Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, den Richter Mag. Zechmeister und die Richterin Dr. Heissenberger, LL.M., sowie die fachkundigen Laienrichter MinRat Dr. Ludwig Josef Melicher und DI Oliver Leo Schreiber in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Mag. Dominic Szerencsics, Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch Dr. Silvia Vinkovits, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle **, **, wegen Invaliditätspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 11.12.2024, **-28, gemäß den §§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Das Berufungsgericht hält die Rechtsmittelausführungen für nicht stichhältig, erachtet hingegen die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für zutreffend. Es genügt damit eine auf die wesentlichen Punkte beschränkte Begründung (§§ 2 Abs 1 ASGG, 500a 2.Satz ZPO).
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin ab 1.5.2023 eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen, ab. Außerdem sprach es aus, dass eine vorübergehende Invalidität im Ausmaß von mindestens 6 Monaten nicht vorliegt und kein Anspruch auf Rehabilitationsgeld aus der Krankenversicherung und auf medizinische oder berufliche Maßnahmen der Rehabilitation besteht.
Das Erstgericht stellte den aus den Seiten 2 und 3 des angefochtenen Urteils ersichtlichen Sachverhalt fest, auf den verwiesen wird.
Rechtlich kam das Erstgericht zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass die Klägerin keinen Berufsschutz genieße und daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei. Ihr medizinisches Leistungskalkül ermögliche es ihr, die mit über 100 Dienstposten ausgestatteten Verweisungstätigkeiten etwa einer Kuvertiererin/Adressenverlagsarbeiterin oder einer Büroreinigungskraft durchzuführen. Die Klägerin sei damit nicht invalid gemäß § 255 Abs 3 ASVG. Ein Härtefall nach § 255 Abs 3a ASVG liege mangels ausreichender Beitrags- und/oder Versicherungsmonate nicht vor.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellung auf Grund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung einschließlich rechtlicher Feststellungsmängel mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.
Die Berufung ist nicht berechtigt .
Zur Mängelrüge:
Die Klägerin behauptet einen Verstoß des Erstgerichts gegen § 87 Abs 1 ASGG. Sie beanstandet zusammengefasst, dass das Erstgericht kein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Neurologie eingeholt habe. In diesem Zusammenhang behauptet sie auch eine Verletzung der Manuduktionspflicht durch das Erstgericht.
Die Mängelrüge geht bereits mangels gesetzmäßiger Ausführung ins Leere.
Die Klägerin führt nicht an, welche streitentscheidenden Feststellungen des Erstgerichts sie ohne den behaupteten Verfahrensfehler zu widerlegen können glaubt. Damit reichen die Berufungsausführungen nicht aus, um die Mängelrüge gesetzmäßig zur Ausführung zu bringen (RS0043039 [T3]; 6 Ob 86/12h mwN; stRsp des OLG Wien).
Aber auch bei gesetzmäßiger Ausführung der Mängelrüge wäre für die Klägerin nichts gewonnen.
Die dem erstinstanzlichen Verfahren beigezogenen internistischen, orthopädischen und psychiatrischen Sachverständigen haben nicht angeregt, ein gesondertes neurologisches Gutachten einzuholen. Vielmehr wurde beispielsweise von der Sachverständigen Dr. B* in ihrem schriftlichen psychiatrischen Sachverständigengutachten sogar explizit angegeben, dass sich keine Hinweise auf die Notwendigkeit weiterer Sachverständiger als die bereits Bestellten ergäben (vgl. ON 17.1, S 16). Auch der orthopädische Sachverständige Ing.Dr. C* hat in seinem schriftlichen Gutachten ON 6 ausdrücklich ausgeführt, dass außer den vom Gericht angeordneten Untersuchungen keine weiteren Fachgutachten erforderlich seien (vgl. ON 6.1, S 13).
Nach der ständigen Rechtsprechung ist es Aufgabe der bei der Beweisaufnahme beigezogenen Sachverständigen, auf Grund ihrer einschlägigen Fachkenntnisse jene Methode auszuwählen, die sich zur Klärung der nach dem Gerichtsauftrag jeweils maßgebenden strittigen Tatfragen am besten eignet (RS0119439). Die Sachverständigen trifft entsprechend den von ihnen abgelegten Eiden auch die Verpflichtung, ihre Gutachten nach dem letzten Stand der Wissenschaft zu erstatten. Das Gericht kann sich daher darauf verlassen, dass keine notwendigen Untersuchungen unterblieben sind, wenn sie von den Sachverständigen nicht angeregt werden (SVSlg 52.435 uva). Schließlich haben sie auch (von sich aus) auf eine allfällige Überschreitung ihrer Fachkunde hinzuweisen (SVSlg 44.369 uva). Ein medizinischer Sachverständiger, auch wenn er nicht Facharzt für das Fachgebiet wäre, dem die vom Untersuchten berichteten Beschwerden zuzuordnen sind, besitzt jedenfalls so weitreichende medizinische Kenntnisse, dass er beurteilen kann, ob die Abklärung der an sich sachfremden Beschwerden durch ein weiteres Fachgutachten notwendig ist (SVSlg 59.476 ua), insbesondere wenn es sich um überschneidende Fachgebiete handelt (SVSlg 59.489).
Ausgehend von dieser Sach- und Rechtslage war das Erstgericht weder im Rahmen des § 87 Abs 1 ASGG noch in Bezug auf die richterliche Anleitungspflicht gehalten, ein neurologisches Gutachten einzuholen oder die Klägerin dahingehend anzuleiten,die Einholung eines neurologischen Gutachtens zu beantragen.
Zur Tatsachenrüge:
Die Klägerin führt in ihrer Tatsachenrüge aus, dass das Erstgericht auf Grund des abgeführten Beweisverfahrens vermeine, feststellen zu können, dass die Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Überschreitung des festgestellten medizinischen Leistungskalküls für die Tätigkeit als Hilfskraft in der industriellen Serienfertigung, Kuvertiererin/Adressenverlagsarbeiterin, Hilfskraft im Textilbereich (Maschinenbügeln etc.), Staplerfahrerin, Büroreinigungskraft, Abwäscherin, Küchenhilfe oder sehr einfachen Angestelltenberufe wie Archivkraft etc. infrage käme. Bei den vorstehend zitierten Berufen würde das verbliebene Restleistungsvermögen der Klägerin nicht überschritten und wären auch Stellen in ausreichender Anzahl auf dem österreichischen Arbeitsmarkt vorhanden.
Diese Feststellungen seien jedoch das Ergebnis einer unrichtigen Beweiswürdigung. Diese Feststellungen beschränkten sich lediglich auf den psychischen Zustand der Klägerin. Diese würden sich spätestens bei Berücksichtigung des fehlenden neurologischen Befundes in einem anderen Licht darstellen.
Die Beweiswürdigung des Erstgerichts sei aber auch insofern mangelhaft, als dieses übersehe, dass bei der Klägerin eine Fehlstreckhaltung der Halswirbelsäule bis hin zur Lendenwirbelsäule festgestellt worden sei, deren Behandlung erfahrungsgemäß langwierig und mit monatelangen Schmerzen verbunden sei. Die bislang ungeklärte, anhaltende Schmerzsymptomatik bei der Klägerin sei nicht ausreichend berücksichtigt worden.
Bei richtiger Würdigung der vorliegenden Beweisergebnisse hätte das Erstgericht daher die Feststellung zu treffen gehabt, dass die Klägerin auf Grund ihres physischen und auch psychischen Zustandes keinerlei, auch nicht einfache Tätigkeiten, mehr zu verrichten imstande sei und solche auf dem Arbeitsmarkt mit Rücksicht auf ihr Alter gerade nicht zur Verfügung stünden.
Um die Tatsachenrüge iSd ständigen Rechtsprechung „gesetzmäßig“ auszuführen, muss der Rechtsmittelwerber deutlich zum Ausdruck bringen, welche konkrete Feststellung bekämpft wird, infolge welcher unrichtigen Beweiswürdigung sie getroffen wurde, welche Feststellung begehrt wird und aufgrund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen die begehrte Feststellung zu treffen gewesen wäre (RS0041835 [T5]; 10 ObS 129/02x; 10 ObS 15/12x; 1 Ob 202/13g; 1 Ob 85/15d; 3 Ob 118/18a).
Aus den dargelegten Voraussetzungen für die gesetzmäßige Ausführung einer Tatsachenrüge ergibt sich nach ständiger Rechtsprechung auch, dass zwischen der bekämpften und der ersatzweise gewünschten Konstatierung ein inhaltlicher Gegensatz bzw Widerspruch bestehen muss; die eine Feststellung muss die andere ausschließen.
Die vorliegende Tatsachenrüge ist aus mehrfachen Gründen nicht gesetzmäßig ausgeführt.
So setzt sich die Klägerin nicht ausreichend mit der vom Erstgericht angestellten Beweiswürdigung auseinander. Überdies legt sie nicht ausreichend dar, auf Grund welcher konkreten Beweisergebnisse die von ihr begehrten „Ersatzfeststellungen“ zu treffen gewesen wären. Des weiteren zeigt ein Vergleich der von der Klägerin bekämpften Feststellungen mit den von ihr begehrten „Ersatzfeststellungen“, dass der zwischen diesen Feststellungen erforderliche Gegensatz nur teilweise gegeben ist.
Zudem geht die Tatsachenrüge ins Leere, weil die Klägerin die erstgerichtlichen Feststellungen zu ihrem Leistungskalkül und zu den in den vom Erstgericht angeführten Verweisungsberufen erforderlichen Anforderungen (vgl. S 2 und 3 des angefochtenen Urteils) nicht bekämpft hat. Auf Basis dieser unbekämpft gebliebenen Feststellungen ergibt sich, dass die Klägerin mit ihrem festgestellten Leistungskalkül imstande ist, beispielsweise die hinsichtlich des Verweisungsberufs „Reinigungskraft (Raumpflegerin)“ detailliert (unbekämpft) festgestellten Anforderungen zu erfüllen.
Aber auch bei gesetzmäßiger Ausführung der Tatsachenrüge wäre für die Klägerin nichts gewonnen.
Die bekämpften erstgerichtlichen Feststellungen finden Deckung in den eingeholten Gutachten. Diese Gutachten sind schlüssig und nachvollziehbar. Wie bereits zur Mängelrüge eingehend dargelegt wurde, ist es nach ständiger Rechtsprechung nicht zu beanstanden, dass sich das Erstgericht den ihm als verlässlich erscheinenden Sachverständigengutachten bei seinen Feststellungen angeschlossen hat (RS0040592; 10 ObS 43/24g uva). Soweit sich die Klägerin auch hier auf „fehlende neurologische Befunde“ bezieht, genügt es zur Vermeidung von Wiederholungen auf die detaillierten Darlegungen des Berufungssenats zur Mängelrüge zu verweisen.
Da weder der Mängelrüge noch der Tatsachenrüge Berechtigung zukommt, übernimmt das Berufungsgericht die erstgerichtlichen Feststellungen und legt sie seiner Entscheidung zugrunde (§§ 2 Abs 1 ASGG, 498 Abs 1 ZPO).
Zur Rechtsrüge:
Die Klägerin wendet sich in ihrer Rechtsrüge lediglich gegen die Beurteilung des Erstgerichts, dass sie nicht invalid iSd § 255 Abs 3 ASVG sei. Eine Auseinandersetzung mit der im angefochtenen Urteil ebenfalls behandelten Bestimmung des § 255 Abs 3a ASVG hat im Berufungsverfahren somit nicht zu erfolgen.
Die Klägerin führt im Wesentlichen aus, dass sie nicht mehr in der Lage sei, auf dem Arbeitsmarkt wenigstens die Hälfte des Entgelts eines Gesunden zu erzielen. Dies deshalb, da bei einer Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt iSd § 255 Abs 3 ASVG noch bewertet werde, jedenfalls immer wieder Aktivitäten anfielen, die mit den häufigen Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule der Klägerin langfristig unvereinbar seien und die auch ihre Veranlagung zu Migräne negativ beeinflussten. So erforderten gerade Tätigkeiten als Hilfskraft in der industriellen Serienfertigung erhöhte Aufmerksamkeit und Konzentration. Zudem würde sich die Tätigkeit in der Textilbranche als unvereinbar mit der Angststörung und den Panikattacken der Klägerin erweisen.
Hinzu komme, dass die vom Erstgericht genannten Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt für Menschen im Alter der Klägerin tatsächlich überhaupt nicht oder nicht in hinreichendem Maß verfügbar seien. Die Unterlassung der diesbezüglichen Beweisaufnahme im Rahmen des berufskundlichen Gutachtens werde als sekundärer Verfahrensmangel gerügt. Wenn keine der aufgezeigten Beschäftigungen von älteren ungelernten Arbeitskräften tatsächlich erlangt werden könnten, sei der Verweis auf diese rechtswidrig.
Die Rechtsrüge ist – soweit sie sich von den erstgerichtlichen Feststellungen entfernt – nicht gesetzmäßig ausgeführt.
Ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen kann die Klägerin mit ihrem Leistungskalkül noch die vom Erstgericht festgestellten Verweisungstätigkeiten ausüben. Eine Auseinandersetzung mit der diese Feststellungen ignorierenden Argumentation der Klägerin scheidet somit aus.
Mit ihren weiteren Ausführungen in der Rechtsrüge verkennt die Klägerin die Rechtslage.
Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG ist nicht bereits dann gegeben, wenn der Versicherte nicht in der Lage ist, einen konkreten Arbeitsplatz zu erlangen. Diesfalls ist nämlich der Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit, nicht jedoch der der Invalidität gegeben (RS0084863; Sonntag in Sonntag , ASVG 16 § 255 Rz 8). Ob die Klägerin im Verweisungsberuf tatsächlich einen Arbeitsplatz finden wird, betrifft nämlich den Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit und nicht den der Invalidität (RS0084833; RS0084863; RS0084720; 10 ObS 67/23k uva).
Ausgehend von dieser Sach- und Rechtslage scheidet somit auch der von der Klägerin gerügte rechtliche Feststellungsmangel aus und ergibt sich, dass die Klägerin nicht invalid iSd § 255 Abs 3 ASVG ist.
Der zur Gänze unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.
Für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG ergeben sich weder aus dem Vorbringen noch aus dem Akt Anhaltspunkte, weshalb die Klägerin die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen hat.
Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beantworten war.
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