Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Pöhlmann als Vorsitzenden, die Richterinnen Mag. Oberbauer und Mag.Dr. Vogler sowie die fachkundigen Laienrichter Wolfgang Handlbichler und Christian Reichenauer in der Sozialrechtssache der Klägerin A* B*, geb. **, **, vertreten durch Mag. Harald Schuster, Rechtsanwalt in Wien, wider die Beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter , Eisenbahnen und Bergbau , **, vertreten durch Mag. Kordel, ebendort, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 15.1.2025, **-6, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben und das angefochtene Urteil mit der Maßgabe bestätigt, dass es in der Hauptsache zu lauten hat:
„1) Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin (auch) im Zeitraum von 2.8. bis 19.9.2024 das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld aus Anlass der Geburt des Kindes C* B* am ** zu gewähren. “
Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen die mit EUR 731,90 (darin enthalten EUR 121,98 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Partei gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 17.10.2024 einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld für das Kind C* B*, geb am ** für den Zeitraum vom 20.9.2024 bis 24.6.2025 und wies das Mehrbegehren für den Zeitraum 2.8. bis 19.9.2024 ab.
Dagegen richtet sich die vorliegende Klage mit dem Begehren, der Klägerin das Kinderbetreuungsgeld auch für den abgewiesenen Zeitraum zu gewähren. Die Klägerin sei die Großmutter des Kindes, dessen Mutter bei der Geburt minderjährig und der Vater, ihr leiblicher Sohn, knapp volljährig und noch in Ausbildung gewesen seien. Daher sei der Klägerin mit Beschluss vom 8.7.2024 die Obsorge des Kindes übertragen worden, weshalb sie auch rechtlich für die Pflege und Erziehung, Vermögensverwaltung sowie die gesetzliche Vertretung ihres Enkels verantwortlich sei. Das Kind lebe bei ihr und bestehe ein Verhältnis wie zwischen einer leiblichen Mutter und ihrem Sohn. Die Klägerin erfülle daher jedenfalls die Voraussetzungen für die Qualifikation als Pflegeelternteil nach § 184 ABGB, sodass ihr Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld gemäß § 2 Abs 1 KBGG berechtigt sei. Dass der Vater des Kindes im hier relevanten Zeitraum gemeinsam mit diesem im Haushalt der Klägerin gelebt habe, sei dabei nicht relevant.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren im wesentlichen mit der bereits im Bescheid vertretenen Rechtsansicht, die Klägerin habe aufgrund des gemeinsamen Wohnsitzes mit dem Kind und dessen Vater keine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommende Beziehung aufgebaut und dürfe es nicht zu einer „ Vermischung der Ebenen der Elternschaft “ kommen.
Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte, der Klägerin das (einkommensabhängige) Kinderbetreuungsgeld (für C*) für den Zeitraum 2.8. bis 19.9.2024 zu gewähren. Es traf folgende Feststellungen:
Mit Beschluss des Bezirksgericht Donaustadt vom 8.7.2024 wurde der Klägerin die Obsorge für C* B*, geb. am **, dessen Großmutter die Klägerin ist. Dieser wohnte von Geburt an bei ihr, sie pflegt und erzieht ihn. Der Kindesvater und Sohn der Klägerin, D* B*, wohnte bis 20.9.2024 an der gleichen Adresse.
Rechtlich führte es aus, eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommende Beziehung verlange vor allem eine weitgehende Eingliederung in Haushalt und Lebenslauf der Pflegeeltern; es müsse zumindest beabsichtigt sein, eine emotionale Bindung des Kindes (vergleichbar der zu leiblichen Eltern) aufzubauen. Nach der gesetzlichen Definition seien Pflegeeltern Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgten und zur denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommende Beziehung bestehe oder hergestellt werden solle (§ 184 ABGB). Diese Elemente setzten eine weitgehende Eingliederung des Kindes in den Haushalt und Lebenslauf der Pflegeeltern sowie zumindest die Absicht voraus, eine dem Verhältnis zwischen den leiblichen Eltern und Kindern vergleichbare emotionale Bindung aufzubauen, ohne dass es auf das zugrunde liegende Rechtsverhältnis ankomme. Das gemeinsame Wohnen mit dem nicht obsorgeberechtigten Vater des Kindes sei unbeachtlich.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem auf Klagsabweisung gerichteten Abänderungsantrag. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1. Strittig ist allein die Frage, ob der gemeinsame Haushalt der Klägerin mit dem Kind und dessen Vater ihrem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld entgegensteht. Die Beklagte beharrt auf ihrer bereits in erster Instanz vertretenen Rechtsansicht, der Aufbau einer dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommende Beziehung sei der Klägerin aufgrund dieses Umstandes nicht möglich gewesen, weil es nach der Rechtsprechung zu keiner „ Vermischung der Ebenen der Elternschaft “ kommen dürfe.
2.1 Gemäß § 2 Abs 1 KBGG hat Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld ein Elternteil (Adoptivelternteil, Pflegeelternteil) für sein Kind (Adoptivkind, Pflegekind), sofern die in § 2 Abs 1 Z 1 bis 5 aufgezählten - hier nicht strittigen - Voraussetzungen gegeben sind. Anspruchsberechtigt sind grundsätzlich die Eltern, die für ihr Kind Familienbeihilfe beziehen. Als Kinder gelten auch Adoptiv- und Pflegekinder, als Eltern auch Adoptiv- und Pflegeeltern. Pflegeeltern sind Personen iSd § 186 aF ABGB (BGBl I Nr 135/2000), nun § 184 ABGB.
2.2 Nach § 184 ABGB idgF BGBl I 2013/15 sind Pflegeeltern Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll. Nach einhelliger Ansicht knüpft der Begriff der Pflegeeltern somit an zwei Merkmale an: Die tatsächliche - ganze oder teilweise - Besorgung der Pflege und Erziehung sowie das Bestehen einer dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommenden persönlichen Beziehung oder die Absicht, eine solche herzustellen. Beide Begriffselemente setzen eine weitgehende Eingliederung des Kindes in den Haushalt und Lebensablauf der Pflegeeltern sowie zumindest die Absicht voraus, eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern vergleichbare emotionale Bindung aufzubauen. Auf welcher Rechtsgrundlage das Pflegeverhältnis beruht, ist unmaßgeblich. Die Pflegeelternschaft nach § 184 ABGB ist kraft Gesetzes gegeben, wenn die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale gegeben sind (RS0127991; Höllwerth in KBB 7 , § 184 ABGB Rz 1; Deixler-Hübner in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.08 § 184 Rz 5; uva).
3. Dass die Klägerin – schon aufgrund der Übertragung der Obsorge am 8.7.2024, somit schon vor dem hier strittigen Zeitraum – die Pflege und Erziehung des Kindes iSd § 184 ABGB besorgt hat, stellt die Beklagte zutreffend nicht in Frage, weil dies der gesetzlichen Definition entspricht: Wer mit der Obsorge für ein minderjähriges Kind betraut ist, hat es zu pflegen und zu erziehen, sein Vermögen zu verwalten und es in diesen sowie allen anderen Angelegenheiten zu vertreten (§ 158 Abs 1 S 1 ABGB).
4. Bei der Beurteilung, ob eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommende Beziehung (zumindest) hergestellt werden soll, kommt es entscheidend darauf an, ob die Eingliederung des Kindes auf Dauer angelegt ist, oder nur vorübergehend, etwa in Krisensituationen (10 ObS 129/19x; 10 ObS 65/19k; 8 Ob 54/11s). Zudem ist nach den Materialien „bloßes Nahekommen“ (und kein Entsprechen) ausreichend (vgl
Unter einer Beziehung entsprechend dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern ist ein gesellschaftliches und psychologisches Verhältnis zu verstehen, also jene Summe von zwischenmenschlichen Beziehungen und Bindungen, wie sie sich zwischen Kindern, die ihre Umwelt im Zuge ihres Heranwachsens bewusst erfassen, und ihren Eltern entwickeln (RS0048743). Dabei handel es sich um eine Rechts- und nicht um eine Tatfrage ( Mokrejs-Weinhappel in Rummel/Lukas/Geroldinger , ABGB 4 § 194 Rz 6, mwN), sodass es insofern keiner ergänzenden Feststellungen bedurfte.
Nach den Feststellungen wurde der Klägerin bereits am 8.7.2024 die Obsorge für das Kind übertragen, was aufgrund der damit indizierten Dauerhaftigkeit der von der Beklagten gehegten Vermutung einer fehlenden, dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommenden persönlichen Beziehung (bzw der Absicht zu dessen Herstellung) entgegensteht.
5. Diesem Ergebnis steht auch nicht die von der Beklagten zitierte Entscheidung 10 ObS 68/14v entgegen, worin auch jener Klägerin das Kinderbetreuungsgeld für das leibliche Kind ihrer (gleichgeschlechtlichen) Partnerin gewährt wurde, weil sie als Pflegeelternteil zu beurteilen sei (so auch 10 ObS 102/14v bei einem ähnlichen Sachverhalt). Der Oberste Gerichtshof hat daher im Ergebnis die auch dort vertretene Rechtsansicht jener Beklagten, die „ Vermischung der Elternebenen “ stehe der Annahme einer Pflegeelternschaft der Partnerin der leiblichen Mutter des Kindes entgegen, nicht geteilt.
Das Argument der Beklagten, der gemeinsame Wohnsitz des Vaters mit der Klägerin und dem Kind stünde der Annahme einer Pflegeelternschaft entgegen, weil dies dem Aufbau einer dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommenden Beziehung widerspreche, ist ebenso nicht nachvollziehbar. Niemand wird etwa in dem vom Gesetzgeber in § 177 Abs 1 ABGB angenommenen Regelfall der gemeinsamen Obsorge der Eltern (bei Eheschließung vor oder nach der Geburt des Kindes) ernsthaft in Zweifel ziehen, dass durch den Aufbau bzw das Bestehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses durch einen Elternteil einem solchen durch den anderen Elternteil entgegenstünde. Nichts anderes kann für die hier festgestellte bloße gemeinsame (und erkennbar nur vorübergehende) Wohnungsnahme des Vaters mit seinem Kind und der Klägerin gelten.
6. Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen, wobei das angefochtene Urteil mit der aus dem Spruch ersichtlichen Maßgabe zu bestätigen war. Da lediglich die Anspruchsberechtigung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes strittig war, bedurfte das somit in diesem Sinn zulässige Grundurteil nach § 89 Abs 2 ASGG (vgl Sonntag in Sonntag/Schober/Konecny , KBGG 4 § 27 Rz 7) keiner weiteren Ergänzung zur Höhe.
Die Kostenentscheidung gründet auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG.
Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO war die ordentliche Revision
nicht zuzulassen.
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