Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Schaller als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Dr. Miljevic-Petrikic und Mag. Klenk in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren **, Pensionist, **, vertreten durch Dr. Stephan Duschel, Mag. Klaus Hanten, Mag. Clemens Kurz, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1. B* Aktiengesellschaft , FN **, **, und 2. C* , geboren **, selbständiger KFZ-Mechaniker, **, beide vertreten durch Laback Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen zuletzt EUR 32.013,26 s.A. und Feststellung (EUR 5.000), über den Rekurs der beklagten Parteien gegen die im Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 17.1.2025, **-33, enthaltene Kostenentscheidung (Rekursinteresse EUR 6.106,57), in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs wird Folge gegeben und die angefochtene Kostenentscheidung dahin abgeändert, dass sie lautet:
„4. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 8.203,70 bestimmten Prozesskosten zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 552,66 (darin EUR 92,11 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig .
Begründung
Der Kläger wurde am 29.6.2022 durch einen vom Zweitbeklagten allein verschuldeten Verkehrsunfall verletzt. Die Erstbeklagte war die Haftpflichtversichererin des Unfallfahrzeugs des Zweitbeklagten.
Der Kläger begehrte mit Klage vom 26.2.2024 Schadenersatz und die mit EUR 5.000 bewertete Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 29.6.2022.
Sein Schadenersatzbegehren schlüsselte er wie folgt auf:
EUR 15.000 Schmerzengeld
EUR 8.887,50 Pflegeaufwand (EUR 15 x 592,50 Stunden)
EUR 3.510 Haushaltshilfe (EUR 15 x 234 Stunden)
EUR 3.900 Hausbetreuung (EUR 15 x 260 Stunden)
EUR 130 Arztkosten
EUR 485,76 Selbstbehalt Rehabilitationsaufenthalt
EUR 100 Generalunkosten
Aufgrund eines Rechenfehlers begehrte er in der Klage die Zahlung von EUR 32.633,26 (statt richtig EUR 32.013,26). Die entsprechende Einschränkung um EUR 620 erfolgte mit Schriftsatz vom 3.4.2024 (ON 6).
Das Erstgericht gab mit dem nur im Kostenpunkt angefochtenen Urteil dem Zahlungsbegehren mit EUR 15.185,76 sowie dem mit EUR 5.000 bewerteten Feststellungsbegehren statt und wies das Zahlungsmehrbegehren von EUR 16.827,50 ab. Demnach habe den Zweitbeklagten das Alleinverschulden am Verkehrsunfall getroffen. Ein Mitverschulden des Klägers liege nicht vor. Die unfallkausalen Schadenersatzbeträge bemaß das Erstgericht wie folgt:
EUR 10.000 Schmerzengeld
EUR 1.260 Pflegeaufwand (84 Stunden x EUR 15)
EUR 2.310 Haushaltshilfe (159 Stunden x EUR 15)
EUR 900 Hausbetreuung (60 Stunden x EUR 15)
EUR 130 Arztkosten
EUR 485,76 Selbstbehalt Rehabilitationsaufenthalt
EUR 100 Generalunkosten
Da Dauerfolgen vorlägen und auch Spätfolgen nicht auszuschließen seien, bestehe ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung, sodass auch das Feststellungsbegehren zuzusprechen sei.
Gleichzeitig verpflichtete das Erstgericht die Beklagten zum Kostenersatz von EUR 14.310,27 (darin EUR 1.826,42 USt und EUR 3.351,74 Barauslagen) und gründete die Kostenentscheidung auf § 43 Abs 2 Fall 2 und 3 ZPO. Eine Überklagung liege nicht vor. Der Kläger erhalte seine gesamten Kosten auf Basis des zugesprochenen Betrags (Bemessungsgrundlage EUR 20.185,76), wobei die Barauslagen der Quotenkompensation folgten (§ 43 Abs 1 letzter Satz ZPO) und zwei Abschnitte zu bilden seien, in denen der Kläger jeweils mit 54 % obsiegt habe.
Gegen diese Kostenentscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn eines Kostenzuspruchs an den Kläger von EUR 8.203,70 (darin EUR 4.077,59 Barauslagen).
Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist berechtigt .
1.1 Die Beklagten bringen vor, das Kostenprivileg gemäß § 43 Abs 2 ZPO sei nicht zur Gänze, sondern nur hinsichtlich des ersiegten Betrags von EUR 10.000 (Schmerzengeld) anzuwenden (Kombination aus Kostenteilung und Kostenprivileg gemäß §§ 43 Abs 1 ZPO iVm § 43 Abs 2 ZPO). Das Unterliegen des Klägers zu den Ansprüchen auf Ersatz des Pflegeaufwands, der Haushaltshilfe und der Hausbetreuung sei kostenschädlich, weil sie für Zeiten gefordert worden seien, in denen diese medizinisch nicht erforderlich gewesen seien sowie zum Pflegeaufwand und zur Hausbetreuung zusätzlich Überklagung vorliege. Darüber hinaus hätte der Kläger nach Vorliegen des Sachverständigengutachtens vom 16.6.2024 (ON 12) sein Klagebegehren entsprechend einschränken müssen, weil im Gutachten die unfallskausalen Zeiträume samt Stundenanzahl hinsichtlich Pflegeaufwand, Haushaltshilfe und Hausbetreuung festgehalten seien. Mangels Klagseinschränkung sei ebenfalls von einem kostenschädlichen Unterliegen auszugehen.
1.2 Gemäß § 43 Abs 2 ZPO kann das Gericht auch bei einem nur teilweisen Obsiegen des Klägers dem Beklagten den Ersatz der gesamten dem Kläger entstandenen Kosten auferlegen, wenn der Betrag der vom Kläger erhobenen Forderung von der Feststellung durch richterliches Ermessen, von der Ausmittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Abrechnung abhängig war. Das betrifft die Fälle, in denen es dem Kläger kaum möglich war, die Höhe der bestehenden Forderung einigermaßen exakt festzustellen. Würde er hier durch übergroße Vorsicht einen zu geringen Betrag einklagen, riskiert er, seinen darüber hinausgehenden Anspruch, der ihm in Wahrheit auch zusteht, zu verlieren ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 § 43 ZPO Rz 18). Voraussetzung der Privilegierung des Klägers nach § 43 Abs 2 zweiter Fall ZPO ist, dass allein die ziffernmäßige Höhe des Anspruchs vom Sachverständigen oder vom Gericht ausgemittelt werden musste. Sie kommt nicht in Betracht, wenn der Kläger dem Grunde nach teilweise unterlegen ist (RS0035998; RW0001024; Obermaier , Kostenhandbuch 4 Rz 1.156).
1.3 Die Voraussetzung der Privilegierung trifft – wie von den Beklagten auch zugestanden - auf das begehrte Schmerzengeld von EUR 15.000 zu, das im Ausmaß von EUR 10.000 zugesprochen wurde. Ein Unterliegen in diesem Bereich ist daher – soweit wie hier keine Überklagung vorliegt – insoweit kostenunschädlich, als voller Kostenersatz auf Basis des obsiegten Betrags zuzusprechen ist.
1.4 Im Bereich des Pflegebedarfs, der Haushaltshilfekosten und der Hausbetreuungskosten kommt dem Kläger – wie von den Beklagten richtig erkannt - die Privilegierung nach § 43 Abs 2 zweiter Fall ZPO nicht zu. Allein der Umstand, dass zur Höhe einer Forderung ein Gutachten eingeholt wird, bedeutet nicht bereits eine Ausmittlung durch einen Sachverständigen im Sinne dieser Bestimmung. Hintergrund dieser Variante des Kostenprivilegs ist, dass dem Kläger dort ein unvermeidliches Kostenrisiko abgenommen werden soll, wo er objektiv nicht in der Lage ist, die Höhe seines Anspruchs zu ermitteln, weil die Ausmessung vom richterlichen Ermessen oder von der Einschätzung durch einen Sachverständigen abhängig ist. Dies ist aber beim Pflege- und Betreuungsbedarf sowie beim Bedarf auf Hilfestellung im Haushalt und bei der Hausbetreuung nicht der Fall, weil dem Kläger bekannt sein muss, in welchem zeitlichen Ausmaß er aufgrund der unfallkausalen Einschränkungen der Pflege und Hilfe bedurfte. Dass das Erstgericht zur Überprüfung des Standpunkts des Klägers zum Ausmaß der notwendigen Hilfeleistung und Betreuung ein Sachverständigengutachten einholte, bedeutet nicht, dass dieser Bedarf vom Sachverständigen „ausgemittelt“ wurde. Die Abweisung eines Begehrens auf Ersatz von Kosten für Pflege- und Betreuungsleistungen sowie für Haushaltshilfe und Hausbetreuung ist daher kostenschädlich, soweit – wie hier – Ersatz für Zeiten gefordert wird, in denen sie medizinisch nicht erforderlich waren (
2.1 Unterliegt der Kläger – wie hier - teilweise in Bereichen, in denen ihm das Kostenprivileg nach § 43 Abs 2 ZPO zukommt und teilweise in Bereichen, in denen dies nicht zutrifft, dann ist ein fiktiver Streitwert zu ermitteln, das ist der um das kostenunschädliche Unterliegen (hier EUR 5.000) reduzierte Klagsbetrag. Die Kosten sind dann auf Basis dieses fiktiven Streitwerts entsprechend der kompensierten Quote zuzusprechen ( Obermaier, Kostenhandbuch 4 Rz 1.182).
2.2 Das bedeutet für den Anlassfall, dass der fiktive Streitwert für den ersten Verfahrensabschnitt bis zur Klagseinschränkung (Klage) EUR 32.633,26 und für den zweiten Verfahrensabschnitt (ab Schriftsatz vom 3.4.2024) EUR 32.013,26 beträgt. Ausgehend vom zugesprochenen Betrag von EUR 20.185,76 (EUR 15.185,76 Zahlung und EUR 5.000 Feststellung) beträgt die Erfolgsquote des Klägers im ersten Verfahrensabschnitt 62 % und im zweiten Verfahrensabschnitt 63 %. Die Obsiegensquote beträgt daher 24 % im ersten Verfahrensabschnitt und 26 % im zweiten Verfahrensabschnitt.
2.3 Auf Basis der beiden fiktiven Streitwerte - die im Übrigen kein Tarifsprung trennt - betragen die verzeichneten Vertretungskosten des Klägers EUR 13.996,48 netto; die Differenz von EUR 749,26 zu der von den Beklagten in ihrem Rekurs angeführten Summe von EUR 13.247,22 ergibt sich daraus, dass die Beklagten für die Streitverhandlung vom 24.6.2024 offenbar irrtümlich von einem Einheitssatz von 50 % statt vom richtigerweise anzuwendenden doppelten Einheitssatz von 100 % (§ 23 Abs 5 RATG) ausgingen.
2.4 Für den ersten Verfahrensabschnitt (Klage) gebührt dem Kläger der Ersatz von 24 % der Vertretungskosten von EUR 2.003,04 netto, also EUR 480,73 netto.
Für den zweiten Verfahrensabschnitt (ab Schriftsatz vom 3.4.2024) gebührt dem Kläger der Ersatz von 26 % der Vertretungskosten von EUR 11.993,44 netto, also EUR 3.118,29 netto.
Insgesamt gebührt dem Kläger daher ein Vertretungskostenersatz von EUR 3.599,02 netto, zuzüglich 20 % USt von EUR 719,80, sohin gesamt EUR 4.318,82 brutto .
2.5 Zum Barauslagenersatzanspruch des Klägers ist auszuführen, dass in den Fällen des § 43 Abs 2 ZPO (Kostenprivileg) die Pauschalgebühr nur auf Basis des ersiegten Betrags zuzusprechen ist ( Obermaier , Kostenhandbuch 4 Rz 1.184). Im Anlassfall daher auf Basis des fiktiven Streitwerts für den ersten Verfahrensabschnitt von EUR 32.633,26, also 62 % (Erfolgsquote des Klägers im ersten Abschnitt, der die Pauschalgebühr zuzurechnen ist; Obermaier , Kostenhandbuch 4 Rz 1.184) von EUR 871,20, somit EUR 540,14 . Die vom Kläger gezahlten Sachverständigengebühren von EUR 5.350 sind dem zweiten Verfahrensabschnitt zuzurechnen und daher im Ausmaß der Erfolgsquote von 63 % zu ersetzen, also mit EUR 3.370,50 . Die ersatzfähigen Barauslagen des Klägers betragen somit EUR 3.910,64.
2.6 Zum Barauslagenersatzanspruch der Beklagten ist auszuführen, dass die Barauslagen von EUR 3,50 für die Meldeabfrage nicht als qualifizierte Barauslagen im Sinn des § 43 Abs 1 letzter Satz ZPO und daher nicht im Ausmaß der Erfolgsquote zu ersetzen sind. Nach § 43 Abs 1 letzter Satz ZPO ersatzfähige Barauslagen der Beklagten sind die von ihnen getragenen Sachverständigengebühren von EUR 1.000, die im Ausmaß von 37 % (Erfolgsquote der Beklagten im zweiten Verfahrensabschnitt), also mit EUR 370 , zu ersetzen sind.
2.7 Nach Saldierung errechnet sich daher ein Barauslagenersatzanspruch des Klägers von EUR 3.540,64 .
Der Kläger hätte daher einen Kostenersatzanspruch von EUR 7.859,46.
3. Der Rekurs ist somit berechtigt.
Das Gericht ist aber nach § 405 ZPO nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was sie nicht beantragt hat. Das gilt auch für das Rekursverfahren (RS0041170 [T10]). Da die Beklagten nur die Reduzierung ihrer Kostenersatzpflicht auf 8.203,70 beantragen, ist es dem Rekursgericht verwehrt, über diesen Rekursantrag hinauszugehen und dem Kläger einen darunter liegenden Kostenbetrag zuzusprechen.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf §§ 41 , 50 ZPO. Allerdings war zu beachten, dass Kostenrekurse nach TP 3A zu honorieren sind (TP 3A I.5.b RATG).
5. Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 528 Abs 2 Z 3 ZPO .
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