Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Röggla als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Schneider-Reich und den Richter Ing.Mag. Kaml als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* ua wegen §§ 184 StGB uaD über die Beschwerde der A* gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 5. Februar 2024, GZ 332 HR 495/23s-38, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Begründung
Am 19. Oktober 2023 verstarb die 28-jährige B* in der Klinik **, wo sie am 13. Oktober 2023 das erste Mal vorstellig geworden war und über Kopfschmerzen, Schmerzen an den Schläfen sowie am Kiefer, Taubheitsgefühl, Schwäche und Sehprobleme geklagt und berichtet hatte, am 6. oder 7. Oktober 2023 eine Lippenunterspritzung im D* in ** gehabt zu haben (ON 2.1).
Die Staatsanwaltschaft Wien leitete am 21. Oktober 2023 ein Ermittlungsverfahren gegen UT wegen § 80 StGB zu 176 BAZ 800/23s und am 22. November 2023 nach Durchführung erster Ermittlungen ein Ermittlungsverfahren gegen A* wegen §§ 80 Abs 1; 184 StGB (ON 1.11) ein, wobei sie am selben Tag das Ermittlungsverfahren gegen sie wegen § 80 Abs 1 StGB gemäß § 190 Z 2 StPO aufgrund des bereits vorliegenden Gutachtens DDr. C* (ON 12.2) wieder teileinstellte (ON 1.12).
Mittlerweile wurden Ermittlungen (siehe ON 6, ON 10, ON 17, ON 26, ON 32, ON 42) zum „Beauty-Salon“, zur Beschuldigten (Ausbildung, Tätigkeit, Kundenstock, etc), zur ärztlichen Behandlung der B* nach der Lippenunterspritzung beauftragt bzw durchgeführt und Gutachten aus den Gebieten Neuropathologie und Gerichtsmedizin (ON 12, ON 30) eingeholt sowie weitere (aus den Gebieten Neurologie, Intensivmedizin sowie plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie) beauftragt (ON 33 bis ON 35). Die Beschuldigte nahm mehrfach die Gelegenheit der Stellungnahme sowie von Rechtsmitteln und -behelfen wahr (ON 22, ON 27, ON 29, ON 36, ON 37, ON 41, ON 43, ON 44).
Somit besteht gegen die am ** geborene russische Staatsangehörige A* der Verdacht, sie habe von Mitte September 2023 bis zumindest 19. Oktober 2023 in ** ohne die zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ausbildung erhalten zu haben, eine Tätigkeit, die den Ärzten vorbehalten ist, nämlich die Durchführung von Lippenunterspritzungen mittels Hyaluron, in Bezug auf eine noch festzustellende größere Zahl von Menschen gewerbsmäßig ausgeübt und hiedurch das Vergehen der Kurpfuscherei nach § 184 StGB begangen.
Mit Antrag vom 15. Dezember 2023 (ON 22) beantragte die Beschuldigte die Einstellung des Verfahrens. Der Vorwurf der Kurpfuscherei sei bereits aus rechtlichen Gründen verfehlt. Weder sei der objektive noch der subjektive Tatbestand indiziert, sie habe bereits mitgeteilt, dass mittels Hyaluron-Pen zwei Anwendungen nach allen Regeln der Kunst vorgenommen worden seien, somit keine Handlungen, für die eine medizinische Ausbildung nötig wäre. Es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass sie einen größeren Personenkreis behandelt habe. Dazu legte sie einen slowakischen Gewerbeschein (Kosmetikerin) vor.
In ihrer Stellungnahme hiezu vom 20. Dezember 2023 (ON 23) äußerte sich die Staatsanwaltschaft Wien ablehnend und dahingehend, dass bislang nicht geklärt sei, ob die Behandlung mittels eines Hyaluron-Pens erfolgt sei, weiters sei die Kundenanzahl noch zu überprüfen, weswegen unter anderem die Ermittlungsanordnung vom 22. November 2023 (ON 16) ergangen sei, Umfelderhebungen im Bereich des Kosmetikstudios durchzuführen.
In ihrer Äußerung hiezu vom 22. Jänner 2024 (ON 27) bekräftigt die Beschuldigte neuerlich, als Kosmetikerin zur Vornahme der Anwendung berechtigt gewesen zu sein und keine Tätigkeit gesetzt zu haben, die in den ärztlichen Vorbehaltsbereich des § 2 Abs 2 iVm § 3 ÄrzteG fallen. Im Übrigen lägen keine Tatsachen vor die das weitere Tatbestandsmerkmal (in Bezug auf eine größere Anzahl von Personen) indizierten.
In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 23. Jänner 2024 (ON 29) hält sie fest, dass nach Abschluss der Ermittlungen feststehe, dass keine größere Zahl von Menschen (iSd § 184 StGB) vorliege. Auch sei erwiesen, dass Kosmetikern die Verwendung von Injektions-Pens gestattet sei.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies die Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien den Einstellungsantrag ab und führte begründend aus, dass das Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigte wegen der dargestellten strafbaren Handlung der Kurpfuscherei nach § 184 StGB geführt werde. Dabei handle es sich jedenfalls um eine gerichtlich strafbare Handlung. Aus dem Akteninhalt und den bisherigen Ermittlungsergebnissen ließen sich auch keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass eine Verfolgung aus rechtlichen Gründen (wie etwa materielle Rechtfertigungs-, Schuld-, Strafausschließungs-, oder Strafaufhebungsgründe bzw prozessuale Verfolgungshindernisse) mit Gewissheit unzulässig wäre. Gemäß § 2 Abs 2 Ärztegesetz 1998 iVm § 4 Abs 2 ÄsthOpG seien Unterspritzungen mittels Hyaluronsäure, Botox oder sonstigen Substanzen Ärzten vorbehalten. Dies gelte auch für Unterspritzungen mittels PEN, die tiefer als 0,5mm gehen. Fallkonkret könne der Verdacht des Vergehens der Kurpfuscherei insofern nicht von der Hand gewiesen werden, als bislang nicht ermittelt worden sei, ob die Unterspritzungsbehandlung mittels eines Hyaluron-PEN und diesfalls nicht tiefer als 0,5mm erfolgt oder auf eine Art und Weise durchgeführt worden sei, die Ärzten vorbehalten ist. Erst im letzten Fall wäre eine Strafbarkeit nach § 184 StGB zu prüfen und in Folge auch das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals „eine größere Zahl von Menschen“ und „gewerbsmäßig“. Aus dem bisherigen Akteninhalt lasse sich daher eine Behandlung mittels Unterspritzung mit einer Nadel und/oder einer PEN diesfalls tiefer als 0,5 mm, nicht gänzlich ausschließen. Eine Einstellung nach § 108 Abs 1 Z 1 StPO kommt daher derzeit noch nicht in Betracht.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der Beschuldigten (ON 41), der keine Berechtigung zukommt.
Die Oberstaatsanwaltschaft enthielt sich einer Stellungnahme und mittelte den Akt selbentags nach Einsicht retour.
Nach § 108 Abs 1 StPO hat das Gericht das Ermittlungsverfahren auf Antrag des Beschuldigten einzustellen, wenn aufgrund der Anzeige oder der vorliegenden Ermittlungsergebnisse feststeht, dass die dem Ermittlungsverfahren zu Grunde liegende Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht oder die weitere Verfolgung des Beschuldigten sonst aus rechtlichen Gründen unzulässig ist (Z 1), oder der bestehende Tatverdacht nach Dringlichkeit und Gewicht sowie im Hinblick auf die bisherige Dauer und den Umfang des Ermittlungsverfahrens dessen Fortsetzung nicht rechtfertigt und von einer weiteren Klärung des Sachverhaltes eine Intensivierung des Verdachtes nicht zu erwarten ist (Z 2).
Bei der Beurteilung der Frage, ob feststehe im Sinne des § 108 Abs 1 Z 1 StPO, dass die Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist, muss ein strenger Maßstab angelegt werden. Nach den vorliegenden Ermittlungsergebnissen muss die Gewissheit bestehen, dass eine weitere Verfolgung rechtlich unzulässig wäre. Die Wahrscheinlichkeit oder gar nur die Möglichkeit, dass das Gericht im Hauptverfahren einen Freispruch aus dem Grunde des § 259 Z 3 StPO fällen würde, reicht hierfür nicht aus; der Grundsatz „in dubio pro reo“ gilt erst in der Hauptverhandlung (Pilnacek/Stricker WK-StPO § 108 Rz 28).
Der weitere – hier jedoch nicht zur Überprüfung stehende - Einstellungsgrund, dass der bestehende Tatverdacht die Fortsetzung des Ermittlungsverfahrens nicht rechtfertige (Z 2 leg.cit.), ist erst dann verwirklicht, wenn eine weitere Konkretisierung bzw Erhärtung der Verdachtslage, die eine Beendigung des Verfahrens durch Diversion oder Anklage zulassen würde, nicht mehr erwartet werden kann (Fabrizy/Kirchbacher, StPO 14 § 108 Rz 3).
Ein die Fortführung des Ermittlungsverfahrens rechtfertigender Tatverdacht der Begehung einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung und das Nichtvorliegen von rechtlichen Gründen (wie etwa materielle Rechtfertigungs-, Schuld-, Strafausschließungs-, oder Strafaufhebungsgründe bzw prozessuale Verfolgungshindernisse), aufgrund derer mit Gewissheit eine Verfolgung unzulässig wäre, ergibt sich aus Sicht des Beschwerdegerichts aus dem Bericht des LKA ** zu GZ PAD/23/02175012/003/KRIM (ON 6). Demnach habe die Beschuldigte am 13. September 2023 einen Pachtvertrag mit E* (D*) in ** abgeschlossen und einen Raum angemietet, in dem sie als Kosmetikerin „A*“ tätig geworden sei. Nachdem in den sozialen Medien Gerüchte über das Ableben von Frau B* bekannt geworden seien, habe die Beschuldigte den Raum geräumt und verlassen und sei telefonisch und auf ihren sozialen Medien nicht mehr erreichbar gewesen. Am 23. Oktober 2023 bei Durchführung der Erhebungen durch Beamte der LKA ** seien unabhängig und nacheinander zwei Frauen zum Geschäft gekommen, um sich einer Kosmetikbehandlung zu unterziehen. Einem Gedächtnisprotokoll Dris. G* vom 16. Oktober 2023 ist zu entnehmen, dass die später Verstorbene bei dieser Ärztin ca eine Woche nach Problemen bei einer Lippenaugmentation durch die beschuldigte Kosmetikerin vorstellig geworden sei.
Dem Sachverständigengutachten DDris. C* (Neuropathologie) vom 21. November 2023 (ON 12.2) ist zu entnehmen, dass ein Kausalzusammenhang des Ablebens der B* zum kosmetischen Eingriff kaum wahrscheinlich sei.
Der Sachverhaltsdarstellung des Opfervertreters (ON 17) ist ein Screenshot des Instagram-Profils der Beschuldigten „**_“ beigeschlossen, das 2.785 Follower aufweist.
Der erste Instagram-Account der Beschuldigten „**“ sei bereits gelöscht und nicht mehr herstellbar. Weiters habe sich die Juristin der MA 40, Soziales und Gesundheitsrecht, Mag. H* mit den ermittelnden Beamten in Verbindung gesetzt und dazu angegeben, eine Aufspritzungsbehandlung der Lippen sei Ärzten vorbehalten. An dieser Stelle ist anzumerken, dass tatsächlich derartige Behandlungen mittels Pen mit einer Einstichtiefe von unter 0,5 Zentimeter mittlerweile auch von Kosmetiker:innen durchgeführt werden dürfen (ON 26).
Die Zeugin I* (siehe ON 26.5) gab in ihrer Vernehmung an, sie sei die beste Freundin der Verstorbenen gewesen und wisse, dass diese am 4. und am 9. Oktober bei der Beschuldigten zur Lippenbehandlung gewesen sei. Auch sie selbst sei zuvor einmal dort gewesen. Sie sei auf Instagram auf die Beschuldigte aufmerksam geworden. Sie habe um 180,-- Euro eine Lippenbehandlung durchführen lassen, und zwar habe die Beschuldigte ihr vier bis fünf Stiche oben und vier bis fünf Stiche unten mit einer Spritze in die Lippen verabreicht, wofür sie 180,-- Euro bezahlt habe. Auch ihre Schwester J* sei dort gewesen und habe die selbe Behandlung vornehmen lassen. Auch ihre Wimpernstylistin „K*“ folge der Beschuldigten auf Instagram, wobei sie nicht wisse, ob bei ihr eine Behandlung durchgeführt worden sei, jedenfalls seien aber Freundinnen von „K*“ dort gewesen, was sie aufgrund der Storys auf Instagram wissen. Die Beschuldigte habe sehr viele Behandlungen durchgeführt. Dazu legte sie einen Chatverlauf mit der Beschuldigten vor (ON 26.8). Mittlerweile wurden – wie oben beschrieben - zur Klärung des Todes der B* ein gerichtsmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt und weitere drei Gutachten beauftragt und weitere Ermittlungsanordnungen erlassen, um weitere Kund:innen der Beschuldigten auszuforschen und diese auch dazu zu befragen, auf welche Art (ob mittels Hyaluron-Pen oder mittels Spritze) ihre Lippenbehandlungen durchgeführt worden seien. Da bereits durch die Aussage der Zeugin I* und den Instagram-Account sowie einen möglichen Steuerakt zahlreiche weitere potentielle Kundinnen ausforschbar sind, wird – wie das Erstgericht bereits festgehalten hat – einem zügigen Abschluss des Ermittlungsverfahren entgegengesehen.
Somit lag und liegt entgegen dem Vorbringen der Beschuldigten, die ihre rechtlichen Schlüsse alleine aus ihrer eigenen Verantwortung, sie habe keine Ärzten vorbehaltene Tätigkeiten und diese auch nicht gewerbsmäßig und in Bezug auf eine größere Zahl von Menschen vorgenommen, zieht und dabei sämtliche obbeschriebene Umstände und Erhebungsergebnisse negiert, ein Anfangsverdacht vor. Es besteht aufgrund des aktenkundigen Auftretens der Beschuldigten auf sozialen Medien, der Aussagen der bisher vernommenen Zeugen, der Darstellungen des Witwers und der Mitarbeiterin der MA 40 im Zusammenhalt mit den sonstigen Ermittlungsergebnissen der Verdacht, die Beschuldigte habe in Bezug auf eine größere Zahl von Menschen gewerbsmäßig zwischen Mitte September und 19. Oktober 2023, ohne die zur Ausübung des ärztlichen Berufes erforderliche Ausbildung erhalten zu haben, eine Tätigkeit, die den Ärzten vorbehalten ist, nämlich Lippenunterspritzungen mit einer Einstichtiefe von mehr als 0,5 Millimeter durchgeführt (zur Strafbarkeit solchen Handelns siehe Landesgericht für Strafsachen 55 Hv 56/21p, Oberlandesgericht Wien zu 22 Bs 198/21k). Keinesfalls steht mit Gewissheit fest, der Sachverhalt sei nicht strafbar oder verfolgbar. Eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 108 Abs 1 Z 1 StPO scheidet somit aus.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Gegen diesen Beschluss steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.
Rückverweise
Keine Verweise gefunden