Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, die Richterin Mag. Derbolav-Arztmann und den Richter MMag. Popelka (Dreiersenat gemäß § 11a Abs 2 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, **, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, **, **, wegen Versehrtenrente, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 10.1.2025, GZ **-20, in nicht öffentlicher Sitzung den
B eschluss
gefasst:
1. Dem Rekurs wird, soweit er sich gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Beschlusses (Zurückweisung des Antrags auf Verfahrenshilfe) richtet, Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird in diesem Umfang aufgehoben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung unter Abstandnahme vom angenommenen Zurückweisungsgrund an das Erstgericht zurückverwiesen.
2. Soweit sich der Rekurs gegen Spruchpunkt I. (Zurückweisung der Berufung) richtet, wird der Akt dem Erstgericht zurückgestellt.
Begründung:
Mit Urteil vom 17.9.2024 (ON 15) sprach das Erstgericht der Klägerin für die Folgen eines Dienstunfalls vom 24.10.2022 eine Versehrtenrente von 20 % der Vollrente von 25.1.2023 bis 30.4.2023 zu und wies das auf Zuerkennung einer darüber hinausgehenden Versehrtenrente gerichtete Mehrbegehren ab.
Am 12.12.2024 – innerhalb der Berufungsfrist – brachte die unvertretene Klägerin eine Berufung (ON 17) ein.
Mit Beschluss vom 17.12.2024 (ON 18), der Klägerin zugestellt am 20.12.2024, trug ihr das Erstgericht die Verbesserung der Berufungsschrift binnen 14 Tagen durch Unterfertigung durch einen Rechtsanwalt und Einbringung im elektronischen Rechtsverkehr auf; dies unter Hinweis auf die Säumnisfolgen sowie auf die Möglichkeit, innerhalb der Verbesserungsfrist Verfahrenshilfe zu beantragen.
Mit am 9.1.2025 bei Gericht eingelangter Eingabe (ON 19) beantragte die Klägerin – unter Erstattung eines Vermögensbekenntnisses – die Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a und c sowie Z 3 ZPO für das Berufungsverfahren.
Mit dem bekämpften Beschluss vom 10.1.2025 (ON 20) sprach das Erstgericht aus, dass die Berufung mangels Unterschrift eines Rechtsanwalts zurückgewiesen werde (Spruchpunkt I.) sowie dass der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe „als verspätet zurückgewiesen“ werde (Spruchpunkt II.).
Dagegen richtet sich der von der (nach wie vor unvertretenen) Klägerin innerhalb der Rekursfrist eingebrachte, als Rekurs zu wertende Schriftsatz vom 29.1.2025 (ON 21), erkennbar mit dem Begehren auf ersatzlose Aufhebung des Spruchpunktes I. und Abänderung des Spruchpunktes II. im Sinn einer Bewilligung der beantragten Verfahrenshilfe. Im Wesentlichen bringt die Klägerin vor, sie habe den Verfahrenshilfeantrag ordnungsgemäß und rechtzeitig am 3.1.2025 verschickt.
Infolge der Rekurserhebung führte das Erstgericht Erhebungen durch, wonach der Verfahrenshilfeantrag am 3.1.2025 zur Post gegeben wurde.
Das Erstgericht stellte den Schriftsatz ON 21 der Beklagten zur Rekursbeantwortung mit dem Hinweis zu, die Eingabe sei als Rekurs gegen den Beschluss vom 10.1.2025 zu deuten, mit dem die am 12.12.2024 eingebrachte Berufung und der am 9.1.2025 eingelangte Verfahrenshilfeantrag zurückgewiesen worden sei.
Die Beklagte beteiligte sich nicht am Rekursverfahren.
Der Rekurs gegen die Zurückweisung des Verfahrenshilfeantrags ist im Sinn des implizit gestellten Aufhebungsantrags berechtigt; hinsichtlich des Rekurses gegen die Zurückweisung der Berufung ist die Vorlage an das Rekursgericht verfrüht.
1. Zur Zurückweisung des Verfahrenshilfeantrags :
Wurde der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe erst nach Ablauf der Berufungsfrist gestellt, dann ist er verspätet (RS0036235 [T1]). Ein Antrag auf Verfahrenshilfe ist aber auch dann rechtzeitig im Sinne des § 464 Abs 3 ZPO, wenn er innerhalb einer gemäß § 85 Abs 2 ZPO vom Richter gesetzten Frist zur Verbesserung des rechtzeitig erhobenen Berufungsschriftsatzes gestellt wird (RS0036235 [T8]). Maßgeblich ist gemäß § 89 Abs 1 GOG das Datum der Postaufgabe (vgl auch 1 Ob 235/01t).
Ausgehend von der Zustellung des Verbesserungsauftrags am 20.12.2024 – und demnach einem Fristende per 3.1.2025 – beurteilte das Erstgericht den am 9.1.2025 eingelangten Verfahrenshilfeantrag als verspätet.
Nach den im Zuge der Rekurserhebung erfolgten Erhebungen des Erstgerichts wurde der Verfahrenshilfeantrag allerdings bereits am 3.1.2025 – somit innerhalb der Verbesserungsfrist – zur Post gegeben und ist daher iSd § 464 Abs 3 ZPO bzw § 85 Abs 2 ZPO rechtzeitig.
Er ist daher inhaltlich zu prüfen, wobei der Antrag und das Vermögensbekenntnis einschließlich der hierzu vorgelegten Beilagen vor Beschlussfassung der Gegenseite zur Äußerung zuzustellen sein werden.
Der bekämpfte Beschluss war daher im Punkt II. aufzuheben und die Verfahrenshilfesache in diesem Sinn an das Erstgericht zurückzuverweisen.
2. Zur Zurückweisung der Berufung :
Dem Erstgericht ist darin zuzustimmen, dass sich der Rekurs erkennbar auch gegen die Zurückweisung der Berufung (Spruchpunkt I.) richtet. Insoweit ist der Rekurs aber verbesserungsbedürftig (§ 85 ZPO), weil er nicht von einer zur Vertretung in Arbeits- und Sozialrechtssachen in zweiter Instanz befugten Person unterschrieben ist (§ 520 Abs 1 ZPO iVm § 40 Abs 1 ASGG). Die Ausnahme von der Vertretungspflicht in Verfahrenshilfeangelegenheiten nach § 72 Abs 3 ZPO gilt für diesen Spruchpunkt nicht.
Das Erstgericht wird somit vor neuerlicher Vorlage des Rekurses zu Spruchpunkt I. ein entsprechendes Verbesserungsverfahren durchzuführen haben.
3. Die unvertretene Sozialrechtsklägerin führt im Rekurs aus, sie ersuche um „die Bewilligung auf Verfahrenshilfe, damit das Verfahren stattfinden kann“. Damit beantragt sie erkennbar Verfahrenshilfe auch im Hinblick auf das gegenständliche Rekursverfahren, soweit Vertretungspflicht besteht. Somit ist vor Erteilung des gebotenen Verbesserungsauftrags (zur Verbesserung des Rekurses) auch insoweit über die Verfahrenshilfe zu entscheiden.
Da die Bewilligung der Verfahrenshilfe für das ganze Verfahren wirkt und nicht auf bestimmte Prozesshandlungen oder Verfahrensschritte beschränkt werden kann (vgl Klauser/Kodek,JN – ZPO 18 mwN), wird es zweckmäßig sein, nach Durchführung des zweiseitigen Verfahrenshilfeverfahrens hinsichtlich beider Anträge in einem Beschluss über die Verfahrenshilfe zu entscheiden.
4. Die Klägerin wird darauf hingewiesen, dass die bereits gesetzte Frist zur Verbesserung der von ihr eingebrachten Berufung infolge des rechtzeitigen (ersten) Verfahrenshilfeantrags derzeit unterbrochen ist und gemäß § 85 Abs 2 ZPO (im Fall der Bewilligung der Verfahrenshilfe) mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwalts bzw widrigenfalls mit dem Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses, womit die Beigebung eines Rechtsanwalts versagt wird, neu zu laufen beginnt.
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