Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Hofmann als Vorsitzenden und die Richter MMag. Popelka und Mag. Viktorin in der Rechtssache der klagenden Partei A*, **, vertreten durch die Gottgeisl Leinsmer Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei B* Ltd, **, Malta, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 15.174,31 samt Anhang, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 20.5.2025, GZ **-14, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.827,12 (darin EUR 304,52 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte mit Sitz in Malta bietet im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit auf der Website ** Internet-Glücksspiel in Österreich an. Über eine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielgesetz verfügt die Beklagte nicht.
Der Kläger ist Verbraucher, registrierte sich online auf der Seite der Beklagten und spielte im Zeitraum vom 15.10.2017 bis 16.09.2024 Automatenspiele, insbesondere Slot-Spiele, auf deren Online-Plattform. Dabei setzte er EUR 78.184,31 ein und erhielt Auszahlungen von EUR 63.009,69. Er erlitt einen Verlust von insgesamt EUR 15.174,31. Er erfuhr über Facebook, dass er seine Verluste gerichtlich zurückverlangen könne.
Der Klägerfordert den Gesamtspielverlust aus dem Glücksspiel in Höhe von EUR 15.174,31 samt 4 % Zinsen seit 17.9.2024, gestützt auf ungerechtfertigte Bereicherung und Schadenersatz. Die geschlossenen Verträge seien unwirksam, weil die Beklagte über keine Konzession nach dem GSpG verfüge.
Die Beklagte wandte – soweit für das Berufungsverfahren relevant – die Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols ein. Die österreichischen Glücksspielregelungen seien in ihrer Gesamtheit inkohärent. Die Beklagte verfüge über eine gültige maltesische Glücksspiellizenz.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht der Klage statt. Es traf die eingangs wiedergegebenen und die weiteren auf Seite 2 des Urteils ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird.
Rechtlich bejahte das Erstgericht die Rückforderbarkeit der auf Grundlage verbotener und daher nichtiger Glücksspielverträge an die konzessionslos agierende Beklagte geleisteten Beträge. Das im GSpG normierte Monopol- bzw Konzessionssystem sei unionsrechtskonform. Der Kläger habe Anspruch auf Vergütungszinsen, der Rückforderungsanspruch entstehe grds immer mit dem Erhalt der rechtsgrundlosen Zahlung.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, die Klage abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt .
1. Zur Verfahrensrüge :
Als Stoffsammlungsmangel rügt die Beklagte die unterbliebene Einholung der beantragten Sachverständigengutachten aus den Fachbereichen Marketing und Werbung, wodurch unter Beweis hätte gestellt werden können, dass das österreichische Glücksspielmonopol zum Zeitpunkt des Spielens des Klägers nicht kohärent gewesen sei, da die Werbemaßnahmen des Monopolisten nicht den strengen Kriterien des EuGH an die Wirksamkeit eines auf Verbraucherschutz gerichteten Monopols entsprochen hätten.
Falls aufgrund eines primären Verfahrensmangels, etwa der Zurückweisung von Beweisanträgen, andere als die vom Beweisführer behaupteten Tatsachen festgestellt wurden, ist dies mit Mängelrüge geltend zu machen ( Pimmer in Fasching/Konecny 3§ 496 ZPO Rz 57). Hat es das Erstgericht unterlassen, trotz entsprechenden Tatsachenvorbringens für die rechtliche Beurteilung relevante Feststellungen zu treffen, so liegt ein mit Rechtsrüge geltend zu machender sekundärer Feststellungsmangel vor ( Pimmer, aaO Rz 58).
Das Erstgericht hat zu der von der Beklagten relevierten Frage der tatsächlichen Auswirkungen des österreichischen Glücksspielmonopols keine Feststellungen getroffen. Die Beklagte ist daher auf die Behandlung der Rechtsrüge zu verweisen; ein Verfahrensmangel liegt nicht vor.
2. Zur Rechtsrüge :
2.1 Die Beklagte stützt sich darauf, dass die österreichische Glücksspielregelung unionsrechtswidrig sei.
Der OGH geht aber in ständiger Judikatur davon aus, dass das im GSpG normierte Monopol- bzw Konzessionssystem bei gesamthafter Würdigung sämtlicher damit verbundener Auswirkungen (insbesondere der Werbemaßnahmen der Konzessionäre) auf dem Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entspricht (RS0130636 [T7]). Diese Beurteilung steht im Einklang der Rechtsprechung des VfGH (E 945/2016) und des VwGH (Ro 2015/17/0022).
2.2 Insbesondere wegen der durch den Verfassungsgerichtshof zu G 259/2022 ausgesprochenen Teilaufhebung des § 25 Abs 3 GSpG hält die Beklagte eine Neubewertung für geboten.
Der OGH hat sich damit jedoch bereits befasst und an seiner Rechtsprechung zur Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielsystems festgehalten. Mag der Gesetzgeber durch das (primäre) Abstellen (nur) auf die Einholung einer Bonitätsauskunft iSd § 25 Abs 2 GSpG den unionsrechtlich gebotenen Spielerschutz von Spielbankbesuchern auch nicht in einer dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden Weise verwirklicht haben, bedeutet dies noch nicht, dass dieses Anliegen im Glücksspielrecht als Ganzem nicht in kohärenter Weise verfolgt würde. Aus der teilweisen Verfassungswidrigkeit bloß einer Einzelregelung zum Spielerschutz im Bereich der Spielbanken kann nicht abgeleitet werden, dass das österreichische System der Glücksspiel-Konzessionen – entgegen der bisher ständigen Rechtsprechung – unionsrechtswidrig wäre (1 Ob 25/23t [8] mwN).
2.3 Auch die von der Beklagten im Zusammenhang mit der Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielsystems gerügten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor.
Grundsätzlich ist die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht als Rechtsfrage von Amts wegen zu prüfen, sodass sich Fragen zu einer Darlegungspflicht (Behauptungslast) nicht stellen. Können aber bei Regelungen, bei denen sowohl der Wortlaut als auch die erklärte Zielsetzung des Gesetzgebers gegen die Annahme eines Unionsrechtsverstoßes sprechen, ausnahmsweise tatsächliche Umstände zu einem anderen Ergebnis führen, so hat sich diese Prüfung grundsätzlich an diesbezüglichen Parteienbehauptungen zu orientieren. Dabei trifft hier die Beklagte die Verpflichtung zur Behauptung entsprechender Tatsachen, weil es sich beim Einwand der Unionsrechtswidrigkeit um eine anspruchsvernichtende Einwendung handelt (vgl RS0129945).
Nach der Rsp des EuGH sind zwar auch die tatsächlichen Auswirkungen der nationalen Regelungen in die Kohärenzprüfung einzubeziehen (vgl C 390/12, Pfleger, Rn 56), der Begriff „tatsächlich“ ist aber nicht dahin auszulegen, dass die nationalen Gerichte angeleitet werden, „empirisch mit Sicherheit“ das Vorhandensein von bestimmten Auswirkungen der nationalen Regelung nach ihrem Erlass festzustellen (C-464/15, Admiral Casinos Entertainment AG ua,Rn 29). Der Rechtsprechung des EuGH lässt sich gerade nicht entnehmen, dass die Kohärenz jeder einzelnen Differenzierung im nationalen Glücksspielrecht durch eine empirische Studie untermauert werden müsste (3 Ob 72/21s mwN).
Der EuGH setzte sich in der Entscheidung C-920/19, Fluctus/Fluentum, neuerlich mit dem österreichischen Glücksspielmonopol auseinander und bestätigte seine bisherige Rechtsprechung zu den Grenzen der Zulässigkeit wettbewerbsbeschränkender Maßnahmen.
Tatsächliche Umstände, die in der umfangreichen Rechtsprechung zur Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielsystems (vgl RS0130636) nicht schon berücksichtigt worden wären und die eine geänderte Beurteilung nahelegen könnten, zeigt die Beklagte in ihrem Vorbringen nicht auf.
2.4 Die Beklagte verweist darauf, dass sich das Erkenntnis des VfGH zu E 945/2016-24 auf ein Verwaltungsstrafverfahren wegen Verletzungen des GSpG im Zusammenhang mit Glücksspielautomaten bezogen habe.
Die hier maßgeblichen Entscheidungen des OGH beziehen sich aber sehr wohl auf Online-Glücksspiel (vgl zB RS0130636 [T9]).
2.5 Die Beklagte meint weiter, aus 4 Ob 124/17i lasse sich ableiten, dass für die Beurteilung der Vereinbarkeit des österreichischen Glücksspielmonopols mit der Dienstleistungsfreiheit sowohl Tatsachen zu erheben als auch Feststellungen dahingehend zu treffen seien, warum das Glücksspielmonopol kohärent oder eben nicht kohärent sei.
In der genannten Entscheidung folgte der OGH aber gerade nicht der Ansicht der dort Beklagten, wonach in jedem einzelnen von der Frage der Unionsrechtskonformität des GSpG berührten Fall hierzu eine entsprechende Tatsachengrundlage geschaffen werden müsse.
2.6 Soweit die Beklagte insbesondere Tatsachenfeststellungen zu den Auswirkungen des österreichischen Glücksspielsystems im gegenständlichen Zeitraum vom Oktober 2017 bis September 2024 fordert, ist darauf hinzuweisen, dass die zitierte Rsp des OGH sich auf Zeiträume bis jedenfalls 2023 bezieht (vgl zB 7 Ob 86/24h). Weshalb diese Beurteilung nun nicht mehr gelten sollte, wird aus der Berufung nicht ersichtlich. Das Werbeverhalten des Monopolisten hat die Judikatur im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung ohnedies berücksichtigt.
2.7 Das Erstgericht sprach dem Kläger die ab 17.9.2024 – somit für den Zeitraum nach Beendigung seiner Spieltätigkeit – geltend gemachten Vergütungszinsen zu.
Die Beklagte meint, dass für Verluste, die mehr als drei Jahre vor Klagseinbringung entstanden seien, keine Vergütungszinsen gebührten. Vergütungszinsen für innerhalb von drei Jahren vor Klagseinbringung erlittene Verluste stünden allenfalls erst ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Fälligstellung zu. Außerdem hätte das Erstgericht das Zinsbegehren abweisen müssen, zumal dieses auch mangels Aufschlüsselung anhand einer Zinsstaffel unschlüssig sei.
Das Erstgericht hat auch den Zinsanspruch des Klägers zutreffend beurteilt.
Zinsen aus einer ohne Rechtsgrund geleisteten und daher zurückzuerstattenden Geldsumme sind sogenannte Vergütungszinsen, für die die Bestimmung des § 1333 ABGB selbst für den Zeitraum vor Verzugseintritt maßgeblich ist. Es wäre nicht zu rechtfertigen, wenn der Schuldner den Nutzungsvorteil bis zum Einlangen eines Rückzahlungsbegehrens behalten könnte (RS0032078, insb [T1]; vgl 10 Ob 2/23a Rz 123 ff). Daher kommt es für den Beginn des Zinslaufs hier entgegen dem Berufungsvorbringen nicht auf den Zeitpunkt der Geltendmachung an.
Die von der Beklagten zitierte Entscheidung 5 Ob 115/23g ist nicht einschlägig. Dort beurteilte der OGH keine Vergütungszinsen, sondern Verzugszinsen, deren Fälligkeit sich nach § 1334 ABGB richtet.
Es trifft zwar zu, dass in vereinzelten Entscheidungen von Rechtsmittelgerichten (so wie in der Berufung zitiert: OLG Innsbruck 5 R 70/22s; OLG Wien 16 R 205/22t) ein anderer Standpunkt vertreten wurde. Die oben referierte Rechtsansicht, der sich der Senat anschließt, entspricht jedoch auch der überwiegenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (vgl OLG Wien, 5 R 24/25y mwN).
Generell unterliegen sowohl vertraglich bedungene als auch gesetzliche Zinsen der dreijährigen Verjährung gemäß § 1480 ABGB. Dies gilt auch für bereicherungsrechtlich zurückgeforderte, aus unwirksamen Glücksspielverträgen stammende Beträge (vgl 4 Ob 210/23w mwN).
Der kurzen Verjährungsfrist unterliegen aber nur die jeweils angelaufenen, fälligen Zinsen. Das Gesamtrecht auf wiederkehrende Leistungen hier also der Anspruch auf Bereicherungszinsenverjährt nach § 1480 letzter Halbsatz ABGB erst nach 30 Jahren. Der kurzen Verjährungsfrist unterliegen die jeweils angelaufenen, fälligen Zinsen. Von der Verjährung nicht betroffen sind Bereicherungszinsen aus den letzten drei Jahren vor der Klagseinbringung (OLG Wien 14 R 45/22y; vgl OLG Wien 30 R 117/21b = RW0001001; vgl 7 Ob 88/20x).
Die geltend gemachten und zugesprochenen Zinsen sind innerhalb des dreijährigen Verjährungszeitraums angelaufen. Da erst Zinsen für den Zeitraum nach Beendigung der Spieltätigkeit des Klägers geltend gemacht wurden, erübrigt sich auch eine Aufschlüsselung.
2.8 Der Berufung war somit nicht Folge zu geben.
2.9 Die Anregung der Beklagten auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens war nicht aufzugreifen, weil die relevanten Prüfungskriterien vom EuGH bereits ausreichend festgelegt wurden und zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit eines Glücksspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit bereits umfangreiche Rechtsprechung sowohl des EuGH als auch der Höchstgerichte in Österreich vorliegt (vgl ua 1 Ob 78/24p).
3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.
4. Die Revision ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
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