete die Nichtregierungsorganisation Safety and Risk Mitigation Organization (SMRO) 76 Tötungen und 57 Inhaftierungen ehemaliger Sicherheitskräfte, während im Jahr 2023 mit 27 Tötungen und 55 Inhaftierungen allein im ersten Quartal ein Anstieg zu verzeichnen war. Im zweiten Quartal 2023 verzeichnete die SMRO zwei Vergewaltigungen, 15 Tötungen und 35 Inhaftierungen ehemaliger Sicherheitskräfte in mehreren Provinzen [Country Focus 2023, 4.1.2., S. 58-59].
Die Taliban erklärten außerdem, dass sie ehemalige Angehörige der Afghanischen Nationalarmee (ANA) in ihre Reihen aufnehmen wollten, und starteten Kampagnen zur Anwerbung ehemaliger ANDSF-Angehöriger. Obwohl sich einige ehemalige ANDSF-Angehörige den Taliban anschlossen, waren diese Bemühungen Berichten zufolge aufgrund der Angst vor Vergeltung wenig erfolgreich. Viele ehemalige Angehörige blieben untergetaucht oder verließen das Land [Sicherheit 2022, 1.2.2., S. 27; 2.1.2., S. 39-41; Targeting 2022, 2.3., S. 65-66; 2.5., S. 69-70].
Taliban-Mitglieder bemühten sich, ehemalige Sicherheitsbeamte durch lokale Informanten, Registrierungskampagnen ehemaliger ANDSF-Angehöriger und möglicherweise durch die Nutzung von Datenbanken ehemaliger Regierungen aufzuspüren. Im Februar 2022 begannen die Taliban mit Hausdurchsuchungen in verschiedenen Teilen des Landes, die sich einigen Quellen zufolge auch darauf konzentrierten, ehemalige Regierungsangestellte und Mitglieder der ANDSF ausfindig zu machen [Sicherheit 2022, 1.2.4., S. 33; Targeting 2022, 2.2., S. 63-65].
Es wurde auch über Fälle berichtet, in denen Angehörige der Armee, die nicht kämpfen, festgenommen und getötet wurden [Targeting 2022, 2.4., S. 68].
Es gab Berichte über die gezielte Tötung ehemaliger weiblicher Angehöriger der ANDSF durch die Taliban oder ihre eigenen Angehörigen [Targeting 2022, 2.8, S. 73].
Vereinzelt wurde auch berichtet, dass Familienangehörige ehemaliger ANDSF-Mitglieder getötet, inhaftiert, gewaltsam verschwunden, gefoltert und vergewaltigt wurden. Einige Familienmitglieder wurden Berichten zufolge bei Razzien der Taliban, die auf ehemalige ANDSF-Mitglieder abzielten, „gefangen“, während andere bei der Suche nach diesen Personen ins Visier genommen wurden [Country Focus 2023, 4. 1.2., S. 58-59; 4.1.5., S. 62; Targeting 2022, 2.1., S. 5, 63; 2.2., S. 64; 2.4.-2.7., S. 67-73; Sicherheit 2022, 3.2.(c), S. 68-69; Länderschwerpunkt 2022, 2.5., S. 46]. […]
Handlungen, die Berichten zufolge gegen Personen aus diesem Profil begangen werden, sind so schwerwiegend, dass sie einer Verfolgung gleichkommen (z. B. Hinrichtungen im Schnellverfahren, Folter, Verschwindenlassen). […]
Bei Antragstellern, die Mitglieder der Sicherheitsorgane der früheren Regierung waren, wäre die begründete Furcht vor Verfolgung im Allgemeinen begründet.
Auch Familienangehörige können eine begründete Furcht vor Verfolgung haben, z. B. im Zusammenhang mit der Suche der Taliban nach der Person, mit der sie verwandt sind. […]
Die verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass die Verfolgung dieses Profils mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Gründen der (unterstellten) politischen Meinung erfolgt. […]
3.2. Beamte und Bedienstete der ehemaligen Regierung und des Justizwesens
Dieses Profil bezieht sich auf Personen, die der vorherigen Regierung angehörten, sowie auf Mitglieder des Justizwesens, einschließlich Gerichtsbedienstete und Beamte. […]
In den Jahren des Konflikts wurden Mitarbeiter bestimmter Ministerien (z. B. des Verteidigungsministeriums, des Innenministeriums und des Justizministeriums) und Justizmitarbeiter, darunter 31 Richter und Staatsanwälte, wurden regelmäßig von den Taliban angegriffen. In geringerem Maße wurden auch Mitarbeiter anderer Ministerien, die nicht direkt an der Bekämpfung der Aufständischen beteiligt waren, zur Zielscheibe. Persönliche Feindschaften oder offene Äußerungen gegen die Taliban konnten als relevante Umstände in diesem Zusammenhang angesehen werden. Es gab auch Berichte über Zivilisten, die bedroht und/oder getötet wurden, weil sie Mitarbeiter oder (vermeintliche) Unterstützer oder Spione der früheren Regierung waren [Regierungsfeindliche Elemente, 2.6.2., S. 24-26; Sicherheit 2020, 1.3.3., S. 33-34; 1.3.4., S. 34-36; 2.; Conflict targeting, 1.2.2., S. 31; 1.5.1.1., S. 68].
Personen, die diesem Profil entsprachen, wurden auch von anderen aufständischen Gruppen, beispielsweise der ISKP und ausländischen bewaffneten Gruppen, als legitimes Ziel betrachtet [Sicherheit 2020, 1.2.2., S. 30; regierungsfeindliche Elemente, 3.5., S. 34; 3.6.3., S. 35; 4.3., S. 38-39].
Nach der Machtübernahme erließen die Taliban eine Generalamnestie für Personen, die der früheren Regierung gedient hatten, und erklärten, dass sie „alle, die gegen sie gekämpft hatten“, begnadigt hätten [Country Focus 2023, 4.1.1, S. 56, Security September 2021, 1.1.2, S. 13]. Dennoch wird die Politik der Taliban als ad hoc, inkonsistent und widersprüchlich beschrieben. Quellen berichten, dass hochrangige Beamte, darunter auch der ehemalige Präsident Karzai, in Afghanistan bleiben konnten [Country Focus 2023, 4.1.1, S. 56].
Die meisten zivilen ehemaligen Staatsbediensteten, mit Ausnahme von Beamtinnen, konnten ihre Aufgaben innerhalb der neuen De-facto-Verwaltung in Kabul wieder aufnehmen. Es wird jedoch von Fällen berichtet, in denen in diesem Zusammenhang Drohungen oder Druck ausgeübt wurden [Country Focus 2023, 4.1.1., S. 56; Targeting 2022, 4.1., S. 78-81].
Weibliche Regierungsangestellte wurden nicht aufgefordert, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, mit Ausnahme einiger Positionen, für die nach Einschätzung der Taliban Frauen nicht durch Männer ersetzt werden können, darunter Beschäftigte im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie in Pass- und Postämtern und am internationalen Flughafen von Kabul [Targeting 2022, 1.1.4., S. 27; 4., S. 80-81; Country Focus 2022, 1.1.4., S. 19; 1.2.1., S. 20]. Die Taliban haben auch versucht, eigene Mitglieder einzuschleusen, die von ehemaligen Beamten ausgebildet werden und diese dann ersetzen [Country Focus 2023, 4.1.1., S. 56-57].
Trotz der Amnestie und der Aufforderung an ehemalige Regierungsbeamte, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, wurden Vergeltungsmaßnahmen von Taliban-Mitgliedern gegen Personen dieses Profils gemeldet, wenn auch in geringerem Umfang als gegen ehemalige ANDSF-Angehörige [Targeting 2022, 4., S. 78-84; Country Focus 2022, 2.5., S. 45-48].
Aus verschiedenen Teilen des Landes wurde über summarische Hinrichtungen, Folter und Inhaftierungen von Personen berichtet, die mit der früheren Regierung in Verbindung standen, und diese Personen leben Berichten zufolge untergetaucht [Country Focus 2023, 4.1.1., S. 57; Targeting 2022, 2.1., S. 58-60; 3.2., S. 76-77; 4., S. 78-80]. Von den 800 Menschenrechtsverletzungen gegen ehemalige Regierungsbeamte und ehemaliges Sicherheitspersonal, die UNAMA im Zeitraum zwischen dem 15. August 2021 und dem 30. Juni 2023 dokumentierte, gehörten 22 % der betroffenen Personen zu den ehemaligen Provinz- und Distriktbehörden und 4 % zur ehemaligen Zentralregierung und den ehemaligen nationalen Behörden. Andere Quellen berichten von Fällen, in denen Bedienstete verschiedener ehemaliger ziviler Behörden sowie deren Angehörige zur Zielscheibe wurden. Nach Angaben der UNAMA wurden Personen „unterschiedlicher Zugehörigkeit zur früheren Regierung“ Opfer solcher Taten, „von hochrangigen Beamten bis hin zu Fahrern, Leibwächtern und Verwandten“ [Targeting 2022, 2.1, S. 57; 4.1, S. 80; Länderfokus 2023, 4.1.4., S. 61; 4.1.5. S. 62]. Darüber hinaus wurde angenommen, dass die Zahl der Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen viel höher ist, wobei berichtet wurde, dass die Taliban Familienmitglieder bedrohen, nicht mit Menschenrechtsorganisationen zu sprechen [Country Focus 2023, 4.1.4., S. 62].
Im Frühjahr 2022 richteten die Taliban eine Rückkehrkommission ein, um die Rückkehr von politischen und militärischen Persönlichkeiten aus dem Exil zu erleichtern, und kündigten an, dass die Sicherheit ehemaliger Beamter, die aus dem Ausland zurückkehren, gewährleistet sei. Mehrere ehemalige hochrangige Personen kehrten in das Land zurück, obwohl Quellen angaben, dass einige das Land wieder verlassen haben könnten. Es wurde berichtet, dass die Initiative im Allgemeinen mit Skepsis aufgenommen wurde. Einigen Berichten zufolge hielten Taliban-Beamte einzelne Personen fest, obwohl ihnen bei ihrer Rückkehr ihre Sicherheit zugesichert worden war [Country Focus 2023, 4.1.1., S. 56-58, Targeting 2022, 4.3., S. 83].
Ehemalige Richter, Staatsanwälte und Strafverteidiger blieben vom faktischen Justizsystem weitgehend ausgeschlossen. Nach der Machtübernahme haben die Taliban alle Richter entlassen. Berichten zufolge wurden jedoch einige wenige ehemalige männliche Richter, die in der Verwaltung tätig waren und als „professionell“ galten, gebeten, in befristete oder begrenzte Funktionen zurückzukehren. Diese Berichte blieben jedoch unbestätigt. Der rechtliche und operative Status von Staatsanwälten blieb unklar und „variierte von Region zu Region erheblich“ [Country Focus 2023, 4.1.6., S. 63; Targeting 2022, 4.2., S. 81-82].
Bedienstete des früheren Justizsystems waren Berichten zufolge Hausdurchsuchungen, Schikanen, Morddrohungen und Tötungen ausgesetzt. Viele Staatsanwälte und Richter, insbesondere Richterinnen, leben Berichten zufolge untergetaucht oder haben Afghanistan verlassen. Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) bezeichnete die Situation des ehemaligen Justizpersonals als besonders alarmierend. Richterinnen seien aufgrund ihres Geschlechts besonders gefährdet, da die Taliban nicht akzeptieren, dass Frauen das Recht haben, über Männer zu richten [Country Focus 2023, 4.4.5., S. 77, Country Focus 2022, 2.5., S. 48; Security 2022, 3.2.(c), S. 69]. Darüber hinaus haben von den Taliban freigelassene Straftäter versucht, Vergeltungsmaßnahmen gegen Staatsanwälte und Richter zu ergreifen, die sie verurteilt hatten [Country Focus 2023, 4.1.6, S. 64].
Es wurde auch von Fällen berichtet, in denen Familienangehörige zur Zielscheibe wurden. Familie, Freunde und Nachbarn sollen unter Druck gesetzt worden sein, um den Aufenthaltsort von Richtern zu verraten. Eine Quelle berichtete außerdem, dass seit der Machtübernahme durch die Taliban mindestens 28 ehemalige Staatsanwälte und ihre Familienangehörigen getötet wurden [Country Focus 2023, 4.1.6., S. 64; Targeting 2022, 2.1., S. 63; 2.2., S. 64; 4., S. 81; 4.2., S. 82; Country Focus 2022, 2.5., S. 46]. […]
Handlungen, die Berichten zufolge gegen Personen im Rahmen dieses Profils begangen werden, sind so schwerwiegend, dass sie einer Verfolgung gleichkommen (z. B. Hinrichtungen im Schnellverfahren, Tötung, Folter, Verschwindenlassen). […]
Bei Richtern, Staatsanwälten und ehemaligem Gerichtspersonal wäre die begründete Furcht vor Verfolgung im Allgemeinen begründet.
Bei anderen Personen, die unter dieses Profil fallen, sollte bei der individuellen Bewertung die Institution, bei der sie beschäftigt waren, sowie ihre Rolle und Funktionen berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass sie weiblich sind, und mögliche persönliche Feindschaften können ebenfalls risikoerhöhende Umstände darstellen.
Auch Familienangehörige können eine begründete Furcht vor Verfolgung haben, z. B. im Zusammenhang mit der Suche der Taliban nach der Person, mit der sie verwandt sind. […]
Die verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass die Verfolgung dieses Profils mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Gründen der (unterstellten) politischen Meinung erfolgt. In einigen Fällen könnte auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe und/oder Religion als relevanter Grund angesehen werden, wie etwa im Fall ehemaliger Richterinnen und anderer weiblicher Amtsträger.
3.3. Personen mit Verbindungen zu ausländischen Streitkräften
Dieses Profil bezieht sich auf Personen, die mit den in Afghanistan anwesenden ausländischen Truppen in Verbindung stehen, wie z. B. Dolmetscher, Sicherheitskräfte, zivile Auftragnehmer, Verwaltungspersonal und Logistikpersonal. […]
In den Jahren des Konflikts waren Mitarbeiter ausländischer Truppen, insbesondere Dolmetscher, ein vorrangiges Ziel der Taliban. In Artikel 11 des Taliban-Verhaltenskodex (Layeha) wird die Hinrichtung von Personen angeordnet, die für Kofaar (ausländische Ungläubige) arbeiten, darunter auch Tarjoman (Dolmetscher). Angehörige von Streitkräften, die mit ausländischen Truppen, Auftragnehmern und „Spionen“ zusammenarbeiten, wurden von den Taliban als Verantwortliche für die Tötung afghanischer Zivilisten angesehen. Sie wurden öffentlich als Kriminelle bezeichnet und ins Visier genommen. Personen, die nicht auf der Gehaltsliste der ausländischen Streitkräfte standen, sondern allgemeine Wartungsarbeiten durchführten, wurden nicht so systematisch ins Visier genommen, obwohl es zu Angriffen kam [Regierungsfeindliche Elemente, 2.6.2.3., S. 26-27; Conflict targeting, 1.2.3., S. 35-36].
Nach der Machtübernahme durch die Taliban beantragten Tausende von Dolmetschern, die für internationale und US-amerikanische Streitkräfte arbeiteten, Sondervisa, um das Land zu verlassen [Security September 2021, 1.1.4., S. 16]. Berichten zufolge gelang es den USA, die meisten ihrer afghanischen Spione und Informanten sowie deren Angehörige zu evakuieren, und viele Personen, die mit ausländischen Streitkräften in Verbindung standen, verließen Afghanistan im Zuge der Evakuierungsbemühungen nach der Machtübernahme. Berichten zufolge blieben jedoch Zehntausende von Dolmetschern und anderen Mitarbeitern ausländischer Streitkräfte in Afghanistan. Personen, die für ausländische Streitkräfte arbeiteten, z. B. Dolmetscher, lebten Berichten zufolge getrennt von ihren Familien in Verstecken, wechselten jeden Monat den Standort, um den Taliban zu entkommen, und wurden gesucht. Berichten zufolge wurden bis November 2023 24 Fälle von gezielter Tötung festgestellt, darunter sechs Tötungen durch die Taliban und nicht identifizierte Akteure sowie drei Fälle von Folter in der Obhut der Taliban [Country Focus 2023, 4.1, S. 64; Security 2022, 3.1, S. 74].
Trotz der angekündigten Amnestie für Personen, die gegen sie gekämpft hatten, waren die Taliban entweder nicht in der Lage oder nicht willens, ihre Soldaten von Vergeltungsmaßnahmen gegen Personen mit diesem Profil abzuhalten [Country Focus 2023, 4.1.1., S. 56; Security September 2021, 1.1.2., S. 13; COI Update 2022, 3., S. 4-5; Country Focus 2022, 2.5., S. 45-48; Targeting 2022, 2.1., S. 56; 3., S. 74-76].
Es wurde über Drohungen, summarische Hinrichtungen, Inhaftierungen, Folter, Misshandlungen und das Verschwindenlassen von Personen berichtet, die mit ausländischen Streitkräften in Verbindung stehen [Country Focus 2023, 4.2., S. 64-65; Targeting 2022, 2.1., S. 56; 3., S. 74-76; Country Focus 2022, 2.5., S. 45-48].
Die Taliban bemühten sich, Personen mit diesem Profil durch lokale Informanten, die Nutzung bestehender Datenbanken und Einschüchterung aufzuspüren [Security 2022, 1.2.4., S. 33; Targeting 2022, 2.2., S. 63-64; 3., S. 74-76].
Auch Angehörige von Personen, die mit ausländischen Truppen zusammenarbeiteten, wurden bedroht. Insbesondere Familienangehörige von Dolmetschern hielten sich Berichten zufolge aus Angst vor Repressalien versteckt [Targeting 2022, 2.2., S. 64; 3., S. 75-77]. […]
Handlungen, die gegen Personen im Rahmen dieses Profils gemeldet werden, sind so schwerwiegend, dass sie einer Verfolgung gleichkommen (z. B. Tötung). […]
Bei Personen, die mit ausländischen Streitkräften in Verbindung stehen, wäre die begründete Furcht vor Verfolgung im Allgemeinen begründet.
Auch Familienangehörige solcher Personen können eine begründete Furcht vor Verfolgung haben. […]
Die verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass die Verfolgung dieses Profils mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Gründen der (unterstellten) politischen Meinung erfolgt. […]
3.13. Personen, die als von ausländischen Werten beeinflusst (wahrgenommen) werden (häufig auch als „verwestlicht“ bezeichnet)
Dieses Profil bezieht sich auf Personen, die aufgrund ihrer Aktivitäten, ihres Verhaltens, ihres Aussehens und ihrer geäußerten Meinungen, die als nicht-afghanisch oder nicht-muslimisch angesehen werden können, als von ausländischen Werten beeinflusst (wahrgenommen) werden (auch allgemein als „verwestlicht“ bezeichnet). Dazu können auch diejenigen gehören, die nach einem Aufenthalt in westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehren.
Dieses Profil kann sich weitgehend mit dem Profil 3.12 überschneiden. Personen, bei denen der Eindruck besteht, dass sie gegen religiöse, moralische und/oder gesellschaftliche Normen verstoßen haben, z. B. im Zusammenhang mit der Kleiderordnung. Siehe auch den Unterabschnitt a. Einschränkungen von Rechten und Freiheiten unter den Taliban unter dem Profil 3.15. Frauen und Mädchen und Profil 3.11. Personen, die sich der Blasphemie und/oder Apostasie schuldig gemacht haben. […]
Einige Handlungen, von denen berichtet wird, dass sie sich gegen Personen aus diesem Profil richten, sind so schwerwiegend, dass sie einer Verfolgung gleichkommen (z. B. Gewalt oder Tötung). Handelt es sich bei den fraglichen Handlungen um weniger schwerwiegende Einschränkungen der Ausübung bestimmter Rechte oder um (ausschließlich) diskriminierende Maßnahmen, sollte bei der individuellen Bewertung, ob sie einer Verfolgung gleichkommen könnten, die Schwere und/oder die Wiederholbarkeit der Handlungen oder die Tatsache berücksichtigt werden, dass sie als eine Kumulierung verschiedener Maßnahmen auftreten. […]
Die individuelle Überprüfung, ob für den Antragsteller eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit besteht, Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein, soll risikoerhöhende Umstände beinhalten, wie etwa
das Verhalten des Antragstellers,
die Sichtbarkeit des Antragstellers,
das Herkunftsgebiet und das konservative Umfeld,
das Geschlecht (höheres Risiko für Frauen),
das Alter,
die Dauer des Aufenthalts in einem westlichen Land
etc. […]
Die verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass die Verfolgung dieses Profils aus Gründen der Religion, der (unterstellten) politischen Gesinnung und/oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen kann. Letzteres könnte auf gemeinsamen Merkmalen beruhen, z.B. einem gemeinsamen Hintergrund, der nicht geändert werden kann (wahrgenommenes Verhalten in der Vergangenheit), und einer besonderen Identität im Kontext Afghanistans, die mit ihrer Stigmatisierung durch die sie umgebende Gesellschaft zusammenhängt, oder auf einer Überzeugung, die so grundlegend für ihre Identität oder ihr Gewissen ist, dass sie nicht gezwungen werden sollten, darauf zu verzichten (Ablehnung kultureller, sozialer oder religiöser Normen und mangelnde Bereitschaft, diese einzuhalten). […]
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Die Feststellungen hinsichtlich des Namens des BF, seines Geburtsdatums, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seiner Schulbildung sowie, dass er in Afghanistan keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen ist, werden anhand seiner dahingehend übereinstimmenden Angaben im Zuge des gegenständlichen Verfahrens getroffen, ebenso wie die Feststellungen hinsichtlich seinem Herkunftsort und seinem weiteren Aufenthalt in Afghanistan.
Die Feststellung hinsichtlich der strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF erfolgt anhand des im Akt einliegenden Strafregisterauszugs.
2.2. Zu den Fluchtgründen
Eingangs ist zu berücksichtigen, dass es sich beim BF um eine minderjährige Person handelt. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist daher eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich und darf die Dichte dieses Vorbringens nicht mit normalen Maßstäben gemessen werden.
Wie nachstehend dargelegt, ist das Fluchtvorbringen des BF – selbst unter Berücksichtigung etwaiger Unstimmigkeiten – vor dem Hintergrund seiner Minderjährigkeit, insbesondere angesichts seines sehr jungen Alters im Zeitpunkt der erlebten Ereignisse im Herkunftsstaat, aber auch seines Alters von lediglich XXXX bei der Erstbefragung als auch Einvernahme vor dem BFA, und dem entsprechenden Maßstab zur Beurteilung des Vorbringens glaubhaft. Insgesamt war zu erkennen, dass dem BF aufgrund des von ihm Erlebten in Afghanistan im Falle einer Rückkehr individuelle, gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlungen drohen.
Der BF schilderte die von ihm in Afghanistan erlebten Geschehnisse, die die Flucht seines Vaters sowie auch seine Flucht auslösten, im bisherigen Verfahren gleichlautend und schlüssig, sodass die angegebenen Umstände plausibel nachvollzogen werden konnten. Er hat glaubhaft darlegen können, dass er aufgrund der beruflichen Tätigkeit seines Vaters als XXXX in Afghanistan von den Taliban verdächtigt wird, XXXX und ihm eine gegen die Taliban oder die Scharia gerichetete Einstellung unterstellt wird.
So führte der BF bereits im Zuge der Erstbefragung an, sein Vater habe XXXX gearbeitet, weshalb sie verfolgt werden würden (AS 13).
In der Einvernahme vor dem BFA konkretisierte der BF sein Fluchtvorbringen, indem er ausführte, dass sein Vater in Afghanistan als XXXX gearbeitet habe. Die Taliban haben gewollt, dass sein Vater seine Arbeit aufgebe und haben ihm Drohbriefe geschickt. Der Vater sei dennoch weiter seiner Funktion als XXXX nachgegangen. Als die Taliban die Macht übernommen haben, sei sein Vater geflohen. Die Taliban haben in weiterer Folge den BF festnehmen wollen, um eine Rückkehr seines Vaters zu erzwingen (AS 41). Der BF konnte hierzu auf Nachfrage nachvollziehbar erklären, dass er von seiner beabsichtigten Festnahme durch die Taliban durch Dorfbewohner erfahren habe. Die Taliban haben das Haus seiner Familie im Dorf durchsucht und die Dorfbewohner haben gehört, dass die Taliban XXXX gekommen seien. XXXX sei nach dem Vater des BF gesucht worden, beim XXXX haben sie den BF gesucht (AS 49). Der BF schilderte überdies vor dem BFA, dass sein Vater bereits zuvor in den Fokus der Taliban geraten und von diesen entführt worden sei (AS 49). Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, der BF habe die behauptete Entführung seines Vaters durch Mitglieder der Taliban zu keinem Zeitpunkt erwähnt, sind folglich unberechtigt. Ebenso unberechtigt sind die weiteren Ausführungen des BFA, dass es fraglich sei, wie sich sein Vater XXXX aus der Haft der Taliban habe befreien können, zumal der BF dezidiert in seiner Einvernahme vor dem BFA angab, dass sein Vater XXXX freigelassen worden sei (AS 49, AS 525).
Der BF bestätigte zudem seine bisherigen Ausführungen zum Fluchtvorbringen durch seine Angaben in der mündlichen Verhandlung. Dabei führte er aus, aus Afghanistan geflüchtet zu sein, weil die Taliban ihn wegen seinem Vater haben stellen wollen und tätigte detailreiche Angaben zur Berufstätigkeit seines Vaters, der XXXX gewesen und nach dem Sturz der Regierung direkt in XXXX geflüchtet sei. Sein Vater habe sich XXXX . Es gebe dazu Fotos und Videos, die XXXX und XXXX zu sehen gewesen seien. Als XXXX sei sein Vater auch XXXX gewesen. Er sei vor Ort gewesen, wenn es XXXX gegeben habe und habe dafür gesorgt, dass XXXX haben. Er habe die Menschen in jeglicher Hinsicht unterstützt. Darüber hinaus gab der BF an, dass sein Vater auch XXXX habe und legte bereits zuvor im Verfahren zahlreiche Unterlagen sowie mit seiner Beschwerde auch Videos vor, die seinen Vater XXXX zeigen (VH-Prot. S. 2, AS 601).
Auch konnte der BF im Rahmen der Beschwerdeverhandlung seine Angaben vor dem BFA betreffend seine beabsichtigte Festnahme durch die Taliban konkretisieren und etwaige Unstimmigkeiten auflösen. Der BF führte hierzu aus, dass die Taliban bei ihnen in XXXX gewesen seien und nach seinem Vater gesucht, diesen jedoch nicht gefunden haben. Als die Taliban XXXX gekommen seien, sei der BF in XXXX bei seinen Großeltern zu Besuch gewesen. Er habe von seinen Nachbarn erfahren, dass die Taliban bei ihm in XXXX gewesen seien und nach ihm gesucht haben, da er der älteste Sohn seines Vaters sei. Nachdem er davon erfahren habe, sei er mit seiner Familie direkt von XXXX zu seinem Onkel mütterlicherseits nach XXXX gegangen. Seine Familie sei bei seinem Onkel geblieben und der BF sei aus Afghanistan ausgereist (VH-Prot. S. 3).
Der BF korrigierte außerdem in der Beschwerdeverhandlung seine Angaben vor dem BFA dahingehend, dass die Hausdurchsuchung durch die Taliban nicht in XXXX , sondern in XXXX stattgefunden habe (AS 49, VH-Prot. S. 4). Unter Berücksichtigung seiner sonstigen im Verfahren übereinstimmenden Angaben, vor seiner Ausreise aus Afghanistan in XXXX gelebt zu haben (AS 37, VH-Prot. S. 2ff), waren die durch den BF korrigierten Angaben auch nachvollziehbar und sohin glaubhaft, dass die Hausdurchsuchung in XXXX stattgefunden hat.
Das Gericht verkennt weiters nicht, dass sich hinsichtlich der Angaben des BF zum Aufenthaltsort seines Vaters im Zuge der Einvernahme beim BFA Unstimmigkeiten ergeben haben. So führte der BF zunächst vor dem BFA an, dass sein Vater XXXX vor seiner Ausreise bei Bekannten im Distrikt XXXX geholfen habe, XXXX . In weiterer Folge führte der BF auch vor dem BFA aus, sein Vater habe in XXXX gelebt, er habe sich dort versteckt und sein Handy ausgeschaltet (AS 41). Der BF konnte jedoch vor dem BVwG ausführlich darlegen, dass er diese Information von seinem Onkel erhalten habe, welcher lediglich Mutmaßungen über den Aufenthalt seines Vaters getätigt habe. Da sein Vater bereits zuvor als XXXX immer wieder in XXXX gewesen sei und dort gute Freunde gehabt habe, habe sich der Onkel gedacht, dass sich der Vater des BF dort aufhalten könnte. Als der BF später Kontakt zu seinem Vater aufgenommen habe, habe ihm dieser jedoch mitgeteilt, dass dies nicht stimme, sondern, dass er direkt in XXXX geflüchtet sei und sich dort aufhalte (VH-Prot. S. 4).
Auch ist hinsichtlich weiterer feinerer Unstimmigkeiten zu Recht auf das Beschwerdevorbringen zu verweisen, wonach aufgrund der Minderjährigkeit des BF das Vorliegen gewisser Lücken und Unschärfen des Erinnerungsvermögens vorliegen können und dies jedenfalls zu berücksichtigen ist (AS 619). Ebenso ist zu bedenken, dass der BF aufgrund seines sehr jungen Alters über manche Vorfälle bzw. Gegebenheiten nicht in Kenntnis gesetzt wurde oder diese nicht wahrgenommen hat. Insofern dem BF sohin im angefochtenen Bescheid vorgeworfen wird, nichts zum Inhalt der Drohbriefe, die sein Vater erhalten habe, oder zum Zeitraum des Erhalts der Drohbriefe angeben zu können (AS 613), ist hervorzuheben, dass der BF ausführte, die Informationen bezüglich der Drohbriefe von seinem Onkel erfahren zu haben und er deren Erhalt nicht persönlich miterlebt hat. Wie bereits in der Beschwerdeschrift ausgeführt, ist es lebensnah, dass Eltern ihre Kinder schützen möchten und der Vater daher dem zum Zeitpunkt der Ausreise knapp XXXX BF nichts von den Drohbriefen erzählt hat, um diesen nicht zu belasten (AS 615). Es ist daher logisch nachvollziehbar, dass der BF erst zu einem späteren Zeitpunkt nach seiner Ausreise durch seinen Onkel über die Existenz der Drohbriefe Kenntnis erlangt hat und folglich keine näheren Ausführungen hierzu tätigen konnte.
Dem BF ist es insbesondere im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung gelungen, bei der Beantwortung der an ihn bezüglich der Fluchtgründe gerichteten Fragen einen glaubwürdigen und authentischen Eindruck zu hinterlassen. Er hat sein Vorbringen im Wesentlichen übereinstimmend mit seinen Angaben bei der Einvernahme vor dem BFA dargelegt, dieses näher ausgeführt und darüber hinaus etwaige Unstimmigkeiten aufklären können.
Der BF legte zudem im Zuge des Verfahrens zahlreiche Schriftstücke zur beruflichen Tätigkeit seines Vaters vor, die – wie der BF glaubhaft vermittelte – die Tätigkeit seines Vaters XXXX als XXXX bestätigten. Diese vorgelegten Beweismittel sind geeignet, die Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens des BF in Zusammenschau mit seinen schlüssigen Angaben in der Beschwerdeverhandlung zu stärken.
Insofern das BFA im angefochtenen Bescheid schließlich anführte, die zur beruflichen Tätigkeit seines Vaters vorgelegten Unterlagen vermochten keinen Bezug zur Person des BF herzustellen (AS 524), ist, insbesondere unter Gesamtbetrachtung der dahingehend gleichbleibenden Angaben des BF im Verfahren, sowie in der Beschwerde und beim BVwG vorgelegter und übersetzter Unterlagen betreffend seinen Vater als auch den BF, sehr wohl davon auszugehen, dass es sich beim angeführten XXXX um den Vater des BF handelt. Auch ist der weiteren Argumentation des BFA betreffend eine vorgelegte XXXX seines Vaters durch die Taliban, wonach der BF diesen Vorfall sicherlich hätte erwähnen können, wenn es sich tatsächlich um seinen Vater gehandelt hätte bzw. es einen Bezug zu seiner Person geben würde (AS 524), entgegenzutreten, dass der BF erst zu einem späteren Zeitpunkt nach der Einvernahme davon erfahren hat, als ihm diese Dokumente von einem Familienangehörigen übermittelt wurden (AS 671). In diesem Zusammenhang ist erneut darauf hinzuweisen, dass es lebensnah und jedenfalls nachvollziehbar ist, dass der BF in seinem sehr jungen Alter vor seiner Ausreise aus Afghanistan nicht von jeglichen XXXX gegenüber seinen Vater in Kenntnis gesetzt wurde. Die Tatsache, dass der BF die vorgelegte XXXX nicht schon früher im Verfahren vorgebracht hat, kann somit jedenfalls auch kein Indiz dafür sein, dass kein Bezug zur Person seines Vaters, dem XXXX , vorliegen würde.
Unter Berücksichtigung zitierter Länderinformationen, bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren als auch vor dem BVwG vorgelegter Fotos, Zertifikate und Videos, die die Angaben des BF stützen, sowie seiner übereinstimmenden Angaben zu seinem Fluchtgrund, ist es aufgrund obiger Erwägungen daher gesamtbetrachtend glaubhaft, dass der Vater des BF XXXX gearbeitet hat und er – sowie nachfolgend auch der BF aufgrund der Tätigkeit seines Vaters als XXXX - in den Fokus der Taliban geraten ist. Dem BF droht daher individuell und konkret Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan.
Wie bereits ausgeführt ergaben sich zwar gesamtbetrachtend im Zuge des Verfahrens etwaige Unstimmigkeiten in den Angaben des BF, diese vermochten aber die Glaubwürdigkeit des BF vor dem Hintergrund seiner im Wesentlichen gleichbleibenden, nachvollziehbaren und stringenten Angaben zu seinem Fluchtvorbringen sowie seiner Minderjährigkeit nicht zu beeinträchtigten.
Zusammengefasst konnte der BF eine drohende asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsstaat glaubhaft machen, weshalb festzustellen war, dass ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan individuell und konkret Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban droht.
2.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche über Afghanistan bieten, besteht im vorliegenden Fall für das BVwG kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln und lassen gegenständlich auch vom BVwG laufend beobachtete aktuellere Berichte kein relevantes anderes Bild erkennen. Der BF ist den ins Verfahren eingeführten Berichten auch nicht substantiiert entgegengetreten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A) Stattgabe der Beschwerde
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Flüchtling i.S.d. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (i.d.F. des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; VwGH 15.03.2001, 99/20/0128; VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Nach VwGH 24.03.2011, 2008/23/1443, ist für das Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr nicht maßgeblich, ob der Asylwerber wegen einer von ihm tatsächlich vertretenen oppositionellen Gesinnung verfolgt wird. Es reicht aus, dass eine staatsfeindliche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird und die Aussicht auf ein faires staatliches Verfahren zur Entkräftung dieser Unterstellung nicht zu erwarten ist, oder dass die Strafe für ein im Zusammenhang mit einem ethnischen oder politischen Konflikt stehendes Delikt so unverhältnismäßig hoch festgelegt wird, dass die Strafe nicht mehr als Maßnahme einzustufen wäre, die dem Schutz legitimer Interessen des Staates dient (vgl. etwa das Erkenntnis vom 6. Mai 2004, Zl. 2002/20/0156, mit Verweis auf die Erkenntnisse vom 17. September 2003, Zl. 2001/20/0303, und vom 19. Oktober 2000, Zl. 98/20/0417).
Rechtlich folgt daraus:
Wie bereits in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt, konnte der BF eine drohende asylrelevante Verfolgung in Afghanistan durch die Taliban aufgrund einer (unterstellten) politischen Gesinnung wegen der beruflichen Tätigkeit seines Vaters XXXX als XXXX , aufgrund welcher auch der BF in den Fokus der Taliban geraten ist, glaubhaft machen.
Im Hinblick auf die Lage in Afghanistan steht dem BF derzeit auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, da angesichts der Machtübernahme der Taliban die dem BF drohende Verfolgung nicht etwa auf einen bestimmten Landesteil beschränkt ist.
Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs oder Asylaussc hlussgrund vorliegt oder Ausschlussgründe nach § 6 Abs. 1 AsylG 2005 ersichtlich sind, war der Beschwerde des BF gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrag Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Rückverweise