Das Oberlandesgericht Wien hat in der Übergabesache des A* zur Strafverfolgung an die Bundesrepublik Deutschland über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21. Jänner 2025, GZ ** 18, nach der am 11. März 2025 unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Mag. Mathes, im Beisein der Richter Mag. Hahn und Mag. Gruber als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Dr. Klug sowie in Anwesenheit des Betroffenen und seiner Verteidigerin Dr. Silvia Vinkovits durchgeführten öffentlichen Übergabeverhandlung den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Begründung
Aufgrund Europäischen Haftbefehls des Amtsgerichts Traunstein vom 30. Dezember 2024, AZ ** (ON 2.3), leitete die Staatsanwaltschaft Wien gemäß § 16 EU JZG ein Übergabeverfahren gegen den am ** geborenen peruanischen Staatsangehörigen A* zur Strafverfolgung ein.
Die deutschen Behörden legen dem Betroffenen folgende Tatvorwürfe – zusammengefasst – zur Last:
1. Der Betroffene habe am 10. April 2024 in Deutschland insgesamt 10 kg Marihuana sowie 800 Ecstasy-Tabletten besessen und war das Suchtgift für den gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt.
2. Am 5. Juni 2024 verbrachte der Betroffene insgesamt 260 g eines Kokaingemisches über ** in das deutsche Bundesgebiet und war ein Teil des Suchtgifts für den gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt. Zudem verkaufte und übergab er am 7. Juni 2024 100 g Kokain an eine bislang unbekannte Person.
3. Am 21. Juni 2024 verkaufte und übergab der Betroffene einer anderen Personen in Deutschland insgesamt 1 kg Marihuana.
4.a und b. Am 14. Mai 2024 sowie am 1. Juli 2024 lenkte der Betroffene jeweils im öffentlichen Verkehr ein Fahrzeug, obwohl er zum Führen von Fahrzeugen nicht berechtigt bzw. ihm die erforderliche Fahrerlaubnis fehlte.
5. Am 4. Juli 2024 besaß der Betroffene 854,22 Gramm Haschisch, 7 Ecstasy-Tabletten und 186,92 Gramm Marihuana und war das Suchtgift für den gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt. Zudem war er im Besitz eines Kampfmessers mit einer Klingenlänge von 14,5 cm.
Diese Taten werden im Europäischem Haftbefehl bzw. im Haftbefehl des Amtsgerichts Traunstein (ON 2.4) als Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (2.) und Handeltreiben mit Betäubungsmittel in nicht geringer Menge in Tateinheit mit gewerbsmäßiges Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge (1.) und Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge (3.) und bewaffnetes, gewerbsmäßiges Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmittel (5.) und vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei tatmehrheitlichen Fällen (4.) gemäß § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III zum BtMG, §§ 3 Abs. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, §§ 34 Abs.1 Nr.4, Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 1 und 4, 2 Abs.1 Nr.4 KCanG. §§ 52, 53 StGB, qualifiziert.
Mit dem angefochtenen Beschluss bewilligte das Landesgericht für Strafsachen Wien die Übergabe des Genannten an die deutschen Behörden zur Strafverfolgung in den Punkten 1, 2, 3 und 5 (IA), lehnte dieses hinsichtlich der Punkte 4a und 4b (Lenken eines Fahrzeugs ohne erforderliche Fahrerlaubnis) der Vorwürfe im Europäischen Haftbefehl ab (IB) und schob die tatsächliche Übergabe des Betroffenen gemäß § 25 Abs 1 Z 6 EU JZG bis zum Ende des Strafvollzugs der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu AZ ** verhängten Freiheitsstrafe auf (II).
Dagegen, inhaltlich gegen die Bewilligung der Übergabe (I./A./) richtet sich die pflichtgemäß erhobene Beschwerde des Betroffenen, monierend, er habe die ihm angelasteten Tathandlungen nicht begangen und im Ausstellungsstaat des Europäischen Haftbefehls kein faires Verfahren im Sinn des Art 6 EMRK zu erwarten (ON 22.2).
Dem Rechtsmittel kommt Berechtigung nicht zu.
Die dem Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts Traunstein zugrunde liegenden mit Strafe bedrohten Handlungen sind von der ausstellenden Justizbehörde einer der im Anhang I, Teil A, des EU JZG angeführten Kategorie von Straftaten, nämlich dem Listendelikt „illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen“ zugeordnet worden und nach dem Recht des Ausstellungsstaats mit einer Freiheitsstrafe, deren Obergrenze mindestens drei Jahre beträgt, bedroht, sodass die Voraussetzungen des § 4 Abs 3 EUJZG vorliegen. Da die Taten auch in Österreich als Verstöße gegen das SMG und Waffengesetz gerichtlich strafbare Handlungen darstellen und im Ausstellungsstaat mit mindestens einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sind, liegen auch die Voraussetzungen des § 4 Abs 1 EU JZG hinsichtlich der Punkte I 1 bis 3 und 5 im Europäischen Haftbefehl vor.
Zum Beschwerdevorbringen, der Betroffene habe die Taten in Deutschland nicht begangen, ist festzuhalten, dass nach § 19 Abs 1 EU JZG die Voraussetzungen für eine Übergabe nur anhand des Inhalts des EHB zu prüfen sind, eine Verdachtsprüfung findet nicht statt. Die Schuldfrage wird somit ausschließlich im Zielstaat einer Prüfung zu unterziehen sein.
Wenn der Beschwerdeführer eine fundamentale Verletzung der Verfahrensgarantien des Art 6 EMRK in der Bundesrepublik Deutschland moniert, ist ihm zunächst zu entgegnen, dass aus dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen der Mitgliedstaaten folgt, dass diese vom bestimmten Ausnahmen abgesehen jeden Europäischen Haftbefehl nach diesem Grundsatz und gemäß den Bestimmungen des Europäischen Haftbefehls EuHB-RB zu vollstrecken sind. Die Justizbehörden können daher die Vollstreckung eines solchen Haftbefehls grundsätzlich nur aus den Gründen verweigern, wie in den Art 3, 4 und 4A EuHB RB abschließend aufgezählt sind.
Wenn der Betroffene eine ihm drohende Verletzung in seinem Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK befürchtet, ist er darauf zu verweisen, dass die vollstreckende Justizbehörde bei ihrer Entscheidung über die Übergabe einer Person an die Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats beurteilen muss, ob eine echte Gefahr besteht, dass die betreffende Person eine Verletzung des genannten Grundrechts erleidet, was mit mangelnder Unabhängigkeit der Gerichte des Ausstellungsmitgliedstaats aufgrund systemischer oder allgemeiner Mängel in diesem Staat zusammenhängen muss (EuGH vom 25. Juli 2018, C-216/18 PPU, Rn 60,61).
Fallbezogen vermochte der Rechtsmittelwerber nicht darzutun, wodurch er konkret in seinen Verfahrensrechten gefährdet werden sollte.
Weiters lässt sich eine nicht vorliegende Gefährdung auch mit der ständigen Rechtsprechung des EGMR in Einklang bringen, wonach die betroffene Person nachzuweisenhat, dass ihr im ersuchenden Staat eine offenkundige Verweigerung eines fairen Prozesses („flagrant denial of justice“) droht (RIS-Justiz RS0123200 [T2]).Der pauschale Einwand mangelnder Rechtsstaatlichkeit genügt allerdings nicht (15 Os 63/22m mwN).
Insgesamt erbrachte der Betroffene diesen Nachweis somit nicht, sondern wurde im Rechtsmittel bloß allgemein das Recht auf ein faires Verfahren in Frage gestellt.
Der erstgerichtliche Beschluss begegnet keinen Bedenken, sodass der Beschwerde ein Erfolg zu versagen war.
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