Der Oberste Patent- und Markensenat hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Peter NIEDERREITER, die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dr. Gerhard PRÜCKNER und Mag. Wolfgang BONT als rechtskundige Mitglieder sowie die Räte des Obersten Patent- und Markensenates Dipl.-Ing. Ferdinand KOSKARTI und Dipl.-Ing. Johannes MESA-PASCASIO als fachtechnische Mitglieder in der Gebrauchsmusterrechtssache der Antragstellerin Firma B ***** G m b H , ***** vertreten durch Anzböck Brait Rechtsanwälte GmbH, Stiegengasse 8, 3430 Tulln, wider die Antragsgegnerin Firma A ***** G e s . m . b . H . , ***** vertreten durch Patentanwalt Dipl.-Ing. Andreas RIPPEL, Rechtsanwalt Dipl.-Ing. Mag. Andreas O. RIPPEL, Maxingstraße 34, 1130 Wien, wegen Nichtigerklärung des Gebrauchsmusters Nr 8 179 über die Berufung der Antragsgegnerin gegen die Endentscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamtes vom 10. Oktober 2008, Zl NGM 5/2006 entschieden:
Der Berufung der Antragsgegnerin wird nicht Folge gegeben.
Die Antragsgegnerin ist schuldig, der Antragstellerin die mit EUR 3.319,08 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (hierin enthalten EUR 544,38 Umsatzsteuer und EUR 52,80 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
G r ü n d e :
Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des am 20. Oktober 2003 angemeldeten Gebrauchsmusters AT 008 179 U1, dessen Ansprüche wie folgt lauten:
1. Wärmedämmplatte aus expandiertem Polystyrol-Partikelschaumstoff (EPS), insbesondere für eine Fassadendämmung, dadurch gekennzeichnet, dass die Wärmedämmplatte helles und dunkles EPS-Material enthält und eine marmorierte bzw gesprenkelte Oberfläche besitzt.
2. Verwendung einer Wärmedämmplatte nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass sie mit einem Kleber, einer Armierung sowie einer Putzschicht verbunden wird, wobei sie mit diesen Materialien wegen ihrer Struktur besonders gute Hafteigenschaften hat.
3. Verfahren zur Herstellung einer Wärmedämmplatte nach Anspruch 1 unter Verwendung einer Blockform, dadurch gekennzeichnet, dass unterschiedlich farbige EPS-Materialien mit unterschiedlichen Dämmeigenschaften in vorgeschäumter Form in die Blockform eingebracht und vermischt, und dadurch die Struktur der Platte erreicht wird.
4. Wärmedämmplatten nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die einen Wärmedurchgangswiderstand λ 0,035W/mK besitzt.
Die Antragstellerin beantragte am 2. August 2006 die Nichtigerklärung dieses Gebrauchsmusters wegen mangelnder Neuheit und Erfindungshöhe zunächst mit der Begründung, sie sei selber Produzentin von Dämmplatten unterschiedlicher Farbe. Bei der Produktion käme es zu einer Durchmischung bzw zu gegenseitigen Farbeinschlüssen der unterschiedlich gefärbten Materialien, da bei aufeinanderfolgender Produktion unterschiedlich gefärbter Platten Fremdmaterialreste zumindest in den Zuleitungen verblieben. Unterschiedlich gefärbte Platten würden seit ca 6 Jahren produziert; somit gehörten Dämmplatten, die helles und dunkles Material enthielten, bereits seit langem zum Stand der Technik. Auch fehle die Qualität der Erfindung für diesen Gegenstand, da es sich beim erzielten Effekt ja lediglich um das Ergebnis einer parallel laufenden Produktionen handle, eine produktionstechnische Konsequenz, die keiner erfinderischen Tätigkeit bedurft habe.
Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Nichtigkeitsantrages. Ein Gebrauchsmuster erfordere lediglich einen erfinderischen Schritt von geringerer Erfindungsqualität als ein Patent. Das Europäische Patentamt habe ein gleichlautendes, nur anderes formuliertes Schutzbegehren sogar patentiert.
Nach Vorlage der europäischen Patentschrift EP 1 587 860 B1 durch die Antragsgegnerin stützte die Antragstellerin ihren Nichtigkeitsantrag in der mündlichen Verhandlung vom 8. Oktober 2008 auch auf die international veröffentlichte Anmeldung WO 2004/065468 A1 des genannten europäischen Patents (veröffentlicht am 5. August 2004), das „genau den Streitgegenstand“ beschreibe. Es liege ein in Österreich gültiges, prioritätsälteres Schutzrecht vor, das „entsprechende Dämmplatten zeige“.
Die Antragsgegnerin replizierte, dass die Merkmale des Anspruches 1 aus der WO-Schrift nicht explizit herauszulesen seien, die Ansprüche 2 bis 4 seien nicht getroffen. Letztere seien von der Antragstellerin auch gar nicht angegriffen worden.
Daraufhin erstattete die Antragstellerin in der Verhandlung ein Sachvorbringen zu den Ansprüchen 2 bis 4 und beantragte, das Gebrauchsmuster in vollem Umfang für nicht zu erklären.
Mit der angefochtenen Entscheidung gab die Nichtigkeitsabteilung dem Nichtigkeitsantrag statt und erklärte das Gebrauchsmuster Nr 8 179 für nichtig.
Die Nichtigkeitsabteilung stellte zunächst die im Berufungsverfahren nicht strittige Priorität des europäischen Patents aufgrund des Anmeldetags 2. Oktober 2003 und weiters den Umstand fest, dass die Patentschrift den für die Prüfung der Neuheit der Erfindung maßgeblichen Stand der Technik darstelle (§ 3 Abs 2 Z 4 GMG).
Die WO-Veröffentlichung betreffe einen dämmenden geschäumten Werkstoff, der aus expandierbaren Styrolpolymerisatpatikeln gebildet sei, und sei gemäß Anspruch 1 dadurch gekennzeichnet, dass er aus pigmententhaltenden und pigmentfreien Styrolpolymerisatpartikel gebildet sei. Damit solle im Wesentlichen der Vorteil von dunklen Platten ohne deren Nachteile erreicht werden.
Eine Gegenüberstellung des Gebrauchsmustergegenstands mit dem Inhalt der WO-Veröffentlichung ergebe folgendes Bild:
Anspruch 1 des angegriffenen Gebrauchsmusters:
„Wärmedämmplatte aus expandiertem Polystyrol-Partikelschaumstoff (EPS), insbesondere für eine Fassadendämmung, dadurch gekennzeichnet, dass die Wärmedämmplatte helles und dunkles EPS-Material enthält und eine marmorierte bzw gesprenkelte Oberfläche besitzt“.
Auch die Figur 2 der WO-Veröffentlichung abgebildete Platte zeige eine Wärmedämmplatte, wie sie Anspruch 1 des Streitgebrauchsmusters darstelle.
Somit sei Anspruch 1 vollständig vorweggenommen.
Anspruch 2 des angegriffenen Gebrauchsmusters:
„Verwendung einer Wärmedämmplatte nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass sie mit einem Kleber, einer Armierung sowie einer Putzschicht verbunden wird, wobei sie mit diesen Materialen wegen ihrer Struktur besonders gute Hafteigenschaften hat.“
Somit sei auch Anspruch 2 des angegriffenen Gebrauchsmusters vollständig vorweggenommen.
Anspruch 3 des angegriffenen Gebrauchsmusters:
„Verfahren zur Herstellung einer Wärmedämmplatte nach Anspruch 1 unter Verwendung einer Blockform, dadurch gekennzeichnet, dass unterschiedlich farbige EPS-Materialen mit unterschiedlichen Dämmeigenschaften in vorgeschäumter Form in die Blockform eingebracht und vermischt werden, und dadurch die Struktur der Platte erreicht wird.“
Auch Anspruch 3 des angegriffenen Gebrauchsmusters sei in der WO-Schrift vollständig enthalten.
Anspruch 4 des angegriffenen Gebrauchsmusters:
„Wärmedämmplatte nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass sie einen Wärmedurchgangswiderstand λ 0,035W/mK besitzt“.
Damit sei auch der Anspruch 4 des angegriffenen Gebrauchsmusters von der genannten WO-Schrift vollständig vorweggenommen.
Die prioritätsältere europäische Patentmeldung treffe das gesamte Schutzbegehren des belangten Gebrauchsmusters vollständig neuheitsschädlich. Es fehle an der notwendigen Neuheit im Sinne der §§ 1 und 3 GMG.
Mit ihrer Berufung beantragt die Antragsgegnerin die Abänderung der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung dahin, dass der Nichtigkeitsantrag abgewiesen werde.
Die Antragstellerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
I.1. Dem neuerlich vorgetragenen Argument der Berufungswerberin, die Antragstellerin habe lediglich den Anspruch 1 des Gebrauchsmusters angegriffen ist das schon erwähnte Vorbringen der Antragstellerin in der Verhandlung vom 8. Oktober 2008 entgegenzuhalten.
2. Entgegen dem Berufungsvorbringen wurde die WO-Veröffentlichung auch nicht „ausschließlich von der Nichtigkeitsabteilung in das Verfahren eingebracht“, war es doch die Antragsgegnerin selbst, die das europäische Patent zum Nachweis der Erfindungshöhe ihres Gebrauchsmusters ins Treffen führte. Gemäß § 3 Abs 2 Z 4 GMG gilt als Stand der Technik auch der Inhalt prioritätsälterer europäischer Patentanmeldungen im Sinne des § 1 Z 4 des Patentverträge-Einführungsgesetzes, sofern die Voraussetzungen des Artikels 79 Abs 2 des Europäischen Patentübereinkommens, BGBl Nr 350/1979, oder, wenn die europäische Patentanmeldung aus einer internationalen Anmeldung hervorgegangen ist, des Artikels 158 Abs 2 des Europäischen Patentübereinkommens erfüllt sind, in der ursprünglich eingereichten Fassung, deren Inhalt erst am Prioritätstag der jüngeren Anmeldung oder danach amtlich veröffentlicht worden ist. Bei der Beurteilung der Frage, ob sich die Erfindung für den Fachmann nicht in nahe liegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, werden solche prioritätsälteren Anmeldungen nicht in Betracht gezogen.
Daraus folgt hier, dass die ursprünglich eingereichte Fassung der EP 1 587 860 B1, welche von der Gebrauchsmusterinhaberin im Nichtigkeitsverfahren zitiert wurde, die WO 2004/065468 A1 darstellt. Durch die Benennung Österreichs (AT) ist die Bedingung nach § 1 Z 4 des Patentverträge-Einführungsgesetzes erfüllt und die Erfüllung des Artikel 158 Abs 2 des Europäischen Patentübereinkommens ergibt sich durch die Eintragung in das österreichische Patentregister mit der Nummer E 348 854.
Die WO 2004/065468 A1 weist ein Anmeldedatum vom 2. Oktober 2003 auf. Das angefochtene Gebrauchsmuster hat keine gesonderte Priorität. Das Anmeldedatum ist der 20. Oktober 2003. Somit ist die WO-Schrift als Stand der Technik zur Beurteilung der Neuheit heranzuziehen. Die Nichtigkeitsabteilung hat daher nicht selbstständig recherchiert, sondern lediglich die ursprünglich eingereichte Fassung der EP-B1 ermittelt.
II. Zu den Berufungsargumenten, das Gebrauchsmuster sei durch das europäische Patent nicht neuheitsschädlich getroffen ist Folgendes auszuführen:
1. Zum Anspruch 1:
Die WO-A1 offenbart ein plattenförmiges Wärmedämmmaterial, welches aus expandierbaren Styrolpolymerisatpartikel gebildet ist (siehe Seite 1 der Beschreibung). In einer bevorzugten Ausführungsvariante beinhalten diese Wärmedämmplatten je einen ca 50 Gew.%igen Anteil an pigmentierten und einen ca ebenso hohen Anteil an pigmentfreien Styrolpolymerisatpartikeln (siehe Seite 4, Zeilen 30 bis 33). Als Pigmente kommen unter anderem Russ und/oder Graphit in Frage (siehe Seite 5, Zeilen 1 und 2). Diese Partikel können unregelmäßig (siehe Begriff „Dalmatiner“ auf Seite 7, Zeile 26) oder in Form eines Musters in der Wärmedämmplatte angeordnet sein. Das unregelmäßige Muster ist auch der Figur 2 zu entnehmen. Das fakultative Merkmal der Fassadendämmung ist auch der Seite 3, Zeilen 19 bis 24 zu entnehmen, welche angibt, dass diese Wärmedämmplatten zur Wärmedämmung an Gebäuden Verwendung finden. Weiters wird angeführt, dass ein
bekannter Nachteil der herkömmlichen voll pigmentierten Dämmplatten die Rissbildung an den Stoßstellen der Dämmplatten an Außenfassaden ist. Somit ist klar erkenntlich, dass diese Wärmedämmplatte auch für Außenfassaden Anwendung findet. Der Gegenstand nach Anspruch 1 ist somit vollinhaltlich und neuheitsschädlich in der WO-A1 geoffenbart.
2. Zum Anspruch 2:
Wie schon zu Anspruch 1 ausgeführt ist es unter anderem die Aufgabe der Erfindung der WO-A1, Rissbildungen des Armierputzes an den Stoßstellen der Wärmedämmplatten zu vermeiden (siehe Seite 3, Zeilen 19 bis 24 und die Zeilen 26 bis 35). Das bedeutet, dass die Wärmedämmplatten mit einer Armierung und einer Putzschicht verwendet werden. Der Kleber aus Anspruch 2 ist zwar explizit nicht angeführt, doch ist bei der Aufbringung der Armierung ein Kleber notwendig, da die Armierung aus einem dünnen Fasergitter besteht, welche an den Wärmedämmplatten vollflächig fixiert und verbunden werden muss. Somit kann ein technisches Merkmal als implizit gegeben und damit als geoffenbart betrachtet werden, selbst wenn der Aufbau einer Vorrichtung oder die Verfahrensschritte eines Verfahrens nicht bis ins kleinste Detail vorgegeben sind, der ungenannte Zwischenschritt bzw das ungenannte Merkmal sich aber zwingend aus den genannten Verfahrensschritten oder Merkmalen in exakt dem erforderlichen Zwischenschritt oder Merkmal in selbstverständlicher Weise ergibt. Das Merkmal des Klebers ist so mit implizit geoffenbart und die Verwendung der Wärmedämmplatte nach Anspruch 2 des angefochtenen Gebrauchsmusters nicht neu.
3. Zum Anspruch 3:
Die Herstellung der Wärmedämmplatten erfolgt in Formen zu größeren Blöcken (siehe Seite 2, Zeilen 5 bis 13). Dass die Partikel auch vorexpandiert sein können, findet sich auf Seite 1, Zeile 32 und Seite 7, Zeile 19 der WO-A1 Schrift. Eine Vermischung ist zwingend notwendig, da auf Seite 7, Zeilen 19 bis 24 angegeben ist, dass die Herstellung des Werkstoffes zu gleichen Teilen aus vorexpandierten unpigmentierten Partikel erfolgt. Die unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften der Partikel finden sich auf Seite 7, Zeile 32 bis Seite 8, Zeile 2. Das Verfahren nach Anspruch 3 ist somit vollinhaltlich bzw neuheitsschädlich in der WO-A1 geoffenbart.
4. Zum Anspruch 4:
Die Wärmeleitfähigkeit der in der WO-A1 geoffenbarten Wärmedämmplatten liegt in einer Ausführungsvariante bei 32,8 mW/mK (siehe dazu Seite 7, Zeilen 26 bis 30). Dass in dem angefochtenen Gebrauchsmuster vom Wärmedurchgangswiderstand gesprochen wird, deutet auf eine fälschliche Verwendung des Begriffs hin. Aufgrund der Einheit und des verwendeten griechischen Symbols ist für die Fachperson klar, dass es sich hier um die Wärmeleitfähigkeit handelt. Der Gegenstand nach Anspruch 4 ist somit vollinhaltlich bzw neuheitsschädlich in der WO-A1 geoffenbart.
Aus den dargelegten Gründen war der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 37 Abs 4 GMG iVm §§ 122 und 140 Abs 1 PatG sowie §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Entgegen dem Kostenverzeichnis war die verzeichnete ERV-gebühr mangels ERV-einbringung nicht zuzusprechen.
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