Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Straf- und Medienrechtssache des Privatanklägers und Antragstellers A* gegen die Privatangeklagte und Antragsgegnerin B* wegen § 111 Abs 1 und 2 StGB, §§ 6 ff MedienG über die Berufung des Privatanklägers und Antragstellers wegen Nichtigkeit und Schuld gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 29. April 2024, GZ **-63, nach der am 26. Juni 2025 unter dem Vorsitz der Richterin Mag. Primer, im Beisein der Richterin Dr. Hornich, LL.M., und des Richters Ing. Mag. Kaml, in Abwesenheit des Antragstellers, jedoch in Gegenwart seines Parteienvertreters Dr. Niki Haas, in Anwesenheit der Privatangeklagten B* und ihres Verteidigers Dr. Oliver Scherbaum durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß §§ 390a Abs 1, 390 Abs 1a, 393 Abs 4a StPO iVm §§ 8a Abs 1, 41 Abs 1 MedienG hat der Antragsteller und Privatankläger die durch sein gänzlich erfolgloses Rechtsmittel verursachten Kosten der Vertretung der Antragsgegnerin und Privatangeklagten im Rechtsmittelverfahren zu tragen.
Entscheidungsgründe:
Gegenstand des Verfahrens ist ein von der Angeklagten verfasster Beitrag mit dem Wortlaut „A* plant mit den Verschwörern die Regierung wegzuputschen, bei den C*lern geht es zum sie wollen nur morden, aufhängen, brennen ecta.“.
Unter Bezugnahme auf diesen Beitrag begehrte der Privatankläger die Verurteilung und Bestrafung der Angeklagten wegen § 111 Abs 1 und 2 StGB und beantragte zusätzlich, dieser die Zahlung einer Entschädigung nach § 6 MedienG aufzuerlegen sowie die Veröffentlichung einer Mitteilung über das Verfahren nach § 37 Abs 1 MedienG und die Urteilsveröffentlichung nach § 34 Abs 1 MedienG anzuordnen.
Mit dem angefochtenen Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 29. April 2024 (ON 63) wurde B* im dritten Rechtsgang vom wider sie erhobenen Vorwurf, sie habe am 7. Jänner 2021 in ** als Medieninhaberin ihrer unter D* abrufbaren Website A* in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigt und einer verächtlichen Gesinnung geziehen, die geeignet sind, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, wobei die Tat auf eine Weise begangen wurde, wodurch die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, indem sie einen Beitrag mit dem Wortlaut „A* plant mit den Verschwörern die Regierung wegzuputschen, bei den C*lern geht es zum sie wollen nur morden, aufhängen, brennen ecta.“ veröffentlichte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen und die medienrechtlichen Anträge wurden abgewiesen. Außerdem verpflichtete das Erstgericht den Privatankläger und Antragsteller gemäß § 390 Abs 1a StPO zum Ersatz der Kosten des Verfahrens.
Die Erstrichterin traf zum Rezipientenkreis und zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Veröffentlichung folgende Feststellungen (US 5 ff):
Der Rezipientenkreis der von der Angeklagten geposteten Nachricht sind zum einen ihre „Follower“, deren politische Einstellung derjenigen der Angeklagten entspricht und die ihr auf „Twitter“ folgen, zum anderen obenzitierte Nutzer, als auch deren „Follower“, gebildete Personen, teilweise Akademiker, Juristen, politisch interessierte Personen, die die Fähigkeit und Bereitschaft haben, sich mit kontroversieller politischer Berichterstattung und Kommentaren auseinanderzusetzen.
Der inkriminierte „Tweet“ der Angeklagten, einer ehemaligen Lokalpolitikerin der E*, richtete sich somit an Rezipienten, die Kritik am Verhalten oder Vorgehen von A* als Obmann der C*, einer der größten österreichischen Oppositionsparteien, üben.
Der inkriminierte Beitrag wurde somit von der Angeklagten in einer „Public Debate“ gepostet.
Der „Tweet“ "A* plant mit den Verschwörern die Regierung wegzuputschen, bei den C*lern geht es zum sie wollen nur morden, aufhängen, brennen, ecta.“ hat für die Rezipienten der geposteten Nachricht, deren politische Einstellung derjenigen der Angeklagten entspricht und die ihr auf „Twitter" folgen und daher deren „Tweets“ automatisch auf ihrem jeweils eigenen „Twitter-Account“ angezeigt bekommen, sowie den „Followern“ der Personen, mit denen die Angeklagte interagierte, den Sinngehalt einer scharfen und schärfsten formulierten Kritik bzw. Äußerung in einem provokanten, polemischen und aggressiven Ton an der politischen Vorgehensweise des Privatanklägers. Der Privatankläger verwendet bei öffentlichen Aussagen als Politiker häufig selbst eine sehr drastische, aggressive und polarisierende Ausdrucksweise, attackiert die Bundesregierung oft äußerst heftig und verwendet immer wieder den Slogan "F* muss weg" [ON 13/13]. Der Angeklagten war es im Zeitpunkt des Verfassens ihres „Tweets“ weder klar noch wollte sie, dass die Personen, die ihr auf ihrem Twitterkanal folgen bzw den genannten Nutzern "G*", „H*" folgen, die Aussage, A* würde putschen, morden, aufhängen oder brennen, tatsächlich dem Wortlaut entsprechend verstehen. Ebensowenig wollte sie in Bezug auf die geposteten Worte: „bei den C*lern geht es zum sie wollen nur morden, aufhängen, brennen, ecta“, dass die Aussage im allgemeinen Wortsinn so verstanden wird, dass Mitglieder der C* oder der Privatankläger „morden aufhängen und brennen“ wollen. Sie wollte den Privatankläger durch den inkriminierten „Tweet“ nicht in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung ziehen oder eines unehrenhaften Verhaltens oder eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigen, das geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen.
Putsch bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch eine meist gewaltsame und überraschende Aktion von Angehörigen des Militärs oder paramilitärischer Organisation und/oder einer Gruppe von Politikern mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen und die Macht im Staat zu übernehmen. Häufig folgt auf einen Putsch eine Militärdiktatur oder die Herrschaft eines autoritären Regimes.
Die Angeklagte wollte bei der Veröffentlichung des inkriminierten „Tweets“ nicht, dass sie den Privatankläger mit dem ersten Halbsatz eines zumindest unehrenhaften und gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt und ihm im zweiten Halbsatz eine verächtliche Gesinnung unterstellt, und wusste, dass beides im vom „Tweet“ adressierten Rezipientenkreis nicht geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, sondern vielmehr als scharfe, provokante, polemische Kritik aufgefasst werden wird.
Nachdem sie den im Urteilsspruch zitierten Beitrag veröffentlicht hatte, begab sich die Angeklagte zu Bett. Als sie nach dem Aufstehen gegen 10:00 Uhr wieder in „Twitter" einstieg und ihren Beitrag nochmals las, bemerkte sie die sprachlichen Fehler und löschte ihn.
Der Privatankläger sowie die C* brachten gegen die Angeklagte wegen des auch hier gegenständlichen „Tweets“ am 29.1.2021 beim Landesgericht Korneuburg zu ** Klage auf Unterlassung und Widerruf ein, der mit in Rechtskraft erwachsenem Versäumungsurteil vom 17.3.2021 Folge gegeben wurde [ON 8]. Dass die Angeklagte diesem Urteil zuwider gehandelt hätte, kann nicht festgestellt werden.
In der Beweiswürdigung wurde dazu festgehalten (US 7 ff):
Die Feststellungen, dass B* am 7.1.2021 den „Tweet“ „A* plant mit den Verschwörern die Regierung wegzuputschen, bei den C*lern geht es zum sie wollen nur morden, aufhängen, brennen etca.“ veröffentlichte, als Medieninhaberin auf ihrer Seite, D*, und auf eine Konversation zwischen @I*, @H* und @G* antwortete, sowie der Umstand, dass sie jenen „Tweet“ am 7.1.2021 gegen 10:00 Uhr am Vormittag wieder löschte, beruhen auf ihren insofern unbedenklichen Angaben und ON 5/11.
Im Gesamten hinterließ die Angeklagte, die nunmehr auch im dritten Rechtsgang bei ihren ursprünglichen Angaben blieb, einen glaubhaften Eindruck. Wurden ihre Angaben zur subjektiven Tatseite im ersten Rechtsgang noch in Zweifel gezogen, waren sie dem Urteil nun bedenkenlos zugrunde zu legen. Der Sachverständige Univ.-Lekt. Dkfm. Mag.J*, BA MBA CMC bestätigte in seinem mündlich erstatteten Gutachten in der Hauptverhandlung die Vermutungen der Angeklagten, wonach es in der Nacht von 6.1.2021 auf 7.1.2021 manipulative Eingriffe von Twitter in das Postingverhalten der User gab, sodass es zu Funktionsstörung in Teilbereichen, wie von der Angeklagten geschildert, kam, weshalb sie ihr eigenes Posting auf ihrer Seite nicht mehr aufrufen konnte und daher auf einer anderen Seite löschen musste, nun glaubhaft war und daher davon auszugehen ist, dass sie ihren „Tweet“ tatsächlich wegen der fehlerhaften Sprache löschte.
Wie bereits im zweiten Rechtsgang festgestellt, legte die Angeklagte logisch nachvollziehbar ihre Gründe dar, warum sie es zu keinem Zeitpunkt ernstlich für möglich hielt, ihre „Tweets“ würden bei ihren „Followern“ den Eindruck erheben, dass sie wirklich daran glauben, dass A* einen Putsch verüben, morden, aufhängen und brennen wolle. Dass diese Aussagen im Zuge eines aufbrausenden Gemütszustandes geschahen, beruht auf der Aussage der B*, welche lebensnah schildert, welchen aufwühlenden Zustand der „Sturm auf das Kapitol“ bei ihr hinterließ. Die Angeklagte wirkte politisch nach wie vor sehr interessiert und erweckte den Eindruck, sich mit jenen Thematiken weitreichend auseinanderzusetzen. Die Feststellungen bezüglich des Ereignisses des Sturms auf das Kapitol beruhen auf ON 5/5 bzw sind notorisch.
Es kam kein Beweis hervor, der geeignet war, die Verantwortung der B* zu widerlegen.
Die Feststellungen zum Rezipientenkreis der von der Angeklagten geposteten inkriminierten Nachricht gründet auf dem nachvollziehbaren und in sich geschlossenen Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Inf.(FH) K* (ON 42), der im Auftrag des Gerichtes den Followerkreis der Angeklagten und der weiteren „Twitteruser“ @I*, @H* und "G*“ erhob. Im Einklang mit den Angaben der Angeklagten bereits im ersten Rechtsgang befanden sich darunter durchwegs gebildete Personen, Unternehmer, Journalisten, Lehrer und auch, wie von der Angeklagten angegeben, Juristen. Zwar führte der Sachverständige nachvollziehbar aus, dass er die „Follower“ zum Tatzeitpunkt selbst nicht mehr feststellen konnte. Im Zusammenhang mit den Angaben der Angeklagten war jedoch zwanglos festzustellen, dass es sich bei den „Followern“, die im Laufe der Zeit zwar variieren, im Großen und Ganzen notorisch aber, wie bei der Leserschaft einer Zeitung vergleichbar, gleichbleibend sind, um gebildete und politisch interessierte Personen, teilweise Akademiker und Juristen, handelt, die die Fähigkeit und Bereitschaft haben, sich mit kontroversieller politischer Berichterstattung und Kommentaren auseinandersetzen. Dies konnte insbesondere auch aufgrund der vom Sachverständigen im gleichen Gutachten festgestellten Konversation bzw. Beiträge der „User“ und „Follower“ der „Twitter-Accounts“ @I*, @H* und"G*“ am 7.1.2021 vor dem Beitrag der Angeklagten um 01:45 Uhr bis zum Löschen des Beitrages der Angeklagten um ca 10.00 Uhr festgestellt werden. Über die bereits in den ersten beiden Rechtsgängen erörterten Beiträge hinaus konnten noch weitere Beiträge über die Impfungen zu Coronazeiten festgestellt werden, aus denen zweifellos eine Debatte über Impfungen, deren Gegner, insbesondere den Privatankläger, und Befürworter feststellbar ist.
So postet der „User“ "G*“ „Funfact: Der A* hat anscheinend noch nie in seinem Leben AGBs akzeptiert“ und der User L* antwortet „Reg dich net auf, ich bin froh, wenn der derartigen Unsinn verzapft, ein paar Irre glauben ihm sicher und so komm ich wenigstens früher zur Impfung“. Ein Beitrag auf dem Account von I* lautet „Die C* kommt an #M* Niveau heran“. Ein User namens N* antwortete der Angeklagten auf ihren „Tweet“: „Die Anti-Impfkampagne der #C* ist übrigens nicht nur für mich im wahrsten Sinne lebensgefährlich“
Die Angeklagte selbst postet ebenfalls noch am 7.1.2021: „nicht nur sie, sind auch viele Linke dabei, vegan, Klimaschutz, Esoterik, die fest gegen die Impfung sind.die sämtliche Fakemeldungen teilen“, sodass zwanglos die Feststellung getroffen werden konnte, dass der inkriminierte „Tweet“ der Angeklagten, einer ehemaligen Lokalpolitikerin der E*, sich an Rezipienten richtete, die Kritik am Verhalten oder Vorgehen von A* als Obmann der C*, einer der größten österreichischen Oppositionsparteien, üben, der Beitrag somit in einer „Public Debate“ gepostet wurde und somit für die Rezipienten des „Tweets“, die die politische Einstellung der Angeklagten teilen, den Sinngehalt einer scharfen und schärfsten Kritik bzw. Äußerung in einem provokanten, polemischen und aggressiven Ton an der politischen Vorgehensweise des Privatanklägers hatte.
Die Feststellungen zum Sinngehalt des Wortes "Putsch" im allgemein üblichen Sprachgebrauch gründen sich auf die in ON 6 ersichtliche Definition aus der freien Enzyklopädie https://de.wikipedia.org einschließlich der dort zitierten Bedeutungserklärungen aus diversen allgemein gebräuchlichen Wörterbüchern sowie auf die in ON 14/17 angegebenen Bedeutungserklärungen aus www.wortbedeutung.info.
Die Feststellungen zu Struktur und Funktionen von „Twitter" folgen den schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen K* (ON 14/II, ON 15/6ff).“
In rechtlicher Hinsicht sah das Erstgericht weder den objektiven noch den subjektiven Tatbestand des § 111 StGB und somit auch den medienrechtlichen Tatbestand nach § 6 Abs 1 MedienG als nicht erfüllt an.
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 65) und fristgerecht ausgeführte Berufung des Privatanklägers und Antragstellers wegen Nichtigkeit und Schuld (ON 67), mit der er eine Abänderung des Urteils dahingehend begehrt, der Privatanklage und den Anträgen vom 29. Jänner 2021 Folge zu geben, in eventu den Anträgen-2-5 gemäß Punkt 4. der Privat-anklage vom 29. Jänner 2021 Folge zu geben, in eventu die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung.
Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.
Bei der Behandlung der Berufungspunkte und Nichtigkeitsgründe geht eine wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung einer Rüge wegen der Z 9 bis 10a des § 281 Abs 1 (§ 469 Abs 1 Z 4) StPO vor, jener wegen formeller Nichtigkeitsgründe jedoch nach ( Ratz , WK StPO § 476 Rz 9).
Bei der zunächst zu behandelnden Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld ist darauf zu verweisen, dass die grundsätzlichen Erwägungen, wie sie bereits in den Entscheidungen des Oberlandesgerichts Wien zu AZ 18 Bs 5/22z im ersten Rechtsgang und AZ 18 Bs 357/22i im zweiten Rechtsgang festgehalten wurden, nach wie vor zutreffen.
Dem Antragsteller gelingt es mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld, mit der er sich zunächst gegen die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zum potenziellen Rezipientenkreis sowie zum Sinngehalt der Veröffentlichungen wendet, im Ergebnis nicht, Zweifel an den erstgerichtlichen Konstatierungen zu wecken.
Er moniert zusammengefasst (ON 67 AS 4 ff), dass laut dem Gutachten Informationen zu den Usern und Followern der drei Twitter Accounts „@I*, @H* sowie @G*“ nicht extrahiert werden können, die zwei noch aktiven Accounts 3.745 Follower zählen und bei einer derart hohen Anzahl an Rezipienten nachvollziehbar kein eindeutig erkennbares einheitliches (intellektuelles) Niveau festgestellt werden könne. Eine so hohe Anzahl an Rezipienten führe unweigerlich dazu, dass sich diese aus allen politischen und intellektuellen Gesellschaftsschichten zusammensetzen. Notorisch sei auch der Umstand, dass gerade politisch Andersdenkende besonders aktiven politischen Postern auf der Plattform X folgen, um einerseits in die Diskussion mit diesen Personen zu treten und andererseits auch deren Inhalte zu „kontrollieren“, um diese dann gegebenenfalls bei X zu melden, um Sperren zu erreichen, anzuzeigen oder an die „breite“ Öffentlichkeit zu tragen und sich darüber zu empören. Im Internet und somit auch auf der Plattform Twitter (X) können die Nutzer ungeprüft jede Angabe über sich selbst in ihrem Profil angeben. Niemand könne nachprüfen, welche intellektuellen oder sonstigen Fähigkeiten, welche politische Bildung oder Gesinnung die einzelnen Nutzer tatsächlich haben. Außerdem zeige sich, dass nicht nur Personen mit demselben politischen Weltbild erreicht worden seien, auch klar durch den Umstand, dass das inkriminierte Posting, das angeblich nur wenige Stunden online gewesen sei, auch an Personen gelangt sei, die politisch gerade nicht der Angeklagten, sondern dem Privatankläger nahestehen. Nachdem der inkriminierte Tweet überhaupt keinen Bezug auf irgendeine politische Äußerung, eine politische Forderung oder ein sonstiges Verhalten des Privatanklägers nehme, handle es sich gerade nicht um einen Beitrag zu einer politischen Debatte.
Dem ist zunächst entgegen zu halten, dass es bei der Ermittlung des Rezipientenkreises nicht maßgeblich ist, welche Personen einen Beitrag lesen. Es kommt dabei vielmehr darauf an, an wen sich die Publikation nach ihrer Aufmachung und Schreibweise sowie den behandelten Themen richtet, und nicht, von wem sie tatsächlich wahrgenommen wird. Zwar können potenziell bei einem Posting auf der Plattform (X) alle Personen angesprochen werden. In Bezug auf die konkret in Rede stehende Veröffentlichung weist das Erstgericht allerdings zurecht darauf hin, dass durch die darin zutage tretende Kritik an der C*, etwa durch die wiederholte Bezugnahme auf die Corona-Impfung, der Rezipientenkreis auf „Follower“, deren politische Einstellung derjenigen der Angeklagten entspricht und die ihr auf „Twitter“ folgen, zum anderen obenzitierte Nutzer, als auch deren „Follower“, gebildete Personen, teilweise Akademiker, Juristen, politisch interessierte Personen, die die Fähigkeit und Bereitschaft haben, sich mit kontroversieller politischer Berichterstattung und Kommentaren auseinanderzusetzen, somit an Rezipienten, die Kritik am Verhalten oder Vorgehen von A* als Mitglied der C* und (damaligen) Obmann des C* Parlamensklubs (siehe ON 67 AS 8), einer der größten österreichischen Oppositionsparteien, üben, eingeschränkt wird (US 5).
Darüber hinaus beruht die vom Erstgericht zutreffend angenommene Einschränkung des Rezipientenkreises auf dem Umstand, dass es sich bei der Angeklagten um eine ehemalige Lokalpolitikerin der E* handelt, die die Plattform Twitter regelmäßig und sehr intensiv nutzt (US 5). Unter Berücksichtigung, dass der Tweet als Antwort auf ein C*-kritisches Posting von Nutzern, mit denen die Angeklagte bereits vor dem 6. Jänner 2021 seit längerem auf „Twitter“ interagierte, erfolgte, begegnen daher die Feststellungen des Erstgerichts zum Rezipientenkreis keinerlei Bedenken, ergibt sich doch durch diese Wortlaute eine klare Einschränkung auf Leser, die einem bestimmten politischen Spektrum angehören und demnach die Veröffentlichung im Rahmen einer „public Debate“ erfolgte.
Im Rahmen der Berufung wegen Schuld sind vom Berufungsgericht die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Veröffentlichung einer Prüfung zu unterziehen. Dazu fällt auf, dass die Erstrichterin (entsprechend den Vorentscheidungen des Berufungsgerichts) nicht exakt die erforderliche Trennung einerseits des Bedeutungsinhalts der Veröffentlichung (und damit im Ergebnis des Vorliegens des objektiven Tatbestands des § 111 StGB) und andererseits der subjektiven Tatseite vorgenommen hat und nicht relevant für das Leserverständnis ist, womit sie sich zuvor persönlich befasst hat, sondern nur, ob bzw in welchem Kontext der inkriminierte Beitrag eingebettet war (ON 23 AS 13).
Von Amts wegen (zugunsten der Privatangeklagten und Antragsgegnerin) wird daher nach einverständlicher Verlesung der Veröffentlichung (Beilage ./D) im Rahmen der Berufung wegen Schuld präzisierend festgestellt:
Der Leser versteht die verfahrensgegenständliche Veröffentlichung „A* plant mit den Verschwörern die Regierung wegzuputschen“ als scharfe Formulierung in einem provokanten, polemischen und aggressiven Ton an der politischen Vorgehensweise des Privatanklägers, insbesondere seiner Kritik an den Maßnahmen der Bundesregierung während der Corona-Pandemie. Hingegen versteht der angesprochene Rezipient - trotz seiner kritischen Einstellung gegenüber der C* - die inkriminierte Äußerung nicht dahingehend, dass dem Antragsteller damit ein strafbares Handeln im Sinn des Strafrechts oder ein unehrenhaftes oder gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten vorgeworfen werden soll, mit dem Ziel, die Regierung rechtswidrigerweise und mit strafrechtlich relevanten Mitteln zu stürzen oder die Macht im Staat ohne demokratische Legitimation zu übernehmen.
Der Leser erblickt in der weiteren verfahrensgegenständliche Veröffentlichung „bei den C*lern geht es zum sie wollen nur morden, aufhängen, brennen ecta.“ eine kritische Bewertung des Handelns von Mitgliedern der C* inklusive dem Privatankläger in Bezug auf die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gesetzten Maßnahmen der Bundesregierung, vor allem in Bezug auf die zum damaligen Zeitpunkt aktuellen Corona-(Impf-)maßnahmen der Bundesregierung, welchen die C* notorischerweise äußerst kritisch gegenüber stand. Hingegen versteht der angesprochene Rezipient - trotz seiner kritischen Einstellung gegenüber der C* - die inkriminierte Äußerung nicht dahingehend, dass Mitgliedern der C* und somit auch dem Antragssteller damit ein strafbares Handeln im Sinn des Strafrechts oder ein unehrenhaftes oder gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten oder eine verächtliche Gesinnung vorgeworfen werden soll.
Diese Festellungen basieren auf der Interpretation des kurzen, in einfachen Worten abgefassten Tweets in seinem Gesamtzusammenhang sowie der allgemein bekannten medialen Vorberichterstattung in Bezug auf die Corona-Pandemie und die Impfmaßnahmen der österreichischen Bundesregierung, zumal der Tweet auch in einen Thread zu diesem Thema eingebunden ist (vgl ON 42 Seite 14), und dem im Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuellen Corona-Pandemie samt Diskussionen über die Möglichkeit einer Impfung und die kritische Haltung der C* und ihrer Mitglieder gegen die Maßnahmen der Bundesregierung.
Zum Vorwissen insbesondere betreffend die Corona-Pandemie gründen sich die Feststellungen auf die Notorietät.
Im Übrigen ist mit Blick darauf, dass, wenn mehrere verschiedene Auslegungen zur Beurteilung des Sinngehalts einer Aussage nicht ausgeschlossen werden können, – entsprechend dem im Strafprozess geltenden Grundsatz „in dubio pro reo" – von der für die Angeklagte günstigsten Variante auszugehen (RIS-Justiz RS0092588 [T31 und T32]).
Damit erübrigt sich mangels Vorliegens des objektiven Tatbestands auch ein Eingehen auf die vorgebrachten Kritikpunkte zur subjektiven Tatseite.
Die unbekämpft gebliebenen Erwägungen des Erstgerichts zum Ausfall von Twitter zum Tatzeitpunkt sind ebenfalls nicht zu beanstanden (US 4, US 8).
Zum Vorbringen der Privatangeklagten, wonach dem Urteil nicht zu entnehmen sei, dass ihr Posting auf der von ihr betriebenen Internetseite „D*“ abrufbar gewesen sei (ON 71 AS 5), ist festzuhalten, dass sich dies aus dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe ableiten lässt, wonach die Veröffentlichung als Medieninhaberin auf ihrer Seite erfolgte (US 8).
Zusammengefasst vermag keines der Argumente des Privatanklägers im Ergebnis die Beweiswürdigung des Erstgerichts zu erschüttern. Auch die amtswegig gebotene ( Ratz , aaO § 467 Rz 2) Überprüfung ergab keine Bedenken an den Schlussfolgerungen der Erstrichterin, sodass der Schuldberufung kein Erfolg beschieden ist.
Ebenso wenig dringt der Berufungswerber mit seiner Rechtsrüge nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO durch.
Der erkennende Senat hegt keine Bedenken an der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts, wonach die Privatangeklagte eine scharf formulierte, aber im Rahmen der freien Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK zulässige Kritik geübt hat.
Denn bei der Beurteilung der Frage, ob die inkriminierte Veröffentlichung dem Recht auf Kritik und freie Meinungsäußerung unterliegt, ist zu berücksichtigen, dass die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern in Ausübung ihres öffentlichen Amtes weiter gesteckt sind als dies bei Privatpersonen der Fall ist, weil Politiker sich unweigerlich und wissentlich der eingehenden Beurteilung ihrer Worte und Taten durch die Presse und die allgemeine Öffentlichkeit aussetzen. Politiker müssen daher einen höheren Grad an Toleranz zeigen, im Speziellen wenn die selbst öffentliche Äußerungen tätigen, die geeignet sind Kritik auf sich zu ziehen (RIS-Justiz RS0054817 [T10]). Wertungen gegenüber Politikern genießen daher in höherem Maß den Schutz des Grundrechts der freien Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK (RIS-Justiz RS0054817 [T9]).
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen sowie den gerichtsnotorischen omnipräsenten Ergebnissen über die Coronamaßnahmen während der damaligen Pandemie und die notorisch kritische Haltung der C* gegen die Maßnahmen der Regierung liegt ein hinreichendes Tatsachensubstrat vor, sodass die inkriminierte Äußerung vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist.
Die inkriminierten Formulierungen mögen zwar eine grob formulierte Unmutsäußerung und Wertung sein, doch schützt Art 10 EMRK nicht nur stilistisch hochwertige, sachlich vorgebrachte und niveauvoll ausgeführte Bewertungen, sondern jedwedes Unwerturteil, das nicht in einem Wertungsexzess gipfelt (vgl 6 Ob 162/12k). In der politischen Debatte ist zudem kein streng juristisches Begriffsverhältnis anzulegen (vgl dazu RS0031815 [T23]).
Fallbezogen stellt sich somit die Kritik am Verhalten des Privatanklägers/Antragstellers als zulässige – wenngleich harsch formulierte – Wertung dar, die noch von Art 10 EMRK gedeckt ist, zumal diese Bestimmung nicht nur stilistisch hochwertige, sachlich vorgebrachte und niveauvoll ausgeführte Bewertungen schützt, sondern auch provokant, übertrieben und aggressiv formulierte Unwert-urteile, sofern diese nicht in einem Wertungsexzess gipfeln.
Ausgehend davon ist der objektive Tatbestand des § 111 Abs 1 StGB und der medienrechtliche Tatbestand des § 6 Abs 1 MedienG nicht erfüllt, weshalb sich ein näheres Eingehen auf die subjektive Tatseite erübrigt.
Der Berufung ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet auf den bezogenen Gesetzesstellen.
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