Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, den Richter Mag. Zechmeister und die Richterin Dr. Heissenberger LL.M. (Dreiersenat des Oberlandesgerichts gemäß § 11a Abs 2 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* B* , **, wider die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, Landesstelle **, **, vertreten durch C*, ebendort, wegen Rückersatz von Kinderbetreuungsgeld, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 4.12.2024, **-8, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage aufgetragen.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Begründung:
Mit Bescheid vom 6.9.2024 (Beilage ./1) sprach die Beklagte aus, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld für das Kind B* D* um EUR 1.300,-- reduziere und daher noch ein Betrag in dieser Höhe aushafte. Dieser Betrag sei binnen 4 Wochen nach Zustellung des Bescheids zu überweisen.
Die Beklagte begründete ihre Entscheidung damit, dass die Klägerin die vorgeschriebenen Eltern-Kind-Pass-Untersuchungen nicht oder verspätet durchgeführt bzw. nicht vollständig oder verspätet nachgewiesen habe, weshalb sich der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für jeden Elternteil um EUR 1.300,-- reduziere. Der Widerruf der Zuerkennung und die Rückforderung gründeten sich auf die §§ 30 und 31 KBGG.
Dagegen erhob die Klägerin erkennbar Klage (vgl. ON 1 ff), die Beklagte erstattete dazu eine Klagebeantwortung (ON 2) und das Erstgericht beraumte eine Verhandlung für den 21.2.2025 an (ON 5). Diese Tagsatzung wurde in der Folge auf Grund Richterwechsels auf den 20.12.2024 verlegt (ON 6).
Am 4.12.2024 langte beim Erstgericht ein Schreiben der Klägerin ein, das vom Erstgericht als Klagsrückziehung gewertet wurde (vgl. ON 7 und ON 8).
Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 8) nahm das Erstgericht die Klagsrückziehung zur Kenntnis und sprach aus, dass das Verfahren beendet sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten erkennbar wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, die Klagerücknahme der Klägerin zurück- bzw. abzuweisen sowie das Verfahren „weiterzuführen bzw. wiederzueröffnen und eine mündliche Streitverhandlung anzuberaumen, um allenfalls mit der klagenden Partei eine geeignete Vereinbarung betreffend die Rückforderung abschließen zu können“.
Die Klägerin hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.
1.) Vorweg ist festzuhalten, dass das Erstgericht die Eingaben der Klägerin zu Recht als Erhebung einer Klage gegen den Bescheid Beilage ./1 qualifiziert hat. In ihrer an die Beklagte gesendeten E-Mail vom 23.9.2024 ersuchte die Klägerin um „Prüfung“ des Bescheids. Die Klägerin hat ihre Klage auch entsprechend dem Auftrag des Erstgerichts durch Unterfertigung der Klage verbessert (vgl. ON 3, ON 4 iVm ON 1.1). Der Umstand, dass die Klägerin ihre Eingaben bei der Beklagten einbrachte, spricht nicht dagegen, diese Eingaben als zulässige und rechtzeitige Klage zu qualifizieren, weil eine beim Sozialversicherungsträger eingebrachte Klage gemäß § 84 ASGG als beim zuständigen Gericht eingebracht gilt.
Da auf Grund der aufgezeigten Überlegungen eine Klagserhebung vorliegt, ist das beim Erstgericht am 4.12.2024 eingelangte Schreiben der Klägerin als Klagsrückziehung zu qualifizieren, auch wenn sie darin ausführt, dass sie „niemanden geklagt“ habe und ihre Eingaben nur eine „Bitte“ und keine Klage gewesen seien. Ausgehend davon, dass eine Klagserhebung durch die Klägerin vorliegt, sind die weiteren Ausführungen der Klägerin in ihrem beim Erstgericht am 4.12.2024 eingelangten Schreiben, in dem sie weiters ausführt, „[…] Ich möchte diesen Gericht nicht halten und werde die EUR 1.300,-- zurückzahlen“ als Klagsrückziehung zu beurteilen.
2.) Die Rekurswerberin führt zusammengefasst aus, dass bei einer Rechtsstreitigkeit iSd § 65 Abs 1 Z 8 ASGG gemäß § 72 Z 3 ASGG die Klage nicht zurückgenommen werden könne.
Der Rekurswerberin ist zuzustimmen.
Zunächst ist klarstellend festzuhalten, dass der Beschluss, mit dem eine Klagsrücknahme vom Gericht zur Kenntnis genommen und damit jede Fortsetzung des Verfahrens abgelehnt wird, trotz seiner nur deklarativen Wirkung anfechtbar ist (RS0039796, RS0039652, RS0124054).
Grundsätzlich ist gem § 72 Z 2 lit a ASGG im sozialgerichtlichen Verfahren die Zurücknahme der Klage in jedem Verfahrensstadium ohne Zustimmung des Versicherungsträgers möglich. Der durch die Klage außer Kraft getretene Bescheid tritt durch die Zurücknahme der Klage gem § 72 Z 1 ASGG nicht wieder in Kraft.
Gemäß § 72 Z 3 ASGG kann allerdings in Rechtsstreitigkeiten nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG […] oder über die Pflicht zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Leistung nach § 65 Abs 1 Z 8 2. und 3. Fall (Kinderbetreuungsgeld und Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld) die Klage nicht zurückgenommen werden.
Damit soll verhindert werden, dass sich der Versicherte seiner Zahlungsverpflichtung dadurch entzieht, dass er den ihn belastenden Bescheid durch Klagserhebung außer Kraft setzt und dann die Klage zurückzieht. Eine trotzdem vorgenommene Klagsrücknahme ist vom Gericht einfach nicht zu beachten ( Neumayr in ZellKomm³ § 72 ASGG Rz 6; Sonntag in Köck/Sonntag, ASGG § 72 Rz 15; Kuderna , ASGG 2 474).
Gegenstand der vorliegenden Sozialrechtssache ist die Verpflichtung der Klägerin zum Rückersatz des zu Unrecht empfangenen Kinderbetreuungsgeldes. Es liegt somit eine Rechtsstreitigkeit iSd § 65 Abs 1 Z 2 und 8 2. Fall ASGG vor. In diesem Fall kann die Klage nicht zurückgenommen werden.
Dem Rekurs war daher Folge zu geben und der angefochtene Beschluss ersatzlos zu beheben.
Das Erstgericht wird das Verfahren unter Nichtbeachtung der erklärten Zurücknahme der Klage fortzusetzen haben.
Der ordentliche Revisionsrekurs war nicht zuzulassen, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO abhing.
Rückverweise
Keine Verweise gefunden