W608 2281120-1/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Isabella FOUCHS über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.10.2023, Zahl 1321048308-222640682, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.12.2024 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 23.08.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 24.08.2022 wurde der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt, wobei der Beschwerdeführer als Fluchtgrund angab, er sei mit der Regierung in Afghanistan unzufrieden. Er habe keine Zukunft in Afghanistan.
3. Am 27.09.2023 und am 04.10.2023 fanden im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari die niederschriftlichen Einvernahmen des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe Afghanistan zuletzt im Jahr 2022, eine Woche nach der Machtübernahme, verlassen, da es keine Zukunft mehr gegeben habe. Er sei in Indien aufgewachsen, es gebe keine Freiheit und sein Vater habe gesagt, dass er flüchten müsse.
4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 06.10.2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
5. Am 03.11.2023 brachte der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des im Spruch genannten Bescheides ein.
6. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 13.11.2023 vorgelegt.
7. Am 13.12.2024 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht in Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und Moslem sunnitischer Ausrichtung.
Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.
Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, zudem spricht er Paschtu.
Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.
Der Beschwerdeführer wurde in XXXX geboren und war dort bis zum Alter von acht Jahren wohnhaft. Ab dem Jahr 2012 lebte der Beschwerdeführer mit seiner Familie die überwiegende Zeit in Indien. Im Jahr 2021 kehrte der Beschwerdeführer nach XXXX zurück und lebte dort sieben bis acht Monate, bevor er neuerlich aus Afghanistan ausreiste.
Der Beschwerdeführer besuchte in Afghanistan insgesamt vier Jahre lang eine Schule.
Im Herkunftsland leben derzeit die Stiefmutter, der Vater, ein Bruder, zwei Schwestern und eine Halbschwester des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer steht in regelmäßigem Kontakt zu seiner Familie. Darüber hinaus halten sich noch zwei Onkel und zwei Tanten im Heimatland auf.
Im Bundesgebiet hält sich ein Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , auf. Darüber hinaus leben zwei Tanten des Beschwerdeführers im Bundesgebiet.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.
Er ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer stellte am 23.08.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.
Mit Bescheid vom 06.10.2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
1.2. Zu den geltend gemachten Fluchtgründen:
Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt. Umstände, die eine Verfolgung oder sonstige Gefährdung des Beschwerdeführers im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen, wurden vom Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht und sind auch sonst nicht hervorgekommen.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Auszug aus dem Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation, Afghanistan, Version 11, Stand 10.04.2024:
Politische Lage
Letzte Änderung 2024-04-05 15:33
Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert (AA 26.6.2023). Die Taliban sind zu der ausgrenzenden, auf die Paschtunen ausgerichteten, autokratischen Politik der Taliban-Regierung der späten 1990er-Jahre zurückgekehrt (UNSC 1.6.2023a). Sie bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USIP 17.8.2022; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem "islamischen Recht und den afghanischen Werten" regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweise bestimmen (USIP 17.8.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen. Im September 2022 betonte der Justizminister der Taliban, dass eine Verfassung für Afghanistan nicht notwendig sei (AA 26.6.2023).
Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban auch schnell staatliche Institutionen (USIP 17.8.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. REU 7.9.2021a, VOA 19.8.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 8.9.2021; vgl. DIP 4.1.2023). Haibatullah hat sich dem Druck von außen, seine Politik zu mäßigen, widersetzt (UNSC 1.6.2023a) und baut seinen Einfluss auf Regierungsentscheidungen auf nationaler und subnationaler Ebene auch im Jahr 2023 weiter aus (UNGA 20.6.2023). Es gibt keine Anzeichen dafür, dass andere in Kabul ansässige Taliban-Führer die Politik wesentlich beeinflussen können. Kurz- bis mittelfristig bestehen kaum Aussichten auf eine Änderung (UNSC 1.6.2023a). Innerhalb weniger Wochen nach der Machtübernahme kündigten die Taliban "Interims"-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.8.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.8.2022; vgl. HRW 4.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge "Sittenpolizei" berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.8.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.8.2021; vgl. USDOS 12.4.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.9.2021; vgl. Guardian 20.9.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 26.6.2023).
Der Ernennung einer aus 33 Mitgliedern bestehenden geschäftsführenden Übergangsregierung im September 2021 folgten zahlreiche Neuernennungen und Umbesetzungen auf nationaler, Provinz- und Distriktebene in den folgenden Monaten, wobei Frauen weiterhin gar nicht und nicht-paschtunische Bevölkerungsgruppen nur in geringem Umfang berücksichtigt wurden (AA 26.6.2023).
BBC 7.9.2021
Die Regierung der Taliban wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der sogenannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 8.9.2021; vgl. REU 7.9.2021b, Afghan Bios 18.7.2023).
Stellvertretende vorläufige Premierminister sind Abdul Ghani Baradar (AJ 7.9.2021; vgl. REU 7.9.2021b, Afghan Bios 16.2.2022), der die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in Doha vertrat und das Abkommen mit ihnen am 29.2.2021 unterzeichnete (AJ 7.9.2021; vgl. VOA 29.2.2020), und Abdul Salam Hanafi (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 7.7.2022b), der unter dem ersten Taliban-Regime Bildungsminister war (Afghan Bios 7.7.2022b; vgl. UNSC o.D.a). Im Oktober 2021 wurde Maulvi Abdul Kabir zum dritten stellvertretenden Premierminister ernannt (Afghan Bios 27.11.2023; vgl. 8am 5.10.2021, UNGA 28.1.2022).
Weitere Mitglieder der vorläufigen Taliban-Regierung sind unter anderem Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerkes (Afghan Bios 4.3.2023; vgl. JF 5.11.2021) als Innenminister (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 4.3.2023) und Amir Khan Mattaqi als Außenminister (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 14.12.2023), welcher die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen vertrat und im ersten Taliban-Regime unter anderem den Posten des Kulturministers innehatte (Afghan Bios 14.12.2023; vgl. UNSC o.D.b). Der Verteidigungsminister der vorläufigen Taliban-Regierung ist Mohammed Yaqoob (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 6.9.2023), dem 2020 der Posten des militärischen Leiters der Taliban verliehen wurde (Afghan Bios 6.9.2023; vgl. RFE/RL 29.8.2020).
Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.8.2022). Diese Dynamik wurde am 23.3.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.8.2022; vgl. RFE/RL 24.3.2022, UNGA 15.6.2022). Seitdem ist die Bildung von Mädchen und Frauen und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von "duellierenden Machtzentren" zwischen den in Kabul und Kandahar ansässigen Taliban zu sprechen (USIP 17.8.2022) und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 3.6.2022a). Doch der Emir und sein Kreis von Beratern und Vertrauten in Kandahar kontrollieren nicht jeden Aspekt der Regierungsführung. Mehrere Ad-hoc-Ausschüsse wurden ernannt, um die Politik zu untersuchen und einen Konsens zu finden, während andere Ausschüsse Prozesse wie die Versöhnung und die Rückkehr politischer Persönlichkeiten nach Afghanistan umsetzen. Viele politische Maßnahmen unterscheiden sich immer noch stark von einer Provinz zur anderen des Landes. Die Taliban-Beamten haben sich, wie schon während ihres Aufstands, als flexibel erwiesen, je nach den Erwartungen der lokalen Gemeinschaften. Darüber hinaus werden viele Probleme nach wie vor über persönliche Beziehungen zu einflussreichen Taliban-Figuren gelöst, unabhängig davon, ob deren offizielle Position in der Regierung für das Problem verantwortlich ist (USIP 17.8.2022).
In seiner traditionellen jährlichen Botschaft zum muslimischen Feiertag Eid al-Fitr im Jahr 2023 sagte Haibatullah Akhundzada, sein Land wünsche sich positive Beziehungen zu seinen Nachbarn, den islamischen Ländern und der Welt, doch dürfe sich kein Land in deren innere Angelegenheiten einmischen. Er vermied es, direkt auf das Bildungsverbot von Mädchen und die Beschäftigungseinschränkungen von Frauen einzugehen, sagte jedoch, dass die Taliban-Regierung bedeutende Reformen in den Bereichen Kultur, Bildung, Wirtschaft, Medien und anderen Bereichen eingeleitet hat, und "die schlechten intellektuellen und moralischen Auswirkungen der 20-jährigen Besatzung" dabei seien, zu Ende zu gehen (AnA 18.4.2023; vgl. BAMF 30.6.2023).
Anfang Juni 2023 wurde berichtet, dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Taliban die Stadt Kandahar zu ihrem Stützpunkt machen würden. Dies wir als ein Zeichen für den schwindenden Einfluss der gemäßigteren Taliban-Mitglieder in der Hauptstadt Kabul gesehen, während das Regime seine repressive Politik weiter verschärft. In den letzten Monaten haben Vertreter des Regimes Delegationen aus Japan und Katar nach Kandahar eingeladen, anstatt sich mit anderen Beamten in Kabul zu treffen. Der oberste Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, und ein zweiter Informationsbeauftragter aus Nordafghanistan, Inamullah Samangani, wurden von ihren Büros in Kabul nach Kandahar verlegt (WP 5.6.2023; vgl. BAMF 30.6.2023).
Im Mai 2023 traf sich der Außenminister der Taliban mit seinen Amtskollegen aus Pakistan und China in Islamabad. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Einbeziehung Afghanistans in den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor (CPEC) sowie die Situation von Frauen in Afghanistan (AnA 5.5.2023; vgl. VOA 6.5.2023).
Am 22.11.2023 verkündeten die Taliban den Abschluss einer zweitägigen Kabinettssitzung in der Provinz Kandahar unter der Leitung von Hebatullah Akhundzada. Auffallend war, dass Themen wie das Recht der Frauen auf Arbeit und Zugang zu Bildung sowie ihre Teilhabe an der Gesellschaft nicht Gegenstand der Beratungen waren. Es wurden Gespräche über Themen wie die Rückführung von Migranten, die Entwicklung diplomatischer Beziehungen zur Bewältigung bestehender Probleme, Import-Export- und Transitfragen sowie die Beibehaltung der Geldpolitik der Taliban geführt (AT 22.11.2023; vgl. AMU 22.11.2023).
Internationale Anerkennung der Taliban
Mit Anfang 2024 hat noch kein Land die Regierung der Taliban anerkannt (TN 9.1.2024; vgl. VOA 10.12.2023) dennoch sind Vertreter aus Indien, China, Usbekistan, der Europäischen Union, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kabul präsent (TN 30.10.2022). Im März 2023 gab der Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid bekannt, dass Diplomaten in mehr als 14 Länder entsandt wurden, um die diplomatischen Vertretungen im Ausland zu übernehmen (PBS 25.3.2023; vgl. OI 25.3.2023). Im November 2023 sagte der stellvertretende Taliban-Außenminister, dass derzeit 20 Botschaften in Nachbarländern aktiv wären (TN 29.11.2023), einschließlich der afghanischen Botschaft in Teheran (TN 27.2.2023) und des strategisch wichtigen Generalkonsulats in Istanbul (Afintl 27.2.2023; vgl. KP 23.2.2023a). Berichten zufolge nahm auch die Türkei im Oktober 2023 einen neuen von den Taliban ernannten Diplomaten in der afghanischen Botschaft in Ankara auf (Afintl 14.2.2024). Eine Reihe von Ländern verfügt auch weiterhin über offizielle Botschafter in Afghanistan. Dazu gehören China und andere Nachbarländer wie Pakistan, Iran und die meisten zentralasiatischen Republiken, aber auch Russland, Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und Japan (AAN/Ruttig 7.12.2023). Aber auch westliche Länder (mit Ausnahme Australiens) haben weder ihre Botschaften in Kabul offiziell geschlossen noch die diplomatischen Beziehungen offiziell abgebrochen. Vielmehr unterhalten sie kein diplomatisches Personal im Land. Einige Länder haben immer noch amtierende Botschafter oder nachrangige Diplomaten, die nicht in Kabul ansässig sind, und es gibt auch eine (schrumpfende) Anzahl von Sonderbeauftragten für Afghanistan (im Rang eines Botschafters). Die meisten westlichen Kontakte mit Taliban-Beamten finden in Katars Hauptstadt Doha statt, wo Diplomaten unterhalb der Botschafterebene ihre Länder bei den Treffen vertreten (AAN/Ruttig 7.12.2023).
Am 24.11.2023 entsandten die Taliban ihren ersten Botschafter in die Volksrepublik China (KP 26.11.2023; vgl. AMU 25.11.2023). Dieser Schritt folgt auf die Ernennung eines Botschafters Chinas in Afghanistan zwei Monate zuvor, womit China das erste Land ist, das einen Botschafter nach Kabul unter der Taliban-Regierung entsandt hat (AMU 25.11.2023; vgl. VOA 10.12.2023). Nach Ansicht einiger Analysten sowie ehemaliger Diplomatinnen und Diplomaten bedeutet dieser Schritt die erste offizielle Anerkennung der Taliban-Übergangsregierung durch eine große Nation (VOA 31.1.2024; vgl. REU 13.9.2023). Nach Angaben des US-Außenministeriums prüfen die USA die Möglichkeit von konsularischem Zugang in Afghanistan. Dies solle keine Anerkennung der Taliban-Regierung bedeuten, sondern dem Aufbau funktionaler Beziehungen dienen, um eigene Ziele besser verfolgen zu können (USDOS 31.10.2023). Ebenso am 24.11.2023 wurde die afghanische Botschaft in Neu-Delhi, die von loyalen Diplomaten der Vor-Taliban-Regierung geleitet wurde, endgültig geschlossen. Einige Tage später erklärten Taliban-Vertreter, dass die Botschaft bald wieder eröffnet und von ihren Diplomaten geleitet werden wird (Wilson 12.12.2023; vgl. VOA 29.11.2023).
Drogenbekämpfung
Im April 2022 verfügte der oberste Taliban-Führer Haibatullah Akhundzada, dass der Anbau von Mohn, aus dem Opium, die wichtigste Zutat für die Droge Heroin, gewonnen werden kann, streng verboten ist (BBC 6.6.2023).
Die vom Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) im Jahr 2023 durchgeführte Opiumerhebung in Afghanistan ergab, dass der Schlafmohnanbau nach einem von den Taliban-Behörden im April 2022 verhängten Drogenverbot um schätzungsweise 95 % zurückgegangen ist (UNODC 11.2023; vgl. UNGA 1.12.2023), wobei ein anderer Experte den Rückgang des Mohnanbaus zwischen 2022 und 2023 auf 80 % schätzt (BBC 6.6.2023). Der Opiumanbau ging in allen Teilen des Landes von 233.000 Hektar auf 10.800 Hektar im Jahr 2023 zurück, was zu einem Rückgang des Opiumangebots von 6.200 Tonnen im Jahr 2022 auf 333 Tonnen im Jahr 2023 führte. Der drastische Rückgang hatte unmittelbare humanitäre Folgen für viele gefährdete Gemeinschaften, die auf das Einkommen aus dem Opiumanbau angewiesen sind. Das Einkommen der Bauern aus dem Verkauf der Opiumernte 2023 an Händler sank um mehr als 92 % von geschätzten 1,36 Milliarden Dollar für die Ernte 2022 auf 110 Millionen Dollar im Jahr 2023 (UNODC 11.2023; vgl. UNGA 1.12.2023). Der weniger rentable Weizenanbau hat den Mohn auf den Feldern verdrängt - und viele Landwirte berichten, dass sie finanziell darunter leiden (BBC 6.6.2023).
Am 30.9.2023 veröffentlichte der Oberste Gerichtshof der Taliban eine Reihe von Drogenstrafverfahren, die Strafen für den Anbau, den Verkauf, den Transport, die Herstellung und den Konsum von Mohn, Marihuana und anderen Rauschmitteln vorsehen. Die vorgeschriebenen Freiheitsstrafen reichen von einem Monat bis zu sieben Jahren ohne die Möglichkeit, eine Geldstrafe zu zahlen (UNGA 1.12.2023).
Anfang 2024 verkündete der amtierende Verteidigungsminister der Taliban, dass im Zuge der Bekämpfung der Drogenproduktion im Jahr 2023 4.472 Tonnen Rauschgift vernichtet, 8.282 an der Produktion und am Schmuggel beteiligte Personen verhaftet und 13.904 Hektar Mohnanbaufläche gerodet wurden. Experten gehen jedoch davon aus, dass die Armut in den ländlichen und landwirtschaftlichen Gemeinden wieder zum Mohnanbau führen könnte (VOA 3.1.2024). So gab ein Farmer, dessen Feld von den Taliban wegen Mohnanbaus zerstört wurde an, dass er durch Weizenanbau nur einen Bruchteil dessen verdienen würde, was er mit Mohn verdienen könnte (BBC 6.6.2023).
Sicherheitslage
Letzte Änderung 2024-04-05 15:33
Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15.8.2021 ist das allgemeine Ausmaß des Konfliktes zurückgegangen (UNGA 28.1.2022, vgl. UNAMA 27.6.2023). Nach Angaben der Vereinten Nationen gab es beispielsweise weniger konfliktbedingte Sicherheitsvorfälle wie bewaffnete Zusammenstöße, Luftangriffe und improvisierte Sprengsätze (IEDs) (UNGA 28.1.2022) sowie eine geringere Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung (UNAMA 27.6.2023; vgl. UNAMA 7.2022). Die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) hat jedoch weiterhin ein erhebliches Ausmaß an zivilen Opfern durch vorsätzliche Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen (IEDs) dokumentiert (UNAMA 27.6.2023).
UNAMA registrierte im Zeitraum 15.08.2021 - 30.05.2023 mindestens 3.774 zivile Opfer, davon 1.095 Tote (UNAMA 27.6.2023; vgl. AA 26.6.2023) und vom 20.5.2023 bis 22.10.2023 mindestens 344 zivile Opfer, davon 96 Tote (UNGA 18.9.2023; vgl. UNGA 1.12.2023). Im Vergleich waren es in den ersten sechs Monaten nach der Machtübernahme der Taliban 1.153 zivile Opfer, davon 397 Tote, während es in der ersten Jahreshälfte 2021 (also vor der Machtübernahme der Taliban) 5.183 zivile Opfer, davon 1.659 Tote gab. In der Mehrzahl handelte es sich um Anschläge durch Selbstmordattentäter und IEDs. Bei Anschlägen auf religiöse Stätten wurden 1.218 Opfer, inkl. Frauen und Kinder, verletzt oder getötet. 345 Opfer wurden unter den mehrheitlich schiitischen Hazara gefordert. Bei Angriffen auf die Taliban wurden 426 zivile Opfer registriert (AA 26.6.2023).
Im Jahr 2023 war ein Rückgang der von ACLED (Armed Conflict Location Event Data Project) und UCDP (Uppsala Conflict Data Program) erfassten sicherheitsrelevanten Vorfälle zu verzeichnen. Die Zahl der von ACLED bis September 2023 erfassten Ereignisse ging im Vergleich zum selben Zeitraum im Jahr 2022 um 34,8 % zurück (1.979 gegenüber 689 Ereignissen), während die UCDP-Daten für denselben Zeitraum einen Rückgang um 48,2 % anzeigten (720 gegenüber 347 Ereignissen) (EUAA 12.2023; vgl. ACLED 17.10.2023).
EUAA 12.2023; vgl. ACLED 17.10.2023
Nach Angaben der Vereinten Nationen entwickelten sich die sicherheitsrelevanten Vorfälle seit der Machtübernahme der Taliban folgend:
19.8.2021 - 31.12.2021: 985 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 91 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 28.1.2022)
1.1.2022 - 21.5.2022: 2.105 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 467 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 15.6.2022)
22.5.2022 - 16.8.2022: 1.642 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 77,5 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 14.9.2022)
17.8.2022 - 13.11.2022: 1.587 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 23 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 7.12.2022)
14.11.2022 - 31.1.2023: 1.088 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 10 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 27.2.2023)
1.2.2023 - 20.5.2023: 1.650 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 20.6.2023)
25.5.2023 - 31.7.2023: 1.259 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 1 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 18.9.2023)
1.8.2023 - 21.10.2023: 1.414 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 2 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 1.12.2023)
Ende 2022 und während des Jahres 2023 nehmen die Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppierungen und den Taliban weiter ab (UNGA 27.2.2023; vgl. UNGA 20.6.2023, UNGA 18.9.2023, UNGA 20.6.2023), wobei diese nach Einschätzung der Vereinten Nationen den Taliban die Kontrolle über ihr Gebiet nicht streitig machen können (UNGA 1.12.2023). Die dem Taliban-Verteidigungsministerium unterstehenden Sicherheitskräfte führten weiterhin Operationen gegen Oppositionskämpfer durch, darunter am 11.4.2023 eine Operation gegen die Afghanische Freiheitsfront (AFF) im Distrikt Salang in der Provinz Parwan, bei der Berichten zufolge acht Oppositionskämpfer getötet wurden (UNGA 20.6.2023).
Ca. 50 % der sicherheitsrelevanten Vorfälle des Jahres 2023 entfielen auf die Regionen im Norden, Osten und Westen wobei die Provinzen Nangarhar, Kunduz, Herat (UNGA 20.6.2023), Takhar (UNGA 18.9.2023) und Kabul am stärksten betroffen waren (UNGA 1.12.2023).
Die Vereinten Nationen berichten, dass Afghanistan nach wie vor ein Ort von globaler Bedeutung für den Terrorismus ist, da etwa 20 terroristische Gruppen in dem Land operieren. Es wird vermutet, dass das Ziel dieser Terrorgruppen darin besteht, ihren jeweiligen Einfluss in der Region zu verbreiten und theokratische Quasi-Staatsgebilde zu errichten (UNSC 25.7.2023). Die Grenzen zwischen Mitgliedern von Al-Qaida und mit ihr verbundenen Gruppen, einschließlich TTP (Tehreek-e Taliban Pakistan), und der Gruppierung Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) sind zuweilen fließend, wobei sich Einzelpersonen manchmal mit mehr als einer Gruppe identifizieren und die Tendenz besteht, sich der dominierenden oder aufsteigenden Macht zuzuwenden (UNSC 25.7.2023).
Hatten sich die Aktivitäten des ISKP nach der Machtübernahme der Taliban zunächst verstärkt (UNGA 28.1.2022; vgl. UNGA 15.6.2022, UNGA 14.9.2022, UNGA 7.12.2022), so nahmen auch diese im Lauf der Jahre 2022 (UNGA 7.12.2022; vgl. UNGA 27.2.2023) und in 2023 wieder ab (UNGA 20.6.2023; vgl. UNGA 18.9.2023, UNGA 1.12.2023). Die Gruppe verübte weiterhin Anschläge auf die Zivilbevölkerung, insbesondere auf die schiitischen Hazara (HRW 12.1.2023; vgl. UNAMA 22.1.2024). Die Taliban-Sicherheitskräfte führten Operationen zur Bekämpfung des ISKP durch, unter anderem in den Provinzen Kabul, Herat, Balkh, Faryab, Jawzjan, Nimroz, Parwan, Kunduz und Takhar (UNGA 20.6.2023).
Mit Verweis auf das United Nations Department of Safety and Security (UNDSS) berichtet IOM (International Organization for Migration), dass organisierte Verbrechergruppen in ganz Afghanistan an Entführungen zur Erlangung von Lösegeld beteiligt sind. 2023 wurden 21 Entführungen dokumentiert, 2024 waren es, mit Stand Februar 2024, zwei. Anscheinend werden nicht alle Entführungen gemeldet, und oft zahlen die Familien das Lösegeld. Die meisten Entführungen (soweit Informationen verfügbar waren) fanden in oder in der Nähe von Wohnhäusern statt und nicht auf der Straße. Von den 21 im Jahr 2023 gemeldeten Entführungen ereigneten sich vier in Kabul. Zwei der Vorfälle in Kabul betrafen die Entführung ausländischer Staatsangehöriger, wobei nur wenige Einzelheiten über die Umstände der Entführungen bekannt wurden. Die Taliban-Sicherheitskräfte reagierten aktiv auf Entführungsfälle. Im Juni 2023 leiteten die Taliban beispielsweise in Kabul eine erfolgreiche Rettungsaktion eines entführten ausländischen Staatsangehörigen. In der Provinz Balkh führte eine Reaktion der Taliban gegen die Entführer im Februar 2023 zum Tod eines Entführers und zur Festnahme von zwei weiteren Personen (IOM 22.2.2024).
Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul-Stadt, Herat-Stadt und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie gaben 68,3 % der Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese Ergebnisse nicht auf die gesamte Region oder das ganze Land hochgerechnet werden können. Die Befragten wurden gefragt, wie sicher sie sich in ihrer Nachbarschaft fühlen, was sich davon unterscheidet, ob sie sich unter dem Taliban-Regime sicher fühlen oder ob sie die Taliban als Sicherheitsgaranten betrachten, oder ob sie sich in anderen Teilen ihrer Stadt oder anderswo im Land sicher fühlen würden. Das Sicherheitsgefühl ist auch davon abhängig, in welchem Ausmaß die Befragten ihre Nachbarn kennen und wie vertraut sie mit ihrer Nachbarschaft sind und nicht darauf, wie sehr sie sich in Sachen Sicherheit auf externe Akteure verlassen. Nicht erfasst wurde in der Studie, inwieweit bei den Befragten Sicherheitsängste oder Bedenken in Hinblick auf die Taliban oder Gruppen wie den ISKP vorliegen. In Bezug auf Straßenkriminalität und Gewalt gaben 70,7 % bzw. 79,7 % der Befragen an, zwischen September und Oktober 2021 keiner Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. An dieser Stelle ist zu beachten, dass die Ergebnisse nicht erfassen, welche Maßnahmen der Risikominderung von den Befragten durchgeführt werden, wie z. B.: die Verringerung der Zeit, die sie außerhalb ihres Hauses verbringen, die Änderung ihres Verhaltens, einschließlich ihres Kaufverhaltens, um weniger Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sowie die Einschränkung der Bewegung von Frauen und Mädchen im Freien (ATR/STDOK 18.1.2022).
Im Dezember 2022 wurde von ATR Consulting erneut eine Studie im Auftrag der Staatendokumentation durchgeführt. Diesmal ausschließlich in Kabul-Stadt. Hier variiert das Sicherheitsempfinden der Befragten, was laut den Autoren der Studie daran liegt, dass sich Ansichten der weiblichen und männlichen Befragten deutlich unterscheiden. Insgesamt gaben die meisten Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen, wobei die relativ positive Wahrnehmung der Sicherheit und die Antworten der Befragten, nach Meinung der Autoren, daran liegt, dass es vielen Befragten aus Angst vor den Taliban unangenehm war, über Sicherheitsfragen zu sprechen. Sie weisen auch darauf hin, dass die Sicherheit in der Nachbarschaft ein schlechtes Maß für das Sicherheitsempfinden der Menschen und ihre Gedanken über das Leben unter dem Taliban-Regime ist (ATR/STDOK 3.2.2023).
Regionen Afghanistans
Letzte Änderung 2024-04-05 15:34
STDOK-OSIF 7.9.2023a
Afghanistan verfügt über 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.230 Quadratkilometern (CIA 1.2.2024) leben ca. 34,3 (NSIA 4.2022) bis 39,2 Millionen Menschen (CIA 1.2.2024). Es grenzt an sechs Länder: China (91 km), Iran (921 km) Pakistan (2.670 km), Tadschikistan (1.357 km), Turkmenistan (804 km), Usbekistan (144 km) (CIA 1.2.2024). Seit der beinahe kampflosen Einnahme Kabuls durch die Taliban am 15.8.2021 steht Afghanistan nahezu vollständig unter der Kontrolle der Taliban (AA 26.6.2023; vgl. EUAA 12.2023).
Anmerkung: Die in jeweiligen Unterkapiteln "Aktuelle Lage und jüngste Entwicklungen" angeführten Ereignisse (Sicherheitsrelevante Vorfälle, Naturkatastrophen ... usw.) erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. In Afghanistan herrscht (vor allem seit der Machtübernahme durch die Taliban) ein genereller Mangel an ausführlichen Berichten und Quellen. Auch ist es möglich, dass über bestimmte Ereignisse nicht oder nicht ausführlich berichtet wurde. Deshalb sollten die angeführten Ereignisse als Übersicht über die jeweilige Region und nicht als abschließende Auflistung verstanden werden.
Kabul-Stadt
Letzte Änderung 2024-04-05 15:34
STDOK-OSIF 7.9.2023b
Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und verfügt über eine geschätzte Einwohnerzahl zwischen 4,589.000 (CIA 1.2.2024) und ca. 4,801.200 Personen (NSIA 4.2022). Die Stadt ist aufgeteilt in 22 Bezirke und verfügt über einen internationalen Flughafen, der sich im 15. Stadt-Bezirk befindet (AAN 2019). Die Bevölkerung besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus sowie Kutschi (PAN o.D.; vgl. NPS o.D.a).
Aktuelle Lage und jüngste Entwicklungen
2023
Bei einer Explosion außerhalb des Militärflughafens von Kabul wurden am 1.1.2023 mehrere Menschen getötet oder verletzt (REU 1.1.2023; vgl. RFE/RL 1.1.2023). Nach Angaben der Taliban war für den Angriff die Gruppierung Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) verantwortlich. Am 5.1.2023 kam es zu Razzien in Kabul und Nimroz, die gegen die Verantwortlichen der Attacke gerichtet waren. Acht ISKP-Mitglieder wurden getötet und neun weitere verhaftet (AP 5.1.2023; vgl. AJ 5.1.2023).
Am 11.1.2023 starben mindestens zehn Menschen bei einer Explosion nahe dem Außenministerium der Taliban. Der ISKP übernahm die Verantwortung für den Angriff (RFE/RL 13.1.2023; vgl. BBC 12.1.2023).
Im Februar 2023 gaben die Taliban bekannt, dass sie am 13.2.2023 (VOA 14.2.2023) und am 27.2.2023 Razzien in ISKP-Verstecken in Kabul durchgeführt und mehrere Mitglieder der militanten Gruppe sowie zwei wichtige Kommandanten des Islamischen Staates getötet hätten (VOA 27.2.2023; vgl. KaN 27.2.2023).
Am 23.2.2023 wurden bei einem Bombenanschlag in Kabul nach Angaben lokaler Quellen ein Taliban-Kommandeur getötet und vier Menschen verletzt (MEHR 23.2.2023; vgl. BAMF 30.6.2023).
Am 21.3.2023 haben die Taliban nach eigenen Angaben ein ISKP-Versteck in Kabul ausgehoben und dabei drei ISKP-Mitglieder getötet (BAMF 30.6.2023; vgl. KaN 22.3.2023).
Nach Angaben der Taliban-Behörden wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Außenministerium am 27.3.2023 in Kabul mindestens sechs Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt (VOA 27.3.2023; vgl. AJ 27.3.2023). Der ISKP bekannte sich zu dem Anschlag (VOA 27.3.2023).
Am 21.8.2023 wurden bei der Detonation einer Haftbombe zwei Personen in Kabul getötet. Keine Gruppierung hat die Verantwortung für die Explosion übernommen (Crisis 24 22.2.2024; vgl. PAN 21.8.2023).
Zwischen Oktober 2023 und Jänner 2024 kam es zu einer Reihe von IED (improvisierte Sprengsätze)-Angriffen im vornehmlich von Hazara besiedelten Distrikt Dasht-e Barchi für die der ISKP die Verantwortung übernahm. So wurden am 26.10.2023 bei einem Angriff auf einen Sportklub mindestens vier Menschen getötet (FR24 27.10.2023; vgl. VOA 28.10.2023). Bei einem Angriff auf einen Minibus am 7.11.2023 wurden mindestens sieben Menschen getötet und etwa 20 verwundet (UNAMA 22.1.2024; vgl. TN 7.11.2023).
2024
Am 6.1.2024 kam es zu einer Explosion eines Minibusses im Distrikt Dasht-e Barchi (VOA 6.1.2024; vgl. RFE/RL 7.1.2024). Die Angaben zu den Opferzahlen schwanken, jedoch wurden nach Angaben von UNAMA mindestens 25 Menschen getötet oder verwundet (RFE/RL 7.1.2024; vgl. AP 7.1.2024).
Am 11.1.2024 kam es erneut zu einer Explosion in Dasht-e Barchi, bei der zwei Menschen getötet wurden (RFE/RL 12.1.2024; vgl. AP 11.1.2024). Es bekannte sich niemand zu dem Anschlag (AP 11.1.2024).
Ost-Afghanistan
Letzte Änderung 2024-04-03 15:25
STDOK-OSIF 8.9.2023d
Der Osten Afghanistans grenzt an Pakistan und ist ein wichtiger Teil des paschtunischen Heimatlandes, dessen Stammeseinfluss sich bis nach Westpakistan erstreckt. Jalalabad, die Hauptstadt der Provinz Nangarhar, liegt auf halbem Weg zwischen Torkham (Ende des Khyber-Passes/Grenze zu Pakistan) und Kabul. Sie gilt als die wichtigste afghanische Stadt im Osten und als das Tor nach Afghanistan vom Khyber-Pass aus. Berge und Täler (oft sehr abgelege) dominieren die Region (NPS o.D.d).
Distrikte nach Provinz (NSIA 4.2022)
Kabul: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara, Surubi/Surobi/Sarobi
Kapisa: Alasay, Hesa Awal Kohistan, Hesa Duwum Kohistan, Koh Band, Mahmud Raqi, Nijrab, Tagab
Khost: Ali Sher (Tirzayee), Baak, Gurbuz, Jaji Maidan, Khost (Matun), Manduzay (Esmayel Khil), Muza Khel, Nadir Shah Kot, Qalandar, Sabari (Yaqubi), Shamul, Spera, Tanay
Kunar: Bar Kunar (auch Asmar), Chapa Dara, Sawkay (auch Chawkay), Dangam, Dara-e-Pech (auch Manogi), Ghazi Abad, Khas Kunar, Marawara, Narang wa Badil, Nari, Noorgal, Sar Kani, Shigal, Watapoor sowie der temporäre Distrikt Sheltan
Laghman: Alingar, Alishing, Dawlat Shah, Mehtarlam, Qarghayi, Bad Pash (also Bad Pakh)
Logar: Azra, Baraki Barak, Charkh, Khar War, Khushi, Mohammad Agha, Pul-e-Alam
Nangarhar: Achin, Bati Kot, Behsud, Chaparhar, Dara-e-Nur, Deh Bala (auch Haska Mena), Dur Baba, Goshta, Hesarak, Jalalabad, Kama, Khugyani, Kot, Kuzkunar, Lalpoor, Muhmand Dara, Nazyan, Pachiragam, Rodat, Sher Zad, Shinwar, Surkh Rud
Paktia: Ahmadaba, Jaji, Dand Patan, Gardez, Jani Khel, Laja Ahmad Khel (auch Laja Mangel), Samkani (auch Chamkani, Tsamkani), Sayyid Karam (auch Mirzaka), Shwak, Wuza Zadran, Zurmat sowie die vier temporären Distrikte Laja Mangel, Mirzaka, Garda Siray, Rohany Baba
Paktika: Barmal, Dila Wa Khushamand, Gomal, Giyan, Jani Khel, Mata Khan, Nika (Naka), Omna, Surobi, Sar Rawzah, Sharan, Turwo, Urgoon, Wazakhwah, Wormamay, Yahya Khel, Yosuf Khel, Zarghun Shahr (auch Khairkot), Ziruk sowie die vier temporären Distrikte Shakeen, Bak Khil, Charbaran, Shakhil Abad
Aktuelle Lage und jüngste Entwicklungen
Letzte Änderung 2024-04-03 15:25
2023
Die National Resistance Front (NRF) behauptete, am 24.1.2023 in Kapisa drei Taliban-Kämpfer getötet und zwei weitere verletzt zu haben (BAMF 30.6.2023; vgl. 8am 25.1.2023).
Die Afghanistan Freedom Front (AFF) gab bekannt, dass drei Taliban-Mitglieder getötet und vier weitere verwundet wurden, nachdem sie am 8.5.2023 einen Raketenangriff auf das Gouverneursbüro der Taliban in Mahmud-i-Raqi, der Hauptstadt von Kapisa, verübt hatten (Afintl 10.5.2023; vgl. 8am 9.5.2023). Ein Sprecher der Taliban in Kapisa wies jedoch die Behauptungen der AFF zurück (Afintl 10.5.2023).
Im Distrikt Paghman in Kabul wurden im Juli 2023 vier Menschen wegen "moralischer Verbrechen" öffentlich ausgepeitscht (ANI 12.7.2023; vgl. AMU 12.7.2023), darunter auch eine Frau (BAMF 31.12.2023).
Die NRF gab 5.8.2023 an, im Distrikt Shakar Dara in Kabul vier Mitglieder der Taliban getötet zu haben. Die Taliban haben nicht auf die Erklärung der NRF reagiert (Afintl 5.8.2023).
Am 19.8.2023 wurde Berichten zufolge ein hochrangiger Kommandant der pakistanischen Taliban (TTP) in Nangarhar durch einen Luftangriff getötet (KaN 19.8.2023; vgl. BAMF 31.12.2023).
Berichten zufolge wurden bei einem Angriff der AFF in Laghman am 3.9.2023 zwei Taliban getötet und vier weitere verletzt (KaN 3.9.2023). Darauf erfolgte ein Gegenangriff der Taliban gegen die AFF in verschiedenen Regionen des Distriktes Dawlat Shah in Laghman (Afintl 31.8.2023).
Berichten zufolge wurden am 6.12.2023 in Kunar 25 Schüler der Amra Khan High School aus der Stadt Asad-Abad während ihrer Abschlussfeier in einem Park festgenommen, weil sie sich mit der Flagge der [Anm.: ehemaligen] Republik gezeigt hätten (BAMF 31.12.2023; vgl. 8am 6.12.2023).
Zentrale Akteure
Taliban
Letzte Änderung 2024-04-05 15:33
Die Taliban sind eine überwiegend paschtunische, islamisch-fundamentalistische Gruppe (CFR 17.8.2022), die 2021 nach einem zwanzigjährigen Aufstand wieder an die Macht in Afghanistan kam (CFR 17.8.2022; vgl. USDOS 20.3.2023). Die Taliban bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USDOS 20.3.2023; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen (USIP 17.8.2022).
Die Taliban-Regierung weist eine starre hierarchische Struktur auf, deren oberstes Gremium die Quetta-Shura ist (EER 10.2022), benannt nach der Stadt in Pakistan, in der Mullah Mohammed Omar, der erste Anführer der Taliban, und seine wichtigsten Helfer nach der US-Invasion Zuflucht gesucht haben sollen. Sie wird von Mawlawi Hibatullah Akhundzada geleitet (CFR 17.8.2022; vgl. Rehman A./PJIA 6.2022), dem obersten Führer der Taliban (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. CFR 17.8.2022, Rehman A./PJIA 6.2022). Er gilt als die ultimative Autorität in allen religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten (EUAA 8.2022; vgl. Afghan Bios 7.7.2022a, REU 7.9.2021a).
Nach der Machtübernahme versuchten die Taliban sich von "einem dezentralisierten, flexiblen Aufstand zu einer staatlichen Autorität" zu entwickeln (EUAA 8.2022; vgl. NI 24.11.2021). Im Zuge dessen herrschten Berichten zufolge zunächst Unklarheiten unter den Taliban über die militärischen Strukturen der Bewegung (EUAA 8.2022; vgl. DW 11.10.2021) und es gab in vielen Fällen keine erkennbare Befehlskette (EUAA 8.2022; vgl. REU 10.9.2021). Dies zeigte sich beispielsweise in Kabul, wo mehrere Taliban-Kommandeure behaupteten, für dasselbe Gebiet oder dieselbe Angelegenheit zuständig zu sein. Während die frühere Taliban-Kommission für militärische Angelegenheiten das Kommando über alle Taliban-Kämpfer hatte, herrschte Berichten zufolge nach der Übernahme der Kontrolle über das Land unter den Kämpfern vor Ort Unsicherheit darüber, ob sie dem Verteidigungsministerium oder dem Innenministerium unterstellt sind (EUAA 8.2022; vgl. DW 11.10.2021).
Haqqani-Netzwerk
Das Haqqani-Netzwerk hat seine Wurzeln im Afghanistan-Konflikt der späten 1970er-Jahre. Mitte der 1980er-Jahre knüpfte Jalaluddin Haqqani, der Gründer des Haqqani-Netzwerks (GSSR 12.11.2023), eine Beziehung zum Führer von al-Qaida, Osama bin Laden (UNSC o.D.c; vgl. FR24 21.8.2021). Jalaluddin schloss sich 1995 der Taliban-Bewegung an (UNSC o.D.c; vgl. ASP 1.9.2020), behielt aber seine eigene Machtbasis an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan (UNSC o.D.c). Der Kern der Ideologie der Gruppe ist eine antiwestliche, regierungsfeindliche und "sunnitisch-islamische Deobandi"-Haltung, die an die Einhaltung orthodoxer islamischer Prinzipien glaubt, die durch die Scharia geregelt werden, und die den Einsatz des Dschihad zur Erreichung der Ziele der Gruppe befürwortet. Die Haqqanis lehnen äußere Einflüsse innerhalb des Islams strikt ab und fordern, dass die Scharia das Gesetz des Landes ist (GSSR 12.11.2023).
Nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 übernahm Jalaluddins Sohn, Sirajuddin Haqqani, die Kontrolle über das Netzwerk (UNSC o.D.c, vgl. VOA 4.8.2022). Er ist seit 2015 auch einer der Stellvertreter des Taliban-Anführers Haibatullah Akhundzada (FR24 21.8.2021; vgl. UNSC o.D.c). Das Haqqani-Netzwerk gilt dank seiner finanziellen und militärischen Stärke - und seines Rufs als skrupelloses Netzwerk - als halbautonom (FR24 21.8.2021), auch wenn es den Taliban angehört (UNSC 21.11.2023; vgl. FR24 21.8.2021).
Das Netzwerk unterhält Verbindungen zu al-Qaida und, zumindest zeitweise bis zur Machtübernahme der Taliban, der Gruppierung Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) (VOA 30.8.2022; vgl. UNSC 26.5.2022). Es wird angemerkt, dass nach der Machtübernahme und der Eskalation der ISKP-Angriffe kein Raum mehr für Unklarheiten in der strategischen Konfrontation der Taliban mit ISKP bestand und es daher nicht im Interesse der Haqqanis lag, solche Verbindungen zu pflegen (UNSC 26.5.2022). Zudem wird vermutet, dass auch enge Verbindungen zum pakistanischen Geheimdienst (VOA 30.8.2022; vgl. DT 7.5.2022) und den Tehreek-e-Taliban (TTP), den pakistanischen Taliban, bestehen (UNSC 26.5.2022).
Wehrdienst und Zwangsrekrutierung
Letzte Änderung 2024-04-05 15:38
Mit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 brach die 350.000 Mann starke Armee des früheren Regimes zusammen (TN 15.8.2022) und die Taliban haben faktisch die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernommen. Sie haben begonnen, ihre bisherigen Milizen-Strukturen in geordnete Sicherheitskräfte zu übertragen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Im Bereich der Streitkräfte kündigte der Taliban-Armeechef Qari Fasihuddin im November 2021 den Aufbau einer 150.000 Mann starken Armee inkl. Freiwilliger an; andere Mitglieder der Taliban-Regierung haben sich für eine kleinere Berufsarmee ausgesprochen (AA 26.6.2023; vgl. CPJ 1.3.2022). Dem Taliban-Stabschef der Streitkräfte zufolge bestünde die Armee mit Stand März 2023 aus 150.000 Taliban-Kämpfern und solle kommendes Jahr auf 170.000 vergrößert werden. Angestrebt sei eine 200.000 Mann starke Armee (AA 26.6.2023). Eine breit angelegte Integration der bisherigen Angehörigen der Sicherheitskräfte hat bisher nicht stattgefunden (AA 26.6.2023) und auch ein internationaler Analyst führte an, dass die Zahl der rekrutierten ehemaligen Sicherheitskräfte begrenzt sei und es sich im Allgemeinen um Spezialisten handele (EUAA 12.2023).
Ein Afghanistan-Analyst und ein internationaler Journalist gaben in Interviews mit EUAA zwischen Juni und Oktober 2023 an, dass ihnen keine Fälle von Zwangsrekrutierung bekannt wären. Sie beschrieben die Situation als das Gegenteil von Zwangsrekrutierung, da es in einer Wirtschaft ohne andere Beschäftigungsmöglichkeiten sehr beliebt ist, Teil der Taliban-Sicherheitsstruktur zu sein. In diesem Zusammenhang wurde auch auf den Mangel an anderen Beschäftigungsmöglichkeiten hingewiesen und erklärt, dass die Taliban über genügend Männer verfügen und dass viele bereit sind, auf freiwilliger Basis zu dienen, auch ohne Bezahlung (EUAA 12.2023).
Der einzige aktuelle Bericht, der über Zwangsrekrutierung, durch Taliban, ISKP oder andere bewaffnete Gruppen, gefunden wurde, war der Bericht von USDOS über die Menschenrechtslage in Afghanistan, in dem es heißt, dass die gesellschaftliche Diskriminierung von Hazara "in Form von Erpressung von Geld durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung und Zwangsarbeit, körperlicher Misshandlung und Inhaftierung" stattgefunden hat (EUAA 12.2023; vgl. USDOS 20.3.2023). Genau diese Aussage findet sich seit 2010 in jedem Jahresbericht von USDOS über die Menschenrechtslage in Afghanistan (EUAA 12.2023).
Vor ihrer Machtübernahme wurden Kinder durch die Taliban rekrutiert (HRW 20.9.2021), und einige Quellen berichten, dass es auch nach der Machtübernahme zu Zwangsrekrutierungen von Kindern kam (TBP 23.9.2022; vgl. USDOS 15.6.2023). Einem afghanischen Analysten zufolge haben die Taliban eine Kommission gebildet, um Kindersoldaten aus ihren Reihen zu entfernen, und heute vermeiden die Taliban in der Regel die Rekrutierung zu junger Personen, indem sie Kinder ohne Bart ablehnen (EUAA 12.2023). Berichten zufolge hat auch der ISKP Kinder rekrutiert (USDOS 15.6.2023).
Was die Rekrutierung durch den Islamischen Staat Khorasan Provinz (ISKP) betrifft, so wurden Berichten zufolge die Salafi-Gemeinschaft und Taliban-Fußsoldaten zur Unterstützung der Gruppe aufgerufen (USIP 7.6.2023). Der Afghanistan-Experte Antonio Giustozzi veröffentlichte einen Forschungsartikel, in dem er feststellte, dass zwei wichtige Quellen für die Rekrutierung in Afghanistan die Salafi-Gemeinschaft und Universitätsstudenten waren. In Interviews, die der Autor mit ISKP-Rekrutern in Afghanistan geführt hat, wird die Vorgehensweise des ISKP beschrieben. Hierbei werden "die religiösesten Studenten, die das größte Interesse an religiösen Fragen und insbesondere am Salafismus haben, ausgesucht und ins Visier genommen". Sobald ein Student als Ziel identifiziert ist, wird versucht, seine Handynummer zu bekommen. Dann übernimmt die Abteilung "Medien und Kultur" die Arbeit. Die Aufgabe des Medien- und Kulturteams, das seinen Sitz außerhalb der Universität und sogar in Europa hat, besteht darin, Videos mit Propagandamaterial an potenzielle Rekruten zu senden. Bei einer negativen Reaktion wird der "Eingeladene", den Interviews zufolge, sofort von der Nachrichtenübermittlung abgeschnitten. Ist die Reaktion positiv, werden WhatsApp und andere Social-Media-Apps genutzt. Das Medien- und Kulturteam fügt außerdem gezielte Studenten zu verschiedenen ISKP-Telegram-Konten hinzu, von denen einige für die Aktivitäten des ISKP werben, während andere negative Propaganda gegen die Taliban verbreiten (RUSI/Giustozzi 3.2023). Auch die Vereinten Nationen berichten, dass sich der ISKP auf die Rekrutierung von mehr gebildeten Personen konzentriert, aber Rekrutierungen auch außerhalb der Salafi-Gemeinschaft betreibt (UNSC 1.6.2023b).
Ethnische Gruppen
Letzte Änderung 2024-03-28 12:04
In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 34,3 (NSIA 4.2022) und 38,3 Millionen Menschen (8am 30.3.2022; vgl. CIA 1.2.2024). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016; vgl. CIA 1.2.2024), da die Behörden des Landes nie eine nationale Volkszählung durchgeführt haben. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass keine der ethnischen Gruppen des Landes eine Mehrheit bildet, und die genauen prozentualen Anteile der einzelnen Gruppen an der Gesamtbevölkerung Schätzungen sind und oft stark politisiert werden (MRG 5.1.2022).
Die größten Bevölkerungsgruppen sind Paschtunen (32-42 %), Tadschiken (ca. 27 %), Hazara (ca. 9-20 %) und Usbeken (ca. 9 %), gefolgt von Turkmenen und Belutschen (jeweils ca. 2 %) (AA 26.6.2023).
Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.3.2023).
Die Taliban gehören mehrheitlich der Gruppe der Paschtunen an. Seit der Machtübernahme der Taliban werden nicht-paschtunische Ethnien in staatlichen Stellen zunehmend marginalisiert. So gibt es in der Taliban-Regierung z. B. nur wenige Vertreter der usbekischen und tadschikischen Minderheit sowie lediglich einen Vertreter der Hazara (AA 26.6.2023).
Die Taliban haben wiederholt erklärt, alle Teile der afghanischen Gesellschaft zu akzeptieren und ihre Interessen berücksichtigen zu wollen. Aber selbst auf lokaler Ebene werden Minderheiten, mit Ausnahmen in ethnisch von Nicht-Paschtunen dominierten Gebieten vor allem im Norden, kaum für Positionen im Regierungsapparat berücksichtigt, da diese v. a. paschtunischen Taliban-Mitgliedern vorbehalten sind. Darüber hinaus lässt sich keine klare, systematische Diskriminierung von Minderheiten durch die Taliban-Regierung feststellen, solange diese den Machtanspruch der Taliban akzeptieren (AA 26.6.2023).
Paschtunen
Letzte Änderung 2024-04-10 20:16
Ethnische Paschtunen sind mit ca. 42 % der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans (MRG 5.2.2021a; vgl. AA 26.6.2023). Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime und leben hauptsächlich im Süden und Osten des Landes (MRG 5.2.2021a; vgl. Print 21.9.2021). Sie teilen sich in zwei große Gruppen auf - Durrani und Gheljai (auch Ghilzai or Ghilzay) - und in weitere Untergruppen von mehr als hundert kleineren Stämmen. Die Durrani sind vor allem in den südlichen Provinzen des Landes wie Kandahar, Zabul, Helmand, Uruzgan, sowie verstreut in anderen Provinzen verbreitet, während die Gheljai eher in Provinzen wie Paktia, Logar, Khost, Paktika, Maidan Wardak und anderen anzutreffen sind (STDOK/VQ AFGH 4.2024). Traditionell waren die Paschtunen nomadisierende oder halbnomadische Viehzüchter, Ackerbauern und Händler. Seit langer Zeit sind sie in Städten ansässig geworden, wo sie verschiedensten Tätigkeiten nachgehen. Paschtunische Stämme waren stets die militärische Stütze des afghanischen Königshauses und wurden dafür mit einigen Privilegien (Steuervergünstigungen, weitgehende Autonomie in inneren Angelegenheiten u. a.) versehen (STDOK 1.7.2016).
Bei den Paschtunen haben Familienstand, Stammeseinfluss, Besitz und Einfluss einen hohen Stellenwert. Ein hoher Anteil von Männern in paschtunischen Familien gilt als ein Zeichen der Stärke. Aufgrund der bedeutenden Rolle der Familie kann individuelles Fehlverhalten auch der Familie schaden und unschuldige Familienmitglieder zu Opfern machen. Die meisten Paschtunen bevorzugen Ehen mit anderen Paschtunen und sind ggf. mit der Heirat von nahen Verwandten einverstanden. Ehen zwischen Paschtunen und Mitgliedern anderer Ethnien wie Hazara, Usbeken oder Tadschiken sind selten (STDOK/VQ AFGH 4.2024).
Personen denen vorgeworfen wird, von westlichen Werten beeinflusst zu sein
Letzte Änderung 2024-04-09 06:30
Berichten zufolge haben die Taliban das Ziel, die afghanische Gesellschaft zu "reinigen" (JS 20.4.2023; vgl. WP 18.2.2023) und "ausländischen" Einfluss aus Afghanistan zu vertreiben (CTC Sentinel 9.8.2022). Die afghanische Gesellschaft soll von allem "gesäubert" werden, was die Taliban als "westliche" Werte ansehen, einschließlich Bildung für Mädchen, Beschäftigung und Bewegungsfreiheit für Frauen sowie Meinungs- und Versammlungsfreiheit (JS 20.4.2023).
Während einer vom Dänischen Flüchtlingsrat (DRC) am 28.11.2022 organisierten Konferenz gab Dr. Liza Schuster, Dozentin für Soziologie an der University of London, an, dass diejenigen, die nach 2021 ausgereist sind, von den Taliban oft als "Verräter" angesehen werden. Einzelne Taliban-Mitglieder erklären in weitverbreiteten Videoaufnahmen, dass es eine Sünde sei, Afghanistan zu verlassen, und diejenigen, die gehen, werden als Sünder bezeichnen. Darüber hinaus erklärte Dr. Schuster, dass die Taliban Profile in den sozialen Medien kontrollieren und Personen deshalb der moralischen Korruption bezichtigt wurden. Familienangehörige von Ausgereisten wurden laut Dr. Schuster auch von Taliban-Beamten und Nachbarn schikaniert, unter anderem durch Vertreibungen und aggressive Verhöre (DRC 28.11.2022; vgl. EUAA 12.2023).
So haben sie in einigen Gegenden Anweisungen gegen das Kürzen von Bärten erlassen und Männern geraten, keine westliche Kleidung zu tragen (RFE/RL 17.6.2022). Obwohl keine allgemeine Kleiderordnung für Männer erlassen wurde (India Today 28.7.2023; vgl. EUAA 12.2023), finden sich auf Social Media Angaben von jungen afghanischen Männern, die von Taliban-Kämpfern geschlagen wurden, weil sie "westliche" Kleidung wie Jeans trugen (WION 27.7.2023). Auch wurde Regierungsangestellten angeordnet, sich einen Bart wachsen zu lassen und eine Kopfbedeckung zu tragen. Es wurde berichtet, dass in bestimmten Fällen gegen jene vorgegangen wurde, die sich nicht an diese Anordnungen gehalten haben (Afintl 1.3.2024; vgl. REU 28.3.2022). Ein Taliban-Beamter rief dazu auf, die Krawatte nicht mehr zu tragen, da sie ein Symbol für das christliche Kreuz sei (BAMF 31.12.2023; vgl. AT 26.7.2023), wobei die Taliban bereits im Jahr 2022 Studenten und Lehrende dazu aufriefen, keine Krawatten zu tragen (TN 15.4.2022).
Im Februar 2024 hielt ein hochrangiger Taliban Medienschaffende in Afghanistan dazu an, auf das Rasieren von Bärten und das Fotografieren zu verzichten. Er sagte weiter, dass der Bartwuchs im Islam obligatorisch sei und dass es eine große Sünde sei, ihn zu rasieren (KaN 21.2.2024; vgl. KP 21.2.2024). Zuvor hatte der Gouverneur der Taliban in Kandahar kürzlich eine schriftliche Anweisung an alle Institutionen und Behörden der Taliban in dieser Provinz herausgegeben, die das Fotografieren von formellen und informellen Treffen und Zeremonien verbietet (KP 21.2.2024; vgl. WION 19.2.2024). Im März 2024 gab ein Sprecher des Ministeriums für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern an, dass "dünne Kleidung" im Widerspruch zur Scharia und der afghanischen Kultur stehen würde, und forderte Händler auf, auf die Einfuhr solcher Kleidung zu verzichten (Afintl 1.3.2024).
Es gibt jedoch auch Berichte über Menschen, die in Kabul in bestimmten Teilen der Stadt T-Shirts und westliche Kleidung mit US-Motiven trugen (NYT 29.6.2023; vgl. SIGA 25.7.2023). Es wird auch darauf hingewiesen, dass man sich in Afghanistan praktisch alles kaufen kann, wenn man das Geld dazu hat (SIGA 25.7.2023). Außerdem berichtete die New York Times über Fast-Food-Restaurants und Bodybuilding-Fitnessstudios, die es in Kabul-Stadt gibt. Die Autoren erklären sich diese Dissonanz damit, dass in Kabul gemäßigtere Beamte tätig sind, als in der Kernzone der Taliban in Kandahar (NYT 29.6.2023).
Während einigen Quellen zufolge Musik in Afghanistan verboten ist (KP 6.2.2024; vgl. UNGA 9.9.2022), berichten andere, dass das Spielen von Musik in der Öffentlichkeit verboten sei (BBC 31.7.2023) und dass Taliban Veranstaltungen, bei denen Musik gespielt wird, unterbrechen und Menschen wegen des Spielens von Musik verhaften (Rukhshana 22.7.2022; vgl. KP 6.2.2024), während in einigen Lokalen in Kabul weiterhin Musik gespielt wird (SIGA 25.7.2023; vgl. NYT 29.6.2023). In Kandahar wurde durch das Ministerium für die Verbreitung von Tugend und die Verhinderung von Lastern das Spielen und Hören von Musik in der ganzen Stadt verboten (8am 27.6.2023) und in Kabul forderten die Taliban Besitzer von Hochzeitssälen auf, keine Musik zu spielen (RFE/RL 12.6.2023). Berichten zufolge konfiszieren Taliban Musikinstrumente und verbrennen sie öffentlich (DW 31.7.2023; vgl. RFE/RL 18.8.2023) und gehen auch gegen Personen vor, die Musik in Privatfahrzeugen oder auf Telefonen abspielen (Afintl 31.7.2023).
Rückkehr
Letzte Änderung 2024-04-05 06:35
Nach Angaben von UNHCR sind zwischen Jänner und August 2023 8.029 afghanische Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt (95 % aus Pakistan, 4% aus Iran und 1 % aus anderen Ländern). Die Zahl der Rückkehrer in den ersten sieben Monaten des Jahres 2023 war fünfmal so hoch wie die Zahl der Rückkehrer im gleichen Zeitraum des Jahres 2022 (UNHCR 1.8.2023). Als Hauptgründe für die Rückkehr aus Iran und Pakistan nannten die Rückkehrer die Lebenshaltungskosten und den Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten in den Aufnahmeländern, die verbesserte Sicherheitslage in Afghanistan und die Wiedervereinigung mit der Familie. Im Jahr 2023 kehrten 57 % der Flüchtlinge in fünf Provinzen zurück: Kabul (21 %), Kunduz (13 %), Kandahar (10 %), Nangarhar (7 %) und Jawzjan (6 %). Außerdem hielten sich 72 % der Rückkehrer seit mehr als zehn Jahren im Asylland auf und 25 % wurden im Asylland geboren (UNHCR 24.7.2023). Am 3.10.2023 billigte der nationale Apex-Ausschuss Pakistans einen Plan zur Rückführung von über einer Million Ausländern ohne gültige Papiere, überwiegend Afghanen, die das Land bis zum 1.11.2024 verlassen sollten. Seit dem 15.9.2023 sind mit Stand März 2024 über eine halbe Million Afghanen aus Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt. Der größte Teil dieser Bewegungen fand im November 2023 statt, danach ging die Zahl deutlich zurück, wobei der Januar und die erste Februarhälfte 2024 die niedrigsten Zahlen verzeichneten. In den letzten beiden Wochen des Februars ist wieder ein Anstieg der Rückkehrer zu verzeichnen (UNHCR 8.3.2024).
Anm.: Für weitere Informationen zu diesem Thema sei auf das Unterkapitel "Pakistan" im Kapitel "Afghanische Flüchtlinge in Iran und Pakistan" verwiesen.
Auch wenn es nur wenig Informationen zu Rückkehrern aus Europa nach Afghanistan gibt, berichtet das österreichische BMI (Bundesministerium für Inneres) (BMI 27.3.2024) und andere Quellen (MEE 1.6.2022; vgl. AAN 20.1.2024, DRC 28.11.2022), dass es auch nach der Machtübernahme der Taliban zur freiwilligen Rückkehr afghanischer Staatsbürger kommt (MEE 1.6.2022; vgl. AAN 20.1.2024). Dem Afghanistan Analysts Network (AAN) zufolge kehren auch einige Mitarbeiter der ehemaligen Regierung und internationaler NGOs nach Afghanistan zurück, darunter ein Mitarbeiter einer NGO, der mit seiner Familie nach zwei Jahren Aufenthalt in Dänemark nach Afghanistan zurückkehrte (AAN 20.1.2024). Auch die Nachrichtenagentur Middle East Eye berichtet von der freiwilligen Rückkehr von Afghanen, darunter Mitarbeiter von internationalen NGOs (MEE 1.6.2022) und nach Angaben von EUAA gibt es auch freiwillige Rückkehrer aus den USA (EUAA 12.2023). Die Taliban haben am 16.3.2022 eine Kommission unter Leitung des Taliban-Ministers für Bergbau und Petroleum ins Leben gerufen, die Mitglieder der ehemaligen wirtschaftlichen und politischen Elite überzeugen soll, nach Afghanistan zurückzukehren. Im Rahmen dieser Bemühungen sollen inzwischen 200 mehr oder weniger prominente Persönlichkeiten nach Afghanistan zurückgekehrt sein, darunter auch ehemalige Minister und Parlamentarier. Die Taliban-Regierung trifft widersprüchliche Aussagen darüber, ob es den Rückkehrern gestattet sein wird, sich politisch zu engagieren (AA 26.6.2023).
IOM hat aufgrund der aktuellen Lage vor Ort die Option der Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration seit 16.8.2021 für Afghanistan bis auf Weiteres weltweit ausgesetzt. Es können somit derzeit keine freiwilligen Rückkehrer aus Österreich nach Afghanistan im Rahmen des Projektes RESTART III unterstützt werden. IOM Afghanistan hält jedoch die Kommunikation mit ehemaligen Rückkehrern aufrecht, um humanitäre Hilfe anzubieten, die Stabilisierung der Gemeinschaft zu unterstützen und die interne Migration in Zusammenarbeit mit den Taliban-Behörden, humanitären Partnern und lokalen Gemeinschaften zu steuern. IOM Afghanistan wendet verschiedene Methoden an, um mit ehemaligen unterstützten Rückkehrern in Afghanistan in Kontakt zu bleiben. Dazu gehören das Engagement in den Gemeinden, eine zentralisierte Datenbank (Displacement Tracking Matrix [DTM]) und die direkte Kommunikation als Folgemaßnahme, insbesondere mit den Begünstigten, die von IOM direkt mit ihren Diensten durch Überwachungs- und Folgebesuche unterstützt wurden (IOM 22.2.2024).
Nach dem deutschen Auswärtigen Amt dürften Rückkehrende nur in Einzelfällen über die notwendigen sozialen und familiären Netzwerke verfügen, um die desolaten wirtschaftlichen Umstände abzufedern (AA 26.6.2023). Auch Dr. Liza Schuster, Dozentin für Soziologie an der University of London, spricht über die schwierige wirtschaftliche Lage der Rückkehrende aus Europa und hebt, mit Verweis auf den Afghanistanexperten Thomas Ruttig, die hohe Bedeutung der sozialen Netzwerke im Falle einer Rückkehr hervor (DRC 28.11.2022). Weiterhin sehen sich viele Rückkehrer, dem Stigma versagt zu haben, ausgesetzt (DRC 28.11.2022; vgl. AAN 20.1.2024).
Nach Einschätzung von UNAMA besteht die Möglichkeit, dass im Ausland straffällig gewordene Rückkehrende, wenn die Tat einen Bezug zu Afghanistan aufweist, in Afghanistan zum Opfer von Racheakten z. B. von Familienmitgliedern der Betroffenen werden können; auch eine erneute Verurteilung durch das von den Taliban kontrollierte Justizsystem ist nicht ausgeschlossen, wenn der Fall den Behörden bekannt würde (AA 26.6.2023).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf die diesbezüglich von ihm im Verfahren gleichbleibend getätigten Angaben.
Selbiges gilt für die Feststellung hinsichtlich der von ihm gesprochenen Sprachen.
Die Identität des Beschwerdeführers konnte mangels der Vorlage eines identitätsbezeugenden Dokuments im Original nicht festgestellt werden. Dem Beschwerdeführer war es weder vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung möglich, Identitätsdokumente im Original vorzulegen.
Dass der Beschwerdeführer ledig und kinderlos ist, ergibt sich aus seinen Angaben in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung.
Die Feststellungen zu seiner Herkunft, zu seinem Aufenthalt in Indien und seiner Schulbildung ergeben sich aus seinen diesbezüglich im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Verfahren. Der Beschwerdeführer sprach in der mündlichen Verhandlung davon, ab dem Jahr 2012 die überwiegende Zeit mit seiner Familie in Indien verbracht zu haben, bereits vor seiner Ausreise für zwei Jahre in Afghanistan die Schule besucht zu haben und dann etwas später aus Indien zurückgekommen zu sein und weitere zwei Jahre eine Schule in Afghanistan besucht zu haben.
Dass sich die Stiefmutter, der Vater, ein Bruder, zwei Schwestern sowie eine Halbschwester derzeit im Heimatland aufhalten, konnte auf Basis der Ausführungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung festgestellt werden. Der Beschwerdeführer brachte im gesamten Verfahren vor, dass er zu seiner Familie in Afghanistan Kontakt hat, weshalb die entsprechende Feststellung erfolgen konnte.
Dass sich ein Bruder des Beschwerdeführers und zwei Tanten im Bundesgebiet aufhalten, geht ebenso aus seinen eigenen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung hervor.
Dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist, ergibt sich ebenso aus seinem Vorbringen im Verfahren. Der Beschwerdeführer hat keine medizinischen Unterlagen vorgelegt, aus welchen körperliche Beeinträchtigungen oder regelmäßige medizinische Behandlungen abzuleiten wären. Er hat das gesamte Verfahren über vorgebracht, gesund zu sein.
Seine strafgerichtliche Unbescholtenheit geht aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug hervor.
Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer am 23.08.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet stellte, konnte, ebenso wie der Umstand, dass ihm mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.10.2023 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt wurde, aufgrund der Aktenlage ergehen.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen konnte, beruht auf folgenden Erwägungen:
Bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat in seiner Beweiswürdigung dargelegt, dass der Beschwerdeführer im Verfahren keine gegen ihn gerichtete Verfolgungsgefahr habe glaubhaft machen können.
Auch das erkennende Gericht kommt nach gesamtheitlicher Würdigung und insbesondere aufgrund des in der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen Eindrucks zu der Überzeugung, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat nicht asylrelevant verfolgt wurde.
Zu den Gründen für das Verlassen des Heimatlandes befragt, gab der Beschwerdeführer im Zuge der Erstbefragung an, er sei aus Afghanistan ausgereist, weil er unzufrieden mit der Regierung gewesen sei und keine Zukunft in Afghanistan habe.
In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 04.10.2023 brachte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen vor, es habe, nachdem die Regierung gestürzt worden sei, keine Zukunft mehr in Afghanistan gegeben. Zudem habe ihm sein Vater gesagt, dass er ausreisen solle, weil er im Ausland aufgewachsen sei und es keine Freiheit in Afghanistan gebe.
In der mündlichen Beschwerdeverhandlung führte der Beschwerdeführer, dazu aufgefordert, abschließend und möglichst umfassend alle Gründe zu nennen, weshalb er seinen Herkunftsstaat verlassen habe, aus, er sei nicht in der afghanischen Gesellschaft groß worden; ein Teil von ihm sei anders als die Afghanen dort und er habe Angst vor den Taliban.
Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers war das gesamte Verfahren über äußerst oberflächlich und allgemein gehalten, indem er wiederholt die Machtübernahme der Taliban als Fluchtgrund anführte, jedoch keinerlei direkte Bedrohungen gegen seine Person vorbrachte. Die Frage, ob es einen konkreten Vorfall gegeben habe, der ihn dazu veranlasst habe, Afghanistan im Jahr 2021 zu verlassen verneinte der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ebenso wie die Frage, ob es jemals gegen ihn gerichtete Vorfälle oder Bedrohungen gegeben habe.
Nochmals nachgefragt, ob er, nachdem er von Indien aus nach XXXX zurückgekehrt sei, irgendwelche Probleme im Heimatland gehabt habe, gab der Beschwerdeführer lediglich allgemein gehalten an: „Vielleicht hätte jemand etwas gegen mein Aussehen gehabt. Vielleicht hätte jemand was gesagt, vielleicht hätte etwas passieren können.“ Auf die Frage, was ihm konkret passieren würde, wenn er nunmehr wieder in seinen Herkunftsstaat zurückkehren müsste, führte er schließlich aus: „Habe ich ja gerade gesagt. Ich bin ein Mensch, ich weiß nicht, was in 5 Minuten passiert.“
Dazu aufgefordert, den Tag, an dem er XXXX verlassen habe, so detailliert wie möglich zu schildern, gab der Beschwerdeführer lediglich an: „Einfach so habe ich mich verabschiedet und bin weggegangen.“
Der Beschwerdeführer brachte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung trotz mehrfacher Nachfrage hinsichtlich seiner Fluchtgründe und Rückkehrbefürchtungen keinerlei konkreten Bedrohungssituationen oder Verfolgungshandlungen vor.
Dafür, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines Aufenthalts in Indien und seines nunmehrigen relativ kurzen Aufenthalts in Europa und einer möglichen „Verwestlichung“ seines Lebensstils erheblichen Eingriffen ausgesetzt wäre, bestehen keine konkreten Anhaltspunkte. In der Beschwerdeschrift wurde argumentiert, dem Beschwerdeführer drohe aufgrund seiner „Verwestlichung“, einerseits aufgrund des Aufenthalts in Indien, andererseits aufgrund des Aufenthalts in Europa, eine Verfolgung durch die Taliban. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung erstattete der Beschwerdeführer diesbezüglich jedoch kein substantiiertes Vorbringen und war er nicht dazu in der Lage, eine Bedrohungssituation nachvollziehbar zu schildern. Auf explizite Nachfrage der Richterin, bejahte er zwar die Frage, ob er nach seiner Rückkehr aus Indien einer Verfolgung aufgrund der von ihm vorgebrachten „Verwestlichung“ ausgesetzt gewesen sei, seine weiteren Angaben, gestalteten sich jedoch wiederum vollkommen vage und blieben im abstrakten Bereich. Illustrierend wird auf folgende Passagen aus dem Verhandlungsprotokoll hingewiesen:
„RI: Sie haben in der Beschwerde vorgebracht, aufgrund einer „Verwestlichung“ in Afghanistan bedroht zu sein. Waren Sie nach Ihrer Rückkehr aus Indien einer Verfolgung aufgrund der von Ihnen vorgebrachten Verwestlichung ausgesetzt?
BF: Ja, ich hatte Streit mit Menschen dort.
RI: Mit wem konkret hatten Sie Streit?
BF: Wir sind aus Indien gekommen. So wie ich mich gekleidet habe, so haben wir uns dort nicht bekleidet. Als mir jemand irgendjemand etwas gesagt hat, habe ich sofort geantwortet oder habe ihn sofort geschlagen. Ich habe von Anfang an mit unseren Leuten Probleme gehabt.
RI: Mit wem konkret hatten Sie Probleme?
BF: Nicht mit jemanden bestimmten. Mein Vater hat immer geschaut, dass wir von dort fernbleiben, sonst hätte ich jemanden getötet oder mich hätte jemand getötet.
RI: Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen „mein Vater hat immer geschaut, dass wir von dort fernbleiben“? Wie ist das zu verstehen?
BF: Dort haben viele miteinander gekämpft, oder wurden getötet wegen Blödsinn, wegen einfachen Sachen, mein Vater wollte das nicht.“
Aus diesem Vorbringen ist wiederum keinerlei konkrete, individuelle Verfolgung erkennbar. Die Ausführungen des Beschwerdeführers blieben das gesamte Verfahren über vollkommen oberflächlich und allgemein gehalten.
Dem Beschwerdeführer ist es nicht gelungen, glaubhaft zu machen, nach seiner Rückkehr aus Indien aufgrund eines etwaigen westlichen Lebensstils in den Fokus anderer Afghanen oder der Taliban geraten zu sein. Wie bereits dargestellt, war das diesbezügliche Vorbringen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung äußerst vage und konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, in Afghanistan im Zusammenhang mit der vorgebrachten Verwestlichung einer Bedrohung ausgesetzt zu sein.
Der Beschwerdeführer hat auch keinerlei Gründe vorgebracht, warum ihm in Afghanistan aufgrund seines nunmehrigen knapp zweieinhalbjährigen Aufenthalts in Europa eine individuell gegen ihn gerichtete physische und / oder psychische Gewalt oder andere erhebliche Eingriffe drohen würden.
Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan geboren, lebte bis zum Alter von acht Jahren durchgehend dort, war auch während seines Aufenthalts in Indien die ganze Zeit über in einen afghanischen Familienverband eingebettet, besuchte im Heimatland insgesamt vier Jahre lang eine Schule, bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und spricht mit Dari sowie Paschtu zwei in Afghanistan verbreitete Sprachen. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aktiv gegen den Islam auftritt und ist es für ihn zumutbar, im Rahmen der islamischen Religion im Herkunftsstaat zu leben.
Dass jeder afghanische Staatsangehörige, der sich einige Zeit in Europa aufgehalten hat, im Falle einer Rückkehr alleine aus diesem Grund einer Verfolgung ausgesetzt wäre, ergibt sich auch aus der Berichtslage nicht; es ist den festgestellten Länderberichten nicht zu entnehmen, dass allen Männern, die aus einem europäischen Land kommen, „Verwestlichung“ unterstellt wird. Es geht aus den Länderberichten hervor, dass es keine allgemeine Kleiderordnung für Männer gibt. Es wird nicht verkannt, dass die Länderberichte Übergriffe einzelner Taliban darstellen (wie etwa, dass junge Männer wegen des Tragens von Jeans geschlagen worden wären), daraus ergibt sich allerdings nicht, dass dies ein flächendeckendes oder systematisches Vorgehen wäre. Dass, wie die Länderberichte darstellen, einzelne Taliban-Mitglieder in weitverbreiteten Videoaufnahmen vermeinen, dass es eine Sünde sei, Afghanistan zu verlassen, lässt nicht darauf schließen, dass sämtliche Rückkehrer aufgrund des Verlassens Afghanistans und / oder einer Asylantragstellung in einem westlichen Land verfolgt werden würden; eine solche Situation ergibt sich aus den Länderberichten gerade nicht.
Es haben sich im gegenständlichen Fall zusammenschauend keine tragfähigen Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr als „verwestlicht“ wahrgenommen werden würde.
Nur der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass auf das Vorbringen in der Bescheidbeschwerde, wonach der Beschwerdeführer auch aufgrund der ursprünglichen Fluchtgründe der Familie Angst davor habe, von den Taliban verfolgt zu werden, nicht näher einzugehen war, zumal der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung lediglich ausführte, seine Familie sei damals wegen der besseren Sicherheitslage und der besseren Möglichkeiten, was Schule und Studium betraf, nach Indien gegangen, er erwähnte in der mündlichen Verhandlung in keiner Weise, dass es, abgesehen von der vorgebrachten Verwestlichung, noch weitere Gründe gebe, aufgrund derer er im Heimatland verfolgt würde.
Es ist dem Beschwerdeführer somit insgesamt nicht gelungen eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen in seinem Herkunftsstaat in ausreichendem Maße substantiiert vorzubringen und glaubhaft zu machen.
2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 10.04.2024 und den genannten Detailquellen. Diesen Feststellungen wurde im Verfahren nicht entgegengetreten. Es handelt sich dabei um Berichte diverser anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen bzw. Organisationen und bieten diese ein in inhaltlicher Hinsicht übereinstimmendes und ausgewogenes Bild zur Situation in Afghanistan. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287).
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (vgl. VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des VwGH keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH 14.03.1995, 94/20/0789; 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529 u. a.). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt – nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gewinnung – zusammenhängt.
3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:
Wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, hat der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht, im Falle der Rückkehr nach Afghanistan einer Verfolgungsgefahr durch die Taliban ausgesetzt zu sein.
Wie beweiswürdigend bereits dargelegt, konnte auch eine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu prognostizierende, individuelle und konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung aus einem in der GFK genannten Grund aufgrund seiner Eigenschaft als Rückkehrer aus Europa nicht abgeleitet werden.
Zusammenfassend wurde keine Verfolgung des Beschwerdeführers dargelegt bzw. glaubhaft gemacht, die auf einem der in Art. 1 A Z 2 GFK genannten Konventionsgründe – nämlich Verfolgung aufgrund der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung – beruht.
Das Verlassen des Herkunftsstaates aus persönlichen Gründen oder wegen der dort vorherrschenden prekären Lebensbedingungen stellt keine relevante Verfolgung im Sinne der GFK dar. Auch Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen für sich genommen keine Verfolgung im Sinne der GFK dar. Zudem ist den Länderberichten zu entnehmen, dass die allgemeine Lage in Afghanistan nicht dergestalt ist, dass bereits jedem, der sich dort aufhält, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste.
Da der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht hat, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl dazu die zu Spruchteil A) zitierte Rechtsprechung), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Rückverweise