Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Richterin Mag. Staribacher als Vorsitzende sowie den Richter Mag. Trebuch LL.M. und die Richterin Mag. Pasching als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen Mag. A* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 3 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des Dr. B* gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 9. Juli 2025, GZ **-5322, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
Mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 25. März 2025, GZ 14 Os 61/23m-65 (ON 5299), wurde Dr. B* – nach Aufhebung eines Teils des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom ** 2020 (ON **) und des ihn betreffenden Strafausspruchs sowie Verweisung der Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht – wegen der ihm weiterhin zur Last liegenden Verbrechen der Untreue nach §§ 12 dritter Fall, 153 Abs 1 und 3 zweiter Fall StGB (VIII/1/B/a) und der Geschenkannahme durch Beamte nach §§ 12 dritter Fall, 304 Abs 1 und 3 erster Fall StGB idF BGBl I 2001/130 (VIII/2/B/a) sowie des Vergehens der Bestechung nach (richtig: § 12 zweiter Fall) 307 Abs 1 Z 1 StGB idF BGBl I 1998/153 (VIII/2/B/b) unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und Bedachtnahme gemäß § 31 Abs 1 StGB auf die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom ** 2016, AZ **, und vom ** 2022, AZ **, zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs 4 StGB ein Teil im Ausmaß von zwei Jahren unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Die Zustellung der Aufforderung zum Strafantritt (ON **) wurde an den laut ZMR vom 30. April 2025 (ON **) einzig aktuellen (Neben)Wohnsitz des Dr. B* in der **, verfügt, diese sodann - laut Verfahrensautomation Justiz - zur Abholung ab 7. Mai 2025 hinterlegt und nicht behoben. Dem Verfahrenshilfeverteidiger Mag. C* wurde sie - laut Verfahrensautomation Justiz - am 2. Mai 2025 mit dem Hinweis „Es wird darauf hingewiesen, dass die Frist zur Aufforderung zum Strafantritt bereits mit der Zustellung an den Verteidiger zu laufen beginnt“ zugestellt (vgl. indes Soyer/Schumann in WK-StPO § 61 Rz 76; Kirchbacher in StPO 15 § 61 Rz 18).
Mit von Mag. C* – nun nicht als Verfahrenshilfeverteidiger, sondern als Vertreter – eingebrachtem Schriftsatz vom 13. Mai 2025 (ON 5301) beantragte Dr. B* – unter Vorlage eines Arztbriefes vom 7. März 2025 und MR Zuweisungen für „Gehirn + HWS“ und „LWS + Hüfte bds.“ - den Aufschub des Strafvollzugs wegen Vollzugsuntauglichkeit gemäß § 5 Abs 1 StVG, weil er „an einem akuten Hüftschaden“ leide und „zuletzt schmerzbedingt nicht einmal in der Lage“ gewesen sei, „am öffentlichen Gerichtstag vor dem OGH teilzunehmen.“ Für Anfang Juni seien „mehrere Arzttermine vereinbart“ worden, „um die letzten Untersuchungen vor einer aufgrund der Schmerzen wohl unausweichlichen und medizinisch auch bereits indizierten Hüftoperation vorzunehmen. Auch der sonstige Bewegungsapparat des Verurteilten“ sei „schadhaft“. „Insbesondere die Schmerzen an der Lendenwirbelsäule“ seien „ebenfalls massiv“. Zuletzt seien „auch starke Gleichgewichtsprobleme aufgetreten, die wahrscheinlich auf eine Schädigung des Gehirns und/oder der Halswirbelsäule zurückzuführen seien. Ob und wann eine Besserung des Gesundheitszustands eintritt,“ sei „derzeit unabsehbar“. Der Verurteilte sei „momentan und bis auf weiteres nicht vollzugstauglich“. In einem wurde die Einholung medizinischer Gutachten aus den Fachbereichen der Orthopädie, der Neurologie und der Gerichtsmedizin beantragt.
Nach Einholung eines in sich für schlüssig erachteten orthopädischen Gutachtens des Facharztes für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie Dr. D* MSc (ON 5314), welches dem Verurteilten eine uneingeschränkte Hafttauglichkeit attestiert und zu welchem er sich auch geäußert hatte (ON 5319), wies das Erstgericht den Antrag gemäß § 5 Abs 1 StVG, gestützt auf das Sachverständigengutachten und mit dem Bemerken, dass Dr. B* nach der Urteilsverkündung wiederholt problemlos öffentliche Auftritte – sei es in Fernsehstudios, sei es bei zahlreichen Interviews (auch in mehrstündigen Podcasts) - absolviert habe, ab (ON 5322).
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde von Dr. B* (ON 5331), der keine Berechtigung zukommt.
Gemäß § 5 Abs 1 StVG ist der Strafvollzug - wenn ein dem Wesen der Freiheitsstrafe (§ 20 StVG) entsprechender Strafvollzug wegen einer Krankheit oder Verletzung, wegen Invalidität oder eines sonstigen körperlichen oder geistigen Schwächezustandes auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit einer Strafvollzugsortsänderung mit den Einrichtungen der in Betracht kommenden Anstalten zum Vollzug von Freiheitsstrafen nicht durchführbar ist oder im Hinblick auf einen dieser Zustände das Leben des Verurteilten durch die Überstellung in die betreffende Anstalt gefährdet wäre - so lange aufzuschieben, bis der Zustand aufgehört hat.
Der Gesetzgeber stellt bei der Frage der Haftfähigkeit auf die im Einzelfall zu beurteilende Vereinbarkeit des Zustandes des Verurteilten mit dem Wesen der Freiheitsstrafe ab. Bei der Beurteilung der Vollzugstauglichkeit handelt es sich um eine vom Gericht zu lösende Rechtsfrage; medizinische Sachverständige können daher nur den Krankheitszustand des Verurteilten beschreiben und daraus Schlüsse darüber ziehen, welcher Behandlung es nach den Regeln der medizinischen Kunst bedarf. Die Vollzugsbehörden können sodann anhand der ärztlich festgestellten Erfordernisse darüber Auskunft geben, ob eine Justizanstalt über die gebotene Betreuungsmöglichkeit verfügt und ob unter den gegebenen Umständen aus ihrer Sicht eine erzieherische Gestaltung des Vollzugs im Sinne des § 20 Abs 1 und 2 StVG realisierbar ist. Das Gericht hat auf dieser Grundlage schließlich zu beurteilen, ob der Gesundheitszustand des Verurteilten einem zweckmäßigen Strafvollzug entgegensteht (siehe jeweils Pieber in WK 2 StVG § 5 Rz 12).
Ist ein dem Wesen des Strafvollzugs entsprechender Strafvollzug in überhaupt keiner Vollzugsanstalt durchführbar oder sieht sich die Vollzugsdirektion zu einer unumgänglich notwendigen Strafvollzugsortänderung (zB aus Kapazitätsgründen) nicht in der Lage, ist die Einleitung des Strafvollzugs so lange aufzuschieben, bis der Zustand aufgehört hat ( Pieber aaO Rz 14).
Das Gutachten des Sachverständigen Dr. D* MSc basiert auf der eigenen klinischen Untersuchung des Dr. B* am 2. Juni 2025, den Behandlungsunterlagen von Dr. E* (Ärztin der Allgemeinmedizin), dem Befundbericht von Dr. F* (Fachärztin für Neurologie) vom 11. Juni 2025 und dem Befundbericht der Orthopädie G* vom 16. Juni 2025 sowie Bildern von MRT Halswirbelsäule und MRT Schädel jeweils vom 2. Juni 2025 und MRT Lendenwirbelsäule und MRT Hüftgelenk jeweils vom 5. Juni 2025. Nach eigenen Angaben leide der Verurteilte seit 15 Jahren an Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule, seit einem Jahr an Schmerzen im rechten Hüftgelenk sowie seit drei Jahren an Gangunsicherheit, er nehme keine schmerzstillenden Medikamente und verwende keine Gehhilfe. Finden sich in den übermittelten Unterlagen keine Hinweise auf eine Behandlung der Lendenwirbelsäule oder des rechten Hüftgelenks und werden keine Gehhilfen verwendet, sei dies ein deutlicher Hinweis auf einen jeweils fehlenden Leidensdruck. Im Bereich des rechten Hüftgelenks bestünden beginnende Aufbrauchserscheinungen ohne Bewegungseinschränkungen des Hüftgelenks. An objektiven Veränderungen finden sich sowohl im Bereich der Halswirbelsäule wie im Bereich der Lendenwirbelsäule Veränderungen im Bereich der Bandscheiben mit Einengung des Spinalkanals in mehreren Segmenten.
Nach der Expertise des Sachverständigen bedarf Dr. B* keiner ärztlichen Behandlung, wobei auch in den letzten Jahren bis aktuell keinerlei Behandlung der bestehenden Beschwerden durchgeführt worden sei. Auch sei die Implantation einer Hüfttotalendoprothese rechts derzeit keinesfalls angezeigt. Sollten bestehende Schmerzen tatsächlich in den nächsten Jahren behandlungsbedürftig sein, können zunächst schmerzstillende Medikamente verabreicht werden oder orthopädische Infiltrationsbehandlungen erfolgen, diese Behandlungen auch in einer Justizanstalt durchgeführt werden.
Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer weder eine akute, intensivmedizinische Behandlung erfordernde Erkrankung noch einen konkret bevorstehenden Operationstermin behauptet, ist grundsätzlich von einer ausreichenden ärztlichen Betreuung von Strafgefangenen – gegebenenfalls in einer Justizanstalt, die über eine passende Krankenabteilung verfügt sowie durch die Anbindung der Justizanstalten an das öffentliche Gesundheitssystem – auszugehen (§§ 66 ff StVG).
Die von Dr. B* dem Sachverständigen gegenüber bekundeten – im höheren Alter nicht seltenen – Beschwerden im Bereich der Hüfte und der Lendenwirbelsäule begründen in Übereinstimmung mit dem Erstgericht keine Vollzugsuntauglichkeit iSd § 5 Abs 1 StVG. Denn es ist nicht ersichtlich und wird selbst in der Beschwerde nicht dargelegt, warum eine erzieherische Beeinflussung des Verurteilten im Sinn des § 20 StVG mit den Einrichtungen der in Betracht kommenden Anstalten zum Vollzug von Freiheitsstrafen nicht durchführbar sein sollte.
Im Hinblick auf den Mitte Mai 2025 gestellten Antrag gemäß § 5 StVG ist zunächst nicht nachvollziehbar, warum der Verurteilte nach den MRT Untersuchungen Anfang Juni 2025 die entsprechenden Befunde, die heutzutage jeder (sei es online abrufbar oder in Papierform) nach solch einer Untersuchung erhält, bis dato nicht vorgelegt hat. Ist die Befundung der vorgelegten MRTs auch einem gerichtlichen Sachverständigen zuzubilligen, bedurfte und bedarf es nicht (zusätzlich) der direkten Beischaffung der Befunde zur „Verbreiterung der Befundbasis“.
Die nachträgliche Vorlage von Röntgenaufnahmen seiner Hüfte vom 24. Februar 2025 vermag allein die Notwendigkeit der Einholung eines Ergänzungsgutachtens nicht zu begründen. Auch die Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens ist auf Grund der Ergebnisse der klinischen Untersuchung durch den Sachverständigen im Verein mit den vorliegenden MRTs nicht indiziert. Denn aktuell ist eine entsprechende manifeste Krankheitsform (vgl. Drexler/Weger StVG 5 § 5 Rz 4; Pieber in WK 2 StVG § 5 Rz 12) nicht ersichtlich, zumal der Verurteilte keiner schmerzstillenden Medikation und keiner Gehhilfe bedarf, sich auch die in den vorgelegten Krankengeschichten enthaltenen Passagen wie „chronischer Schmerzpatient“, „Gangunsicherheit“, „regelmäßige Schmerzmedikation“ oder „Dysästhesien bzw. Sensibilitätsstörungen im Bereich der Oberschenkel!“ bei seiner klinischen Untersuchung durch den Sachverständigen gerade nicht bestätigten. Dass sich sein Zustand seit der klinischen Untersuchung (drastisch) verschlechtert hätte, wird in der Beschwerde nicht behauptet.
Damit entspricht der erstgerichtliche Beschluss aber der Sach und Rechtslage.
Sofern sich im Laufe des Vollzugs eine konkrete Behandlung, welche im Strafvollzug nicht durchgeführt werden kann, als erforderlich erweist, oder sonst ein Zustand eintritt, der einem dem Wesen der Freiheitsstrafe entsprechenden Vollzug entgegensteht, steht die Möglichkeit eines nachträglichen Aufschubs gemäß § 133 iVm § 5 StVG offen.
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