Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch Mag. Weixelbraun (Vorsitz), Mag. a Klenk und Mag. Einberger in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren **, Isolierer, **, vertreten durch Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, wider die beklagte Partei B* AG , FN **, **, vertreten durch Dr. Matthias Bacher, Rechtsanwalt in Wien, wegen zuletzt EUR 31.208,80, über den Rekurs der beklagten Partei gegen die im Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28.8.2025, **-18, enthaltene Kostenentscheidung (Rekursinteresse EUR 6.192,30), in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben .
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 502,70 (darin EUR 83,78 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig .
Begründung
Der Kläger stürzte am 4.1.2023 und verletzte sich dabei am rechten Knie.
Zwischen den Parteien bestand ein aufrechter Unfallversicherungsvertrag.
Art 21.3 der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden ** Bedingungen für die Unfallversicherung 2012 (** Fassung 02/2016) sieht vor, dass für den Fall, dass Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt haben, im Fall einer Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrads, ansonsten die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens, zu vermindern ist, wenn dieser Anteil mindestens 25 % beträgt.
Der Kläger begehrte aufgrund einer Invalidität von 20 % des Beinwerts (70 %), sohin einer Gesamtinvalidität von 14 %, die Versicherungsleistung von zunächst EUR 33.987,80, zunächst auf Basis einer Versicherungssumme von EUR 242.770. In der vorbereitenden Tagsatzung am 14.3.2025 schränkte er das Klagebegehren – ausgehend von einer Versicherungssumme von EUR 222.920 – auf EUR 31.208,80 ein. Eine degenerative Vorerkrankung liege nicht vor. Außerdem sei Art 21.3 der Bedingungen so zu verstehen, dass Kürzungen nur bei abnützungsbedingten Gebrechen oder Vorschäden vorzunehmen seien.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren im Wesentlichen mit der Begründung, dass die Einschränkung des Klägers mit einer Minderung des Beinwerts von 20 % einzuschätzen, jedoch zu 80 % auf eine anlagebedingte Störung des Kniescheiben-Oberschenkel-Gelenks zurückzuführen sei.
Das Erstgericht gab mit dem nur im Kostenpunkt angefochtenen Urteil dem Zahlungsbegehren mit EUR 21.846,16 statt und wies das Zahlungsmehrbegehren von EUR 9.362,64 ab. Demnach litt der Kläger zum Unfallszeitpunkt an einer anlagebedingten Vorerkrankung – nämlich an einer Störung des Kniescheiben-Oberschenkel-Gelenks -, die für den Eintritt und das Ausmaß der am 4.1.2023 erlittenen Knieverletzung zu 30 % mitursächlich war.
Gleichzeitig verpflichtete das Erstgericht die Beklagte zu einem Kostenersatz von EUR 13.738,70 (darin EUR 5.642 Barauslagen und EUR 1.349,45 USt) und gründete die Kostenentscheidung auf § 43 Abs 2 Fall 2 ZPO. Der Kläger habe im ersten Verfahrensabschnitt mit rund 64 % und im zweiten Verfahrensabschnitt mit rund 70 % obsiegt. Der Beklagten sei der Ersatz der gesamten Kosten des Klägers (auf Basis des ersiegten Betrags) aufzuerlegen, weil der Betrag der Klagsforderung von der Ausmittlung durch Sachverständige abhängig gewesen sei. Auch die zum Zeitpunkt der Klagseinbringung angenommene höhere Versicherungssumme hindere nicht die Anwendung der Kostenprivilegierung, zumal es sich lediglich um eine geringfügige Abweichung gehandelt habe.
Gegen diese Kostenentscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn eines Kostenzuspruchs an den Kläger von EUR 7.546,40 .
Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist nicht berechtigt .
1. Die Beklagte bringt vor, das Kostenprivileg gemäß § 43 Abs 2 ZPO sei nicht anzuwenden. Die teilweise Abweisung des Klagebegehrens sei erfolgt, weil das Gericht dem Einwand der Beklagten gefolgt sei, dass sich der Kläger auf seine Beinwertminderung von 20 % wegen anlagebedingter Schäden einen Abzug von 30 % gefallen lassen müsse. Art 21.3 der Bedingungen regle nicht die Anspruchshöhe, sondern den Anspruchsgrund. Sobald bestehende Krankheiten oder Gebrechen an einer unfallskausalen Gesundheitsschädigung mitgewirkt hätten, entfalle nämlich ein entsprechender Anspruch. Insofern habe jene Klausel einen Versicherungsausschluss bzw eine Anspruchsvernichtung dem Grunde nach zum Gegenstand. Der Kostenentscheidung sei daher § 43 Abs 1 ZPO zugrunde zu legen.
2. Gemäß § 43 Abs 2 ZPO kann das Gericht auch bei einem nur teilweisen Obsiegen des Klägers dem Beklagten den Ersatz der gesamten dem Kläger entstandenen Kosten auferlegen, wenn der Betrag der vom Kläger erhobenen Forderung von der Feststellung durch richterliches Ermessen, von der Ausmittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Abrechnung abhängig war. Das betrifft die Fälle, in denen es dem Kläger kaum möglich war, die Höhe der bestehenden Forderung einigermaßen exakt festzustellen. Würde er hier durch übergroße Vorsicht einen zu geringen Betrag einklagen, riskierte er, seinen darüber hinausgehenden Anspruch, der ihm in Wahrheit auch zusteht, zu verlieren ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 § 43 ZPO Rz 18). Voraussetzung der Privilegierung des Klägers nach § 43 Abs 2 zweiter Fall ZPO ist, dass allein die ziffernmäßige Höhe des Anspruchs vom Sachverständigen oder vom Gericht ausgemittelt werden musste. Sie kommt nicht in Betracht, wenn der Kläger dem Grunde nach teilweise unterlegen ist (RS0035998; RW0001024; Obermaier , Kostenhandbuch 4 Rz 1.156).
3.1 Obermaier (Kostenhandbuch 4 Rz 1.171) führt unter Verweis auf Entscheidungen der Oberlandesgerichte Innsbruck und Linz und des Landesgerichts Linz aus, dass ein Teilunterliegen bei Ansprüchen aus der privaten Unfallversicherung wegen einer strittigen Vorinvalidität (wegen Fehlens der Kausalität des Unfalls) ein kostenschädliches Unterliegen dem Grunde nach sei.
3.2 Das Oberlandesgericht Graz hingegen geht unter Verweis auf 7 Ob 47/13g davon aus, dass die Kürzung des Invaliditätsgrads bei einer Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen nur die Höhe des Anspruches betrifft (OLG Graz 5 R 192/14s [unveröff]).
3.3 In der Entscheidung 7 Ob 47/13g ordnet der Oberste Gerichtshof die Einschätzung des Invaliditätsgrads in der Unfallversicherung der Höhe des Klagebegehrens zu und wendet § 43 Abs 2 ZPO an, weil diese von der Beurteilung einiger medizinischer Fragen abhänge.
4. Dieser Ansicht ist zu folgen:
4.1 Die hier in Rede stehende Bestimmung der zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen beinhaltet eine Regelung zur Leistungskürzung bei mitwirkenden Ursachen. Haben Krankheiten oder Gebrechen, die schon vor dem Unfall bestanden, bei der durch ein Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt, ist im Fall der Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades, ansonsten die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens zu vermindern (7 Ob 3/24b [14] zu wortgleichen AVB).
Die Bestimmung sieht eine sachliche Begrenzung des Versicherungsschutzes insofern vor, als eine Versicherungsleistung nur für die durch den eingetretenen Unfall hervorgerufenen Folgen zu erbringen ist, der Versicherer also nur für die Folgen einzutreten hat, für die der Unfall (allein) kausal ist (RS0119520). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer versteht diese Regelung so, dass unfallfremde Krankheiten oder Gebrechen grundsätzlich zu seinen Lasten gehen, nämlich zu einer Kürzung eines Anspruchs oder zu einem Abzug von der Gesamtinvalidität führen (vgl 7 Ob 103/15w [Erw 3.2] mwN). Aus der Klausel folgt für den Versicherungsnehmer klar, dass der Unfallversicherer keinen Versicherungsschutz für unfallfremde Ursachen von Gesundheitsschädigungen wie Krankheiten oder konstitutionell oder schicksalhaft bedingte gesundheitliche Anomalien bietet.
Abgestellt wird allein auf die Mitwirkung der Krankheiten oder Gebrechen auf die Unfallfolgen, nicht darauf, ob beim Unfallereignis selbst Vorerkrankungen mitgewirkt haben (7 Ob 201/24w [26]).
Die Frage des Anteils eines Gebrechens oder einer Krankheit an den Unfallfolgen ist eine - in aller Regel nur mit Hilfe eines ärztlichen Gutachtens zu lösende - Tatfrage (7 Ob 103/15w [Erw 3.5.2.]; RS0119522).
4.2 Zusammengefasst mindern also bestehende Vorerkrankungen oder Vorgebrechen, die auf die Unfallfolgen mitgewirkt haben, die Höhe der zustehenden Invaliditätsleistung in dem Ausmaß, in dem sie an den Unfallfolgen mitgewirkt haben.
4.3 Der von der Beklagten vertretenen Ansicht, Art 21.3 regle den Anspruchsgrund, weil in dem Umfang, in dem die Vorerkrankung oder das Vorgebrechen an den Unfallfolgen mitgewirkt habe, eine Invaliditätsleistung dem Grunde nach nicht zustehe, ist nicht zu folgen. In dieser Klausel ist nämlich kein Ausschluss vom Versicherungsschutz, sondern lediglich eine sachliche Begrenzung desselben geregelt.
4.4 Auch der von Obermaier (aaO) unter Verweis auf Entscheidungen der Oberlandesgerichte Innsbruck und Linz und des Landesgerichts Linz vertretenen Ansicht, dass ein Teilunterliegen bei Ansprüchen aus der privaten Unfallversicherung wegen einer strittigen Vorinvalidität (wegen Fehlens der Kausalität des Unfalls) ein kostenschädliches Unterliegen dem Grunde nach sei, kann in dieser Verallgemeinerung nicht gefolgt werden.
In der zitierten (unveröffentlichten) Entscheidung 4 R 133/22i des Oberlandesgerichts Linz etwa erfolgte die Teilabweisung, weil der Einschätzung der unfallkausalen Teilinvalidität durch den dortigen Kläger letztlich nicht als unfallkausal bewertete Verletzungen bzw Funktionsdefizite (Bandscheibenvorfall) zugrunde gelegt wurden; der Grad der Dauerinvalidität wurde auf drei Gebrechen bzw Erkrankungen gestützt, von denen letztlich lediglich eine unfallkausal war. Im Anlassfall hingegen war der Mitwirkungsgrad einer bestehenden Erkrankung an der Unfallfolge zu beurteilen.
4.5 Vor dem Hintergrund, dass die Ratio des § 43 Abs 2 ZPO ist, dem Kläger die mit der Bezifferung des Klagebegehrens verbundenen Schwierigkeiten abzunehmen (RS0122016), sowie dass die Quantifizierung des Mitwirkungsanteils von bereits vor dem Unfall bestehenden Gebrechen oder Krankheiten an den Unfallfolgen rein nach medizinischen Gesichtspunkten erfolgt (7 Ob 103/15w [Erw 3.5.2.]) und daher nur an Hand der Beantwortung medizinischer Fragen durch einen Sachverständigen geklärt werden kann, ist die Anwendung des Kostenprivilegs nach Ansicht des Rekurssenats in diesem Zusammenhang gerechtfertigt.
5. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 528 Abs 2 Z 3 ZPO.
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