Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Schober und die Kommerzialrätin Oswald in der Rechtssache der klagenden Partei Ö***** , vertreten durch Dr. Heinz-Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. ***** , wegen Unterlassung (EUR 30.000) und Urteilsveröffentlichung (EUR 5.000) über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 24.5.2022, 58 Cg 56/20y 68, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben. Die Entscheidung wird geändert und lautet:
« I. Die beklagte Partei ist schuldig, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, sich als „Rechtsanwalt em“ zu bezeichnen.
II. Abgewiesen werden die Klagebegehren,
1. der Beklagte sei schuldig, es im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, eine E-Mail-Adresse zu verwenden, die auf eine rechtsanwaltliche Tätigkeit hinweist, insbesondere „l*****.at“;
2. die klagende Partei werde ermächtigt, auf Kosten der beklagten Partei den stattgebenden Spruch des Urteils in einer Ausgabe des Österreichischen Anwaltsblatts zu veröffentlichen;
3. die klagende Partei werde ermächtigt, auf ihrer Homepage den stattgebenden Teil des Spruchs zu veröffentlichen.
III. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen an Kosten des Verfahrens erster Instanz EUR 371,50 zu ersetzen.»
Die beklagte Partei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen an Kosten des Berufungsverfahrens EUR 609,50 zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteigt EUR 30.000.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
1. Der klagende Verein nimmt satzungsgemäß die wirtschaftlichen Interessen der österreichischen Rechtsanwaltschaft war. Seine Aktivlegitimation ist unstrittig. Der Beklagte war Rechtsanwalt und hat seine Berechtigung zur Berufsausübung im Jahr 2018 zurückgelegt.
Der Kläger begehrt (bewertet mit EUR 30.000), dem Beklagten zu verbieten, sich im Geschäftsverkehr als „Rechtsanwalt em“ zu bezeichnen und eine E-Mail-Adresse zu verwenden, die auf eine rechtsanwaltliche Tätigkeit hinweist, wie insbesondere „l*****.at“. Damit verbunden ist ein Begehren auf Ermächtigung, den stattgebenden Teil des Urteilsspruchs auf Kosten des Beklagten im Österreichischen Anwaltsblatt zu veröffentlichen sowie ihn auf der Homepage des Klägers zu veröffentlichen.
Dazu brachte der Kläger – kurz zusammengefasst (§ 500a ZPO) – vor, der Beklagte trete seit 2019 im Geschäftsverkehr als „Dr. *****, Rechtsanwalt em“ auf. Da er Tätigkeiten erledige, die üblicherweise auch Rechtsanwalte erledigen, missbrauche er die geschützte Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“.
2. Der Beklagte bestritt die Begehren und wandte – kurz zusammengefasst (§ 500a ZPO) – ein, dass er nur vereinzelt und nur in Fällen persönlicher Verbundenheit unentgeltlich Menschen in Rechtsangelegenheiten unterstützt habe und dabei die vom Kläger genannte Signatur verwendet habe. Er habe sich nie als Rechtsanwalt bezeichnet; der Zusatz „em“ verhindere einen falschen Eindruck im Verkehr. Seine E-Mail-Adresse „[Familienname]@l*****.at“ sei eine Fantasieadresse.
3. Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab und ging dabei von jenem Sachverhalt aus, den es auf den Seiten 3 bis 7 der Urteilsausfertigung wiedergab und auf den verwiesen wird.
Rechtlich erwog das Erstgericht – kurz zusammengefasst –, dass ein „Handeln im geschäftlichen Verkehr“ durch den Beklagten nicht vorliege. Er habe die Angelegenheiten von drei Personen zu befördern versucht, ohne dafür eine Gegenleistung oder einen wirtschaftlichen Vorteil zu bekommen. Er habe auch keine Honorarforderungen erhoben.
Überdies bewirke der Zusatz „em“ vor oder hinter dem Wort „Rechtsanwalt“, dass der Beklagte nicht den geschützten Begriff „Rechtsanwalt“ verwende; der Kläger wolle ihm nicht die Bezeichnung „Rechtsanwalt“ verbieten, sondern die Wendung „Rechtsanwalt em“.
Der Durchschnittsverbraucher würde von „l*****“ nicht auf die Tätigkeit eines Rechtsanwalts schließen.
4. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, der unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, die Entscheidung zu ändern und den Klagebegehren stattzugeben. Der Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Berufung ist teilweise berechtigt.
5.1. Bei der Frage, ob eine Tätigkeit „im geschäftlichen Verkehr“ stattfindet, ist sie nach objektiven Kriterien zu prüfen. Es kommt nicht darauf an, was die Person, die dieses Verhalten setzt, beabsichtigt. Insofern greift die oft verwendete Formulierung, die Tätigkeit müsse „auf Erwerb gerichtet“ sein (RS0077522), zu kurz (dass keine „Gewinnabsicht“ erforderlich ist, ist ohnedies Inhalt der meisten dazu formulierten Rechtssätze).
Ein Rechtsanwalt, der den Beruf befugt ausübt, handelt jedenfalls stets im geschäftlichen Verkehr, wenn er gegenüber Dritten (zum Beispiel gegenüber Behörden) mit einer Tätigkeit in Erscheinung tritt, die typisch für das Berufsbild des Rechtsanwalts ist, und zwar auch dann, wenn er dies im konkreten Fall gratis, aus freundschaftlicher Verbundenheit, aus Mitleid, oder mit sonstigen Motiven tut, die ihn davon abhalten, eine Entlohnung zu verlangen. Dies ergibt sich – wie der Kläger in der Berufung zutreffend vorträgt – daraus, dass diese Tätigkeit auch im Falle der Unentgeltlichkeit mittelbar den Geschäftsbetrieb anderer Rechtsanwalte betrifft, die sonst möglicherweise mit dem jeweiligen Fall befasst worden wären.
Diese Überlegung endet aber nicht nur deswegen mit dem Verzicht eines Rechtsanwalts auf die Ausübung seines Berufs. Auch wenn er – wie der Beklagte – danach noch Tätigkeiten entfaltet, die zum Berufsbild des Rechtsanwalts gehören, ist die Voraussetzung „im geschäftlichen Verkehr“ weiterhin gegeben.
Das Argument, der Beklagte habe das inkriminierte Verhalten nicht im geschäftlichen Verkehr gesetzt, ist somit keine ausreichende Basis für die Abweisung des Klagebegehrens.
5.2. Zu prüfen ist daher, ob der Beklagte durch die Verwendung der Bezeichnung „Rechtsanwalt em“ (wobei er – vom Erstgericht festgestellt – in einem Fall auf den Zusatz „em“ vergessen hat) gegen § 8 Abs 4 RAO verstoßen hat. Diese Bestimmung verbietet es, die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ zu führen, wenn man – wie der Beklagte – nicht in die Liste der Rechtsanwalte eingetragen ist.
Das hier verwendete Argument des Erstgerichts, der Kläger wolle dem Beklagten nur verbieten lassen, die Formulierung „Rechtsanwalt em“ zu verwenden, nicht aber die Bezeichnung „Rechtsanwalt“, trifft nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht zu, denn das Unterlassungsbegehren lässt sich wohl zwanglos dahin verstehen, dass dem Beklagten damit jedenfalls auch verboten werden soll, das Wort „Rechtsanwalt“ als Hinweis auf die eigene Person zu verwenden.
Der Beklagte hat damit argumentiert, der Zusatz „em“ sei deutlich und mache klar, dass er kein Rechtsanwalt sei, sondern dass er Rechtsanwalt „nur gewesen“ sei. Dem hält der Kläger entgegen, dass der Zusatz „em“ wohl auch als „emeritiert“ verstanden werden könne, dass aber auch andere Erklärungen möglich seien.
Das Berufungsgericht hält dafür, dass es darauf, wie jemand die zwei Buchstaben „em“ versteht, nicht ankommt, weil die Zielsetzung des § 8 Abs 4 RAO jedenfalls darin besteht, dass niemand, der die Berufsvoraussetzungen nicht erfüllt, Dritten gegenüber mit dem Begriff „Rechtsanwalt“ Informationen in Bezug auf die eigene Person verbindet. Auch wenn üblicherweise mit „em“ der Umstand der Emeritierung assoziiert wird, enthält die Bezeichnung „Rechtsanwalt em“ immer noch einen Hinweis auf die vorhanden gewesene Befähigung, als Rechtsanwalt aufzutreten. Mit Blick auf den Umstand, dass üblicherweise die damit verbundene Kenntnis nicht von heute auf morgen verschwindet, kommt das Berufungsgericht zum Ergebnis, dass auch die mit dem genannten Zusatz verwendete Bezeichnung ein unberechtigtes Führen der Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt“ bewirkt, sofern damit ein Auftreten im geschäftlichen Verkehr verbunden ist. Damit soll klargestellt werden, dass niemand verpflichtet ist, den Umstand, dass er Rechtsanwalt gewesen ist, geheim zu halten. Das hier zu beurteilende Verhalten des Beklagten ist aber – wie oben dargelegt – auch davon gekennzeichnet, dass es im geschäftlichen Verkehr stattfindet.
Keine Rolle spielt dabei, ob ein ehemaliger Rechtsanwalt von anderen (sei es auch von der Rechtsanwaltskammer) als „emeritierter Rechtsanwalt“ angesprochen oder angeschrieben wird. Diese Übung lässt keine juristischen Rückschlüsse auf die Wirkung des Verbots nach § 8 Abs 4 RAO zu.
Grundsätzlich ist somit der Tatbestand der Fallgruppe „unlauteres Verhalten in der Form des Rechtsbruchs“ erfüllt.
5.3. Wiewohl vom Beklagten nicht ausdrücklich thematisiert, ist auch zu prüfen, ob er die Verwendung der Bezeichnung „Rechtsanwalt em“ für vertretbar halten konnte, denn ein Verstoß gegen eine nicht dem Lauterkeitsrecht im engeren Sinne zuzuordnende generelle Norm wäre nur dann als unlautere Geschäftspraktik oder sonstige unlautere Handlung zu werten, wenn die Norm nicht auch mit guten Gründen in einer Weise ausgelegt werden könnte, dass sie dem beanstandeten Verhalten nicht entgegensteht. Maßgebend für die Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung sind der eindeutige Wortlaut und der Zweck der Norm sowie gegebenenfalls die Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und eine beständige Praxis von Verwaltungsbehörden (vgl 4 Ob 221/16b, 3.2., mwN).
Das Berufungsgericht hält die Anordnung des § 8 Abs 4 RAO für ausreichend eindeutig. Dass auch andere ihn mit „emeritierter Rechtsanwalt“ apostrophiert haben, konnte der Beklagte als Jurist nicht dahin auslegen, dass er selbst die Bezeichnung „Rechtsanwalt“ mit dem kurzen und – zumindest – nicht völlig eindeutigen Zusatz „em“ führen darf.
5.4. Zu prüfen ist weiters, ob damit die vom § 1 Abs 1 Z 1 UWG geforderte Eignung verbunden ist, den Wettbewerb zum Nachteil von Unternehmen nicht nur unerheblich zu beeinflussen. Klarzustellen ist, dass es nicht auf die tatsächliche Beeinflussung ankommt, sondern auf die Eignung. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, in wie vielen oder in wie wenigen Fällen der Beklagte die Bezeichnung „Rechtsanwalt“ verwendet hat, sondern ob diese Verwendung die genannte Eignung hat. Das Berufungsgericht bejaht dies.
Die Eignung ist danach zu beurteilen, welche Wirkung damit verbunden wäre, wenn das unlautere Verhalten fortgesetzt wird. Wie es sich in der Vergangenheit ausgewirkt hat, ist nicht abschließend bedeutsam, es dient allenfalls als Indiz. Die Formulierung „nicht nur unerheblich“ ist so zu verstehen, dass die Relevanzschwelle sehr niedrig angesetzt wird und nur reine Bagatellfälle ausgenommen sein sollen (vgl Heidinger in Wiebe/Kodek, UWG 2 , 2020, § 1 Rz 147 f, mwN).
5.5. Die für das Unterlassungsgebot erforderliche Wiederholungsgefahr ergibt sich daraus, dass der Beklagte weiterhin auf dem Standpunkt steht, die Bezeichnung „Rechtsanwalt em“ führen zu dürfen.
Die Abweisung des Unterlassungsbegehrens hat somit in diesem Ausmaß keinen Bestand.
6. Hingegen bedarf die Abweisung des Unterlassungsbegehrens in Bezug auf „l*****.at“ keiner Korrektur. Für Personen, die die englische Sprache beherrschen, wird damit nur an ein „Drive in“ erinnert (so wie es auch ein „Drive in“ zum Erwerb von Speisen gibt), bei dem rechtliche Fragen behandelt werden können (sofern mit diesem Fantasiewort überhaupt eine konkrete Assoziation verbunden ist). Da es zahlreiche Möglichkeiten der Rechtsberatung gibt, liegt ein Schluss auf den Rechtsanwaltsberuf nicht ausreichend nahe, um die allenfalls beteiligten Verkehrskreise in die Irre zu führen. Auch die unberechtigte Anmaßung, den Beruf des Rechtsanwalts ausüben zu dürfen, ist nach Einschätzung des Berufungsgerichts mit dieser Bezeichnung nicht verbunden.
Insgesamt ist die Entscheidung des Erstgerichts somit dahin zu korrigieren, dass dem Unterlassungsbegehren in Bezug auf die Bezeichnung „Rechtsanwalt em“ stattzugeben ist.
7. Ein Anspruch des Klägers auf Veröffentlichung des stattgebenden Teils des Urteils hängt nach § 25 UWG davon ab, ob daran ein rechtliches Interesse besteht. Dies ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu beurteilen. Da die Verwendung der Bezeichnung „Rechtsanwalt“ (mit dem Zusatz „em“, einmal ohne diesen Zusatz) nur in Bezug auf drei Personen und ohne weitere Breitenwirkung festgestellt wurde, für die der Beklagte eingeschritten ist, sieht das Berufungsgericht ein solches rechtliches Interesse nicht. Mit der Abweisung des darauf bezogenen Begehrens hat es daher sein Bewenden.
8. Die Änderung des Urteils hat auch die Neufassung der Kostenentscheidung zur Folge. In Bezug auf das Unterlassungsbegehren (bewertet mit EUR 30.000) haben die Streitteile jeweils zur Hälfte obsiegt. In Bezug auf das Veröffentlichungsbegehren (bewertet mit EUR 5.000) ist der Kläger unterlegen. Insgesamt ist eine Kostenaufhebung (noch) vertretbar. Der Beklagte ersetzt die Hälfte der Pauschalgebühr. Diese Überlegungen gelten auch für die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands orientiert sich an der unbedenklichen Bewertung durch den Kläger.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil keine Rechtsfragen zu beantworten waren, die zur Wahrung der Rechtseinheit, der Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erheblich bedeutsam sind.
Rückverweise
Keine Verweise gefunden