Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Richterin Dr. Vetter als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Marchart und Dr. Bahr als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über dessen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft Krems an der Donau wegen Nichtigkeit gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 9. Juli 2025, GZ **-11.2, gemäß §§ 470 Z 3, 489 Abs 1 StPO nichtöffentlich zu Recht erkannt:
Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit seiner Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe wird der Angeklagte auf die Kassation verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der sich derzeit in Strafhaft in der Justizanstalt Krems an der Donau befindliche A* des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB und der Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 (ergänze: Abs 1) StGB nach dem zweiten Strafsatz des § 297 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwanzig Monaten verurteilt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruches hat A* in **
I. am 18. März 2025 B* gefährlich mit zumindest einer Verletzung am Körper bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er sinngemäß zu ihm sagte, dass er zehn Jahre in Haft sei und der Genannte ab jetzt mit Schwierigkeiten zu rechnen habe und er Personen außerhalb der Justizanstalt kenne, die in der Lage sind, den Genannten und seine Familie ausfindig zu machen;
II. am 9. Juli 2025 nachstehende Personen dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er im Zuge seiner Vernehmung vor Gericht und der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung vom 9. Juli 2025 zu ** nachfolgendes behauptet hat, wobei er wusste, dass die jeweiligen Verdächtigungen falsch sind, und zwar
A. JWB C* habe ihn mit der flachen Hand einmal links und zwei Mal rechts auf den Kinnbereich geschlagen, somit JWB C* einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 StGB falsch verdächtigt;
B. JWB B* habe bei der zu II.A. genannten Tat zugesehen und den Vorfall nicht gemeldet, somit JWB B* einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 StGB falsch verdächtigt;
C. C* und B* hätten als Zeugen bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache nach der Strafprozessordnung falsch ausgesagt, sohin beide JWB des Vergehens der falschen Beweisaussage falsch verdächtigt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitige, im Zweifel mit umfassendem Anfechtungsziel angemeldete (ON 12) und zu ON 16.2 ausgeführte Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe sowie jene zu ON 1.9 angemeldete und zu ON 14 ausgeführte wegen Nichtigkeit der Staatsanwaltschaft.
Bereits die zunächst zu behandelnde (zur Reihenfolge der Behandlung der Berufungspunkte vgl Ratz , WKStPO § 476 Rz 9), einen Verstoß gegen den Verteidigerzwang des § 61 Abs 1 Z 5 StPO rügende Berufung wegen Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 1a StPO der Staatsanwaltschaft ist im Recht.
Vorauszuschicken ist, dass dem Angeklagten mit Strafantrag der Staatsanwaltschaft Krems an der Donau vom 10. Juni 2025 (ON 5) lediglich das Vergehen der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs 1 StGB zur Last gelegt wurde. Nach Belastung der beiden Justizwachebeamten im im Spruch zu II. ersichtlichen Sinne in der Hauptverhandlung vom 9. Juli 2025 (ON 11.1 S 2 ff), dehnte jedoch der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft den Strafantrag gegen den Angeklagten um die Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 „erster Fall“ und zweiter Fall StGB aus (ON 11.1 S 14). In weiterer Folge verurteilte die Einzelrichterin des Landesgerichts den – unvertretenen - Angeklagten anklagekonform im ausgedehnten Umfang.
Dazu traf sie wörtlich folgende Feststellungen (US 4 f):
Der Angeklagte gab bei seiner Beschuldigtenvernehmung im Zuge der Hauptverhandlung am 9. Juli 2025 zu ** zum Vorfall am 18. März 2025 befragt an, dass er die zu Faktum I./ inkriminierten Drohäußerungen nicht getätigt habe. Darüber hinaus sagte er zum Geschehen des 18. März 2025 in der Hauptverhandlung förmlich als Beschuldigter vernommen aber falsch aus, indem er angab, dass vielmehr er an diesem Tag vom Justizwachebeamten C* mit der flachen Hand im Kinnbereich einmal links und zweimal rechts geschlagen worden sei. Der genannte Justizwachebeamte habe die Tür seines Haftraums geöffnet, ihn aus diesem herausgeholt, anschließend die Tür wieder verschlossen und ihm daraufhin die beschriebenen Schläge versetzt. Nach den Schlägen sei er von JWB C* umgehend wieder in seinen Haftraum gebracht worden. Weiters sagte er in der Hauptverhandlung förmlich als Beschuldigter vernommen falsch aus, dass der zweite anwesende Justizwachebeamte B* währenddessen tatenlos neben dem JWB C* gestanden sei und dabei zugesehen habe, wie der JWB C* ihm (dem Angeklagten) die drei Schläge ins Gesicht versetzt habe, er sei aber nicht eingeschritten und habe diesen Vorfall auch nicht gemeldet. Überdies bezichtigte der Angeklagte die beiden JWB C* und B* auch fälschlich der falschen Beweisaussage, indem er bei seiner förmlichen Beschuldigtenvernehmung in der Hauptverhandlung angab, dass die beiden Justizwachebeamten B* und C* bei ihrer jeweiligen förmlichen Zeugenvernehmung zur Sache nach der Strafprozessordnung falsch ausgesagt hätten, indem die beiden jeweils ihn fälschlich der beschriebenen Drohäußerung gegenüber JWB B* beschuldigt, den körperlichen Übergriff des JWB C* auf den Angeklagten aber nicht ausgesagt hätten.
Tatsächlich wurden dem Angeklagten bei den Geschehen am 18. März 2025 aber weder vom JWB C*, noch von einem anderen Justizwachebeamten Schläge ins Gesicht versetzt oder auf sonstige Weise von jemandem Körperkraft gegen ihn angewendet. Die JWB B* und C* verschlossen nach der erfolgten Essensausgabe wieder den Haftraum des Angeklagten und der Angeklagte hat auch zu keinem Zeitpunkt während der Essensausgabe seinen Haftraum verlassen.
Durch sein zu Faktum II./ A./, B./ und C./ angeführtes Verhalten setzte der Angeklagte die beiden JWB C* und B* jeweils der Gefahr einer behördlichen Verfolgung aus, indem er sie jeweils von Amts wegen zu verfolgender mit Strafe bedrohter Handlungen falsch verdächtigte, obwohl er natürlich wusste, dass die Verdächtigungen falsch waren, nämlich des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 StGB (II./A./ und B./) sowie des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB (II./C./). Der Angeklagte wusste und wollte dabei jeweils, dass er die beiden JWB C* und B* durch seine jeweiligen wahrheitswidrigen Angaben am 9. Juli 2025 in der Hauptverhandlung im gegenständlichen gegen ihn geführten Strafverfahren zu ** jeweils der Gefahr einer behördlichen Verfolgung aussetzte. Er wusste und wollte auch, dass die Verdächtigungen der mit Strafe bedrohten Handlungen, nämlich des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 StGB (II./A./ und B./) sowie des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 StGB (II./C./) gegen JWB C* und B* jeweils falsch waren. Bei den Taten, deren die Justizwachebeamten C* und B* vom Angeklagten jeweils zu Unrecht verdächtigt wurden, handelt es sich betreffend der Fakten II./A./, B./ und C./ jeweils um eine fälschlich angelastete Handlung, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. Dies alles wollte der Angeklagte und es kam ihm geradezu darauf an, den beiden Justizwachebeamten dadurch Schwierigkeiten zu bereiten.
Gemäß § 61 Abs 1 Z 5 StPO bedarf der Angeklagte in der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter eines Verteidigers, wenn für die Tat (außer in den hier nicht interessierenden Fällen der §§ 129 Z 1 bis 3 und 164 Abs 4 StGB) eine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe angedroht ist.
Das Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster Fall StGB weist einen Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf, eine qualifizierte Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB jedoch von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Dabei wird der zweite Strafsatz des § 297 Abs 1 StGB dann anwendbar, wenn zumindest eine der fälschlich angelasteten Handlungen mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist (13 Os 114/14k), sodass im gegenständlichen Berufungsverfahren nicht von Relevanz ist, ob die zu II.A. – dem Urteilsinhalt nach wissentlich falsch – vorgeworfenen Handlungen als § 302 Abs 1 StGB oder allenfalls als §§ 15, 83 Abs 1 StGB zu qualifizieren sind (vgl zur Abgrenzung allgemein Nordmeyer in WK 2StGB § 302 Rz 129 sowie im Speziellen zu Körperverletzungen im Rahmen einer Polizeibeamten zukommenden Befugnis 14 Os 141/19w).
Der Nichtigkeitsgrund ist gegeben, wenn für die wirklich begangene Tat Verteidigerzwang bestand, wobei es auf die Sachverhaltsannahmen des Anklägers nicht ankommt ( Kirchbacher, StPO 15§ 281 Rz 28 mwN): Indem Strafdrohungen stets unter der Bedingung auch wirklich begangener Taten stehen, worüber nicht der Ankläger, sondern das Gericht entscheidet, wird offenbar, dass der im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts geltende Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 1a StPO an den Urteilsfeststellungen über die entscheidenden Tatsachen, mithin die wirklich und nicht bloß nach Ansicht des Anklägers begangene Tat, anknüpft (14 Os 173/10p unter ausdrücklicher Ablehnung der früheren Rsp [RIS-Justiz RS0098131]).
Gemäß § 61 Abs 1 Z 5 StPO besteht somit in der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter des Landesgerichts notwendige Verteidigung, wenn für die nach den Urteilsfeststellungen begangene Straftat eine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe angedroht ist (13 Os 71/14m). Ergibt sich im Lauf einer ohne Verteidiger begonnen Hauptverhandlung die Notwendigkeit, Verteidigerzwang aufzeigende Urteilsfeststellungen zu treffen, ist die Verhandlung – wie auch von der Erstrichterin in der schriftlichen Urteilsausfertigung zutreffend aufgezeigt (US 10) - bei sonstiger Nichtigkeit zwingend abzubrechen und unter Beiziehung eines Verteidigers zu wiederholen (vgl neuerlich 14 Os 173/10p).
Mit Blick auf die Urteilsfeststellungen zu Faktum II. hätte der Angeklagte somit während der gesamten Hauptverhandlung durch einen Verteidiger vertreten sein müssen, sodass das Urteil mit Nichtigkeit behaftet ist.
Es war daher in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Ein Eingehen auf die weiteren Berufungsausführungen der Staatsanwaltschaft erübrigt sich; der Angeklagte war mit seiner Berufung auf die Kassation zu verweisen.
Im neuen Rechtsgang wird das Erstgericht neben der gebotenen Verteidigerbeiziehung einerseits die zwischenzeitig gegen den Angeklagten ergangene Verurteilung vom 5. September 2025 zu berücksichtigen (vgl ON 21.2) und sich andererseits je nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens mit der Abgrenzung § 302 Abs 1 zu § 83 Abs 1 bzw allenfalls § 83 Abs 2 StGB auseinanderzusetzen haben.
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