Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Atria als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Oberbauer und Mag.Dr. Vogler in der Rechtssache der Klägerin Dr. A* B* C* , geboren am **, **, vertreten durch Dr. Christian Boyer, Rechtsanwalt in Wien, wider die Beklagten 1. D* E* , geboren am **, 2. F* E* , geboren am **, 3. G* E* , geboren am **, 4. H* E* , geboren am **, sämtliche **, 5. I* , geboren am **, **, und 6. Dr. J* C* K* , geboren am **, **, sämtliche vertreten durch Mag. Robert Schwarz, Rechtsanwalt in Gmünd, wegen jeweils Feststellung (Streitwert EUR 8.000) und Unterlassung (EUR 8.000, gesamt jeweils EUR 16.000), über den Rekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 7.1.2025, GZ ** 8, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs wird Folgegegeben. Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos behoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Abtretungsgrund (der Unzuständigkeit des Gerichtshofs infolge bezirksgerichtlicher Wertzuständigkeit nach § 49 Abs 1 JN) aufgetragen.
Die Kosten des Rekurses sind weitere Verfahrenskosten.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Begründung:
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Nr ** mit der Grundstücksadresse ** inneliegend der EZ ** KG **, Bezirksgericht Zwettl. Sie begehrt gegenüber den Beklagten jeweils festzustellen, dass die Beklagten als Eigentümer der (vorgeblich) herrschenden Grundstücke gegenüber der Klägerin als Eigentümerin des (vorgeblich) dienenden Grundstücks nicht berechtigt seien, das Eigentum der Klägerin zu stören, indem sie mit mehrspurigen Fahrzeugen über das Grundstück der Klägerin fahren. Die Beklagten seien zudem jeweils schuldig, derartige Störungshandlungen zu unterlassen. Sie bringt zusammengefasst vor, die Beklagten würden (unter anderem) zum Zweck der Bewirtschaftung ihrer in der Klage näher bezeichneten Grundstücke mit mehrspurigen Fahrzeugen über das Grundstück der Klägerin fahren und zu Unrecht ein Fahrrecht behaupten.
Die Klägerin bewertet das (negative) Feststellungsbegehren für jeden einzelnen der Beklagten mit EUR 8.000. Ebenso bewertet sie das Unterlassungsbegehren für jeden einzelnen der Beklagten mit EUR 8.000 und bringt hierzu vor, der Streitwert des Feststellung- und des Unterlassungsbegehren gegen jeden einzelnen der Beklagten sei zusammenzurechnen und betrage daher EUR 16.000. Diese zusammengerechneten Streitwerte würden einen Gesamtstreitwert von EUR 96.000 gegen alle sechs Beklagten ergeben. Die Bewertung sei nicht zu hoch, weil im Verfahren der Stadtgemeinde ** gegen die Klägerin das Feststellungsbegehren für Kraftfahrzeuge vom Landesgericht Krems an der Donau als Berufungsgericht mit einem EUR 30.000 übersteigenden Streitwert bewertet worden sei.
Die Beklagtenwenden in ihren Klagebeantwortungen die Unzuständigkeit des Erstgerichts gemäß § 60 Abs 1 JN ein und bemängeln den Streitwert nach § 7 RATG. Sie bringen zusammengefasst vor, bei einer formellen Streitgenossenschaft - wie hier - komme es zu keiner Streitwertzusammenrechnung. Wenngleich aufgrund der objektiven Klagehäufung das (negative) Feststellungs- und das Unterlassungsbegehren zusammenzurechnen seien, sei die Bewertung von zusammengerechnet EUR 16.000 zu hoch. Nach § 5 Z 7 AHK gelte als Bemessungsgrundlage für Dienstbarkeits- und Reallastsachen ein Betrag von EUR 7.700 als angemessen. Auch für das Unterlassungsbegehren sei lediglich eine Bemessungsgrundlage von EUR 6.000 als üblich und angemessen anzusetzen. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch entspreche einer allgemeinen einfachen Zivilsache, die üblicherweise vor die Bezirksgerichte gebracht werde. Wie auch ein Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen wegen behaupteter Besitzstörungshandlungen zeige, lägen keine Umstände vor, die eine über die bezirksgerichtliche Wertgrenze hinausgehende Bewertung rechtfertigten. Im Übrigen sei im Zusammenhang mit der in Rede stehenden Wegbenützung bereits eine Besitzstörungsklage beim Bezirksgericht Zwettl anhängig und diesem Gericht daher der Sachverhalt bereits bekannt.
Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das Erstgericht aus:
1. Der Streitwert der Klage überschreite bei richtiger Bewertung nicht die Wertgrenze von EUR 15.000.
2. Das Landesgericht Krems an der Donau sei sachlich unzuständig.
3. Die Rechtssache werde an das Bezirksgericht Zwettl abgetreten.
Begründend führte das Erstgericht nach auszugsweiser Wiedergabe des § 60 Abs 1 JN aus, die Beklagten seien formelle Streitgenossen nach § 11 Z 2 ZPO. Ansprüche gegen formelle Streitgenossen seien grundsätzlich nicht zusammenzurechnen. Für die Beurteilung der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sei daher das geltend gemachte Feststellungs- und Unterlassungsbegehren im Rahmen der objektiven Klagehäufung nur ein Mal zusammenzurechnen. Wie die Beklagten richtigerweise einwenden würden, betrage nach den Allgemeinen Honorar Kriterien (AHK) des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK) bei Dienstbarkeitsstreitigkeiten die Bemessungsgrundlage EU 7.700 (§ 5 Z 7 lit b AHK). Die AHK hätten zwar keinen normativen Charakter, sie würden aber dokumentieren, welche Bemessungsgrundlagen die Rechtsanwaltschaft im Regelfall als angemessen erachte. Nach den Vorstellungen des ÖRAK wäre die Bewertung der Klägerin im Betreff der bestrittenen Servitut in Höhe von EUR 8.000 daher überhöht. Dies decke sich auch mit der Einschätzung des erkennenden Gerichts. Auch die Bewertung des Unterlassungsbegehrens mit EUR 8.000 erscheine übermäßig hoch gegriffen. An dieser Einschätzung ändere auch der Verweis der Klägerin auf das zwischen der Stadtgemeinde ** und der Klägerin geführte Verfahren nichts, zumal es in jenem Verfahren um die Ersitzung eines Wege- und Fahrrechts der Gemeinde, sohin letztlich der Allgemeinheit gegangen sei, weshalb eingedenk der dadurch wesentlich höheren Rechtsgutbeeinträchtigung keine Vergleichbarkeit vorliege. Überdies sei zu berücksichtigen, dass nach der im Vorverfahren ergangenen Entscheidung 8 Ob 64/23d nunmehr der Allgemeinheit bereits das Recht des Gehens und des Fahrens mit Fahrrädern und einspurigen Kraftfahrzeugen aller Art auf dem Grundstück der Klägerin zukomme. Das rechtliche Interesse, ob weitere ausgesuchte Nachbarn auch mit mehrspurigen Kraftfahrzeugen über das Klagsgrundstück fahren dürfen oder nicht, sei daher auch unter diesem Gesichtspunkt - verglichen mit dem rechtlichen Interesse an einem gänzlich unbelasteten Grundstück - geringer. Im Ergebnis falle die vorliegende Streitigkeit in den Kernbereich der Tätigkeit eines (ländlichen) Bezirksgerichts, weshalb die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts nach § 60 Abs 1 und 2 JN auszusprechen sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos zu beheben bzw hilfsweise aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.
Die Beklagten beteiligten sich nicht am Rekursverfahren.
Dem Rekurs kommt Berechtigung zu.
Die Klägerin argumentiert zusammengefasst, es bestehe keine Rechtfertigung, zwischen der Bewertung des Feststellungsbegehrens und jener des Unterlassungsbegehrens zu differenzieren, sei doch das Interesse, nämlich die Unterbindung der Durchfahrt von zweispurigen Kraftfahrzeugen, einschließlich landwirtschaftlicher Fahrzeuge gleich. Darüber hinaus sei die Überprüfung durch das Gericht nur bei einer übermäßigen Überbewertung des Streitwertes zulässig, eine geringfügige Überbewertung sei unbeachtlich. Wenn die Beklagten nunmehr ausführten, das Feststellungsbegehren sei wie nach den AHK mit EUR 7.700 und das Unterlassungsbegehren mit EUR 6.000 zu bewerten, so liege jeweils keine übermäßige Überbewertung vor.
1.Ein infolge Heranziehung des § 60 Abs 1 JN nach Streitanhängigkeit gefasster Unzuständigkeitsbeschluss unterliegt der Anfechtungsbeschränkung des § 45 JN ( Gitschthaler in Fasching/Konecny³§ 60 JN Rz 17). Die Rechtsmittelbeschränkung des § 45 JN kommt vorliegend jedoch nicht zum Tragen, weil das für zuständig erklärte Gericht seinen Sitz in einer anderen Gemeinde hat.
2.Bei nicht in Geldbeträgen bestehenden Streitgegenständen ist der Kläger gemäß § 56 Abs 2 JN verpflichtet, den Streitgegenstand zu bewerten. In seiner Bewertung ist der Kläger weitgehend frei; er kann grundsätzlich frei beurteilen, worin sein Interesse liegt und welche Bedeutung dieses für ihn hat ( GitschthaleraaO § 54 JN Rz 13; § 56 JN Rz 25 ff; Mayr in Rechberger/Klicka 5§ 56 JN Rz 5).
3.Voraussetzung für eine Streitwertherabsetzung nach § 60 Abs 1 JN ist, dass (so weit hier relevant) „die im Sinne des § 56 Abs 2 JN erfolgte Bewertung des Streitgegenstandes übermäßig hoch gegriffen [erscheint]“ und dadurch wahrscheinlich die für die Zuständigkeit des Gerichtshofs oder für die Senatsbesetzung maßgebenden Wertgrenzen überschritten würden. Nur unter diesen Bedingungen kann der Richter bzw der Senat des Gerichtshofs auf Anregung der beklagten Partei oder von Amts wegen, auch ohne mündliche Verhandlung, nach allenfalls erforderlichen, möglichst zeit- und kostensparenden Erhebungen mit Beschluss entscheiden, dass die erwähnten Wertgrenzen „bei richtigerer Bewertung“ nicht überschritten wurden.
Da demnach lediglich übermäßige Überbewertungen eine Überprüfung des Streitwerts rechtfertigen, sind geringfügige Überbewertungen selbst dann unbeachtlich, wenn dadurch eine Verschiebung der Zuständigkeit auf den Gerichtshof erster Instanz bewirkt wird ( MayraaO § 60 JN Rz 5; GitschthaleraaO § 60 JN Rz 12).
4. Das Erstgericht folgt in seiner Argumentation im Wesentlichen dem Einwand der Beklagten, dass selbst nach § 5 Z 7 lit b AHK die Bemessungsgrundlage bei Dienstbarkeitsstreitigkeiten EUR 7.700 betrage. Wenn nun die Klägerin ihr Interesse mit EUR 8.000 (statt EUR 7.700) bewertet, so stellt dies in Ansehung der von sämtlichen Beklagten und vom Erstgericht herangezogenen AHK keine übermäßige Überbewertung dar.
5.Unstrittig besteht zwischen dem Feststellungs- und dem Unterlassungsbegehren gegenüber den einzelnen Beklagten ein tatsächlicher und rechtlicher Zusammenhang, weshalb eine Zusammenrechnung der Streitwerte gemäß § 55 Abs 1 Z 1 JN zu erfolgen hat (vgl auch RS0042741).
Die Klägerin bewertete sowohl das Feststellungs- als auch das Unterlassungsbegehren mit je EUR 8.000. Es ist ihr zuzustimmen, dass kein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Bewertung dieser beiden Begehren ersichtlich ist, bewirken doch beide den Zweck, die Durchfahrt von zweispurigen Kraftfahrzeugen auf dem Grundstück der Klägerin zu verhindern.
Auch die Rechtsprechung geht im Zweifel von einer Gleichwertigkeit mehrerer Begehren aus (wenn für mehrere Begehren eine Gesamtbewertung vorgenommen wurde), bzw gilt ohne jegliche Bewertung für jeden einzelnen von mehreren angehäuften Ansprüchen der Zweifelsstreitwert von EUR 5.000 (vgl 5 Ob 15/24b).
Gründe, warum dennoch das Interesse für das Unterlassungsbegehren geringer sein sollte, als jenes für das Feststellungsbegehren, werden weder überzeugend dargelegt, noch sind solche erkennbar.
6. Zusammenfassend kann insbesondere unter Berücksichtigung, dass die Beklagten einen Streitwert von EUR 7.700 für das Feststellungsbegehren und EUR 6.000 für das Unterlassungsbegehren, insgesamt sohin EUR 13.700 als angemessen erachten, die Bewertung der Klägerin von je EUR 8.000 für das Feststelllungs und das Unterlassungsbegehren, insgesamt sohin pro Beklagten EUR 16.000 nicht als übermäßig hoch angesehen werden.
Die Klagsabtretung - weil infolge Streitwertherabsetzung nach § 60 Abs 1 JN die Wertzuständigkeit nicht des Gerichtshofs, sondern des Bezirksgerichtes gegeben sei - hat somit keinen Bestand. Aus diesem Grund war dem Rekurs Folge zu geben und der bekämpfte Beschluss des Erstgerichts ersatzlos aufzuheben.
7. Ergeht - wie hier - im Prozess eine Zwischenentscheidung von Amts wegen, liegt ein unechter Zwischenstreit vor. Trotz des Rekurserfolges einer Partei sind grundsätzlich auch die Rechtsmittelkosten im unechten Zwischenstreit als weitere Verfahrenskosten zu behandeln (OLG Wien 15 R 109/18m; 16 R 256/23v; Obermaier , Kostenhandbuch 4 Rz 1.322). Die Beklagten sind im Rechtsmittelverfahren dem Rekurs nicht entgegengetreten.
8.Hat das Rekursgericht die sachliche Zuständigkeit des Erstgerichts nach Eintritt der Streitanhängigkeit bejaht, ist dieser Beschluss gemäß § 45 JN nicht bekämpfbar und der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig ( MayraaO § 45 JN Rz 3 mzN).
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