Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Fabian als Vorsitzende sowie die Richterin Mag. Nigl, LL.M., und den Richter MMag. Klaus in der Rechtssache der Antragstellerin Österreichische Gesundheitskasse , **, gegen die Antragsgegnerin A* GmbH , FN **, **, wegen Insolvenzeröffnung, über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 7.4.2025, ** 9, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung
Die A* GmbH mit Sitz in ** ( Antragsgegnerin ) ist seit 4.11.2023 zu FN ** im Firmenbuch eingetragen. Ihr Geschäftszweig lautet auf Schwarzdeckerei. Mehrheitsgesellschafter ist B*, geboren am **, mit einer gründungsprivilegierten Stammeinlage von EUR 7.000,-. Weiterer Gesellschafter ist C*, geboren am **, mit einer gründungsprivilegierten Stammeinlage von EUR 3.000,-. Beide sind auch jeweils selbständig vertretungsbefugte Geschäftsführer.
Mit Antrag vom 27.2.2025 begehrte die Österreichische Gesundheitskasse ( ÖGK, Antragstellerin ) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragsgegnerin. Diese schulde ihr laut dem angeschlossenen Rückstandsausweis vom selben Tag EUR 15.000,29 samt Zinsen aus Beiträgen bzw Beitragsbestandteilen für den Zeitraum 08/2024 bis 01/2025. Die Zahlungsunfähigkeit werde mit dem Zeitraum der rückständigen Beiträge glaubhaft gemacht. Trotz mehrmaliger Mahnung und der beim Bezirksgericht Meidling zu ** und ** geführten Exekutionsverfahren seien diese weiterhin zur Gänze ausständig.
Namensabfragen im Grundbuch (hinsichtlich der Antragsgegnerin und der Geschäftsführer) sowie wegen offenkundiger Zahlungsunfähigkeit, in der Liste der Vermögensverzeichnisse, im KFZ-Zentralregister (ON 2.2) und wegen Vorakten (ON 2.1) verliefen negativ. Im Verfahrensregister erhob das Erstgericht die beiden von der Antragstellerin genannten Exekutionsverfahren.
Mit Beschluss vom 28.2.2025 (ON 4) gab das Erstgericht bekannt, dass die Entscheidung über den Konkurseröffnungsantrag ohne Verhandlung erfolgen und rechtliches Gehör schriftlich gewährt werde. Es forderte die Antragsgegnerin unter anderem auf, bis 4.4.2024 einen Kostenvorschuss von EUR 4.000,- zu erlegen und das ausgefüllte Vermögensverzeichnis zu übermitteln. Sollte die Zahlungsunfähigkeit bestritten werden, seien Belege über die Vollzahlung oder eine Ratenvereinbarung samt Zahlungsbelegen hinsichtlich der Antragstellerin, des Finanzamts Österreich und der Gläubiger, die Exekution führen, vorzulegen. Dieser Beschluss wurde der Antragsgegnerin am 5.3.2025 zugestellt.
Mit weiterem Beschluss forderte das Erstgericht jeweils die Geschäftsführer zum Erlag eines Kostenvorschusses von EUR 4.000,- binnen 14 Tagen und zur Vorlage eines vollständig und wahrheitsgemäß ausgefüllten Vermögensverzeichnisses auf. Die Zustellung des jeweiligen Beschlusses erfolgte am 5.3.2025 an die Geschäftsführer.
Das Finanzamt Österreich gab über Aufforderung durch das Erstgericht am 10.3.2025 (ON 5) einen ungeregelten, exekutiv betriebenen Zahlungsrückstand per 6.3.2025 von EUR 6.693,86 bekannt. Der Gerichtsvollzieher beim Bezirksgericht Meidling teilte dem Erstgericht mit, dass ihm die Antragsgegnerin aus bisherigen Vollzügen nicht bekannt sei und es sich offensichtlich um eine reine Postadresse handle (ON 6 und 7).
Die Antragstellerin teilte am 1.4.2025 den Eingang zweier Zahlungen von je EUR 142,- mit (ON 8). Ein Kostenvorschuss werde nicht erlegt.
Eine Äußerung der Antragsgegnerin erfolgte nicht.
Mit dem angefochtenen Beschluss stellte das Erstgericht die Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin fest und erklärte, das Insolvenzverfahren mangels kostendeckenden Vermögens nicht zu eröffnen. Den Insolvenzeröffnungsantrag wies es ab. Begründend verwies es darauf, dass die Forderung der Antragstellerin durch den vollstreckbaren Rückstandsausweis mit EUR 15.000,29 sA glaubhaft gemacht worden sei. Die Zahlungsunfähigkeit ergebe sich aus dem Zurückreichen der Beitragsrückstände bis 08/2024. Darüber hinaus bestehe beim Finanzamt ein vollstreckbarer Rückstand von EUR 6.693,86. Kostendeckendes Vermögen habe weder bei der Antragsgegnerin noch bei den beiden Geschäftsführern festgestellt werden können. Die Antragstellerin habe erklärt, keinen Kostenvorschuss zu erlegen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Antragsgegnerin mit dem ersichtlichen Antrag auf Abänderung im Sinn einer Abweisung mangels Zahlungsunfähigkeit.
Die Antragstellerin beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Der Rekurs ist im Sinne seines impliziten Aufhebungsantrags - ein Abänderungsantrag schließt in sich einen Aufhebungsantrag (RS0041774 [T1]) - berechtigt .
1. Die Antragsgegnerin bestreitet ihre Zahlungsunfähigkeit und macht geltend, ihre Kunden hätten 25% für die Auftraggeber-Befreiung von den Rechnungen abgezogen. Sie habe 75% für ihre Leistungen erhalten. Ihre Auftraggeber treffe die Haftung für die Lohnabgaben bei der Antragstellerin und dem Finanzamt. Jedoch sei dieser Betrag nicht für die AGH (AuftraggeberInnenhaftung) überwiesen worden. Die Verbindlichkeit aus der AGH betrage mehr als EUR 17.000,-, sodass dieser Betrag den Rückstand bei der Antragstellerin vollständig abdecke. Die Antragsgegnerin habe rechtliche Schritte eingeleitet, um dieses Problem zu klären. Bei weiteren Gläubigern – insbesondere beim Finanzamt - würden grundsätzlich keine Schulden bestehen. Falls die Auftraggeber die 25% für die AGH-Abgaben nicht weiterleiten würden, sei sie bereit, diesen Betrag selbst zu begleichen.
Bescheinigungsmittel waren dem Rekurs nicht angeschlossen.
2. Jede Abweisung eines Insolvenzeröffnungsantrags mangels kostendeckenden Vermögens setzt voraus, dass die Eröffnungsvoraussetzungen des § 70 IO bescheinigt sind.
Gemäß § 70 Abs 1 IO ist das Insolvenzverfahren auf Antrag eines Gläubigers unverzüglich zu eröffnen, wenn er glaubhaft macht, dass er eine – wenngleich nicht fällige – Insolvenzforderung hat und der Schuldner zahlungsunfähig ist. Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Schuldner infolge eines nicht bloß vorübergehenden Mangels an bereiten Zahlungsmitteln seine fälligen Schulden in angemessener Frist nicht erfüllen und sich die dafür erforderlichen Mittel auch nicht alsbald beschaffen kann (RS0064528).
3. Die Antragstellerin bescheinigte mit der Vorlage des vollstreckbaren Rückstandsausweises sowohl den Bestand ihrer Forderung als auch aufgrund der Dauer des Rückstandes die Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin. Die Nichtzahlung von rückständigen Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen ist ein ausreichendes Indiz für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit, weil es sich bei diesen Forderungen um Betriebsführungskosten handelt. Diese werden von den zuständigen Behörden und Institutionen bekanntlich so rasch in Exekution gezogen, dass sich ein Zuwarten mit ihrer Zahlung bei vernünftigem wirtschaftlichem Vorgehen verbietet und im Allgemeinen nur aus einem Zahlungsunvermögen erklärbar ist ( Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , InsR 4 § 66 KO Rz 69; Mohr , IO 11 § 70 E 70, E 74).
4. Wird vom Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit fürs Erste bescheinigt, liegt es an der Antragsgegnerin, die Gegenbescheinigung zu erbringen, dass sie zahlungsfähig ist. Um die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit zu entkräften, ist der Nachweis erforderlich, dass die Forderungen sämtlicher Gläubiger – einschließlich der Antragstellerin – bezahlt werden konnten oder zumindest mit allen Gläubigern Zahlungsvereinbarungen getroffen wurden, die der Schuldner auch einzuhalten im Stande ist.
5. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Insolvenzvoraussetzungen vorliegen, ist im Rechtsmittelverfahren wegen der Neuerungserlaubnis des § 260 Abs 2 IO die Sachlage im Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz - hier der 7.4.2025 – und die Bescheinigungslage im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel maßgebend (5 Ob 303/86; 1 Ob 255/04p ua).
Grundsätzlich gilt im Insolvenzverfahren für die Rekursausführungen kein Neuerungsverbot (RS0043943; Erler in KLS², § 260 Rz 33). Die Einschränkung der Neuerungserlaubnis, wonach Anträge, Erklärungen und Einwendungen, zu deren Erstattung eine Tagsatzung vorgesehen war, von den trotz Ladung dort nicht Erschienenen nicht mehr vorgebracht werden können (§ 259 Abs 2 IO; RS0115313; RS0110967 [T6] = 8 Ob 36/04h), kommt hier nicht zum Tragen, weil das Erstgericht das Verfahren schriftlich und ohne Abhaltung einer Tagsatzung durchführte. Di e Antragsgegnerin hat daher auch die Möglichkeit, i m Rechtsmittel neue Tatsachen, soweit sie bereits zur Zeit der Beschlussfassung in erster Instanz entstanden waren, und neue Beweismittel anzuführen.
6. Zwar verweist die Antragsgegnerin in ihrem Rekurs auf die AuftraggeberInnenhaftung, legt aber keine zur Gegenbescheinigung ihrer Zahlungsfähigkeit geeigneten Bescheinigungsmittel vor. Sie stellt lediglich die Klärung dieses Problems und die zukünftige Zahlung der Forderung der Antragstellerin in Aussicht und verweist darauf, dass beim Finanzamt Österreich keine Schulden bestünden (was der Bekanntgabe des Finanzamts Österreich, ON 5, widerspricht).
Erhebungen des Rekursgerichts (§ 254 Abs 5 IO; RS0064997, RS0065221) ergaben, dass die beiden von der Antragstellerin geführten Exekutionsverfahren nach wie vor anhängig sind.
7. Damit ist der Antragsgegnerin die Gegenbescheinigung ihrer Zahlungsfähigkeit nicht gelungen und es ist weiterhin von ihrer Zahlungsunfähigkeit auszugehen.
8. Weitere, nach ständiger Rechtsprechung von Amts wegen zu prüfende Voraussetzung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 254 Abs 5 IO) ist neben dem Bestand einer Insolvenzforderung und der Zahlungsunfähigkeit der Antragsgegnerin nach § 71 Abs 1 IO das Vorhandensein kostendeckenden Vermögens. Solches liegt nach § 71 Abs 2 IO vor, wenn das Vermögen der Antragsgegnerin zumindest ausreicht, um die im Gerichtshofverfahren üblicherweise mit EUR 4.000,- veranschlagten Anlaufkosten des Verfahrens bis zur Berichtstagsatzung zu decken. Dieses Vermögen muss weder sofort noch ohne Aufwand verwertbar sein; dabei sind auch Anfechtungsansprüche zu berücksichtigen.
8.1. Für juristische Personen normiert § 72 IO, dass das Insolvenzverfahren bei Fehlen kostendeckenden Vermögens auch dann zu eröffnen ist, wenn die organschaftlichen Vertreter dieser juristischen Person einen Betrag zur Deckung der Kosten vorschussweise erlegen oder feststeht, dass die organschaftlichen Vertreter über Vermögen verfügen, das zur Deckung der Kosten ausreicht. Gemäß § 72d IO ist neben den organschaftlichen Vertretern auch der Mehrheitsgesellschafter zum Erlag eines Kostenvorschusses verpflichtet; §§ 72 bis 72c IO gelten für ihn entsprechend. Zusammengefasst darf ein Insolvenzeröffnungsantrag gegen eine juristische Person nur dann mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen werden, wenn weder das Vermögen der juristischen Person noch das ihrer organschaftlichen Vertreter noch ihres Mehrheitsgesellschafters ausreicht, um die Anlaufkosten des Insolvenzverfahrens zu decken und wenn – trotz Aufforderung durch das Gericht – weder die organschaftlichen Vertreter noch der Mehrheitsgesellschafter der juristischen Person oder die Antragstellerin den ihnen aufgetragenen Kostenvorschuss erlegen.
8.2. Eine wesentliche Grundlage für die Erhebungen zum kostendeckenden Vermögen bildet das von der Antragsgegnerin zu unterfertigende Vermögensverzeichnis, zu dessen Vorlage sie nach den §§ 71 Abs 4, 100, 100a, 101 IO vom Gericht anzuhalten ist. Auch ein Vermögensverzeichnis nach § 47 EO entbindet das Gericht nicht von seiner Pflicht nach § 100 IO, die Antragsgegnerin zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses nach den §§ 100, 100a IO anzuhalten. Im Unterschied zum Exekutionsverfahren sind in dem im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu erstellenden Vermögensverzeichnis insbesondere auch Angaben zur Beurteilung von Anfechtungsansprüchen zu machen (§ 100a Abs 2 IO; siehe auch § 185 IO).
8.3. Angesichts der vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Sanktionsmöglichkeiten (§§ 100, 101 IO) und der amtswegigen Erhebungspflicht ist das Erstgericht nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates befugt und verpflichtet, falls der ordnungsgemäßen Ladung zur Einvernahmetagsatzung keine Folge geleistet wird, bereits nach einmaligem Nichterscheinen des Geschäftsführers/der Geschäftsführer der Antragsgegnerin die zwangsweise Vorführung zu einer Einvernahmetagsatzung anzuordnen (vgl Mohr , IO 11 § 71 E 48 ff). Daran kann auch die beschlussmäßige Aufforderung zur Leistung des Kostenvorschusses an die Geschäftsführer der Antragsgegnerin nichts ändern.
Das Unterbleiben dieses Ladungs- und (sodann) Vorführversuchs begründet einen Verfahrensmangel, der, da er gegen zwingende Verfahrensvorschriften der IO verstößt, auch wenn dies im Rekurs nicht geltend gemacht wurde, von Amts wegen wahrgenommen werden muss ( Mohr , IO 11 § 71 E 75).
9. Dem Rekurs war daher im Sinne einer Aufhebung Folge zu geben. Der Antragsgegnerin wird mit der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Möglichkeit eröffnet, ihre offenen Forderungen und Rechtsverhältnisse zu regeln.
Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die Frage des Vorliegens von kostendeckendem Vermögen neu zu beurteilen haben.
Im Zweifel wird vom Vorliegen kostendeckenden Vermögens auszugehen und der Konkurs – bei Fortbestehen der Zahlungsunfähigkeit – unverzüglich zu eröffnen sein.
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