Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Senatspräsidentin Mag. Fisher als Vorsitzende sowie die Richterin Mag. Janschitz und den Richter Mag. Resetarits in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A* , geb. **, Pensionistin, **, vertreten durch Teicht Jöchl Rechtsanwälte KG in Wien, wider die beklagte Partei B* AG , FN **, **, vertreten durch die Finanzprokuratur, wegen EUR 60.000,-- s.A. und Feststellung (Streitwert EUR 10.000,-), über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 24.02.2025, ausgefertigt am 04.04.2025, **-26, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird keine Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 3.157,35 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Revision ist nicht zulässig .
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Am 09.03.2023 ereignete sich im Bahnhof C* ein Unfall, bei dem die Klägerin beim Ausstieg aus dem Zug stürzte und sich einen Oberschenkelhalsbruch zuzog.
Der Bahnhof besitzt drei Bahnsteige, wovon nur der nördlichste Bahnsteig 1 ein befestigter niveaugleicher Bahnsteig ist. Die anderen beiden Bahnsteige 2 und 3 sind als Erdbahnsteige ausgestaltet und somit nicht speziell befestigt. Bei diesen steigen die Fahrgäste auf Gleisniveau aus.
Die Klägerin, die über ein Klimaticket verfügte, fuhr mit dem B*-Zug ** von D* in Richtung C*. Dieser Zug fuhr um 23:34 Uhr in der Endstation C* auf dem Mittelgleis ein. Das Ein- und Aussteigen aus dem Zug war nur über einen Erdbahnsteig möglich. Kurz vor dem Halt des Zuges wurden die Fahrgäste automatisiert über das Fahrgast-Informations-System auf den Niveauunterschied zwischen Zug und Bahnsteig hingewiesen. Weitere Sicherheitshinweise erfolgten nicht.
Der Triebfahrzeugführer betätigte wenige Sekunden vor dem Einfahren und Stillstand des Zuges die sogenannte 200er-Trittstufe. Diese Trittstufe ist die niedrigste von drei möglichen Stufen und die sachgemäße Wahl für Erdgleise. Durch diese Trittstufe, mit welcher ein Niveauunterschied von etwa 23 cm zwischen Trittstufe und Boden verbleibt, wurde den Fahrgästen das gefahrlose Ein- und Aussteigen aus dem Zug ermöglicht.
Die Klägerin beachtete den Niveauunterschied zwischen Zug und Bahngleis nicht und blickte auch nicht vor ihre Füße. Sie stieg bei der vordersten Zugtür gedankenverloren mit Blick nach vorne gerichtet aus dem Zug aus. Sie unterlag dabei aufgrund ihrer Unachtsamkeit dem Irrtum, einen niveaugleichen Bahnsteig vorzufinden, stieg aus diesem Grund ins „Leere“ und kam zu Sturz.
Die Klägerin begehrt den Ersatz von Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle aus dem Unfall resultierenden zukünftigen Schäden und bringt vor, die Zuggarnitur sei nicht wie sonst üblich, sondern an dem befestigten Bahnsteig 1 so geparkt worden, dass beim Ausstieg der Klägerin kein erhöhter Bahnsteig, sondern nur unbefestigtes Gelände vorhanden gewesen sei. Die Mitarbeiter der Beklagten hätten den Zug so parken müssen, dass ein gefahrloses Ein- und Aussteigen möglich gewesen wäre, Sicherungsmaßnahmen treffen oder zumindest eine Warnung aussprechen müssen. Selbst wenn der Zug auf einem Erdbahnsteig eingefahren wäre, wäre die Parkposition ungewöhnlich gewesen, weil der Zug aus D* immer am befestigten Bahnsteig ankomme. Der Unfall wäre durch eine Durchsage über die ungewöhnliche Parkposition leicht zu verhindern gewesen. Der Beklagten sei auch anzulasten, dass die 200er-Trittstufe nicht ausgefahren worden sei. Die Haftung der Beklagten werde sowohl auf den Beförderungsvertrag wie auch auf das EKHG gestützt.
Die Beklagte beantragt Klagsabweisung und bringt vor, die Zuggarnitur sei ordnungsgemäß angehalten worden. Der Triebfahrzeugführer habe nach Stillstand des Zuges am Mittelgleis des Bahnhofs ordnungsgemäß die hierfür vorgesehenen Trittstufen ausgefahren, um den Fahrgästen ein gefahrloses Aussteigen zu ermöglichen. Der Niveauunterschied zwischen der untersten Stufe und dem Erdbahnsteig habe lediglich rund 23 cm betragen. Darüber hinaus seien die Fahrgäste kurz vor Halt des Zuges automatisiert über das Fahrgast-Informations-System auf die Niveauunterschiede zwischen Zug und Bahnsteig hingewiesen worden. Der Unfall sei auf die Unaufmerksamkeit der Klägerin zurückzuführen, die vor dem Ausstieg nicht vor ihre Füße geblickt und den Niveauunterschied zwischen Zug und Erdbahnsteig nicht beachtetet habe.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klagebegehren ab. Es stellte den auf den Urteilsseiten 2 bis 3 ersichtlichen Sachverhalt fest, der eingangs weitgehend wiedergegeben und auf den verwiesen wird. Rechtlich erwog es, es gehörte zur Schutz- und Sorgfaltspflicht der Beklagten, die Zu- oder Abgänge zu bzw von den Verkehrsmitteln in einem Zustand zu erhalten, der das gefahrlose Einsteigen und Aussteigen der Fahrgäste gewährleiste. Auch vertragliche Verkehrssicherungspflichten dürften jedoch nicht überspannt werden. Der Zug sei auf Gleis 201 und damit auf einem Erdbahnsteig eingefahren und die 200er-Trittstufe ausgefahren gewesen. Der Niveauunterschied zwischen Stufe und Erdbahnsteig habe nur etwa 23 cm betragen. Erdbahnsteige seien gesetzlich zulässig. Die Beklagte habe zwar auch bei Erdbahnsteigen das gefahrlose Ein- und Aussteigen aus dem Zug zu ermöglichen. Ein Niveauunterschied von 23 cm zwischen der Stufe und dem Boden sei allerdings nicht als besondere Gefahrenquelle zu qualifizieren. Das Überwinden von üblichen Stufenmaßen sei dem Verkehrsteilnehmer auch ohne besonderen Gefahrenhinweis zuzumuten. Der allgemeine Hinweis auf das Bestehen eines Niveauunterschiedes habe daher genügt, um die Aufmerksamkeit des Fahrgasts darauf zu richten, dass er keinen niveaugleichen Bahnsteig erwarten dürfe und beim Aussteigen auf die vorhandenen Stufen zu achten habe. Ein darüber hinausgehender Hinweis darauf, dass der Halt an einem Erdbahnsteig erfolge, sei nicht erforderlich. Auch eine Haftung nach dem EKHG scheide aus, weil die Beklagte ihrer besonderen Sorgfaltspflicht entsprochen habe. Von einem durchschnittlich sorgfältigen Fahrgast könne bei der Benutzung der Eisenbahn erwartet werden, dass er beim Ein- und Aussteigen aus dem Zug vor die Füße schaue und einen üblichen und nicht ungewöhnlichen Niveauunterschied von etwa 23 cm problemlos bewältige. Ein Aufmerksamkeitsfehler der Klägerin als Fahrgast, der nach den Feststellungen kausal für den Sturz gewesen sei, sei für den Betriebsunternehmer auch bei Einhaltung der in § 9 Abs 2 EKHG gebotenen Sorgfalt nicht abzuwenden.
Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil in einem stattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1. Mängelrüge
Die Berufungswerberin releviert, dass ihrem Antrag auf Durchführung eines Lokalaugenscheins nicht entsprochen wurde. Dabei wäre festgestellt worden, dass für einen durchschnittlich aufmerksamen Fahrgast beim Ausstieg aus der Zuggarnitur, eine sehr unübersichtliche Situation entstanden sei, weil die Zugtüren in Sichtachse zum befestigten Bahnsteig öffnen. Außerdem wäre bei Durchführung des Ortsaugenscheins festgestellt worden, dass die Beleuchtungssituation an der Unfallsstelle nicht ausreichend gewesen sei.
1.1. Die Klägerin hat sich in erster Instanz auf drei behauptete Versäumnisse der Beklagten gestützt. Einerseits behauptete sie, der Zug sei auf einem befestigten Bahnsteig an der falschen Stelle angehalten worden. Andererseits wurde behauptet, sollte der Zug an einem Erdbahnsteig gehalten worden sein, so hätte die Beklagte eine spezielle Warnung an die Fahrgäste aussprechen müssen. Zuletzt sei auch die Trittstufe nicht ausgefahren worden.
1.2. In ihrem vorbereitenden Schriftsatz vom 01.07.2024 (ON 5, S 2) brachte die Klägerin zwar auch vor, es sei eine schlechte Beleuchtung vorhanden gewesen. Die Klägerin hat ihren Anspruch jedoch nicht auf eine mangelhafte Beleuchtung, sondern lediglich auf die drei zitierten Versäumnisse der Beklagten gestützt. So brachte sie auch nicht vor, dass der Unfall bei einer besseren Beleuchtung nicht eingetreten wäre. Dies wäre auch schwer mit den unbekämpften Feststellungen, nach denen der Unfall (nur) darauf zurückzuführen ist, dass die Klägerin den Niveauunterschied zwischen Zug und Bahngleis nicht beachtete und mit einem gedankenverloren Blick nach vorne aus dem Zug ausgestiegen ist. Richtig weist die Berufungsbeantwortung darauf hin, dass es sich bei der Behauptung, die Ausstiegssituation sei unübersichtlich gewesen, um eine unzulässige Neuerung (§ 482 ZPO) handelt.
Der gerügte Verfahrensmangel liegt somit nicht vor.
2. Rechtsrüge:
Die Berufungswerberin meint, der Zug habe sonst immer an dem befestigten Bahnsteig angehalten. Der Umstand, dass der Zug dieses mal beim Erdbahnsteig angehalten habe, wäre den Fahrgästen mitzuteilen gewesen. Diese Unterlassung stelle einen Sorgfaltsverstoß der Beklagten dar, der zur Haftung nach dem EKHG führe.
2.1. Die Klägerin stützt die Haftung der Beklagten im Berufungsverfahren ausdrücklich nur mehr auf das EKHG, sodass auf die weiteren Anspruchsgrundlagen nicht mehr einzugehen ist (RS0043338 [T35]). Auf welchem Bahnsteig die Züge im Regelfall anhalten, hat das Erstgericht nicht festgestellt; dieser Umstand ist für die rechtliche Beurteilung aber auch nicht erheblich:
2.3. Dass der Niveauunterschied von 23 cm für die Klägerin nicht erkennbar gewesen wäre, wenn sie vor ihre eigenen Füße geschaut hätte, behauptete sie nicht einmal. Auf genau diesen Niveauunterschied wurden die Fahrgäste aber kurz vor dem Halt über das Fahrgast-Informations-System hingewiesen. Damit hat die Beklagte die Fahrgäste über eben jene Gefahr informiert, die sich beim Sturz der Klägerin (durch ihre Unaufmerksamkeit) verwirklicht hat. Eine darüber hinaus gehende Warnung war nicht erforderlich, weil es unerheblich ist, ob ein Niveauunterschied gegenüber einem befestigten Bahnsteig oder einem Erdbahnsteig besteht. Die Beklagte hat somit die gebotene Sorgfalt eingehalten, der Unfall ist ausschließlich auf die Unaufmerksamkeit der Klägerin zurückzuführen und stellt daher für die Beklagte ein unabwendbares Ereignis iSd § 9 Abs 2 EKHG dar (zu einem vergleichbaren Sachverhalt vgl 2 Ob 214/19p). Das Erstgericht hat daher zu Recht eine Haftung (auch) nach dem EKHG verneint.
Der unberechtigten Berufung war somit der Erfolg zu versagen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
4. Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu klären war.
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