W135 2262243-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Ivona GRUBESIC über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die XXXX , gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 25.07.2022 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Am 26.07.2022 fand seine Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, sein Vater sei ein pensionierter Oberst der Nationalarmee gewesen. Nach der Machtübernahme der Taliban hätten sie zunächst ihr Leben in Ruhe fortführen können. Dann hätten die Taliban seinen Vater getötet und dem Beschwerdeführer vorgeworfen, er betreibe Spionage. Er habe gewusst, dass die Taliban ihn auch töten würden, weshalb er aus seiner Heimat geflüchtet sei. Im Falle einer Rückkehr fürchte er den Tod.
Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer an, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Moslem zu sein. Er sei in der Provinz XXXX geboren, habe zwölf Jahre lang die Schule besucht, anschließend habe er Bauwesen studiert und sei als Ingenieur tätig gewesen. Er sei traditionell verheiratet und habe zwei Söhne. Seine Familie lebe ebenso wie seine Mutter und seine Geschwister nach wie vor in der Herkunftsprovinz. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, sein Vater sei früher Oberst der afghanischen Nationalarmee gewesen, seit sechs oder sieben Jahren sei er pensioniert gewesen. Zwei Monate nach der Machtübernahme durch die Taliban sei sein Vater auf dem Weg in die Moschee von einem vermummten Unbekannten erschossen worden, wie die Dorfbewohner berichtet hätten. Der Beschwerdeführer gehe davon aus, dass die Taliban dafür verantwortlich seien. Er habe Angst gehabt, getötet zu werden, da Familienangehörige des Militärs generell gefährdet seien. Er persönlich sei aber nie bedroht worden, lediglich sein Vater sei bedroht worden. Im Falle einer Rückkehr fürchte er den Tod. Außerdem gebe es in Afghanistan keine Arbeit mehr. Er habe Afghanistan schließlich im März 2022 verlassen, um in Sicherheit zu leben. Im Rahmen der Einvernahme legte der Beschwerdeführer eine Kopie seiner Tazkira und eine Kopie seines Universitätsabschlusses vor.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe keine in Afghanistan bestehende und gegen ihn persönlich gerichtete Verfolgungsgefahr glaubhaft darlegen können. So habe der Beschwerdeführer selbst auf Nachfrage keine individuelle Bedrohungslage vorgebracht, sondern lediglich die angebliche Ermordung seines Vaters und die schlechte Situation am Arbeitsmarkt angeführt. Die im Zusammenhang mit der Ermordung seines Vaters in den Raum gestellte Gefährdungslage habe er selbst relativiert, in dem er vorgebracht habe, nie Mitglied der afghanischen Nationalarmee gewesen zu sein. Auch habe er nicht angeben können, wer für den Tod seines Vaters verantwortlich sei. Doch liege zum Entscheidungszeitpunkt aufgrund der schlechten Versorgungslage und der schlechten Lage am Arbeitsmarkt bei einer Rückkehr in das Heimatland eine relevante Gefährdungslage vor, weshalb dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei.
Der Beschwerdeführer erhob (lediglich) gegen Spruchpunkt I. des Bescheides mit Eingabe vom 09.11.2022 fristgerecht Beschwerde. Er führte im Wesentlichen aus, auch er sei für die afghanische Regierung tätig gewesen. Als Architekt habe er immer wieder Aufträge der damaligen Regierung durchgeführt. Aus diesem Grund sei ihm von den Taliban vorgeworfen worden, Spionage betrieben zu haben. Im Falle einer Rückkehr fürchte er, von den Taliban getötet zu werden, einerseits als Racheakt für die Tätigkeit seines Vaters, andererseits wegen seiner eigenen Tätigkeit für die damalige Regierung. Doch habe sich die Behörde nicht mit der Situation von Familienangehörigen ehemaliger Mitglieder der afghanischen Nationalarmee auseinandergesetzt. Die Taliban würden sowohl ehemalige Mitglieder der Armee und Mitarbeiter der damaligen Regierung gezielt töten, als auch deren Angehörige bedrohen. Dem Beschwerdeführer drohe somit einerseits aufgrund einer ihm unterstellten politischen Gesinnung und andererseits aufgrund seiner Familienangehörigkeit zu seinem Vater eine Verfolgung. Der Beschwerdeführer falle auch unter mehrere UNHCR-Risikoprofile. Er sei sohin im Falle einer Rückkehr einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Der Beschwerde wurden Kopien von Dokumenten bezüglich der Tätigkeit des Vaters des Beschwerdeführers sowie der Tätigkeit des Beschwerdeführers selbst angeschlossen.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt am 14.11.2022 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 09.03.2023 eine mündliche Verhandlung durch, an der die belangte Behörde unentschuldigt nicht teilnahm. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seines Rechtsvertreters und eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu zu seinen Fluchtgründen befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Bereits im Rahmen der Ladung zur Beschwerdeverhandlung wurde der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 07.02.2023 zur Stellungnahme zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan (in der Fassung vom 10.08.2022) innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung der Ladung oder im Rahmen der mündlichen Verhandlung aufgefordert. Weiters wurden im Rahmen der Verhandlung die UNHCR-Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen – Update I aus Februar 2023 und die EUAA-Leitlinien zu Afghanistan aus April 2022 in das Verfahren eingebracht. In diesem Zusammenhang führte der Beschwerdeführer aus, auch laut der neuesten UNHCR-Position falle er unter zwei Risikoprofile mit einem erhöhten Schutzbedarf, nämlich der Personen, die mit der ehemaligen Regierung verbunden sind, und der ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte, dies als Familienangehöriger seines Vaters. Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung ein Schreiben der Taliban vom 12.07.2022 (Beilage ./1) vor.
Mit Schreiben vom 04.04.2023 wurde den Parteien des Verfahrens Gelegenheit gegeben, zum mittlerweile aktualisierten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan (in der Gesamtaktualisierung vom 21.03.2023) innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens schriftlich Stellung zu nehmen.
Mit Schriftsatz vom 18.04.2023, eingelangt am Folgetag, brachte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme ein, in der er zusammengefasst ausführte, die Taliban hätten Zugriff auf die Mitarbeiterlisten der Behörden bzw. die Gehaltsabrechnungssysteme und würden diese Informationen gezielt nutzen, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen. Der Beschwerdeführer sei selbst über Jahre für die afghanische Regierung tätig gewesen und auch sein Vater sei über Jahrzehnte Berufssoldat gewesen und sei diesem deshalb von den Taliban eine oppositionelle Haltung unterstellt worden. Es sei sehr wahrscheinlich, dass dieses Verwandtschaftsverhältnis bei einer Einreise sofort auffallen würde. Wie sich aus dem Länderinformationsblatt ergebe, komme es zur Verfolgung von ehemaligen Regierungsmitarbeitern. Der Beschwerdeführer sei zudem geflüchtet, weshalb ihm aufgrund seiner Flucht umso mehr eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde würde. Auch aus den aktuellen UNHCR-Leitlinien und dem aktuellen Bericht der EUAA – diesen komme aufgrund der Mangelhaftigkeit des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation ebenfalls große Relevanz zu – gehe hervor, dass der Beschwerdeführer als Familienangehöriger eines ehemaligen Berufssoldaten einer Verfolgung bzw. Repressalien von Seiten der Taliban ausgesetzt wäre.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt die im Spruch ersichtlichen Personalien. Seine Identität steht nicht fest. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan und stammt aus dem Dorf XXXX des Distrikts XXXX der afghanischen Provinz XXXX , wo er geboren und aufgewachsen ist und bis zu seiner Ausreise gelebt hat. Er ist Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Paschtu.
Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan traditionell verheiratet und hat zwei Söhne. Seine Familie lebt gemeinsam mit seiner Mutter, seinem Bruder und seinen zwei Schwestern nach wie vor in seiner Herkunftsprovinz in Afghanistan. Der Vater des Beschwerdeführers ist verstorben.
Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan etwa im März oder April 2022 und reiste zunächst illegal in den Iran, bevor er über die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn in Österreich einreiste und hier am 25.07.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aktuell nicht konkret und individuell die Gefahr physischer und/oder psychischer Gewalt von Seiten der Taliban aufgrund der behaupteten Tätigkeit seines Vaters als Berufssoldat für die vormalige afghanische Nationalarmee oder seiner behaupteten eigenen Zusammenarbeit mit der vormaligen afghanischen Regierung bzw. einer ihm hierdurch allenfalls unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung. Der Beschwerdeführer war weder im Zusammenhang mit der behaupteten Tätigkeit seines Vaters noch seiner eigenen Tätigkeit einer Bedrohung bzw. Verfolgung von Seiten der Taliban ausgesetzt.
Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan auch nicht aufgrund seines Aufenthaltes in Europa psychische und/oder physische Gewalt. Ebenso wenig ist jeder „Rückkehrer“ aus Europa alleine aufgrund dieses Merkmals in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt.
Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 21.03.2023 (LIB)
UNHCR-Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen – Update I aus Februar 2023 (UNHCR)
EUAA-Leitlinien zu Afghanistan aus April 2022 (EUAA)
Politische Lage
Letzte Änderung: 21.03.2023
Die politischen Rahmenbedingungen in Afghanistan haben sich mit der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 grundlegend verändert (AA 20.7.2022). Die Taliban bezeichnen ihre Regierung als das Islamische Emirat Afghanistan (USIP 17.8.2022; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen. Seit ihrer Machtübernahme hat die Gruppe jedoch nur vage erklärt, dass sie im Einklang mit dem "islamischen Recht und den afghanischen Werten" regieren wird, und hat nur selten die rechtlichen oder politischen Grundsätze dargelegt, die ihre Regeln und Verhaltensweisen bestimmen (USIP 17.8.2022). Die Verfassung von 2004 ist de facto ausgehebelt. Ankündigungen über die Erarbeitung einer neuen Verfassung sind bislang ohne sichtbare Folgen geblieben. Die Taliban haben begonnen, staatliche und institutionelle Strukturen an ihre religiösen und politischen Vorstellungen anzupassen (AA 20.7.2022).
Nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan übernahmen die Taliban rasch die Staatsgewalt (USIP 17.8.2022; vgl. AA 20.7.2022) und erklärten Haibatullah Akhundzada zu ihrem obersten Führer (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. REU 7.9.2021a; VOA 19.8.2021). Er kündigte an, dass alle Regierungsangelegenheiten und das Leben in Afghanistan den Gesetzen der Scharia unterworfen werden (ORF 8.9.2021; vgl. DIP 4.1.2023). Innerhalb weniger Wochen kündigten sie "Interims"-Besetzungen für alle Ministerien bis auf ein einziges an, wobei die Organisationsstruktur der vorherigen Regierung beibehalten wurde (USIP 17.8.2022; vgl. AA 20.7.2022) - das Ministerium für Frauenangelegenheiten blieb unbesetzt und wurde später aufgelöst (USIP 17.8.2022; vgl. HRW 4.10.2021). Alle amtierenden Minister waren hochrangige Taliban-Führer; es wurden keine externen politischen Persönlichkeiten ernannt, die überwältigende Mehrheit war paschtunisch, und alle waren Männer. Seitdem haben die Taliban die interne Struktur verschiedener Ministerien mehrfach geändert und das Ministerium für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters wiederbelebt, das in den 1990er-Jahren als strenge "Sittenpolizei" berüchtigt war, die strenge Vorschriften für das soziale Verhalten durchsetzte (USIP 17.8.2022). Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten (ICG 24.8.2021; vgl. USDOS 12.4.2022a), wobei weibliche Angestellte aufgefordert wurden, zu Hause zu bleiben (BBC 19.9.2021; vgl. GD 20.9.2021). Die für die Wahlen zuständigen Institutionen, sowie die Unabhängige Menschenrechtskommission, der Nationale Sicherheitsrat und die Sekretariate der Parlamentskammern wurden abgeschafft (AA 20.7.2022).
Der Ernennung einer aus 33 Mitgliedern bestehenden geschäftsführenden Übergangsregierung im September 2021 folgten zahlreiche Neuernennungen und Umbesetzungen auf nationaler, Provinz- und Distriktebene in den folgenden Monaten, wobei Frauen weiterhin gar nicht und nicht-paschtunische Bevölkerungsgruppen nur in geringem Umfang berücksichtigt wurden (AA 20.7.2022).
Die neue Regierung wird von Mohammad Hassan Akhund geführt. Er ist Vorsitzender der Minister, eine Art Premierminister. Akhund ist ein wenig bekanntes Mitglied des höchsten Führungszirkels der Taliban, der sogenannten Rahbari-Schura, besser bekannt als Quetta-Schura (NZZ 8.9.2021; vgl. REU 7.9.2021b, Afghan Bios 5.4.2022).
Stellvertretende vorläufige Premierminister sind Abdul Ghani Baradar (AJ 7.9.2021; vgl. REU 7.9.2021b, Afghan Bios 16.2.2022) der die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten in Doha vertrat und das Abkommen mit ihnen am 29.2.2021 unterzeichnete (AJ 7.9.2021; vgl. VOA 29.2.2020) und Abdul Salam Hanafi (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 7.7.2022b) der unter dem ersten Taliban-Regime Bildungsminister war (Afghan Bios 7.7.2022b; vgl. UNSC o.D.a). Im Oktober 2021 wurde Maulvi Abdul Kabir zum dritten stellvertretenden Premierminister ernannt (Afghan Bios 30.5.2022; vgl. 8am 5.10.2021, UNGA 28.1.2022).
Weitere Mitglieder der vorläufigen Taliban-Regierung sind unter anderem Sirajuddin Haqqani, der Leiter des Haqqani-Netzwerkes (Afghan Bios 4.8.2022a; vgl. JF 5.11.2021) als Innenminister (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 22.12.2022) und Amir Kahn Mattaqi als Außenminister (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 4.8.2022a) welcher die Taliban bei den Verhandlungen mit den Vereinten Nationen vertrat und im ersten Taliban-Regime unter anderem den Posten des Kulturministers innehatte (Afghan Bios 4.8.2022a; vgl. UNSC o.D.b). Der Verteidigungsminister der vorläufigen Taliban-Regierung ist Mohammed Yaqoob (REU 7.9.2021b; vgl. Afghan Bios 4.8.2022b) dem 2020 der Posten des militärischen Leiters der Taliban verliehen wurde (Afghan Bios 4.8.2022b; vgl. RFE/RL 29.8.2020). Auch hohe Beamte auf subnationaler Ebene, darunter Provinzgouverneure, Polizeichefs, Abteilungsleiter, Bürgermeister und Distriktgouverneure, wurden in weiterer Folge ernannt (UNGA 28.1.2022; vgl. 8am 5.10.2021).
Nach ihrer Machtübernahme kündigten hochrangige Taliban-Führer eine weitreichende Generalamnestie an, die Repressalien für Handlungen vor der Machtübernahme durch die Taliban untersagte, auch gegen Beamte und andere Personen, die mit der Regierung vor dem 15.8.2021 in Verbindung standen (USDOS 12.4.2022a; vgl. UNGA 28.1.2022). Es wird jedoch berichtet, dass diese Amnestie nicht konsequent eingehalten wurde, und es kam zu willkürlichen Verhaftungen, gezielten Tötungen und Angriffen auf ehemalige afghanische Regierungsmitarbeiter (ANI 20.7.2022; vgl. USDOS 12.4.2022a, UNGA 28.1.2022).
Sah es in den ersten sechs Monaten ihrer Herrschaft so aus, als ob das Kabinett unter dem Vorsitz des Premierministers die Regierungspolitik bestimmen würde, wurden die Minister in großen und kleinen Fragen zunehmend vom Emir, Haibatullah Akhundzada, überstimmt (USIP 17.8.2022). Diese Dynamik wurde am 23.3.2022 öffentlich sichtbar, als der Emir in letzter Minute die lange versprochene Rückkehr der Mädchen in die Oberschule kippte (USIP 17.8.2022; vgl. RFE/RL 24.3.2022, UNGA 15.6.2022), was Experten als ein Zeichen für eine Spaltung der Gruppe in Bezug auf die künftige Ausrichtung der Herrschaft in Afghanistan bezeichnen (GD 6.7.2022). Seitdem sind die Mädchenbildung und andere umstrittene Themen ins Stocken geraten, da pragmatische Taliban-Führer dem Emir nachgeben, der sich von ultrakonservativen Taliban-Klerikern beraten lässt. Ausländische Diplomaten haben begonnen, von "duellierenden Machtzentren" zwischen den in Kabul und Kandahar ansässigen Taliban zu sprechen (USIP 17.8.2022) und es gibt auch Kritik innerhalb der Taliban, beispielsweise als im Mai 2022 ein hochrangiger Taliban-Beamter als erster die Taliban-Führung offen für ihre repressive Politik in Afghanistan kritisierte (RFE/RL 3.6.2022a). Doch der Emir und sein Kreis von Beratern und Vertrauten in Kandahar kontrollieren nicht jeden Aspekt der Regierungsführung. Mehrere Ad-hoc-Ausschüsse wurden ernannt, um die Politik zu untersuchen und einen Konsens zu finden, während andere Ausschüsse Prozesse wie die Versöhnung und die Rückkehr politischer Persönlichkeiten nach Afghanistan umsetzen. Viele politische Maßnahmen unterscheiden sich immer noch stark von einer Provinz zur anderen des Landes. Die Taliban-Beamten haben sich, wie schon während ihres Aufstands, als flexibel erwiesen, je nach den Erwartungen der lokalen Gemeinschaften. Darüber hinaus werden viele Probleme nach wie vor über persönliche Beziehungen zu einflussreichen Taliban-Figuren gelöst, unabhängig davon, ob deren offizielle Position in der Regierung für das Problem verantwortlich ist (USIP 17.8.2022).
Die Taliban haben die Umstrukturierung staatlicher Einrichtungen auch 2022 fortgesetzt und ehemaliges Regierungspersonal durch Taliban-Mitglieder ersetzt, wobei sie häufig versuchten, verschiedenen Gruppen entgegenzukommen und durch diese Ernennungen interne Spannungen zu lösen. Im Januar verkleinerten die Behörden die frühere unabhängige Kommission für Verwaltungsreform und öffentlichen Dienst und legten sie mit dem Büro für Verwaltungsangelegenheiten zusammen. Am 7.4.2022 kündigte das Justizministerium der Taliban die Abschaffung der Abteilung für politische Parteien an und schloss damit die Registrierung von politischen Parteien aus. Am 4.5.2022 wurden die Unabhängige Menschenrechtskommission, die Kommission für die Überwachung der Umsetzung der Verfassung und die Sekretariate von Ober- und Unterhaus des Parlaments aufgelöst (UNGA 15.6.2022).
Bisher hat noch kein Land die Regierung der Taliban anerkannt (TN 30.10.2022; vgl. RFE/RL 1.5.2022) dennoch sind Vertreter aus Indien, China, Usbekistan, der Europäischen Union, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten in Kabul präsent (TN 30.10.2022).
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 21.03.2023
Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu (RFE/RL 12.5.2021; vgl. UNGA 2.9.2021). Laut Berichten war der Juni 2021 der bis dahin tödlichste Monat mit den meisten militärischen und zivilen Opfern seit 20 Jahren in Afghanistan (TN 1.7.2021; vgl. AJ 2.7.2021). Gemäß einer Quelle veränderte sich die Lage seit der Einnahme der ersten Provinzhauptstadt durch die Taliban - Zaranj in Nimroz - am 6.8.2021 (AAN 15.8.2021). Innerhalb von zehn Tagen eroberten sie 33 der 34 afghanischen Provinzhauptstädte (UNGA 2.9.2021). Am 15.8.2021 floh Präsident Ashraf Ghani ins Ausland und die Taliban zogen kampflos in Kabul ein (ORF 16.8.2021; vgl. REU 16.8.2021). Ein Bericht führt den Vormarsch der Taliban in erster Linie auf die Schwächung der Moral und des Zusammenhalts der Sicherheitskräfte und der politischen Führung der Regierung zurück (ICG 14.8.2021; vgl. AAN 15.8.2021). Die Kapitulation so vieler Distrikte und städtischer Zentren war nicht unbedingt ein Zeichen für die Unterstützung der Taliban durch die Bevölkerung, sondern unterstreicht vielmehr die tiefe Entfremdung vieler lokaler Gemeinschaften von einer stark zentralisierten Regierung, die häufig von den Prioritäten ihrer ausländischen Geber beeinflusst wird (ICG 14.8.2021), auch wurde die weitverbreitete Korruption, beispielsweise unter den Sicherheitskräften, als ein Problem genannt (BBC 13.8.2021).
Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021
Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul am 15.8.2021 ist das allgemeine Ausmaß des Konfliktes deutlich zurückgegangen - mit weniger zivilen Opfern (UNGA 28.1.2022, vgl. UNAMA 7.2022) und weniger sicherheitsrelevanten Vorfällen im restlichen Verlauf des Jahres 2021 (USDOS 12.4.2022a). So sind nach Angaben der UN konfliktbedingte Sicherheitsvorfälle wie bewaffnete Zusammenstöße, Luftangriffe und improvisierte Sprengsätze (IEDs) seit der Eroberung des Landes durch die Taliban deutlich zurückgegangen (UNGA 28.1.2022). Seit der Beendigung der Kämpfe zwischen den Taliban und den afghanischen Streitkräften hat sich auch die Zahl der zivilen Opfer erheblich verringert (UNGA 28.1.2022; vgl. UNAMA 7.2022). Für den Zeitraum zwischen 15.8.2021 und 15.6.2022 dokumentierte UNAMA 2.106 zivile Opfer, die überwiegend durch Angriffe mit IEDs, die dem Islamischen Staat Khorasan Provinz (ISKP) zugeschrieben werden, und durch nicht explodierte Sprengkörper (UXO) verursacht wurden. Des weiteren wurden 257 außergerichtliche Tötungen und 313 willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen festgestellt, die zu einem großen Teil ehemalige Angehörige der afghanischen Streitkräfte (ANDSF) und der ehemaligen Regierung betreffen, aber auch Personen, die beschuldigt werden, dem ISKP oder der National Resistance Front (NRF) anzugehören (UNAMA 7.2022). Insbesondere die ländlichen Gebiete sind sicherer geworden, und die Menschen können in Gegenden reisen, die in den letzten 15-20 Jahren als zu gefährlich oder unzugänglich galten, da sich die Sicherheit auf den Straßen durch den Rückgang der IEDs verbessert hat (NYT 15.9.2021; vgl. DIS 12.2021).
Nach Angaben der Vereinten Nationen entwickelten sich die sicherheitsrelevanten Vorfälle seit der Machtübernahme der Taliban folgend:
19.8.2021 - 31.12.2021: 985 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 91 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 28.1.2022)
1.1.2022 - 21.5.2022: 2.105 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 467 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 15.6.2022)
22.5.2022 - 16.8.2022: 1.642 sicherheitsrelevante Vorfälle (Rückgang von 77,5 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 14.9.2022)
17.8.2022 - 13.11.2022: 1,587 sicherheitsrelevante Vorfälle (Anstieg von 23 % gegenüber dem Vorjahr) (UNGA 7.12.2022)
Trotz des Rückgangs der Gewalt sahen sich die Taliban-Behörden mit mehreren Herausforderungen konfrontiert, darunter eine Zunahme der Angriffe auf deren Mitglieder (UNGA 28.1.2022) und verstärkten Aktivitäten der bewaffneten Opposition. UNAMA registrierte 22 bewaffnete Gruppen, die behaupten, in 11 Provinzen zu operieren (UNGA 7.12.2022). So kam es auch in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 zu Kämpfen zwischen NRF und den Taliban. Zusammenstöße gibt es in den Provinzen Panjsher (Afintl 15.8.2022; vgl. AJ 14.9.2022, 8am 13.10.2022, AMU 13.12.2022), Takhar (8am 14.8.2022; vgl. AaNe 21.8.2022, 8am 23.10.2022), Baghlan (8am 17.8.2022; vgl. KP 21.8.2022, Afintl 12.12.2022), Khost (8am 13.8.2022), Kapisa (AaNe 24.8.2022; vgl. 8am 21.11.2022a) und Badakhshan (Afintl 11.10.2022a; AMU 13.12.2022, Afintl 26.12.2022).
Die Aktivitäten des ISKP haben sich seit der Machtübernahme der Taliban verstärkt (UNGA 28.1.2022; vgl. UNGA 15.6.2022, UNGA 14.9.2022, UNGA 7.12.2022) und auch wenn diese im Lauf des Jahres 2022 wieder abnahmen, so blieben die Opferzahlen weiterhin erheblich (UNGA 7.12.2022). Die Gruppe verübte weiterhin Anschläge auf die Zivilbevölkerung, insbesondere auf die schiitischen Hazara sowie auf Hindus, Sikhs, Sufis aber auch die Taliban (UNGA 14.9.2022; vgl. HRW 12.1.2023).
Zu mehreren größeren Anschlägen gegen religiöse Ziele bekannte sich niemand, darunter ein Selbstmordattentat in der Gazargah-Moschee in Herat City am 2.9.2022, bei dem 20 Menschen getötet wurden, darunter ein pro-Taliban-Kleriker, und 22 weitere verletzt wurden; die Detonation eines improvisierten Sprengsatzes in Kabul am 23.9.2022, bei der vier Zivilisten getötet und 52 verwundet wurden; und ein Selbstmordattentat am 5.10.2022 in der Moschee des Innenministeriums, bei dem neun Menschen getötet und 30 verletzt wurden (UNGA 7.12.2022).
Im Zuge einer im Auftrag der Staatendokumentation von ATR Consulting im November 2021 in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif durchgeführten Studie gaben 68,3 % der Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass diese Ergebnisse nicht auf die gesamte Region oder das ganze Land hochgerechnet werden können. Die Befragten wurden gefragt, wie sicher sie sich in ihrer Nachbarschaft fühlen, was sich davon unterscheidet, ob sie sich unter dem Taliban-Regime sicher fühlen oder ob sie die Taliban als Sicherheitsgaranten betrachten, oder ob sie sich in anderen Teilen ihrer Stadt oder anderswo im Land sicher fühlen würden. Das Sicherheitsgefühl ist auch davon abhängig, in welchem Ausmaß die Befragten ihre Nachbarn kennen und wie vertraut sie mit ihrer Nachbarschaft sind und nicht darauf, wie sehr sie sich in Sachen Sicherheit auf externe Akteure verlassen. Nicht erfasst wurde in der Studie, inwieweit bei den Befragten Sicherheitsängste oder Bedenken in Hinblick auf die Taliban oder Gruppen wie den ISKP vorliegen. In Bezug auf Straßenkriminalität und Gewalt gaben 79,7 % bzw. 70,7 % der Befragten an, zwischen September und Oktober 2021 keiner Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein. An dieser Stelle ist zu beachten, dass die Ergebnisse nicht erfassen, welche Maßnahmen der Risikominderung von den Befragten durchgeführt werden, wie z. B.: die Verringerung der Zeit, die sie außerhalb ihres Hauses verbringen, die Änderung ihres Verhaltens, einschließlich ihres Kaufverhaltens, um weniger Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sowie die Einschränkung der Bewegung von Frauen und Mädchen im Freien (ATR/STDOK 18.1.2022).
Im Dezember 2022 wurde von ATR Consulting erneut eine Studie im Auftrag der Staatendokumentation durchgeführt. Diesmal ausschließlich in Kabul. Hier variiert das Sicherheitsempfinden der Befragten, was laut den Autoren der Studie daran liegt, dass sich Ansichten der weiblichen und männlichen Befragten deutlich unterscheiden. Insgesamt gaben die meisten Befragten an, sich in ihrer Nachbarschaft sicher zu fühlen, wobei die relativ positive Wahrnehmung der Sicherheit und die Antworten der Befragten, nach Meinung der Autoren, daran liegt, dass es vielen Befragten aus Angst vor den Taliban unangenehm war, über Sicherheitsfragen zu sprechen. Sie weisen auch darauf hin, dass die Sicherheit in der Nachbarschaft ein schlechtes Maß für das Sicherheitsempfinden der Menschen und ihre Gedanken über das Leben unter dem Taliban-Regime ist (ATR/STDOK 3.2.2023).
Verfolgungspraxis der Taliban, neue technische Möglichkeiten
Letzte Änderung: 21.03.2023
Trotz mehrfacher Versicherungen der Taliban, von Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Angehörigen der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräften abzusehen (AA 20.7.2022; vgl. USDOS 12.4.2022a), wurde nach der Machtübernahme der Taliban berichtet, dass diese auf der Suche nach ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte oder der afghanischen Regierung von Tür zu Tür gingen und deren Angehörige bedrohten. Ein Mitglied einer Rechercheorganisation, welche einen (nicht öffentlich zugänglichen) Bericht zu diesem Thema für die Vereinten Nationen verfasste, sprach von einer "schwarzen Liste" der Taliban und großer Gefahr für jeden, der sich auf dieser Liste befände (BBC 20.8.2021a; vgl. DW 20.8.2021). Im Zuge der Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden (HRW 1.11.2021; vgl. NYT 29.8.2021) unter anderem auf eine biometrische Datenbank mit Angaben zu aktuellen und ehemaligen Angehörigen der Armee und Polizei bzw. zu Afghanen, die den internationalen Truppen geholfen haben (Intercept 17.8.2021). Auch Human Rights Watch (HRW) zufolge kontrollieren die Taliban Systeme mit sensiblen biometrischen Daten, die westliche Geberregierungen im August 2021 in Afghanistan zurückgelassen haben. Diese digitalen Identitäts- und Gehaltsabrechnungssysteme enthalten persönliche und biometrische Daten von Afghanen, darunter Iris-Scans, Fingerabdrücke, Fotos, Beruf, Wohnadressen und Namen von Verwandten. Die Taliban könnten diese Daten nutzen, um vermeintliche Gegner ins Visier zu nehmen, und Untersuchungen von Human Rights Watch deuten darauf hin, dass sie die Daten in einigen Fällen bereits genutzt haben könnten (HRW 30.3.2022).
Die Taliban sind in den sozialen Medien aktiv, unter anderem zu Propagandazwecken. Die Gruppierung soziale Medien und Internettechnik jedoch nicht nur für Propagandazwecke und ihre eigene Kommunikation, sondern auch, um Gegner des Taliban-Regimes aufzuspüren (Golem 20.8.2021; vgl. BBC 20.8.2021a, 8am 14.11.2022). So wurde beispielsweise ein afghanischer Professor verhaftet, nachdem er die Taliban via Social Media kritisierte (FR24 9.1.2022), während ein junger Mann in der Provinz Ghor Berichten zufolge nach einer Onlinekritik an den Taliban verhaftet wurde (8am 14.11.2022). Einem afghanischen Journalisten zufolge verwenden die Taliban soziale Netzwerke wie Facebook und LinkedIn, um jene Afghanen zu identifizieren, die mit westlichen Gruppen und der US-amerikanischen Hilfsagentur USAID zusammengearbeitet haben (ROW 20.8.2021).
Regionen Afghanistans
Letzte Änderung: 27.02.2023
Afghanistan verfügt über 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.230 Quadratkilometern (CIA 29.12.2022) leben ca. 34,3 (NSIA 4.2022) bis 38,3 Millionen Menschen (CIA 29.12.2022). Afghanistan befindet sich aktuell weitgehend unter der Kontrolle der Taliban (ICG 12.8.2022; vgl. AA 20.7.2022) und grenzt an sechs Länder: China (91 km), Iran (921 km) Pakistan (2.670 km), Tadschikistan (1.357 km), Turkmenistan (804 km), Usbekistan (144 km) (CIA 29.12.2022).
Ost-Afghanistan
Letzte Änderung: 28.02.2023
Der Osten Afghanistans grenzt an Pakistan und ist ein wichtiger Teil des paschtunischen Heimatlandes, dessen Stammeseinfluss sich bis nach Westpakistan erstreckt. Jalalabad, die Hauptstadt der Provinz Nangarhar, liegt auf halbem Weg zwischen Torkham (Ende des Khyber-Passes und Kabul/Grenze zu Pakistan) und ist die wichtigste afghanische Stadt im Osten und gilt als das Tor nach Afghanistan vom Khyber-Pass aus. Berge und Täler (oft sehr abgelegen) dominieren die Region (NPS o.D.d).
Aktuelle Lage und jüngste Entwicklungen
Letzte Änderung: 28.02.2023
2022
Am 19.1.2022 wurden ein Kommandeur der Taliban, sein Sohn und drei Zivilisten im Osten der Provinz Kunar erschossen (KP 19.1.2022; vgl. ReW 20.1.2022). Der Täter sei von den Taliban zum Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISKP) übergelaufen (RFE/RL 19.1.2022a).
Bei zwei Luftangriffen der pakistanischen Streitkräfte entlang der Grenze zu Afghanistan wurden am 16.4.2022 in den Provinzen Kunar und Khost mindestens 47 Menschen getötet und 22 verletzt, hauptsächlich Frauen und Kinder (AOAV 26.4.2022; vgl.AJ 17.4.2022).
Am 20.6.2022 wurden in Nangarhar zwei Zivilisten getötet und 23 verletzt, als ein Fahrzeug, das einen Taliban-Distriktvertreter transportierte, auf einem belebten Markt explodierte. Fünf Taliban-Mitglieder wurden ebenfalls verletzt (AOAV 22.6.2022; vgl. RFE/RL 20.6.2022).
Am 22.6.2022 ereignete sich in den Provinzen Paktika und Khost ein Erdbeben der Stärke 5,9, das schätzungsweise 770 Todesopfer und etwa 1.500 Verletzte forderte (USAID 28.6.2022; vgl. WHO 3.7.2022a).
Am 2.7.2022 explodierte in Nangarhar eine Granate in einem islamischen Seminar, es wurden mindestens acht Personen verletzt (ANI 4.7.2022).
Im August wurde von Zusammenstößen zwischen den Taliban und der National Resistance Front (NRF) in Khost (8am 13.8.2022) und Kapisa (AaNe 24.8.2022) berichtet.
Am 10.10.2022 kam es in der Hauptstadt von Laghman zu einem Angriff auf Sicherheitskräfte der Taliban, bei denen auch Zivilisten verletzt wurden (UNGA 7.12.2022; vgl. Afintl 11.10.2022b).
Am 6.12.2022 ereignete sich in der Stadt Jalalabad in Nangarhar eine Explosion, bei der bis zu zehn Zivilisten verletzt wurden (Afintl 6.12.2022; vgl. Bakhtar 6.12.2022).
Zentrale Akteure
Taliban
Letzte Änderung: 21.03.2023
Die Taliban sind eine überwiegend paschtunische, islamisch-fundamentalistische Gruppe, die 2021 nach einem zwanzigjährigen Aufstand wieder an die Macht in Afghanistan kam (CFR 17.8.2022; vgl. USDOS 12.4.2022a). Die Taliban bezeichnen ihre Regierung als das "Islamische Emirat Afghanistan" (USIP 17.8.2022; vgl. VOA 1.10.2021), den Titel des ersten Regimes, das sie in den 1990er-Jahren errichteten, und den sie während ihres zwei Jahrzehnte andauernden Aufstands auch für sich selbst verwendeten. Das Emirat ist um einen obersten Führer, den Emir, herum organisiert, von dem man glaubt, dass er von Gott mit der Autorität ausgestattet ist, alle Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft zu beaufsichtigen (USIP 17.8.2022).
Nach der US-geführten Invasion, mit der das ursprüngliche Regime 2001 gestürzt wurde, gruppierten sich die Taliban jenseits der Grenze in Pakistan neu und begannen weniger als zehn Jahre nach ihrem Sturz mit der Rückeroberung von Gebieten (CFR 17.8.2022). Nachdem die Vereinigten Staaten ihre verbleibenden Truppen im August 2021 aus Afghanistan abzogen, eroberten die Taliban mit einer raschen Offensive die Macht in Afghanistan (CFR 17.8.2022; vgl. USDOS 12.4.2022a). Am 15.8.2021 floh der bisherige afghanische Präsident Ashraf Ghani aus Afghanistan und die Taliban nahmen Kabul als die letzte aller großen afghanischen Städte ein (BBC 15.8.2022; vgl. AI 29.3.2022).
Die Taliban-Regierung weist eine starre hierarchische Struktur auf, deren oberstes Gremium die Quetta-Shura ist (EER 10.2022), benannt nach der Stadt in Pakistan, in der Mullah Mohammed Omar, der erste Anführer der Taliban, und seine wichtigsten Helfer nach der US-Invasion Zuflucht gesucht haben sollen. Sie wird von Mawlawi Hibatullah Akhundzada geleitet (CFR 17.8.2022; vgl. Rehman A./PJIA 6.2022), dem obersten Führer der Taliban (Afghan Bios 7.7.2022a; vgl. CFR 17.8.2022, Rehman A./PJIA 6.2022). Er gilt als die ultimative Autorität' in allen religiösen, politischen und militärischen Angelegenheiten (EUAA 8.2022a; vgl. Afghan Bios 7.7.2022a, REU 7.9.2021a).
Vor der Machtübernahme der Taliban im August 2021 unterstand die militärische Befehlskette der Kommission für militärische Angelegenheiten der Taliban. Diese Einrichtung wurde von Mullah Yaqoob, der 2020 zum Leiter der militärischen Operationen der Taliban ernannt wurde, sowie Sirajuddin Haqqani, dem Anführer des Haqqani-Netzwerks, dominiert (EUAA 8.2022a, RFE/RL 6.8.2021). Die Kommission für militärische Angelegenheiten funktionierte ähnlich wie ein Ministerium, mit "Vertretern auf Zonen-, Provinz- und Distriktebene" (VOA 5.9.2021; vgl. EUAA 8.2022a).
In der Befehlskette von der untersten Ebene aufwärts untersteht jeder Taliban-Befehlshaber auf Distriktebene einem Provinzkommando. Drei oder mehr Provinzkommandos bilden Berichten zufolge einen von sieben regionalen "Kreisen". Diese "Kreise" werden von zwei stellvertretenden Leitern der Kommission für militärische Angelegenheiten beaufsichtigt, von denen einer für die "westliche Zone" der militärischen Führung der Taliban (die 21 Provinzen umfasst) und der andere für die "östliche Zone" (13 Provinzen) zuständig war (RFE/RL 6.8.2021; vgl. EUAA 8.2022a). Nach Einschätzung des United States Institute of Peace (USIP) wurde diese Aufteilung der Zuständigkeiten für militärische Angelegenheiten zwischen Yaqoob und Haqqani offenbar durch ihre jeweilige Ernennung zum Innen- und Verteidigungsminister der Taliban im September 2021 gefestigt (USIP 9.9.2021; vgl. EUAA 8.2022a).
Nach der Machtübernahme versuchten die Taliban sich von "einem dezentralisierten, flexiblen Aufstand zu einer staatlichen Autorität" zu entwickeln (EUAA 8.2022a; vgl. NI 24.11.2021). Im Zuge dessen herrschten Berichten zufolge zunächst Unklarheiten unter den Taliban über die militärischen Strukturen der Bewegung (EUAA 8.2022a; vgl. DW 11.10.2021) und es gab in vielen Fällen keine erkennbare Befehlskette (EUAA 8.2022a; vgl. REU 10.9.2021). Dies zeigte sich beispielsweise in Kabul, wo mehrere Taliban-Kommandeure behaupteten, für dasselbe Gebiet oder dieselbe Angelegenheit zuständig zu sein. Während die frühere Taliban-Kommission für militärische Angelegenheiten das Kommando über alle Taliban-Kämpfer hatte, herrschte Berichten zufolge nach der Übernahme der Kontrolle über das Land unter den Kämpfern vor Ort Unsicherheit darüber, ob sie dem Verteidigungsministerium oder dem Innenministerium unterstellt sind (EUAA 8.2022a; vgl. DW 11.10.2021).
Haqqani-Netzwerk
Das Haqqani-Netzwerk hat seine Wurzeln im Afghanistan-Konflikt der späten 1970er-Jahre. Mitte der 1980er-Jahre knüpfte Jalaluddin Haqqani, der Gründer des Haqqani-Netzwerks, eine Beziehung zum Führer von Al-Qaida, Usama bin Laden (UNSC o.D.c; vgl. FR24 21.8.2021). Jalaluddin schloss sich 1995 der Taliban-Bewegung an (UNSC o.D.c; vgl. ASP 1.9.2020), behielt aber seine eigene Machtbasis an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan (UNSC o.D.c). Nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 übernahm Jalaluddins Sohn, Sirajuddin Haqqani, die Kontrolle über das Netzwerk (UNSC o.D.c, vgl. VOA 4.8.2022). Er ist seit 2015 auch einer der Stellvertreter des Taliban-Anführers Haibatullah Akhundzada (FR24 21.8.2021; vgl. UNSC o.D.c). Das Haqqani-Netzwerk gilt dank seiner finanziellen und militärischen Stärke - und seines Rufs als skrupelloses Netzwerk - als halbautonom, auch wenn es den Taliban angehört (FR24 21.8.2021).
Es befehligt eine Truppe von 3.000 bis 10.000 traditionellen bewaffneten Kämpfern in den Provinzen Khost, Paktika und Paktia (VOA 30.8.2022). Berichten zufolge kontrolliert die Gruppe inzwischen auch mindestens eine Eliteeinheit und überwacht die Sicherheit in Kabul und in weiten Teilen Afghanistans (VOA 30.8.2022; vgl. UNSC 26.5.2022).
Das Netzwerk unterhält Verbindungen zu Al-Qaida und, zumindest zeitweise bis zur Machtübernahme der Taliban, dem Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP) (VOA 30.8.2022; vgl. UNSC 26.5.2022). Es wird angemerkt, dass nach der Machtübernahme und der Eskalation der ISKP-Angriffe kein Raum mehr für Unklarheiten in der strategischen Konfrontation der Taliban mit ISKP bestand und es daher nicht im Interesse der Haqqanis lag, solche Verbindungen zu pflegen (UNSC 26.5.2022). Zudem wird vermutet, dass auch enge Verbindungen zum pakistanischen Geheimdienst (VOA 30.8.2022; vgl. DT 7.5.2022) und den Tehreek-e Taliban (TTP), den pakistanischen Taliban, bestehen (UNSC 26.5.2022).
Anti-Taliban-Widerstandsgruppen / Opposition
Letzte Änderung: 21.03.2023
Eine formelle, organisierte politische Opposition im Land ist nicht vorhanden (AA 20.7.2022; vgl. FH 24.2.2022a). Eine Reihe ehemaliger politischer Akteure, sowohl aus ehemaligen Regierungskreisen als auch aus der ehemaligen politischen Opposition, befinden sich im Ausland. Einige prominente Politiker, wie der ehemalige Vorsitzende des Hohen Rates für Nationale Versöhnung, Abdullah Abdullah, und der ehemalige Präsident Hamid Karzai, befinden sich weiterhin in Kabul. Ihr Aktionsradius ist äußerst eingeschränkt, ihre öffentlichen Äußerungen sind von großer Zurückhaltung geprägt. Die ehemalige Bürgermeisterin von Maidan Shar, Zarifa Ghafari, ist eine der wenigen Politikerinnen, die seit der Machtübernahme temporär nach Kabul zurückgekehrt ist (AA 20.7.2022).
Der Informationsfluss in Afghanistan ist insbesondere im Hinblick auf oppositionelle Bewegungen stark eingeschränkt und die Taliban zensieren die Berichterstattung. Dies macht die Einschätzung eines definitiven Bildes der Situation oft sehr schwierig (BAMF 10.2022; vgl. RFE/RL 13.5.2022a).
In Afghanistan gibt es eine Reihe verschiedener Gruppierungen, die sich der Taliban-Herrschaft widersetzen, wobei sich deren Führung oft im Ausland aufhält (Migrationsverket 29.4.2022; vgl. EUAA 8.2022a). Auch wenn diese ähnliche oder identische Ziele verfolgen würden, findet zwischen diesen Gruppierungen wenig bis gar keine Koordinierung bzw. Zusammenarbeit statt (Migrationsverket 29.4.2022; vgl. SIGA 7.4.2022, VOA 28.4.2022b). Auch gibt es zwischen den Gruppierungen Rivalitäten darüber, welche Gruppierung "am fähigsten ist, den Anti-Taliban-Widerstand anzuführen" (SIGA 7.4.2022). Aktuell gehen Experten nicht davon aus, dass die bewaffneten Gruppen, die in Afghanistan aktiv sind und gegen die Taliban kämpfen, eine tatsächliche Gefahr für das Regime darstellen (FR24 15.8.2022; vgl. BAMF 10.2022, SIGA 7.4.2022, AA 20.7.2022). Auch wenn die Unterstützung der Taliban innerhalb der Bevölkerung Afghanistans eher gering ist, so wird Stabilität bewaffneten Auseinandersetzungen vorgezogen, womit auch die Unterstützung der bewaffneten Gruppen als mäßig einzuschätzen ist (FR24 15.8.2022; vgl. BAMF 10.2022).
National Resistance Front (NRF)
Letzte Änderung: 01.03.2023
Im Panjsher-Tal, rund 145 km von Kabul entfernt (DIP 20.8.2021), formierte sich nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul Mitte August 2021 die National Resistance Front (NRF) (AA 20.7.2022; vgl. LWJ 6.9.2021, ANI 6.9.2021), die von Amrullah Saleh, dem ehemaligen Vizepräsidenten Afghanistans und Chef des National Directorate of Security [Anm.: NDS, afghanischer Geheimdienst], und Ahmad Massoud, dem Sohn des verstorbenen Anführers der Nordallianz gegen die Taliban in den 1990ern, angeführt wird (LWJ 6.9.2021; vgl. ANI 6.9.2021). Die NRF erklärt, dass sie demokratische Wahlen anstreben und das afghanische Volk selbst über die Zukunft des Landes entscheiden soll (REU 30.11.2022; vgl. Afintl 30.6.2022).
Die NRF besteht Berichten zufolge aus Zivilisten, ehemaligen ANDSF-Mitarbeitern (SIGAR 30.4.2022; vgl. RFE/RL 13.5.2022b) und ehemaligen Mitgliedern der Regierung sowie politischen Opposition (UNGA 28.1.2022). Die meisten Mitglieder der Gruppe sind ethnische Tadschiken (RFE/RL 19.5.2022; vgl. AJ 17.10.2022). Auch wenn Berichten zufolge die NRF die bekannteste bzw. die am weitesten entwickelte Anti-Taliban-Widerstandsgruppe ist (VOA 28.4.2022b; vgl. ISW 13.1.2023), herrscht weiterhin Unklarheit darüber, welche Gruppen mit ihr verbündet sind (Migrationsverket 29.4.2022). Im April 2022 wurde geschätzt, dass die Gruppierung über einige Tausend Kämpfer verfügt (VOA 28.4.2022b), wobei die NRF im August verkündete, über 4.000 Kämpfer unter ihrem Kommando stehen (8am 31.8.2022; vgl. BAMF 10.2022). Die NRF besteht auch aus mehreren regionalen Einheiten, deren Kommandeure loyal zu Massoud sind (VOA 28.4.2022b; vgl. REU 30.11.2022). Unter den Kämpfern sind auch Einheiten der ehemaligen afghanischen Armee (BBC 16.5.2022; vgl. BAMF 10.2022). So soll sich beispielsweise die Spezialeinheit "Afghan National Army Special Operations Command" (ANASOC) der NRF angeschlossen haben (BAMF 10.2022). Eine afghanische NGO und ein Analyst aus Kabul weisen jedoch darauf hin, dass die große öffentliche Aufmerksamkeit, welche die NRF in den Medien und auf anderen Kanälen erfährt, nicht die begrenzte Anzahl von Anhängern widerspiegelt, die die Gruppe in Afghanistan hat (Migrationsverket 29.4.2022; vgl. EUAA 8.2022a).
Auch wenn der NRF international gut vernetzt ist, vor allem in den USA (BAMF 10.2022; vgl . VOA 1.11.2021), beschwert sich Massoud über fehlende internationale Unterstützung (BAMF 10.2022; vgl. BBC 12.7.2022, AC 11.8.2022). In einer nicht zu bestätigenden Erklärung Ende März 2022 erklärte die NRF, dass sie in mehr als 12 Provinzen aktiv sei, auch im Süden und Osten des Landes (SIGA 7.4.2022; vgl. NYSUN 16.1.2023, ObRF 17.6.2022), unter anderem in den Provinzen Panjsher, Baghlan, Takhar, Nangarhar, Kapisa, (ObRF 17.6.2022) Parwan und Badakhshan (SE 20.12.2022). Im Juni gab ein Sprecher der NRF an, dass sie hauptsächlich Waffen verwenden, die aus Tadschikistan und Usbekistan über die Grenze geliefert werden würden, jedoch litt die Gruppierung Berichten zufolge unter einen Mangel an Munition (Afintl 31.12.2022; vgl. EUAA 8.2022a).
Medien berichten von mehreren Angriffen, die vor allem auf Kontrollpunkte und Außenposten der Taliban abzielen und dem NRF zugeschrieben werden (NYT 4.3.2022), wobei von verstärkten Kämpfen im Jänner/Februar (ACLED/APW 4.2022b; vgl. 8am 25.5.2022, 8am 17.1.2022) sowie im Mai 2022 berichtet wurde (RFE/RL 19.5.2022; vgl. 8am 5.5.2022). Aus dem Panjsher-Tal wurde berichtet, dass Angriffe auf Taliban-Stellungen regelmäßig stattfanden und Dutzende von Menschen, sowohl Taliban-Kämpfer (VOA 14.9.2022; vgl. Telegraph 12.5.2022) als auch Mitglieder der Widerstandsbewegung, getötet worden waren (VOA 14.9.2022; vgl. AMU 14.9.2022, AN 18.10.2022).
Auch in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 gehen die Kämpfe zwischen NRF und den Taliban weiter. Zusammenstöße gibt es in den Provinzen Panjsher (Afintl 15.8.2022; vgl. AJ 14.9.2022, 8am 13.10.2022, AMU 13.12.2022), Takhar (8am 14.8.2022; vgl. AaNe 21.8.2022, 8am 23.10.2022), Baghlan (8am 17.8.2022; vgl. KP 21.8.2022, Afintl 12.12.2022), Khost (8am 13.8.2022), Kapisa (AaNe 24.8.2022; vgl. 8am 21.11.2022a) und Badakhshan (Afintl 11.10.2022a; AMU 13.12.2022, Afintl 26.12.2022).
Im Oktober konnte die NRF laut Medienberichten erstmals einen Distrikt in der Provinz Badakhshan erobern (Afintl 11.10.2022a; vgl. AaNe 10.10.2022), wobei anderen Berichten zufolge die Taliban die Kontrolle über den Distrikt kurz danach wieder übernehmen konnten (AMU 4.10.2022), bzw. nach Angaben der Taliban sie diesen nie verloren (Afintl 4.10.2022).
Weitere Widerstandsbewegungen
Letzte Änderung: 01.03.2023
Afghanistan Islamic National and Liberation Movement
Das "Afghanistan Islamic National and Liberation Movement" gab seine Gründung Mitte Februar 2022 bekannt. Es wird angenommen, dass es die bislang einzige Anti-Taliban-Bewegung ist, die zum größten Teil aus Paschtunen besteht. Sie wird von Abdul Matin Suleimankhel angeführt, einem Kommandeur der ehemaligen ANA Special Operations Corps (SIGA 7.4.2022; vgl. VOA 14.9.2022). Mitte März gab die Gruppierung an, dass sie über "Tausende Kämpfer" in mehr als zwei Dutzend Provinzen verfügen würde, wobei sich ihre Aktivitäten offenbar hauptsächlich auf die von Paschtunen bewohnten südlichen und östlichen Teile des Landes konzentrieren (Helmand, Kandahar, Paktika und Nangarhar) (SIGA 7.4.2022). Experten zufolge sind die Kapazitäten und Fertigkeiten der Gruppe begrenzter als von ihr behauptet (SIGA 7.4.2022; vgl. VOA 28.4.2022b). Eine Explosion, die sich am 27.3.2022 in Helmand ereignete, wird der Gruppierung zugeschrieben (SIGA 7.4.2022).
Afghanistan Freedom Front (AFF)
Die AFF erklärte ihre Gründung am 11.3.2022 (SIGA 7.4.2022; vgl. VOA 28.4.2022b). Zwar gab die Gruppierung ihre Führungspersönlichkeiten nicht offiziell bekannt, jedoch wird vermutet, dass General Yasin Zia, ein ehemaliger Verteidigungsminister und Generalstabschef, zu den Anführern der Gruppe gehört (VOA 28.4.2022b). Eigenen Angaben zufolge zählt die AFF "Tausende Kämpfer" und ist "in allen 34 Provinzen Afghanistans aktiv", wobei diese Behauptungen nicht durch andere Quellen belegt werden können. Die Gruppe veröffentliche regelmäßig Videos von Anschlägen, die sei für sich reklamiert, unter anderem in den Provinzen Kapisa, Parwan, Takhar, Baghlan, Sar-e Pul, Badakhshan und Kandahar, wobei auch hier eine unabhängige Überprüfung dieser Behauptungen schwierig ist (SIGA 7.4.2022). Die AFF scheint aus einzelnen Milizen zu bestehen, die sich an der Front zusammengeschlossen haben (BAMF 10.2022). So wurden im August 2022 Videos von drei Gruppen in den Provinzen Farah (BAMF 10.2022; vgl. 8am 20.8.2022), Ghor und Faryab gepostet, die ihren Kampf gegen die Taliban als Teil der AFF ankündigten (BAMF 10.2022). Ein Angriff der AFF auf eine Polizeistation in Takhar am 23.3.2022 wurde von den Taliban bestätigt (SIGA 7.4.2022).
Weitere Gruppierungen
Zu den anderen Widerstandsgruppen, die ihre Präsenz angekündigt haben, gehören die Turkestan Freedom Tigers, die Berichten zufolge am 7.2.2022 einen kleinen Angriff auf einen Kontrollpunkt der Taliban in der Nähe der Stadt Sheberghan (Provinz Jawzjan) verübt haben (ISW 13.1.2023), der National Resistance Council (dem angeblich eine Reihe prominenter Anti-Taliban-Persönlichkeiten aus dem Exil wie Ata Mohammad Noor und Abdul Rashid Dostum angehören), die Liberation Front of Afghanistan, die Unknown Soldiers of Hazaristan, die angeblich auf aus Hazara bestehende Freedom and Democracy Front und eine Gruppe namens Freedom Corps (angeblich in Teilen der Provinz Takhar aktiv) (SIGA 7.4.2022; vgl. VOA 28.4.2022b). Über die Führung und die Fähigkeiten dieser Gruppen ist wenig bekannt (VOA 28.4.2022b). Andere Gruppen schienen in der Zwischenzeit aktiv zu sein und zu operieren, obwohl von ihnen reklamierte Angriffe und Fähigkeiten zuweilen infrage gestellt wurden (SIGA 7.4.2022).
Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)
Letzte Änderung: 02.03.2023
Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf die Jahre 2014/2015 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015, MEE 27.8.2021). Der IS in Afghanistan bezeichnet sich selbst als Khorasan-Zweig des IS (ISKP), wobei "Khorasan" die historische Bezeichnung einer Region ist, welche Teile des heutigen Iran, Zentralasiens, Afghanistans und Pakistans umfasst (EB 3.1.2023; vgl. MEE 27.8.2021). Zu seinen Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (MEE 27.8.2021; vgl. AAN 1.8.2017).
Seit 2020 ist Sanaullah Ghafari (auch Al-Muhajir) Anführer des ISKP. Er stammt aus dem Raum Kabul und gilt als Experte für die urbane Kriegsführung (CTC Sentinel 1.2022; vgl. FR24 10.2.2022). Zu den weiteren Führungspersönlichkeiten gehören Berichten zufolge Mawlawi Rajab Salahuddin (alias Mawlawi Hanas) als stellvertretender Anführer, Qari Saleh (Leiter des Geheimdienstes) und Qari Fateh (Leiter der militärischen Operationen). Über die weitere Führungsriege des ISKP ist weniger bekannt. Während Ghafari als effektiver Anführer gilt, der die Gruppe fest im Griff hat, wurde vermutet, dass die verschiedenen ISKP-Einheiten angesichts der geografischen Entfernung und der unterschiedlichen ethnischen Zugehörigkeit der ISKP-Mitglieder wie in der Vergangenheit Schwierigkeiten haben könnten, sich untereinander abzustimmen (UNSC 26.5.2022).
Die Aktivitäten des Islamischen Staats Provinz Khorasan (ISKP) konzentrieren sich traditionell auf Kabul und die östlichen Provinzen des Landes (UNGA 28.1.2022; vgl. EUAA 8.2022a), insbesondere Kunar und Nangarhar, wo die Gruppe weiterhin stark vertreten ist (ACLED/APW 4.2022a; vgl. EUAA 8.2022a). Im November 2019 ist die wichtigste Hochburg des Islamischen Staates in Ostafghanistan (AAN 16.12.2020) nach jahrelangen Militäroffensiven der US-Streitkräfte und intensivierten Talibanangriffen zusammengebrochen (SIGAR 30.1.2020), wobei über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten (UNSC 27.5.2020). Im Zuge der Machtübernahme der Taliban im August 2021 wurden jedoch gemäß einem Sprecher des Pentagons "Tausende" (MEE 27.8.2021) bzw. "Hunderte" ISKP-Kämpfer aus Gefängnissen befreit (GD 31.8.2021).
Im Mai 2022 schätzten die Vereinten Nationen die Stärke des ISKP auf 1.500 bis 4.000 Kämpfer ein (UNSC 26.5.2022). Seit der Machtübernahme der Taliban ist die Zahl der Mitglieder der Bewegung gestiegen, was auch durch die im Zuge der Machtübernahme freigelassenen ISKP-Mitglieder begünstigt wurde (EUAA 8.2022a). Auch gibt es Berichte, wonach usbekische und tadschikische Taliban im Norden übergelaufen wären (UNSC 26.5.2022), und, dass der ISKP eine kleine Anzahl von Kämpfern unter ehemaligen ANDSF-Mitgliedern rekrutiert hat, die über nützliche Kampftechniken und nachrichtendienstliche Fähigkeiten verfügen (CTC Sentinel 1.2022).
Während die Aktivitäten des ISKP in der Zeit der Friedensverhandlungen von US-Vertretern mit den Taliban darauf abzielten, "Chaos und Verwirrung" unter den verschiedenen politischen Akteuren zu stiften, wurde berichtet, dass der ISKP nach der Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 "sein Hauptaugenmerk auf die Untergrabung der Legitimität der Taliban richtete" (EUAA 8.2022a). Seitdem haben die Aktivitäten des ISKP zugenommen (ACLED/APW 4.2022a) und seine Anhänger überfallen Berichten zufolge Taliban-Sicherheitskonvois sowie Kontrollpunkte und führen Angriffe auf Zivilisten durch (EUAA 8.2022a). Auch wurde beobachtet, dass die Taliban gegen den ISKP nicht mit derselben Härte vorgingen wie gegen die NRF (National Resistance Front) (RUSI 4.1.2022; vgl. EUAA 8.2022a), wobei ein guter Grund dafür darin legen dürfte, dass die Hauptstützpunkte des ISKP in besonders abgelegenen Gebieten liegen - in den oberen Tälern von Kunar und in Nuristan. Die Durchführung einer "vernichtenden Operation" würde die Taliban dort vor größere Herausforderungen stellen als in Panjsher (RUSI 4.1.2022). Dennoch versuchen die Taliban Berichten zufolge den Druck auf den ISKP aufrechtzuerhalten (VOA 20.3.2022). So versuchen sie durch die Errichtung von Kontrollpunkten und die Durchführung von Hausdurchsuchungen (SIGAR 30.4.2022) im Hauptwirkungsbereich des ISKP (Nangarhar) bzw. in städtischen Zentren, die von den Angriffen des ISKP betroffen waren (vor allem Kabul und Jalalabad), gegen die Gruppe vorzugehen (RUSI 4.1.2022).
Auch in anderen Teilen des Landes wurden ISKP-Aktivitäten registriert (UNGA 14.9.2022; vgl. UNGA 7.12.2022). Einer Quelle zufolge liegt ein Grund für die größere geografische Reichweite der ISKP darin, dass es für den ISKP angesichts der schwachen Taliban-Präsenz entlang des Straßennetzes des Landes nun einfacher sei, auf den Straßen zu reisen, ohne kontrolliert zu werden (Migrationsverket 29.4.2022; vgl. EUAA 8.2022a). Darüber hinaus war die Gruppe nicht mehr mit Anti-Terror-Operationen unter der Führung externer Kräfte konfrontiert und konnte die begrenzten Ressourcen und die schwache Kontrolle der Taliban in einigen Teilen Afghanistans ausnutzen (CTC Sentinel 1.2022; vgl. EUAA 8.2022a).
Einem Analysten zufolge hat der ISKP klare Ambitionen, sich weiter in Gebiete im Norden des Landes auszudehnen, um die dort vorherrschenden ethnischen Spannungen auszunutzen (EUAA 8.2022a; vgl. Migrationsverket 29.4.2022, Landinfo 9.3.2022). Derselbe Analyst erklärte im März 2022 außerdem, dass es keine Anzeichen dafür gäbe, dass der ISKP in der Lage sei, die Taliban kurzfristig herauszufordern (EUAA 8.2022a; vgl. Landinfo 9.3.2022).
Nach Angaben der Vereinten Nationen entwickelten sich die Angriffe des ISKP seit der Machtübernahme der Taliban folgend:
19.8.2021 - 31.12.2021: 152 Angriffe in 16 Provinzen (20 Angriffe in fünf Provinzen im Jahr davor) (UNGA 28.1.2022)
1.1.2022 - 21.5.2022: 82 Angriffe in elf Provinzen (192 Angriffe in sechs Provinzen im Jahr davor) (UNGA 15.6.2022)
22.5.2022 - 16.8.2022: 48 Angriffe in elf Provinzen (113 Angriffe in 8 Provinzen im Jahr davor) (UNGA 14.9.2022)
17.8.2022 - 13.11.2022: 30 Angriffe in 6 Provinzen (121 Angriffe in 14 Provinzen im Jahr davor (UNGA 7.12.2022)
Auch wenn die Angriffe des ISKP im Laufe des Jahres 2022 abnahmen, so blieben die Opferzahlen weiterhin erheblich (UNGA 7.12.2022). Die Gruppe verübte weiterhin Anschläge auf die Zivilbevölkerung, insbesondere auf die schiitischen Hazara sowie auf Hindus, Sikhs, Sufis und die Taliban (UNGA 14.9.2022; vgl. HRW 12.1.2023). Während des Jahres kam es auch zu einer Vielzahl von Angriffen auf unterschiedliche Ziele, die nicht eindeutig zugeordnet werden konnten, in die der ISKP jedoch möglicherweise involviert war (UNGA 28.1.2022; vgl. UNGA 15.6.2022, UNGA 14.9.2022, UNGA 7.12.2022).
Beispiele für Angriffe des ISKP seit der Machtübernahme der Taliban
Der ISKP bekannte sich zu Selbstmordanschlägen auf eine sunnitische Moschee in Kabul am 3.10.2021 (UNGA 28.1.2022; vgl, REU 4.10.2021) und auf zwei schiitische Moscheen in den Städten Kunduz am 8.10.2021 (UNGA 28.1.2022; vgl. TN 9.10.2021) und Kandahar am 15.10.2021 (UNGA 28.1.2022; vgl. KP 16.10.2021) sowie zu einem Anschlag auf ein Militärkrankenhaus in Kabul am 2.11.2021 (UNGA 28.1.2022; vgl. 8am 3.11.2021).
Im April 2022 führte der ISKP Anschläge in einem Erholungsgebiet in Herat am 1.4.2022 (UNGA 15.6.2022), auf eine schiitische Moschee in Mazar-e Sharif (UNGA 15.6.2022; vgl. DW 21.4.2022) sowie auf eine Madrassa in Kunduz am 22.4.2022 durch (UNGA 15.6.2022; vgl. PAN 23.4.2022). Außerdem gab es am 28.4.2022 Angriffe auf zwei Kleinbusse in Mazar-e Sharif (UNGA 15.6.2022; vgl. AJ 28.4.2022) und auf einen Kleinbus in Kabul am 30.4.2022 (UNGA 15.6.2022; vgl. FR24 1.5.2022).
Am 22.5.2022 kam zu Anschlägen auf eine Zeremonie zum Jahrestag des Todes von Mullah Akhtar Mohammad Mansour Kabul und am 25.5.2022 auf drei Kleinbusse in Mazar-e Sharif (UNGA 14.9.2022; vgl. AJ 25.5.2022). Am 18.6.2022 griff der ISKP einen Sikh-Tempel in Kabul an (UNGA 14.9.2022; vgl. TN 18.6.2022) und am 4.7.2022 einen Bus mit Taliban-Sicherheitskräften in Herat (UNGA 14.9.2022; vgl. Afintl 5.7.2022).
Im August kam es zu einer Reihe von Angriffen durch den ISKP in Kabul. Am 8.8.2022 beispielsweise wurden bei einem Bombenanschlag auf eine schiitische Moschee in Kabul mindestens acht Menschen getötet (VOA 5.8.2022; vgl. REU 5.8.2022). In der Vorwoche führten die Sicherheitskräfte der Taliban eine Razzia gegen eine ISKP-Zelle in der afghanischen Hauptstadt durch, bei der sie vier Kämpfer töteten und einen weiteren bei dem anschließenden Feuergefecht gefangen nahmen. Die Taliban sagten in einer Erklärung nach der Razzia, dass der ISKP "Anschläge auf unsere schiitischen Landsleute während der laufenden Muharram-Rituale" geplant hatten (VOA 5.8.2022). Am 11.8.2022 wurde ein prominenter afghanischer Geistlicher bei einem Selbstmordanschlag durch den ISKP getötet (BBC 11.8.2022; vgl. VOA 11.8.2022). Am 18.8.2022 kam es zu einem weiteren Anschlag auf eine Moschee in Kabul, bei dem mindestens 21 Personen getötet und 33 verletzt wurden. Auch hier war ein prominenter afghanischer Geistlicher unter den Opfern (AP 18.8.2022; vgl. BBC 18.8.2022).
Des Weiteren beansprucht der ISKP einen Selbstmordanschlag auf die russische Botschaft in Kabul am 5.9.2022 für sich (UNGA 7.12.2022; vgl. KP 6.9.2022). Zu Angriffen auf Sicherheitskräfte der Taliban, bei denen auch Zivilisten getötet wurden, kam es am 10.10.2022 in Laghman (UNGA 7.12.2022; vgl. Afintl 11.10.2022b) und am 27.10.2022 in Herat (UNGA 7.12.2022; vgl. 8am 27.10.2022).
Am 22.10.2022 haben die Taliban eine Zelle des ISKP in Kabul ausgehoben, dabei gab es mehrere Explosionen und Schusswechsel. Sechs Mitglieder des ISKP wurden dabei getötet. Nach Angaben der Taliban waren sie in die Anschläge auf die Wazir Akbar Khan Moschee und die Bildungseinrichtung im September beteiligt (REU 22.10.2022; vgl. VOA 22.10.2022).
Bei einer Explosion außerhalb des Militärflughafens von Kabul wurden am 1.1.2023 mehrere Menschen getötet oder verletzt (REU 1.1.2023; vgl. RFE/RL 1.1.2023). Nach Angaben der Taliban war für den Angriff der ISKP verantwortlich. Am 5.1.2023 kam es zu Razzien in Kabul und Nimroz, die gegen die Verantwortlichen der Attacke gerichtet waren. Acht ISKP-Mitglieder wurden getötet und neun weitere verhaftet (AP 5.1.2023; vgl. AJ 5.1.2023).
Al-Qaida und weitere bewaffnete Gruppierungen
Letzte Änderung: 02.03.2023
Al-Qaida
Laut einem Bericht der Vereinten Nationen vom Mai 2022 bleiben die Verbindungen zwischen Al-Qaida und den Taliban eng (UNSC 26.5.2022). Am 1.8.2022 gab der US-Präsident bekannt, dass der Anführer von Al-Qaida, Ayman Mohammed Rabie al-Zawahiri, bei einem Drohnenangriff in der Innenstadt von Kabul getötet wurde (BBC 2.8.2022; vgl. VOA 2.8.2022). Die Taliban-Führung gab an, sie habe keine Informationen darüber, dass al-Zawahiri nach Kabul gezogen sei und sich dort aufgehalten habe, während er sich nach Angaben von US-Beamten in einer Wohnung von Sirajuddin Haqqani [Anm.: dem Innenminister der Taliban-Übergangsregierung] aufhielt (FR24 4.8.2022; vgl. GD 5.8.2022). Es wird berichtet, dass Al-Qaida Verbindungen zum Haqqani-Netzwerk unterhält (VOA 30.8.2022; vgl. UNSC 26.5.2022). Experten sind der Ansicht, dass die Verbindungen der Taliban zu Al-Qaida offenbar hauptsächlich auf individuellen Verbindungen beruhen, was jedoch nicht bedeutet, dass es keine Verbindungen auf der Ebene der Taliban-Führung gibt (ODI/Rahmatullah, A./Jackson, A 9.2022).
Nach Angaben der Vereinten Nationen agiert Al-Qaida vor allem in ihren historischen Verbreitungsgebieten im Süden und Osten Afghanistans, wobei sich Berichten zufolge einige Mitglieder in weiter westliche Gebiete (Farah und Herat) verlegt haben. Al-Qaida verfügte über "einige Dutzend" Kämpfer, die ihrer Kernorganisation angehörten, und ihre operativen Fähigkeiten beschränkten sich auf die Beratung und Unterstützung der Taliban (UNSC 26.5.2022).
Berichten zufolge hält sich "Al-Qaeda in the Indian Subcontinent" (AQIS), eine der Kernorganisation von Al-Qaida untergeordnete Organisation, auch innerhalb Afghanistans auf (UNSC 26.5.2022), wobei die Anzahl ihrer Kämpfer auf ca. 180 bis 400 geschätzt wird (UNSC 26.5.2022; vgl. CRS 19.4.2022), die in Helmand, Kandahar, Ghazni, Nimroz, Paktika und Zabul stationiert sein sollen und Personen aus mehreren süd- und südostasiatischen Ländern umfasst (UNSC 26.5.2022; vgl. VOA 20.3.2022). Ihr Anführer Osama Mahmood und sein Stellvertreter Atif Yahya Ghouri sollen sich beide in Afghanistan aufhalten (VOA 20.3.2022).
Tehreek-e Taliban Pakistan (TTP)
Die TTP, auch bekannt als pakistanische Taliban, ist eine militante Gruppe, deren Ziele sich gegen die pakistanische Regierung richten. Sie hat sich jedoch auch in der Vergangenheit mit den afghanischen Taliban an Operationen gegen die afghanische Regierung in Afghanistan beteiligt (CRS 19.4.2022). Die Vereinten Nationen schätzen im Mai 2022, dass die Gruppe über 3.000 bis 4.000 bewaffnete Kämpfer in den afghanisch-pakistanischen Grenzgebieten verfügt (UNSC 26.5.2022), während ein unabhängiger afghanischer Analyst schätzte, dass die TTP rund 10.000 Mitglieder in Afghanistan hat (EUAA 8.2022a). Die Gruppe operiert von Stützpunkten in Afghanistan aus und ist zunehmend in Pakistan präsent; im Jahr 2021 eskalierte sie ihre Angriffe gegen pakistanische Sicherheitskräfte und chinesische Einrichtungen in Pakistan. Nach der Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan erneuerte der TTP-Führer Noor Wali Mehsud öffentlich sein Treuegelöbnis gegenüber dem obersten Führer der afghanischen Taliban. Darüber hinaus signalisierte Al-Qaida, dass sie weiterhin mit der TTP zusammenarbeitet (CRS 19.4.2022). Nach dem Treuegelöbnis der Gruppe konnte man, nach Angaben eines unabhängigen afghanischen Analysten beobachten, dass sich die TTP-Mitglieder in den afghanischen Großstädten "frei bewegen" konnten, im Gegensatz zur Situation vor der Machtübernahme, als die TTP Zufluchtsorte in abgelegenen Gebieten hatte (EUAA 8.2022a). Auch ein weiterer Experte stellte fest, dass die Rückkehr der afghanischen Taliban die Macht die Gruppierung gestärkt hat. Nachdem die afghanischen Taliban Hunderte von TTP-Mitgliedern aus den Gefängnissen in Kabul freigelassen hatten (CEIP 21.12.2021), startete die TTP zahlreiche Anschläge und Operationen in Pakistan (UNSC 26.5.2022). Mitte Februar 2022 griff das pakistanische Militär mit Artillerie TTP-Stellungen in den Distriken Naray und Sarkano (Provinz Kunar) an, nachdem TTP-Mitglieder pakistanische Grenzposten angegriffen hatten. Nach den pakistanischen Angriffen schickte die Taliban-Regierung Berichten zufolge Verstärkung in das Gebiet (ISW 13.1.2023). Anfang Juni 2022 kündigte die TTP nach geheimen Gesprächen zwischen TTP- und pakistanischen Militärvertretern einen Waffenstillstand mit Pakistan für die Dauer von drei Monaten an. Diese Gespräche waren von den afghanischen Taliban vermittelt worden (USIP 21.6.2022).
Eastern Turkistan Islamic Movement
Das Eastern Turkistan Islamic Movement (ETIM), auch bekannt als "Turkistan Islamic Party" (TIP), strebt die Schaffung eines unabhängigen islamischen Staates für die turksprachigen Uiguren an, die im Westen Chinas leben (CRS 19.4.2022). Laut einem Bericht der Vereinten Nationen ist die ETIM weiterhin in Afghanistan aktiv und die Schätzungen zur Größe der Gruppe reichen von einigen Dutzend bis zu 1.000 Mitgliedern (UNSC 26.5.2022). Nach der Machtübernahme durch die Taliban wurden Berichten zufolge einige ETIM-Mitglieder aus der Provinz Badakhshan in Provinzen verlegt, die weiter von der chinesischen Grenze entfernt sind (UNSC 26.5.2022; vgl. RFE/RL 5.10.2021), unter anderem in die Provinz Nangarhar (RFE/RL 5.10.2021), als Teil der Versuche der Taliban, einerseits die Gruppe zu schützen und andererseits ihre Aktivitäten einzuschränken (UNSC 26.5.2022).
Jamaat Ansarullah
Jamaat Ansarullah ist eine Gruppe, die eng mit Al-Qaida verbunden ist. Im Jahr 2021 kämpfte sie an der Seite der Taliban in der Provinz Badakhshan. Als sich die Beziehungen zwischen Tadschikistan und der Taliban-Regierung im Herbst 2021 verschlechterten, wurden Ansarullah-Kämpfer an der Seite von Taliban-Spezialkräften entlang der tadschikischen Grenze in den Provinzen Badakhshan, Takhar und Kunduz eingesetzt. Nach Angaben der Vereinten Nationen soll die Gruppe aus 300 Kämpfern bestehen, die zumeist tadschikische Staatsangehörige sind. Die Jamaat Ansarullah ist in den Provinzen Badakhshan und Kunduz präsent. Ihr Anführer ist Sajod, der Sohn des ehemaligen Anführers der Gruppe, Damullo Amriddin (UNSC 26.5.2022).
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 21.03.2023
Unter der vorherigen Regierung beruhte die afghanische Rechtsprechung auf drei parallelen und sich überschneidenden Rechtssystemen oder Rechtsquellen: dem formellen Gesetzesrecht, dem Stammesgewohnheitsrecht und der Scharia (Hakimi A./Sadat M. 2020). Informelle Rechtssysteme zur Schlichtung von Streitigkeiten waren weit verbreitet, insbesondere in ländlichen Gebieten. Dies ist nach wie vor der Fall, auch wenn die Taliban seit ihrer Machtübernahme versucht haben, einige lokale Streitbeilegungspraktiken zu kontrollieren (FH 24.2.2022a).
Nachdem sie die gewählte Regierung im August 2021 abgesetzt hatten, übernahmen die Taliban die vollständige Kontrolle über das Justizsystem des Landes (FH 24.2.2022a) und setzten die Verfassung von 2004 außer Kraft (UNGA 28.1.2022). Viele Richter wurden aus ihren Ämtern entlassen und Angehörige des Islamischen Emirats Afghanistan (IEA) mit unterschiedlichem Hintergrund praktizieren nun Rechtsstaatlichkeit (IOM 12.1.2023; vgl. FH 24.2.2022a). Es wurden ein Justizminister und ein Oberster Richter und Leiter des Obersten Gerichtshofs durch die Taliban ernannt. Am 16.12.2021 erließ die Taliban-Führung ein Dekret zur Ernennung von 32 Direktoren, Abteilungsleitern, Richtern und anderen wichtigen Beamten im Zusammenhang mit dem Obersten Gerichtshof. Am 25.12.2021 wurde ein Generalstaatsanwalt ernannt, der sich zur Rechenschaftspflicht und Unabhängigkeit seines Amts nach der Scharia verpflichtet (UNGA 28.1.2022).
Im Jahr 2022 setzt sich die Umstellung des Justizwesens und des Rechtsrahmens der ehemaligen Republik weiter fort, wobei Bedenken hinsichtlich der vorherrschenden Unklarheit über die anwendbaren Gesetze bestehen. Am 21.8.2022 wies der Taliban-Generalstaatsanwalt die Staatsanwälte an, laufende Ermittlungen an Taliban-Gerichte zu übertragen; der stellvertretende Oberste Richter für die Verwaltung des Obersten Gerichtshofs gab an, dass die Richter auch Ermittlungsaufgaben nach dem Scharia-Recht übernehmen würden. Diese Maßnahme führt zu einer höheren Arbeitsbelastung der Gerichte, zu Verzögerungen bei Gerichtsverfahren und zu einer Verlängerung der ohnehin schon langen Untersuchungshaftzeiten. Angesichts der damit einhergehenden Zunahme der Gefangenenpopulation und eines Ersuchens des Büros für Gefängnisverwaltung im Juni 2022 wies Taliban-Führer Haibatullah Akhundzada Ende September 2022 den Obersten Gerichtshof an, Richtergruppen für jede Provinz zu ernennen, um die Prüfung der Fälle von Untersuchungshäftlingen zu beschleunigen (UNGA 7.12.2022).
Die Zulassung von Strafverteidigern ist noch nicht abgeschlossen, und Frauen sind nach wie vor von diesem Verfahren ausgeschlossen. Das Taliban-Justizministerium teilte mit, dass bis zum 10.11.2022 1.275 von 1.332 geprüften Anwälten die Anforderungen erfüllt hätten und 947 eine neue Zulassung erhalten hätten, während vor August 2021 schätzungsweise 6.000 Strafverteidiger, darunter 1.500 Frauen, praktiziert hatten. Nach Angaben der Taliban-Justizbehörden haben die Gerichte über 13.000 Fälle verhandelt, und bei den Justizministerien im ganzen Land sind 97.700 Zivilklagen eingegangen, von denen seit August 2021 nur 2.339 von Gerichten bearbeitet wurden (UNGA 7.12.2022).
Gesetze aus der Zeit vor der Machtergreifung sollen nach Angaben der Taliban-Führung weiterhin gelten, unterliegen aber einem Islamvorbehalt (d. h., sie werden auf die Vereinbarkeit mit dem islamischen Recht überprüft); sie werden in der Praxis nicht oder nur in Teilen angewendet. So wird u. a. in von Taliban veröffentlichten Dekreten darauf Bezug genommen. Die Gerichte und Staatsanwaltschaften wurden mit den Taliban nahestehenden Rechtsgelehrten besetzt, die weder die Voraussetzungen noch das Ziel haben, die Gesetze aus der Zeit vor der Machtergreifung anzuwenden. Hinzu kommen die teilweise beschränkten Durchgriffsmöglichkeiten der Taliban-Regierung in Kabul auf die Verwaltungen und Sicherheitskräfte der Provinz- und Distriktebene. Umfang und Qualität des repressiven Verhaltens der Taliban gegen die Bevölkerung hängt deswegen stark von individuellen und lokalen Umständen ab (AA 20.7.2022). Sowohl das afghanische Zivilgesetzbuch wie auch das schiitische Personenstandsrecht sind nominell weiterhin in Kraft, auch wenn es Änderungen gibt. Während beispielsweise Fälle des schiitischen Personenstandsrechts früher von den Gerichten der Regierung behandelt wurden, verweisen die Taliban diese Fälle an die schiitischen Religionsämter, die unabhängig und nicht von der Regierung geleitet werden (IOM 12.1.2023).
Nach Angaben eines in Afghanistan praktizierenden Rechtsanwaltes stellt sich die Lage der Gesetze in Afghanistan als schwierig und uneinheitlich dar. Auch wenn die Taliban stets behaupteten, dass die afghanischen Gesetze unislamisch wären, so haben sie nicht im Detail erklärt, welche Bestimmungen welcher Gesetze gegen die Grundsätze der Scharia verstoßen würden. Sie haben weder erklärt, dass alle früheren Gesetze nicht mehr gelten, noch dass diese weiterhin in Kraft sind und gelten. Auch in der Praxis gibt es unterschiedliche Standards in den verschiedenen Instanzen. Einige Gerichte wenden die früheren Gesetze, einschließlich des Zivilgesetzbuches an, andere wiederum nicht (RA KBL 4.10.2022).
Aus verschiedenen Provinzen gibt es anhaltende, im Einzelfall nur schwer verifizierbare Berichte über öffentliche Strafmaßnahmen, die auch Körperstrafen wie Steinigung und Auspeitschung einschließen. Vereinzelt kommt es auch zur Zurschaustellung von Kriminellen sowie Personen, die den moralischen Vorstellungen der Taliban zuwiderhandeln (keine Teilnahme am Gebet, Vorwurf des Ehebruchs). Auf nationaler Ebene wurde im April 2022 erstmals eine Körperstrafe (Peitschenhiebe) wegen Drogen- und Alkohol-Konsums durch den Obersten Gerichtshof verhängt. Das von den Taliban neu-gegründete Ministerium für die Förderung von Tugend und Verhinderung von Laster (sog. Tugendministerium) spielt mit quasi-polizeilichen Befugnissen eine besondere Rolle bei der Einschränkung von zahlreichen Persönlichkeitsrechten im Alltag (AA 20.7.2022). Am 7.12.2022 kam es zur ersten öffentlichen Hinrichtung durch die Taliban seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan (AI 7.12.2022).
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung: 21.03.2023
Mit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 brach die 350.000 Mann starke Armee des früheren Regimes zusammen (TN 15.8.2022) und die Taliban haben faktisch die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernommen. Sie haben begonnen, ihre bisherigen Miliz-Strukturen in geordnete Sicherheitskräfte zu übertragen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Im Bereich der Streitkräfte kündigte Armeechef Qari Fasihuddin im November 2021 den Aufbau einer 150.000 Mann starken Armee inkl. Freiwilliger an; andere Mitglieder der Taliban-Regierung haben sich für eine kleinere Berufsarmee ausgesprochen. Es zeichnet sich ab, dass die Taliban mit Ausnahme der Luftwaffe (hier sollen laut afghanischen Presseangaben fast die Hälfte der ehemaligen Soldaten zurückgekehrt sein) von den bisherigen Kräften nur vereinzelt Fachpersonal übernehmen wollen. Der Geheimdienst (General Directorate for [Anm.: auch "of"] Intelligence, GDI) (AA 20.7.2022; vgl. CPJ 1.3.2022), ein Nachrichtendienst, der früher als "National Directorate of Security" (NDS) bekannt war (CPJ 1.3.2022), wurde dem Innenministerium der Taliban unterstellt. Das Innenministerium der Taliban-Regierung hat wiederholt angekündigt, Polizisten, u. a. im Bereich der Verkehrspolizei, zu übernehmen (AA 20.7.2022).
Die Institutionalisierung des Sicherheitsapparats nahm im Jahr 2022 zu. Ende August berichteten die Vereinten Nationen, dass 150.000 Armeeangehörige und fast 200.000 Polizisten in Afghanistan rekrutiert worden seien (UNGA 7.12.2022). Sprecher des Taliban-Innenministeriums gaben die Größe der Armee im August mit 100.000 bis 150.000 (Afintl 23.8.2022) bzw. im Oktober mit 150.000 Mann an (ATN 28.10.2022), mit weiterem Ausbaupotenzial (ATN 28.10.2022; vgl. Afintl 23.8.2022).
Im Oktober 2022 wurden mehrere Sicherheitskommissionen eingesetzt, darunter eine Reformkommission des Taliban-Innenministeriums mit neun Unterausschüssen, die Mitarbeiter mit kriminellem Hintergrund ausschließen sollen, sowie eine Kommission für die Einstufung von Militärangehörigen, die den "Dschihad"- und Bildungshintergrund von Armeeangehörigen bewerten soll (UNGA 7.12.2022). Bereits im März gab eine von den Taliban eingerichtete „Säuberungskommission“ bekannt, dass insgesamt ca. 4.000 Taliban-Kämpfer aufgrund krimineller Aktivitäten, Verbindungen zum Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISKP) oder anderen Vergehen entlassen wurden (AA 20.7.2022). Darüber hinaus wurden mindestens 52 Ernennungen in den Taliban-Sicherheitsministerien bekannt gegeben, bei denen es sich größtenteils um Umbesetzungen handelte, darunter vier stellvertretende Minister, ein neuer Luftwaffenkommandeur, sieben Korpskommandeure und 13 Provinzpolizeichefs; 27 Ernennungen im Verteidigungsbereich, die am 26.10.2022 bekannt gegeben wurden, folgten auf den Besuch des Taliban-Verteidigungsministers Yaqoob in Kandahar (UNGA 7.12.2022).
Mitglieder der ehemaligen Streitkräfte
Die Taliban haben offiziell eine "Generalamnestie" für Angehörige der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräfte angekündigt (AA 20.7.2022; USDOS 12.4.2022a). Hochrangige Taliban, auch das Oberhaupt der Bewegung, Emir Haibatullah Akhundzada, haben die Taliban-Kämpfer wiederholt zur Einhaltung der Amnestie aufgefordert und angeordnet, von Vergeltungsmaßnahmen abzusehen (AA 20.7.2022). Während zielgerichtete, groß angelegte Vergeltungsmaßnahmen gegen ehemalige Angehörige der Regierung oder Sicherheitskräfte oder Verfolgung bestimmter Bevölkerungsgruppen bislang nicht nachgewiesen werden konnten (AA 20.7.2022), berichten Menschenrechtsorganisationen allerdings über Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte (AA 20.7.2022; vgl. HRW 12.1.2023). Diese Fälle lassen sich zumindest teilweise eindeutig Taliban-Sicherheitskräften zuordnen. Inwieweit diese Taten politisch angeordnet wurden, ist nicht zu verifizieren. Sie wurden aber durch die Taliban-Regierung trotz gegenteiliger Aussagen mindestens toleriert bzw. nicht juristisch verfolgt (AA 20.7.2022). Die Vereinten Nationen haben bis Mitte Februar 2022 130 Fälle geprüft und die Vorwürfe gegenüber den Taliban für begründet befunden, in denen Angehörige der ehemaligen Sicherheitskräfte und Regierung ermordet wurden. Bei rund 100 dieser Fälle handelt es sich um extralegale Hinrichtungen, die Taliban-Kräften zugeordnet werden konnten (AA 20.7.2022; vgl. UNHCR 30.3.2022, HRW 30.3.2022). Laut einer im April erschienenen Medienrecherche der New York Times konnten seit August 2021 ca. 500 Fälle verifiziert werden, in denen Angehörige der ehemaligen Regierung verschleppt, gefoltert oder ermordet wurden bzw. weiterhin verschwunden sind (NYT 27.5.2022). UNAMA und Human Rights Watch (HRW) halten diese Untersuchung für glaubwürdig (AA 20.7.2022).
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung: 09.03.2023
Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen durch die Taliban (AA 20.7.2022, vgl. HRW 12.1.2023). Die Vereinten Nationen berichten über Folter und Misshandlungen von Personen, denen vorgeworfen wird, den ehemaligen Sicherheitskräften bzw. der ehemaligen Regierung, der Nationalen Widerstandsfront (NRF) oder dem Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISKP) anzugehören. Auch über Gewalt gegen Journalisten und Medienschaffende (UNAMA 7.2022) sowie gegen Frauenrechtsaktivisten wird berichtet (AA 20.7.2022 vgl. HRW 12.1.2023). Vier junge Männer (darunter drei Minderjährige), die im Zusammenhang mit der Ermordung von acht Mitgliedern einer Polio-Impfkampagne festgenommen wurden, sollen nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen gefoltert worden sein (AA 20.7.2022).
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung: 21.03.2023
Auch zehn Monate nach Machtübernahme und trotz der Einführung einer Übergangsregierung im September 2021 sowie weiteren politischen Ernennungen haben die Taliban zentrale Fragen nach der zukünftigen Verfasstheit und den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen des afghanischen Staates weiterhin nicht konkret beantwortet (AA 20.7.2022). Seit dem Sturz der gewählten Regierung haben die Taliban die Menschenrechte und Grundfreiheiten der afghanischen Bevölkerung zunehmend und in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Insbesondere Frauen und Mädchen wurden in ihren Rechten massiv eingeschränkt und aus den meisten Aspekten des täglichen und öffentlichen Lebens verdrängt (UNICEF 9.8.2022; vgl. FH 24.2.2022a, AA 20.7.2022).
Es gibt Berichte über grobe Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021 (HRW 12.1.2023; vgl. AA 20.7.2022, USDOS 12.4.2022a), wobei diese im Einzelfall nur schwer zu verifizieren sind, darunter Hausdurchsuchungen, Willkürakte und Erschießungen (AA 20.7.2022). Es kommt zu Gewalt und Diskriminierung gegenüber Journalisten (RSF 2.12.2022; vgl. HRW 12.1.2023) und Menschenrechtsaktivisten (FH 1.2023; vgl. FIDH 12.8.2022, AA 20.7.2022). Auch von gezielten Tötungen wird berichtet (HRW 12.1.2023). Menschenrechtsorganisationen berichten auch über Entführungen und Ermordungen ehemaliger Angehöriger des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte (AA 20.7.2022; vgl. HRW 12.1.2023). Die Taliban ließen wiederholt friedliche Proteste gewaltsam auflösen. Es kam zum Einsatz von scharfer Munition und Wasserwerfern (AA 20.7.2022; vgl. HRW 12.10.2022, GD 2.10.2022) und es gibt auch Berichte über Todesopfer bei Protesten (AA 20.7.2022; vgl. FH 24.2.2022a, AI 15.8.2022).
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 21.03.2023
Etwa 99 % der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7 % und die Schiiten auf 10 bis 15 % der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 29.12.2022; vgl. USDOS 2.6.2022, AA 20.7.2022). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 0,3 % der Bevölkerung aus (CIA 29.12.2022; vgl. USDOS 2.6.2022). Der letzte bislang in Afghanistan lebende Jude hat nach der Machtübernahme der Taliban das Land verlassen (AA 20.7.2022; vgl. USCIRF 8.2022, USDOS 2.6.2022). Die Zahl der Ahmadiyya-Muslime im Land geht in die Hunderte (USDOS 2.6.2022).
Es existieren keine verlässlichen Schätzungen zur Größe der hauptsächlich in Kabul und Kandahar ansässigen Baha'i-Gemeinschaft in Afghanistan. Im Mai 2007 befand der Oberste Gerichtshof, dass der Glaube der Baha'i eine Abweichung vom Islam und eine Form der Blasphemie sei. Auch wurden alle Muslime, die den Baha'i-Glauben annehmen, zu Abtrünnigen erklärt (USDOS 2.6.2022).
Baha'i gelten (vielen) Muslimen als Ungläubige, nicht (immer) jedoch als Konvertiten und wurden keines dieser beiden Vergehen angeklagt. Baha'i wie auch Christen leben weiterhin in ständiger Angst vor Enttarnung und zögern, ihre religiöse Identität zu offenbaren (USDOS 2.6.2022).
Bereits vor der Machtübernahme der Taliban waren die Möglichkeiten der konkreten Religionsausübung für Nicht-Muslime durch gesellschaftliche Stigmatisierung, Sicherheitsbedenken und die spärliche Existenz von Gebetsstätten extrem eingeschränkt (AA 20.7.2022). Nach Angaben der US-Kommission für internationale Religionsfreiheit (USCIRF) sind Angehörige religiöser Gruppen auch weiterhin stark von Verfolgung durch die Taliban bedroht (USCIRF 8.2022). Ende 2021 haben auch Salafisten, die wie die Taliban Sunniten sind, jedoch der wahhabitischen Schule angehören (RFE/RL 22.10.2021), die Taliban beschuldigt, ihre Gotteshäuser zu schließen und ihre Mitglieder zu verhaften bzw. zu töten (FH 24.2.2022a; vgl. RFE/RL 22.10.2021). Trotz ständiger Versprechungen, alle in Afghanistan lebenden ethnischen und religiösen Gemeinschaften zu schützen, war die Taliban-De-facto-Regierung nicht in der Lage, religiöse Minderheiten vor Angriffen des Islamischen Staates Provinz Khorasan (ISKP) zu schützen und ihnen Sicherheit zu bieten. Während einige religiöse Minderheiten vom Aussterben bedroht sind, müssen andere aus Angst vor Repressalien ihren Glauben im Verborgenen ausüben. Obwohl sich die Taliban öffentlich zu Wandel und Inklusion bekennen, regieren sie Afghanistan weiterhin auf ähnliche Weise wie von 1996 bis 2001 (USCIRF 8.2022).
In einigen Gebieten Afghanistans (unter anderem Kabul) haben die Taliban alle Männer zur Teilnahme an den Gebetsversammlungen in den Moscheen verpflichtet und/oder Geldstrafen gegen Einwohner verhängt, die nicht zu den Gebeten erschienen sind (RFE/RL 19.1.2022b) bzw. gedroht, dass Männer, die nicht zum Gebet in die Moschee gehen, strafrechtlich verfolgt werden könnten (BAMF 10.1.2022; vgl. RFE/RL 19.1.2022b). Laut Meldungen vom 21.11.2022 haben die Taliban angekündigt, sich dem Thema für die Freitagspredigten in den Moscheen verstärkt zu widmen. Kein Vorbeter hat in Zukunft das Recht, eine Rede nach eigenem Ermessen zu halten, der Inhalt der Predigten soll mit der Ideologie der Taliban in Einklang stehen (8am 21.11.2022b).
Ethnische Gruppen
Letzte Änderung: 21.03.2023
In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 34,3 (NSIA 4.2022) und 38,3 Millionen Menschen (8am 30.3.2022; vgl. CIA 29.12.2022). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016; vgl. CIA 29.12.2022), da die Behörden des Landes nie eine nationale Volkszählung durchgeführt haben. Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass keine der ethnischen Gruppen des Landes eine Mehrheit bildet, und die genauen prozentualen Anteile der einzelnen Gruppen an der Gesamtbevölkerung Schätzungen sind und oft stark politisiert werden (MRG 5.1.2022).
Die größten Bevölkerungsgruppen sind Paschtunen (32-42 %), Tadschiken (ca. 27 %), Hazara (ca. 9-20 %) und Usbeken (ca. 9 %), gefolgt von Turkmenen und Belutschen (jeweils ca. 2 %) (AA 20.7.2022).
Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 12.4.2022a).
Die Taliban gehören mehrheitlich der Gruppe der Paschtunen an. Seit der Machtübernahme der Taliban werden nicht-paschtunische Ethnien in staatlichen Stellen zunehmend marginalisiert. So gibt es in der Taliban-Regierung z. B. nur wenige Vertreter der usbekischen und tadschikischen Minderheit sowie lediglich einen Vertreter der Hazara (AA 20.7.2022).
Die Taliban haben wiederholt erklärt, alle Teile der afghanischen Gesellschaft zu akzeptieren und ihre Interessen berücksichtigen zu wollen. Aber selbst auf lokaler Ebene werden Minderheiten, mit Ausnahmen in ethnisch von Nicht-Paschtunen dominierten Gebieten vor allem im Norden, kaum für Positionen im Regierungsapparat berücksichtigt, da diese v. a. paschtunischen Taliban-Mitgliedern vorbehalten sind (AA 20.7.2022). So waren zum Beispiel am 20.12.2021 alle 34 Provinzgouverneure überwiegend Paschtunen, während andere ethnische Gruppen kaum vertreten waren (UNGA 28.1.2022). Darüber hinaus lässt sich keine klare, systematische Diskriminierung von Minderheiten durch die Taliban-Regierung feststellen, solange diese den Machtanspruch der Taliban akzeptieren (AA 20.7.2022).
Paschtunen
Letzte Änderung: 09.03.2023
Ethnische Paschtunen sind mit ca. 42 % der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans (MRG 5.2.2021a; vgl. AA 20.7.2022). Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sie sind sunnitische Muslime und leben hauptsächlich im Süden und Osten des Landes (MRG 5.2.2021a; vgl. Print 21.9.2021). Traditionell waren die Paschtunen nomadisierende oder halbnomadische Viehzüchter, Ackerbauern und Händler. Seit langer Zeit sind sie in Städten ansässig geworden, wo sie verschiedensten Tätigkeiten nachgehen. Paschtunische Stämme waren stets die militärische Stütze des afghanischen Königshauses und wurden dafür mit einigen Privilegien (Steuervergünstigungen, weitgehende Autonomie in inneren Angelegenheiten u.a.) versehen (STDOK 1.7.2016).
Die Sozialstruktur der Paschtunen basiert auf dem Paschtunwali-Kodex (oder Pukhtunwali-Kodex), der eine Mischung aus einem Stammes-Ehrenkodex und lokalen Auslegungen der Scharia ist. Dies erfordert die Beherrschung der paschtunischen Sprache und die Einhaltung der bestehenden Bräuche. Gastfreundschaft, Schutz der Gäste, Verteidigung des Eigentums, Familienehre und Schutz der weiblichen Verwandten sind einige der wichtigsten Grundsätze für Paschtunen. Sie stützen sich auf die Jirga des Stammesrates zur Beilegung von Streitigkeiten und zur lokalen Entscheidungsfindung sowie auf die Abschirmung der Frauen von allen Angelegenheiten außerhalb des Hauses (MRG 5.2.2021a; vgl. BBC 12.8.2022, STDOK 7.2016).
Rückkehr
Letzte Änderung: 15.03.2023
[Anmerkung: Zur Situation rückkehrender Geflüchteter aus Österreich liegen nur vereinzelt Erkenntnisse vor, da Rückführungen aus Österreich und anderen EU-Mitgliedstaaten gegenwärtig ausgesetzt sind]
Im Jahr 2022 kehrten laut UNHCR mit Stand Dezember, 6.148 Flüchtlinge freiwillig nach Afghanistan zurück, wobei 94 % aus Pakistan kamen. Der Rest kehrte aus Iran, Russland, Tadschikistan oder Aserbaidschan zurück. Als Hauptgründe für ihre Rückkehr werden die hohen Lebenshaltungskosten und der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten in den Aufnahmeländern sowie der Wunsch, wieder mit ihrer Familie zusammenzukommen, und die empfundene bessere Sicherheitslage in Afghanistan genannt (UNHCR 4.12.2022).
Nach Angaben von UNHCR befinden sich Rückkehrende aus dem Ausland in einer wirtschaftlichen Notlage und wenden negative Bewältigungsstrategien an (Einsparung von Lebensmitteln, Aufnahme von Schulden, Kinderarbeit, -verkauf). Die Taliban haben in öffentlichen Verlautbarungen im Ausland lebende Afghaninnen und Afghanen aufgefordert, nach Afghanistan zurückzukehren. Außerhalb offizieller Kommunikation verbreiten Taliban-Vertreter bzw. ihnen nahestehende Kommentatoren das Narrativ, dass ehemalige Regierungsmitglieder bzw. Angestellte, aber auch Personen, die mit ausländischen Regierungen gearbeitet haben, Verräterinnen und Verräter am Islam und an Afghanistan seien. Auch in den Sozialen Medien werden diese immer wieder als Verräter bzw. „verwestlicht“ bezeichnet, die aufgrund ihrer Ablehnung für „islamische Werte“ ins Ausland gegangen seien. Nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen sind aus Europa Rückkehrende sowie Personen, die mit dem (westlichen) Ausland assoziiert werden, unmittelbar bedroht (AA 20.7.2022).
Rückkehrende dürften nur in Einzelfällen über die notwendigen sozialen und familiären Netzwerke verfügen, um die desolaten wirtschaftlichen Umstände abzufedern. Die Taliban haben internationale Organisationen der humanitären Hilfe um Unterstützung bei der Versorgung und Umsiedlung Binnenvertriebener gebeten, die selbst in der Regel nicht über ausreichend Mittel zur Rückkehr verfügen (AA 20.7.2022).
Eine Studie von IOM, bei der Afghanen interviewt wurden, die zwischen Jänner 2018 und Juli 2021 aus der Türkei oder der EU nach Afghanistan zurückkehrten, berichtet, dass die Rückkehrer weiterhin mit erheblichen wirtschaftlichen und ernährungsbedingten Herausforderungen konfrontiert sind. Der größte Anteil der Befragten (45 %) gab an, arbeitslos zu sein, während 40 % sagten, sie arbeiteten für einen Tageslohn und fast 90 % der Befragten gaben an, dass sich ihre wirtschaftliche Situation im ersten Halbjahr 2022 verschlechtert habe (IOM 5.9.2022).
IOM hat aufgrund der aktuellen Lage vor Ort die Option der Unterstützung der Freiwilligen Rückkehr und Reintegration seit 16.8.2021 für Afghanistan bis auf Weiteres weltweit ausgesetzt. Es können somit derzeit keine freiwilligen Rückkehrer aus Österreich nach Afghanistan im Rahmen des Projektes RESTART III unterstützt werden (IOM 12.1.2023). Das Reintegrations- und Entwicklungshilfeprojekt (RADA), welches 2017 ins Leben gerufen wurde, hat das Ziel, "eine geordnete, sichere, regelmäßige und verantwortungsvolle Migration und Mobilität von Menschen zu erleichtern, unter anderem durch die Umsetzung geplanter und gut verwalteter Maßnahmen". Es unterstützt Gemeinden mit einer hohen Anzahl an Rückkehrern durch Projekte wie den Bau von Bewässerungskanälen. Die Beratungstätigkeit des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) durch IOM wurde mit der Machtübernahme der Taliban eingestellt. Auch ist die Bereitstellung von sofortiger Aufnahmeunterstützung am Flughafen Kabul derzeit ausgesetzt (IOM 12.1.2023).
Am 30.8.2021 gab Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid in einem Interview an, dass viele aus Angst aufgrund von Propaganda aus Afghanistan ausgereist wären und die Taliban seien nicht glücklich darüber, dass Menschen Afghanistan verlassen, obwohl jeder, der über Dokumente verfüge, zur Ausreise berechtigt sein sollte. Auf die Frage, ob afghanische Asylwerber in Deutschland oder Österreich mit abgelehnten Asylanträgen, die möglicherweise auch Straftaten begangen haben, wieder aufgenommen würden, antwortete Mujahid, dass sie aufgenommen würden, wenn sie abgeschoben und einem Gericht zur Entscheidung über das weitere Vorgehen vorgeführt würden (KrZ 30.8.2021). Es war nicht klar, ob sich Mujahid mit dieser Aussage auf Rückkehrer im Allgemeinen oder nur auf Rückkehrer bezog, die Straftaten begangen haben (EASO 1.1.2022). Nach Einschätzung von UNAMA besteht die Möglichkeit, dass im Ausland straffällig gewordene Rückkehrende, wenn die Tat einen Bezug zu Afghanistan aufweist, in Afghanistan zum Opfer von Racheakten z. B. von Familienmitgliedern der Betroffenen werden können; auch eine erneute Verurteilung durch das von Taliban kontrollierte Justizsystem ist nicht ausgeschlossen, wenn der Fall den Behörden bekannt würde (AA 20.7.2022).
Die Taliban haben am 16.3.2022 eine Kommission unter Leitung des Taliban-Ministers für Bergbau und Petroleum Delawar ins Leben gerufen, die Mitglieder der ehemaligen wirtschaftlichen und politischen Elite überzeugen soll, nach Afghanistan zurückzukehren. Im Rahmen dieser Bemühungen sollen inzwischen 200 mehr oder weniger prominente Persönlichkeiten nach Afghanistan zurückgekehrt sein, darunter auch ehemalige Minister und Parlamentarier. Die Taliban-Regierung trifft widersprüchliche Aussagen darüber, ob es den Rückkehrern gestattet sein wird, sich politisch zu engagieren (AA 20.7.2022).
Einem afghanischen Menschenrechtsexperten zufolge gab es unter Taliban-Sympathisanten und einigen Taliban-Segmenten ein negatives Bild von Afghanen, die Afghanistan verlassen hatten. Menschen, die Afghanistan verlassen hatten, würden als Personen angesehen, die keine islamischen Werte vertraten oder auf der Flucht vor Dingen seien, die sie getan haben. Auf der anderen Seite haben die Taliban den Pässen für afghanische Arbeiter, die im Ausland arbeiten, Vorrang eingeräumt, da dies ein Einkommen für das Land bedeuten würde. Auf einer Ebene mögen die Taliban also den wirtschaftlichen Aspekt verstehen, aber sie wissen auch, dass viele derjenigen Afghanen, die ins Ausland gehen, nicht mit ihnen einverstanden sind. Ein afghanischer Rechtsprofessor beschrieb zwei Darstellungen der Taliban über Personen, die Afghanistan verlassen, um in westlichen Ländern zu leben. Einerseits jene, die Afghanistan aufgrund von Armut, nicht aus Angst vor den Taliban, verlassen und auf eine bessere wirtschaftliche Lage in westlichen Ländern hoffen. Die andere Darstellung bezog sich auf die "Eliten" die das Land verließen. Sie würden nicht als "Afghanen", sondern als korrupte "Marionetten" der "Besatzung" angesehen, die sich gegen die Bevölkerung stellten. Dieses Narrativ könnte beispielsweise auch Aktivisten, Medienschaffende und Intellektuelle einschließen und nicht nur ehemalige Regierungsbeamte. Der Quelle zufolge sagten die Taliban oft, dass ein "guter Muslim" nicht gehen würde und dass viele, die in den Westen gingen, nicht "gut genug als Muslime" seien. Zwei Anthropologen an der Zayed-Universität, beschrieben ein ähnliches Narrativ, nämlich dass Menschen, die das Land verlassen wollen, nicht als "die richtige Art von Mensch" bzw. nicht als "gute Muslime" wahrgenommen werden. Sie unterschieden jedoch die seit Langem bestehende Tradition der paschtunischen Männer, ins Ausland zu gehen, um dort zu arbeiten, von anderen Afghanen, die weggehen und sich in nicht-muslimischen Ländern aufhalten - was nicht "der richtige Weg" sei. Sie erklärten ferner, dass in ländlichen paschtunischen Gebieten eine Person, die nach Europa oder in die USA gehen will, im Allgemeinen mit Misstrauen betrachtet wird, ebenso wie Personen mit westlichen Kontakten (EASO 1.1.2022).
Dokumente
Letzte Änderung: 15.03.2023
Das Personenstands- und Beurkundungswesen in Afghanistan wies bereits vor der Machtübernahme der Taliban gravierende Mängel auf und stellte aufgrund der Infrastruktur, der langen Kriege, der wenig ausgebildeten Behördenmitarbeiter und weitverbreiteter Korruption ein Problem dar. Von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden konnte nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Personenstandsurkunden wurden oft erst viele Jahre später, ohne adäquaten Nachweis und sehr häufig auf Basis von Aussagen mitgebrachter Zeugen, nachträglich ausgestellt. Gefälligkeitsbescheinigungen und/oder Gefälligkeitsaussagen kamen sehr häufig vor (AA 16.7.2020).
UNHCR - Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen – Update I (Februar 2023)
Diese Leitlinien ersetzen die Leitlinien zum internationalen Schutzbedarf von Personen, die aus Afghanistan fliehen, Februar 2022.
Die afghanische Zivilbevölkerung ist weiterhin schwerwiegend von der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Krise im Land betroffen. Bis zum Ende des Jahres 2022 wurde über eine Intensivierung der Aktivitäten von bewaffneten Oppositionsgruppen berichtet, wobei die UN Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) 22 bewaffnete Gruppierungen verzeichnete, die nach eigenen Angaben in 11 der insgesamt 34 afghanischen Provinzen agierten. Zwischen dem 17. August und dem 13. November 2022 verzeichneten die Vereinten Nationen 1.587 sicherheitsrelevante Vorfälle, ein Anstieg um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2021. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen waren Kabul, Herat und Kandahar. Insgesamt wurden 530 zivile Opfer verzeichnet (124 getötete und 406 verwundete Zivilpersonen).
Die De-facto-Behörden der Taliban haben Berichten zufolge schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen, darunter extralegale Tötungen, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Folter und andere Formen von Misshandlungen. Zusätzlich haben die De-facto-Behörden der afghanischen Bevölkerung Einschränkungen ihrer Rechte auf Meinungs-, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit auferlegt, welche die internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen Afghanistans verletzen. Die zunehmende Beschneidung der Menschenrechte von afghanischen Frauen und Mädchen durch die De-facto-Behörden wurde weitreichend verurteilt.
Afghanistan begegnet signifikanten ökonomischen Herausforderungen und einer schwerwiegenden humanitären Krise. Nach Schätzungen der Weltbank ist die afghanische Wirtschaft in den Jahren 2021 bis 2022 um insgesamt 30-35% geschrumpft. Während die Weltbank für den Zeitraum 2023-2024 ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes um 2-2,4% prognostiziert, warnt sie zugleich, dass dies angesichts des hohen Bevölkerungswachstums nicht zu einer Verbesserung des Pro-Kopf-Einkommens führen wird. Über 90% der afghanischen Bevölkerung leiden Schätzungen zufolge unter Nahrungsunsicherheit, wobei 19,9 Mio. Afghaninnen und Afghanen unter akuter Nahrungsunsicherheit leiden. Im Oktober 2022 berichtete UNDP, dass nun fast die gesamte afghanische Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt.
Mit Stand 30. Juni 2022 waren konfliktbedingt ungefähr 3,4 Mio. Afghaninnen und Afghanen innerhalb des Landes vertrieben, während es schätzungsweise im Jahr 2022 32.424 neue Binnenvertriebene gab. Ebenfalls mit Stand 30. Juni 2022 betrug die Zahl der afghanischen Flüchtlinge weltweit ca. 2,84 Mio. Eine geschätzte Zahl von 232.306 Binnenvertriebenen kehrte im Jahr 2022 in ihre Heimatorte zurück, während 6.424 afghanische Flüchtlinge im Jahr 2022 freiwillig nach Afghanistan zurückkehrten.
Internationaler Schutzbedarf
UNHCR ruft weiterhin alle Staaten dazu auf, der aus Afghanistan fliehenden Zivilbevölkerung Zugang zu ihrem Staatsgebiet zu gewähren, das Recht, Asyl zu suchen, zu garantieren und die Einhaltung des Non-Refoulement-Grundsatzes durchgehend sicherzustellen. UNHCR ruft die Staaten dazu auf, Ankommende, die internationalen Schutz suchen, zu registrieren und allen Betroffenen Nachweise über ihre Registrierung auszustellen.
Alle Anträge auf internationalen Schutz von afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan sollten in fairen und effizienten Verfahren im Einklang mit internationalem und regionalem Flüchtlingsrecht sowie anderen relevanten rechtlichen Standards behandelt werden.
Die noch nie dagewesene humanitäre Krise in Afghanistan, darf nicht über die Situation weitverbreiteter Bedrohungen von Menschenrechten hinwegtäuschen. Personen, die aus Afghanistan fliehen, werden möglichweise zunächst ihre dringendsten Überlebensbedürfnisse als Fluchtgrund benennen. Dies sollte einer gründlichen Prüfung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender jedoch nicht entgegenstehen. Unter Verweis auf die geteilte Beweislast ruft UNHCR Entscheidungsträgerinnen und -träger dazu auf, sicherzustellen, dass Asylsuchende die Möglichkeit erhalten, ihre Fluchtgründe vollständig und vollumfänglich vorzutragen, einschließlich einer möglichen Furcht vor Verfolgung im Falle der Rückkehr.
Weitere Profile mit einem seit dem 15. August 2021 erhöhten Schutzbedarf
Basierend auf verfügbaren Berichten über weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan, darunter Berichte, die UNHCR im Rahmen seines breiten Monitoring-Programms von auf der Flucht und bereits im Ausland befindlichen Afghaninnen und Afghanen erhalten hat, werden viele Afghaninnen und Afghanen einen internationalen Schutzbedarf haben. Wie in den untenstehenden Absätzen 20-25 beschrieben, unterliegt die Informationsbeschaffung in Afghanistan ernsthaften Einschränkungen, die es schwierig machen, ein umfassendes Verständnis für die Behandlung von Afghaninnen und Afghanen mit verschiedenen Profilen in ganz Afghanistan zu erlangen. UNHCR ist jedoch besorgt über einen Anstieg des Bedarfes an internationalem Flüchtlingsschutz für aus Afghanistan fliehende Personen seit der Machtübernahme durch die Taliban.
Neben der oben beschriebenen Situation von Frauen und Mädchen, zählen zu den Profilen mit einem seit dem 15. August 2021 erhöhten Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz:
(i) Afghaninnen und Afghanen, die mit der ehemaligen Regierung oder der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan verbunden sind, einschließlich frühere Mitarbeitende von Botschaften und Angestellte internationaler Organisationen;
(ii) ehemalige Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte und Afghaninnen und Afghanen, die mit den ehemaligen internationalen Streitkräften in Afghanistan verbunden sind;
(iii) Journalistinnen und Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen; Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger und Aktivistinnen und Aktivisten, sowie sie unterstützende Verteidigerinnen und Verteidiger;
(iv) Angehörige religiöser und ethnischer Minderheiten, einschließlich Hazaras;
(v) Afghaninnen und Afghanen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, geschlechtlichen Identitäten und/oder Ausdrucksweisen.
Diese Liste erhebt nicht den Anspruch, eine vollständige Aufzählung aller Afghaninnen und Afghanen zu enthalten, die möglicherweise eine begründete Furcht vor Verfolgung haben. Jeder Antrag auf internationalen Schutz sollte unter Berücksichtigung der von den Antragstellenden vorgebrachten Beweismittel, sowie der verfügbaren und relevanten Herkunftslandinformationen inhaltlich geprüft werden. UNHCR merkt an, dass Familienangehörige und andere Personen, die mit von Verfolgung Bedrohten eng verbunden sind, häufig einem eigenen Risiko ausgesetzt sind.
Einschränkungen bei der Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs
Seit der Machtübernahme des Landes herrschen die De-facto-Behörden mit Dekreten und verdrängen so den parlamentarischen Prozess. Bis heute ist diese Regierungsführung von Ungewissheit, Willkür und einer Missachtung von Rechtsstaatlichkeit geprägt. Die De-facto-Behörden sind dabei, den Rechtsrahmen und das Justizsystem Afghanistans auf die Scharia umzustellen. Im Dezember 2022 berichtete der UN-Generalsekretär, dass die De-facto-Behörden bisher nicht auf anhaltende Unklarheiten in Bezug auf die Rahmenbedingungen des politischen und rechtlichen Systems eingegangen seien und dass keine Schritte unternommen worden seien, die Rollenverteilung bei Entscheidungsprozessen innerhalb der De-facto-Behörden formal zu definieren, die nach der eigenen Aussage der Taliban auch weiterhin nur übergangsweise agieren. Der UN-Generalsekretär äußerte seine Besorgnis über die vorherrschende Unklarheit in Bezug auf anwendbare Gesetze. Im Oktober 2022 erklärte der Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, dass die Bemühungen um die Ausarbeitung einer neuen Verfassung im Gange seien. Im November 2022 machte der Oberste Führer der Taliban die Bestrafung nach dem Scharia-Recht, einschließlich öffentlicher Hinrichtungen und körperlicher Strafen, obligatorisch.
Die gegenwärtige Situation in Afghanistan stellt das Sammeln umfassender Informationen über die Menschenrechtslage in verschiedenen Landesteilen vor eine Reihe von Hindernissen. Zu diesen Hindernissen gehören die Einschränkungen der Medien in Afghanistan sowie der Zivilgesellschaft und von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern. Der UN-Sonderberichterstatter zur Menschenrechtslage in Afghanistan erklärte im September 2022, dass seit dem 15. August 2021 der Zugang zu Informationen immer schwieriger geworden und die journalistische Unabhängigkeit und Meinungsfreiheit erheblich eingeschränkt worden sei. Der Sonderberichterstatter erklärte, dass fehlende Einkünfte und die Einstellung ausländischer Finanzierung, eingeschränkter Zugang zu Informationen, Selbstzensur, sowie ständiger Druck und Warnungen der De-facto-Behörden zur Schließung von Medienunternehmen oder Reduzierung der Medienaktivitäten beigetragen hätten.
Einige Journalistinnen und Journalisten hätten außerdem ihre Arbeit eingestellt oder seien untergetaucht, nachdem sie von der Generaldirektion für Geheimdienste ernsthaft mit dem Leben bedroht worden. Besonders betroffen seien Journalistinnen und Journalisten, sowie Medienunternehmen außerhalb der städtischen Ballungszentren. In mindestens vier Provinzen gebe es keine lokalen Medien und in 15 Provinzen hätten zwischen 40 und 80% der Medienunternehmen geschlossen.
Im Mai 2022 lösten die De-facto-Behörden die Unabhängige Afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission, AIHRC), die Unabhängige Kommission zur Überwachung der Umsetzung der Verfassung und die Afghanische Unabhängige Anwaltskammer auf. Die AIHRC veröffentlichte im August 2022 dennoch einen Bericht über die Menschenrechtssituation in Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban, betonte jedoch, dass der Bericht keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit erhebe, da dutzende fortbestehender Menschenrechtsverletzungen aufgrund fehlender Möglichkeiten zur Menschenrechtsbeobachtung nicht erwähnt worden seien. Ebenso kommentierte UNAMA in seinem Bericht vom Juli 2022, dass der eigene UNAMA-Menschenrechtsdienst nicht den Anspruch erhebe, dass die in diesem Bericht präsentierten Daten – weder zu Menschenrechtsverletzungen noch zu zivilen Opfern – vollständig seien. UNAMA erkenne an, dass diese Art von Fällen auf Grund der momentanen Lage möglicherweise nicht konsequent gemeldet würden.
Der Protection Cluster in Afghanistan hat weitreichende Herausforderungen bei der Überwachung von Menschenrechten im Land identifiziert. Im November 2022 erklärte der Cluster, dass das Sammeln und Speichern von Daten zu Menschenrechtsverletzungen von besonderer Besorgnis sei und sowohl Betroffene als auch Dienstleistende in Gefahr bringen könne. Der Cluster berichtete, dass die Beobachtung der Menschenrechtssituation von Frauen und Mädchen in Afghanistan, auch in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt, aufgrund der Einschränkungen, welche die De-facto-Behörden weiblichem Personal auferlegt haben, besonders schwierig geworden ist.
Angesichts der Hindernisse bei der Informationsbeschaffung und Berichterstattung über Afghanistan fordert UNHCR die Entscheidungsträgerinnen und -träger über Asylanträge afghanischer Staatsangehöriger auf, keine nachteiligen Schlussfolgerungen aus dem Fehlen verifizierter Herkunftslandinformationen zu schließen, die der Unterstützung und Untermauerung der vorgelegten Beweise durch die Antragstellenden dienen. In der aktuellen Lage in Afghanistan wird es regelmäßig der Fall sein, dass Menschenrechtsverletzungen und -verstöße häufig nicht berichtet und dokumentiert werden. Das Fehlen von Herkunftslandinformationen, die bestimmte Vorfälle oder Muster von Menschenrechtsverletzungen und Missbrauch beschreiben, sollte daher an sich kein Grund sein, an der Glaubhaftigkeit der Antragstellenden zu zweifeln, wenn deren Aussagen ansonsten kohärent und schlüssig sind.
Darüber hinaus appelliert UNHCR an die Entscheidungsträgerinnen und -träger, der Ungewissheit und Unvorhersehbarkeit, die den von den De-facto-Behörden angenommenen Modalitäten für den Erlass von Dekreten innewohnt, sowie den anhaltenden Ungewissheiten hinsichtlich der Anwendbarkeit des früheren afghanischen Rechtsrahmens, das nötige Gewicht beizumessen. UNHCR vertritt die Ansicht, dass diese Umstände die Beurteilung eines künftigen Verfolgungsrisikos auf der Grundlage der derzeit verfügbaren Informationen zur Menschenrechtslage in Afghanistan besonders erschweren, insbesondere wenn es darum geht, mit der notwendigen Sicherheit abzuschätzen, ob afghanische Asylsuchende im Falle einer Rückkehr einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wären.
EUAA-Leitlinien zu Afghanistan (April 2022)
Die EUAA führt in ihren Leitfaden zu Personen, die in Verbindung zur früheren afghanischen Regierung stehen, aus, dass aufgrund der widersprüchlichen und begrenzten Informationen über die diesbezügliche Taktik der Taliban, der uneinheitlichen Ausführung der Befehle der zentralen Führung der Taliban durch die Taliban-Kämpfer und der regionalen Unterschiede nur schwer abzuschätzen ist, welche Gefahr für diese Profilgruppe besteht. Vor dem Hintergrund ihrer früheren Verfolgung und der Berichte, denen zufolge sie weiterhin ins Visier genommen werden, haben Personen, die als vorrangige Ziele der Taliban gelten, darunter Mitglieder der Justiz und Personen, die in der Vergangenheit bei Streitkräften, Polizei und Ermittlungseinheiten zentrale Positionen innehatten, grundsätzlich eine begründete Furcht vor Verfolgung.
2. Beweiswürdigung:
Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers beruhen auf seinen Angaben im Verfahren vor der belangten Behörde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Identität des Beschwerdeführers konnte mangels Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments nicht zweifelsfrei festgestellt werden.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinem Familienstand sowie zum Verbleib seiner Familie und zu seiner Muttersprache gründen sich auf die im gesamten Verfahren konsistenten und nachvollziehbaren Angaben des Beschwerdeführers, die auch von der belangten Behörde nicht in Abrede gestellt wurden; vielmehr legte die belangte Behörde diese Feststellungen ebenfalls dem angefochtenen Bescheid zugrunde.
Die Feststellungen zur Ausreise des Beschwerdeführers aus Afghanistan, zu seiner Reiseroute und zur Asylantragstellung in Österreich basieren auf seinen glaubhaften Angaben im Verfahren und dem Akteninhalt.
Die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich zweifelsfrei aus der Einsicht in das österreichische Strafregister.
Zu den Feststellungen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Im Rahmen seiner Erstbefragung am 26.07.2022 brachte der Beschwerdeführer vor, sein Vater sei ein pensionierter Oberst der Nationalarmee gewesen. Nach der Machtübernahme der Taliban hätten sie zunächst ihr Leben in Ruhe fortführen können. Dann hätten die Taliban seinen Vater getötet und dem Beschwerdeführer vorgeworfen, Spionage zu betreiben. Er habe gewusst, dass die Taliban auch ihn töten würden, weshalb er aus seiner Heimat geflüchtet sei.
In seiner anschließenden Einvernahme vor dem BFA am XXXX gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt zusammengefasst an, sein Vater – ein früherer Oberst der afghanischen Nationalarmee – sei seit sechs oder sieben Jahren pensioniert gewesen. Zwei Monate nach der Machtübernahme durch die Taliban sei sein Vater auf dem Weg in die Moschee von einem vermummten Unbekannten erschossen worden, wie ihm die Dorfbewohner berichtet hätten. Er gehe davon aus, dass die Taliban dafür verantwortlich seien. Er habe Angst gehabt, getötet zu werden, da Familienangehörige des Militärs generell gefährdet seien. Er persönlich sei aber nie bedroht worden, lediglich sein Vater sei bedroht worden. Im Falle einer Rückkehr fürchte er den Tod. Außerdem gebe es in Afghanistan keine Arbeit mehr. Er habe Afghanistan schließlich im März 2022 verlassen, um in Sicherheit zu leben.
Doch gelang es dem Beschwerdeführer mit diesem Vorbringen insgesamt nicht, eine aktuell bestehende, konkret und individuell seine Person betreffende Verfolgungsgefahr von Seiten des Taliban glaubhaft zu machen.
Zunächst ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerde zwar mehrere Kopien von Dokumenten bezüglich der beruflichen Tätigkeit seines Vaters in Vorlage brachte, welche in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 09.03.2023 durch den beigezogenen Dolmetscher übersetzt wurden. Vorgelegt wurde ein Schreiben des Innenministers der Afghanischen Islamischen Regierung vom 25.07.1974 (AS 231 des Verwaltungsaktes bzw. Beilage ./2 des Verhandlungsprotokolles) betreffend die Teilnahme am Jihad und die Verleihung des Ranges des Oberst, eine Urkunde vom 18.12.1974 (AS 232 des Verwaltungsaktes bzw. Beilage ./3 des Verhandlungsprotokolles) betreffend die Absolvierung einer „technischen Schule“ – laut dem Beschwerdeführer handle es sich dabei um eine Militärschule, was auch vom Dolmetscher nicht beanstandet wurde – im Zeitraum vom 06.03.1973 bis zum 09.12.1974 als einfacher Soldat sowie eine Ehrenurkunde (AS 233 des Verwaltungsaktes), verliehen von der provisorischen islamischen afghanischen Regierung (laut dem Dolmetscher handelt es sich dabei um die provisorische Regierung von 2002 bis 2006), auf welcher kein Datum vermerkt ist, für die Teilnahme am Jihad und dem Widerstand. Doch ist in Bezug auf die beiden erstgenannten Dokumente anzumerken, dass diese in einem inhaltlichen Widerspruch zueinander stehen, da – unter Zugrundelegung dieser – die am 25.07.1974 erfolgte Verleihung des Ranges des Oberst an den Vater des Beschwerdeführers in jenen Zeitraum vom 06.03.1973 bis zum 09.12.1974 fallen würde, in der der Vater des Beschwerdeführers die Militärschule besucht hätte, sich aus der diesbezüglichen Urkunde aber ergibt, dass der Vater die Schule im Rang eines einfachen Soldaten besucht und absolviert hätte. Ungeachtet dessen brachte der Beschwerdeführer aber auch keine weiteren Dokumente, welche eine zeitlich nachfolgende berufliche Tätigkeit des Vaters für die syrische Armee bis zu dessen Pensionierung – diese sei den Angaben des Beschwerdeführers folgend etwa 2014 oder 2015 erfolgt – belegen würde, in Vorlage.
Abgesehen davon waren aber auch die Schilderungen des Beschwerdeführers in Bezug auf die Umstände der Ermordung seines Vaters zum Teil inkonsistent. So führte der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA vom XXXX aus, sein Vater sei zwei Monate nach der Machtübernahme der Taliban getötet worden; er gehe davon aus, dass es die Taliban gewesen seien. Die Dorfbewohner hätten ihm mitgeteilt, dass ein vermummter Unbekannter auf seinen Vater geschossen hätte. Von den Bedrohungen seines Vaters habe er hingegen nichts gewusst. Während der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem BFA somit angab, lediglich zu vermuten, dass sein Vater von den Taliban ermordet worden sei, führte er in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.03.2023 – in Widerspruch dazu sowie in Steigerung seines Vorbringens – dezidiert aus, dass sein Vater von den Taliban erschossen worden sei. Die Taliban hätten seinen Vater zuvor schon telefonisch mit dem Umbringen bedroht und ihm vorgeworfen, dass er früher für die Regierung und die Armee tätig gewesen sei sowie aktuell in der talibanfeindlichen Jamiat-e-Islami-Partei aktiv sei. Er wisse, dass sein Vater von den Taliban bedroht und getötet worden sei, weil sie gesagt hätten, dass sie den Taliban angehören würden, und auch die Namen der Kommandanten erwähnt hätten. In weiterer Abweichung von seinen Angaben vor dem BFA, wonach er von den Bedrohungen seines Vaters nichts gewusst habe (vgl. S. 6 des Einvernahmeprotokolles), gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung schließlich auch an, dass er die telefonischen Bedrohungen seines Vaters persönlich mitbekommen habe (vgl. S 13 des Verhandlungsprotokolles).
Darüber hinaus ergab sich auch in Bezug auf den Zeitpunkt der Ermordung seines Vaters im Vorbringen des Beschwerdeführers ein Widerspruch. So führte der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme vor dem BFA zunächst aus, sein Vater sei auf dem Weg in die Moschee getötet worden (vgl. S. 6 des Einvernahmeprotokolles). Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab er hingegen an, dass sein Vater zum Abendgebet in der Moschee gewesen sei und erst auf dem Weg von der Moschee nach Hause erschossen worden sei (vgl. S. 9 des Verhandlungsprotokolles).
In Gesamtschau ist es daher dem Beschwerdeführer mit seinen Schilderungen – und insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer keine Dokumente vorlegen konnte, welche eine weiterführende Beschäftigung seines Vaters in der syrischen Nationalarmee bis zu dessen Pensionierung belegen könnten – nicht gelungen, den vorgebrachten Fluchtgrund glaubhaft darzulegen und eine bisher bestanden habende bzw. eine aktuell bestehende, gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr durch die Taliban glaubhaft zu machen, zumal es dem Beschwerdeführer nach der behaupteten Ermordung seines Vaters, welche sich zwei Monate nach der Machtübernahme – sohin etwa im Oktober 2021 – zugetragen habe, auch möglich gewesen wäre, sich offenbar völlig unbehelligt bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan im März oder April 2022 – somit etwa fünf oder sechs Monate – in seinem Heimatdorf aufzuhalten, ohne dass es in diesem Zeitraum zu weiteren Bedrohungen oder Repressalien im Zusammenhang mit der behaupteten vormaligen beruflichen Tätigkeit seines Vaters gekommen wäre. Zwar führte der Beschwerdeführer diesbezüglich in der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus, er habe nicht mehr oft das Haus verlassen und sich eher versteckt. Doch hielt sich der Beschwerdeführer in diesem Zeitraum offenkundig in seinem Elternhaus auf und wäre er somit für die Taliban leicht auffindbar gewesen. Schon unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Taliban über fünf bzw. sechs Monate hinweg keine Bemühungen gesetzt hätten, den Beschwerdeführer ausfindig zu machen, wäre – selbst bei hypothetischer Wahrunterstellung des Vorbringens des Beschwerdeführers – die Ernsthaftigkeit und Intensität des Interesses der Taliban an der Person des Beschwerdeführers maßgeblich in Zweifel zu ziehen. Überdies hält sich auch die Familie des Beschwerdeführers – insbesondere seine Mutter, sein Bruder und seine zwei Schwester -, mit der der Beschwerdeführer in regelmäßigen Kontakt steht, nach wie vor in ihrer Herkunftsprovinz auf und waren auch diese bislang keinen Bedrohungen durch die Taliban ausgesetzt, wie der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ausdrücklich bestätigte (vgl. S. 13 des Verhandlungsprotokolles); dass sich die Familie des Beschwerdeführers versteckt halten würde, wurde von ihm nicht behauptet und ist unter Berücksichtigung seiner Angaben, wonach sein Bruder im Dorf ein kleines Lebensmittelgeschäft betreibe, auch nicht anzunehmen.
Darüber hinaus brachte der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdeschrift erstmals vor, er selbst sei ebenfalls für die damalige afghanische Regierung tätig gewesen und habe für diese immer wieder Aufträge durchgeführt. Ihm sei aus diesem Grund von den Taliban vorgeworfen worden, Spionage zu betreiben. Gemeinsam mit der Beschwerde legte er fünf (zum Teil schwer leserliche) Arbeitsverträge zwischen ihm und einem Ministerium der afghanischen Regierung, konkret dem „Ministry of Rural Rehabilitation and Development“, bezüglich einer Tätigkeit als Ingenieur, konkret bezeichnet als „District Engineer“, betreffend die Jahre 2015 bis 2021 sowie Teilnahmebestätigungen bzw. Zertifikate, ausgestellt von dem oben genannten Ministerium, betreffend die Teilnahme und Absolvierung verschiedener Kurse in den Jahren 2017 und 2018 vor.
In Abweichung von seinen Angaben in seiner Einvernahme vor dem BFA am XXXX , wonach er niemals persönlich bedroht worden sei, brachte der in diesem Zusammenhang in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 09.03.2023 schließlich vor, nach dem Tod seines Vaters sei auch er von den Taliban telefonisch bedroht worden. Ihm sei vorgeworfen worden, ein Spion zu sein und früher für die Regierung gearbeitet zu haben. Aus diesem Grund hätten sie ihn festnehmen wollen. Er habe Angst bekommen, da er nicht getötet werden habe wollen.
In Bezug auf diesen – im Rahmen der Beschwerde erstmals vorgebrachten – Fluchtgrund ist zunächst nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer seine eigene berufliche Tätigkeit für die frühere afghanische Regierung, sollte er in diesem Zusammenhang tatsächlich eine Verfolgung befürchten, nicht bereits im Verfahren vor dem BFA vorgebracht hat, sondern sich vor der Behörde ausschließlich auf die frühere Tätigkeit seines Vaters und dessen Ermordung bezogen hat, das Vorliegen weiterer Fluchtgründe hingegen ausdrücklich verneinte. Zwar gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung an, er habe dies auch vor dem BFA gesagt und ihm sei nicht klar, weshalb seine Worte nicht protokolliert worden seien. Dieser Erklärungsversuch vermag jedoch nicht zu überzeugen, zumal der Beschwerdeführer nach erfolgter Rückübersetzung die Richtigkeit und Vollständigkeit des Protokolls zur Einvernahme vom XXXX bestätigte und dagegen keine Einwendungen erhob. Auch durch die weiteren Ausführungen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wonach der Beschwerdeführer bereits in der Erstbefragung angegeben habe, dass man ihm vorwerfe, Spionage betrieben zur haben, wird nicht hinreichend aufgeklärt, weshalb der Beschwerdeführer – sollten sich die behaupteten Bedrohungen durch die Taliban aufgrund seiner früheren Tätigkeit für die afghanische Regierung tatsächlich zugetragen haben – im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA die zweifach gestellte Frage der Behörde, ob er jemals persönlich bedroht worden sei, jeweils ausdrücklich verneinte und sogar dezidiert ausführte, dass sein Vater der Einzige gewesen sei, der bedroht worden sei, er selbst hingegen damit nichts zu tun gehabt habe (vgl. S. 6 des Einvernahmeprotokolles). Dem Beschwerdeführer ist es im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung somit nicht gelungen, nachvollziehbar darzulegen, weshalb er die behaupteten, im Zusammenhang mit seiner angegebenen Tätigkeit stehenden Befürchtungen vor einer Verfolgung durch die Taliban – so sie hypothetisch zuträfen – nicht bereits im Verfahren vor dem BFA vorgebracht hat.
Abgesehen davon gab der Beschwerdeführer gegen Ende der mündlichen Beschwerdeverhandlung schließlich an, er wisse nicht genau, warum er der Spionage bezichtigt und von den Taliban persönlich bedroht worden sei; der Grund dafür sei entweder seine eigene Arbeit oder die Arbeit seines Vaters gewesen (vgl. S. 12 f des Verhandlungsprotokolles). Dies steht jedoch im Widerspruch zu seinen vorherigen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wonach er telefonisch von den Taliban bedroht worden sei, welche ihm gesagt hätten, dass er ein Spion sei und für die Regierung tätig gewesen sei (vgl. S. 12 des Verhandlungsprotokolles). Überdies gab er auch im Rahmen der freien Schilderung seiner Fluchtgründe zunächst an, dass ihm von den Taliban vorgeworfen worden sei, ein Spion zu sein und früher für die Regierung gearbeitet zu haben (vgl. S. 9 des Verhandlungsprotokolles). Sollten sich somit die Bedrohungen durch die Taliban tatsächlich wie vom Beschwerdeführer geschildert zugetragen haben und die Taliban dem Beschwerdeführer vorgeworfen haben, für die frühere Regierung tätig gewesen zu sein, so ist nicht plausibel nachvollziehbar, warum beim Beschwerdeführer dennoch Zweifel über den Grund für die behaupteten Bedrohungen durch die Taliban bestehen würden.
Auch in diesem Zusammenhang ist es dem Beschwerdeführer daher nicht gelungen die behaupteten Bedrohungen durch die Taliban glaubhaft zu machen, wobei – wie oben bereits ausgeführt wurde – nochmals darauf hinzuweisen ist, dass es dem Beschwerdeführer auch im Anschluss an die Machtübernahme der Taliban und den behaupteten, an ihn selbst gerichteten Drohungen der Taliban möglich gewesen ist, sich für mehrere Monate in seinem Elternhaus aufzuhalten, ohne dass es zu weiteren Bedrohungen oder Repressalien gekommen wäre bzw. ohne dass der Beschwerdeführer jemals persönlich von den Taliban aufgesucht worden wäre, weshalb ein ernstliches Interesse der Taliban an der Person des Beschwerdeführers bereits aus diesem Grund maßgeblich in Zweifel zu ziehen ist.
Hinsichtlich des erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2023 vorgelegten Schreibens der Taliban (Beilage ./1 des Verhandlungsprotokolles) vom 12.07.2022, welches in der mündlichen Verhandlung durch den beigezogenen Dolmetscher übersetzt wurde und aus dem hervorgeht, dass sich der Beschwerdeführer bei der Behörde zu einer Befragung durch das Verteidigungsministerium einfinden solle, ist zunächst festzuhalten, dass nicht ersichtlich ist, warum der Beschwerdeführer dieses Schreiben nicht bereits im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA bzw. nachfolgend gemeinsam mit der Beschwerdeschrift zur Untermauerung seines Vorbringens in Vorlage brachte. Zwar führte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.03.2023 aus, dass ihm dieses Schreiben vor Kurzem von seinem Bruder per WhatsApp übermittelt worden sei. Es ist jedoch nicht plausibel nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer trotz des regelmäßigen, wöchentlichen Kontaktes zu seiner Familien in Afghanistan zum Zeitpunkt seiner Einvernahme vor dem BFA am XXXX bzw. zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung am 09.11.2022 von dem mit 12.07.2022 datierten Schreiben noch keine Kenntnis erlangt hätte und es somit weder im verwaltungsbehördlichen Verfahren noch in der Beschwerde erwähnt hätte bzw. sich auch nicht bemüht hätte, dieses Schreiben bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren zur Untermauerung seines Fluchtvorbringens vorzulegen.
Abgesehen davon ist in Bezug auf dieses Schreiben festzuhalten, dass es sich dabei um ein vorgefertigtes Formular handelt, in welches nur die Namen des Beschwerdeführers und seines Vaters handschriftlich eingefügt wurden. Wie sich aus den Länderfeststellungen sowie aus dem notorischen Wissen des Bundesverwaltungsgerichtes ergibt, wies das Personenstands- und Beurkundungswesen in Afghanistan bereits vor der Machtübernahme der Taliban gravierende Mängel auf und stellte aufgrund der Infrastruktur, der langen Kriege, der wenig ausgebildeten Behördenmitarbeiter und weitverbreiteter Korruption ein Problem dar. Von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden konnte nicht in jedem Fall ausgegangen werden. Sämtliche Urkunden und Dokumente in Afghanistan sind bzw. waren leicht und problemlos zu beschaffen und insbesondere auch gegen finanzielle Zuwendungen oder aus Gefälligkeit erhältlich. In Zusammenschau mit den oben aufgezeigten Widersprüchen bzw. Steigerungen im Vorbringen des Beschwerdeführers sowie dem Umstand, dass die Vorlage dieses Schreibens im verwaltungsbehördlichen Verfahren – obwohl der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt bereits im Besitz oder zumindest in Kenntnis des Dokumentes sein hätte müssen – nicht erfolgte, kann die Urheberschaft des nunmehr vorgelegten Schreibens daher nicht nachvollzogen werden, was auch für deren inhaltliche Richtigkeit gilt. Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass es sich um ein Gefälligkeitsschreiben unklaren Ursprungs handelt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers im nunmehrigen Beschwerdeverfahren stützen hätte sollen.
Insgesamt ist es dem Beschwerdeführer im Verfahren somit nicht gelungen, eine bisher bestanden habende bzw. eine aktuell bestehende, gezielt gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr durch die Taliban glaubhaft zu machen. Wie den oben zitierten Länderberichten zu entnehmen ist, haben die Taliban nach ihrer Machtübernahme offiziell eine weitreichende Generalamnestie für Angehörige der ehemaligen Regierung und Sicherheitskräfte angekündigt. Hochrangige Taliban, auch das Oberhaupt der Bewegung, Emir Haibatullah Akhundzada, haben die Taliban-Kämpfer wiederholt zur Einhaltung der Amnestie aufgefordert und angeordnet, von Vergeltungsmaßnahmen abzusehen. Während zielgerichtete, groß angelegte Vergeltungsmaßnahmen gegen ehemalige Angehörige der Regierung oder Sicherheitskräfte bislang nicht nachgewiesen werden konnten, wird jedoch – wie auch in der Beschwerde bzw. in der Stellungnahme vom 18.04.2023 angeführt – von willkürlichen Verhaftungen, Entführungen, gezielten Tötungen und Angriffen auf ehemalige Angehörige des Staatsapparats und der Sicherheitskräfte berichtet. Inwieweit diese Taten politisch angeordnet wurden, ist nicht zu verifizieren. Sie wurden aber durch die Taliban-Regierung trotz gegenteiliger Aussagen mindestens toleriert bzw. nicht juristisch verfolgt. Die Vereinten Nationen haben bis Mitte Februar 2022 130 Fälle geprüft und die Vorwürfe gegenüber den Taliban für begründet befunden, in denen Angehörige der ehemaligen Sicherheitskräfte und Regierung ermordet wurden. Bei rund 100 dieser Fälle handelt es sich um extralegale Hinrichtungen, die Taliban-Kräften zugeordnet werden konnten. Laut einer im April erschienenen Medienrecherche der New York Times konnten seit August 2021 ca. 500 Fälle verifiziert werden, in denen Angehörige der ehemaligen Regierung verschleppt, gefoltert oder ermordet wurden bzw. weiterhin verschwunden sind. UNHCR geht davon aus, dass ehemalige Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte einen erhöhten Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz haben (siehe den oben zitierten Bericht von UNHCR). Auch die EUAA geht davon aus, dass für Personen, die in der Vergangenheit bei Streitkräften, Polizei und Ermittlungseinheiten zentrale Positionen innehatten, grundsätzlich eine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (siehe den oben zitierten Bericht der EUAA). Unter Zugrundelegung der aktuellen Länderberichte wäre die behauptete Tätigkeit des Vaters des Beschwerdeführers für die afghanische Nationalarmee bzw. seine behauptete eigene Tätigkeit für die syrische Regierung – so sie hypothetisch zuträfen – daher zwar grundsätzlich dazu geeignet, die Möglichkeit einer erhöhten Gefährdungslage bzw. eines Verfolgungsrisikos für den Beschwerdeführer zu begründen. Ein aktuell tatsächlich vorliegendes erhöhtes Verfolgungsrisiko ist jedoch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich der Beschwerdeführer – ausgehend von seinen Angaben – nach der Machtübernahme der Taliban und im Anschluss an die behauptete Ermordung seines Vaters über mehrere Monate hinweg – abgesehen von der angeführten telefonischen Bedrohung – völlig unbehelligt in seinem Elternhaus aufhalten hätte können, ohne dass es zu weiteren Bedrohungen oder Repressalien gekommen wäre und ohne dass die Taliban den Beschwerdeführer persönlich aufgesucht hätten, nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Abgesehen davon ist es auch der Familie des Beschwerdeführers, insbesondere auch seinem Bruder, möglich, sich ohne Probleme in der Herkunftsprovinz aufzuhalten, zumal solche vom Beschwerdeführer ausdrücklich verneint wurden. Vor dem Hintergrund, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, ein aktuell bestehendes, tatsächliches Interesse der Taliban an seiner Person glaubhaft zu machen, gehen schließlich auch die Ausführungen in der Stellungnahme vom 18.04.2023, wonach die Taliban Zugriff auf Mitarbeiterlisten der Behörden bzw. Gehaltsabrechnungssysteme hätten, ins Leere.
In Bezug auf das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 18.04.2023, wonach ihm aufgrund seiner Flucht umso mehr eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde, ist festzuhalten, dass sich im Hinblick auf die vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Rückkehrern in Afghanistan derzeit keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben haben, dass alle Rückkehrer aus Europa gleichermaßen bloß auf Grund ihrer Eigenschaft als Rückkehrer aus dem „Westen“ und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, konkreter und individueller physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein. Hinsichtlich des jungen und männlichen Beschwerdeführers, der der größten Ethnie und der Mehrheitsreligion Afghanistans angehört, sind keine konkreten oder individuellen, risikoerhöhenden Eigenschaften hervorgekommen und wurden solche auch durch das diesbezüglich lediglich allgemein gehaltene Vorbringen in der Stellungnahme vom 18.04.2023 nicht ausreichend substantiiert dargetan. Überdies ist eine erhöhte Gefährdungslage auch nicht aus dem – als unglaubwürdig erachteten – Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers abzuleiten. Zwar ist den dem gegenständlichen Erkenntnis zugrundeliegenden Länderfeststellungen zu entnehmen, dass Rückkehrer aus Europa häufig misstrauisch wahrgenommen werden, es ist derzeit daraus jedoch nicht das Bestehen einer im gegenständlichen Fall konkret drohenden Verfolgungsgefahr ersichtlich. Dabei wird auch nicht verkannt, dass es zu Diskriminierungen und zu unmittelbaren Bedrohungen von Rückkehrenden kommen kann und es Berichte über Personen gibt, die aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückkehrten und bedroht, gefoltert oder getötet wurden, etwa weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen gemacht hätten. Doch ist daraus nicht zu schließen, dass jeder Rückkehrer aus Europa generell von Gewalt und Bedrohungen betroffen wäre und legte der Beschwerdeführer auch nicht substantiiert und glaubhaft dar, weshalb er sich im Fall einer Rückkehr in einer besonders exponierten Stellung befinden würde. Zwar sind zum aktuellen Zeitpunkt noch keine validen Informationen über den Umgang der Taliban mit Rückkehrenden bekannt; derzeit ist aber nicht zu erkennen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan als Rückkehrer aus Europa mit einer über die bloße Möglichkeit hinausgehenden Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt ist, aus diesem Grund physische oder psychische Gewalt zu erleiden.
Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Einzelrichterzuständigkeit ergibt sich aus § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 87/2021 (BVwGG), wonach das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter entscheidet, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Zu A)
Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 27.01.2000, 99/20/0519). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2003, 99/01/0256 mwN).
Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, d.h. er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan nicht glaubhaft machen habe können. Mit dieser Beurteilung ist die belangte Behörde im Ergebnis im Recht:
Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, kommt dem Vorbringen des Beschwerdeführers, ihm drohe bei einer Rückkehr nach Afghanistan konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt von Seiten der Taliban aufgrund der behaupteten Tätigkeit seines Vaters für die vormalige afghanische Nationalarmee bzw. seiner eigenen behaupteten Tätigkeit für die afghanische Regierung, keine Glaubhaftigkeit zu. Dem Beschwerdeführer ist es deshalb insoweit nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität glaubhaft zu machen.
In Ermangelung von dem Beschwerdeführer individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen, ob er im Herkunftsland aufgrund generalisierender Merkmale unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre. Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048, mit Verweis auf VfGH 18.09.2015, E 736/2014).
Der volljährige Beschwerdeführer ist Angehöriger der größten Volksgruppe und der Mehrheitsreligion Afghanistans. Anhaltspunkte für eine Gruppenverfolgung sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
Hinsichtlich einer Gruppenverfolgung von Rückkehrenden ist auszuführen, dass sich – wie oben bereits dargelegt – im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Rückkehrenden in Afghanistan keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben haben, dass alle Rückkehrenden gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals als Rückkehrer und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-) Verfolgung ausgesetzt zu sein. Allfällige Diskriminierungen und Ausgrenzungen erreichen nicht jenes Ausmaß, das erforderlich wäre, um eine spezifische Verfolgung aller afghanischen Staatsangehörigen, die mehrere Jahre in Europa verbracht haben, für gegeben zu erachten.
Auch die Durchsicht der aktuellen Länderberichte zur Herkunftsregion des Beschwerdeführers erlaubt es nicht anzunehmen, dass gegenständlich sonstige mögliche Gründe für die Befürchtung einer entsprechenden Verfolgungsgefahr vorliegen.
Da sich somit auch sonst keine konkrete gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung in seinem Heimatstaat ableiten ließ, war im Ergebnis die Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
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