Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht ***** wegen der Widersprüche gegen die Marken IR 302593 und IR 302594 über die Rekurse der Antragstellerin gegen die Beschlüsse der Rechtsabteilung des Patentamts jeweils vom 9.4.2021, WM 94/2019 11, 12, 13 (33 R 97/21h) und WM 100/2019 10, 11, 12 (33 R 98/21f), in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Die Rekursverfahren 33 R 97/21h und 33 R 98/21f werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden; führendes Verfahren ist 33 R 97/21h.
Die angefochtenen Entscheidungen werden aufgehoben. Der Rechtsabteilung des Patentamts wird aufgetragen, die Widerspruchsverfahren fortzusetzen.
Begründung
1. Gemäß § 187 ZPO, gegen den heranzuziehen das Rekursgericht – auch trotz des Fehlens einer allgemeinen Verweisungsnorm im AußStrG – keine Bedenken hat, kann der Senat bei Parteienidentität Verfahren verbinden, wenn dadurch die Kosten und der Aufwand vermindert werden. Die Anwendung dieser Bestimmung ist nicht auf das Verfahren erster Instanz beschränkt (vgl Höllwerth in Fasching/Konecny ³ § 187 ZPO Rz 10; st Rsp des OLG Wien).
Die Voraussetzungen der Verbindung zur gemeinschaftlichen Entscheidung sind für das Rekursgericht wegen der Parteienidentität und wegen der Gleichartigkeit der Tat- und Rechtsfragen gegeben.
2. Die Antragstellerin richtet ihre beiden am 19.8.2019 eingebrachten Widersprüche jeweils gegen eine Marke der Antragsgegnerin, und zwar
a) gegen die Wortbildmarke IR 302593 (WM 94/2019)

(schwarzweiß) und
b) gegen die Wortbildmarke IR 302594 (WM 100/2019)

(färbig).
Beide Marken genießen die Priorität 18.4.2019 und wurden am 24.4.2019 registriert (jeweils am 20.5.2019 publiziert).
Die Antragstellerin beruft sich dabei auf folgende (jeweils identen) Wortmarken („ ADWORDS “):
a) IR 1103439 , Priorität 22.8.2011, Eintragung 26.7.2012,
b) EUTM 010385052 , Priorität 2.11.2011, Eintragung 22.5.2012,
c) EUTM 009971276 , Priorität 16.5.2011, Eintragung 27.9.2011,
d) EUTM 002724672 , Priorität 5.6.2002, Eintragung 17.9.2003.
3. Die Antragsgegnerin wandte in beiden Verfahren ein, die Antragstellerin habe die Marken seit fünf Jahren nicht mehr benutzt.
Im Verfahren WM 94/2019 legte die Antragstellerin innerhalb der verlängerten Frist Unterlagen zum Nachweis der Benutzung vor. Dieser Schriftsatz langte am 29.6.2020 beim Patentamt ein; gemäß § 112 ZPO wurde er der Antragsgegnerin auch direkt zugestellt.
In diesem Schriftsatz bezog sich die Antragstellerin auf zwölf Beilagen. Bereits im Rubrum des Schriftsatzes wurde mitgeteilt, dass die ./2 nicht mitgeschickt wird. Diese Beilage bezieht sich auf ein Buch: Guido Pelzer , Thomas Sommeregger, Ricarda Linnenbrink, Google AdWords: Das umfassende Handbuch. AdWords-Kampagnen erfolgreich planen und ausführen, 1. Auflage, Rheinwerk Computing, Bonn 2015. Weiters bezieht sich die Antragstellerin bei der ./12 auf die im Schriftsatz mit der Geschäftszahl zitierte Entscheidung des EuGH vom 25.3.2010, C 278/08.
Die Rechtsabteilung setzte der Antragsgegnerin am 16.7.2020 eine Frist von zwei Monaten zur Stellungnahme, beginnend mit der Zustellung dieses Beschlusses. Ein Zustellnachweis liegt nicht vor.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 17.9.2020, dass die Frist gemäß § 29b Abs 3 MSchG zur Stellungnahme zu den Benutzungsunterlagen um weitere zwei Monate verlängert würde. Die Vertreterin der Antragstellerin habe es verabsäumt, die Benutzungnachweise laut ./12 (EuGH-Entscheidung) und ./2 (Buch) im Wege der Direktzustellung der Antragsgegnerin zuzustellen. Die fehlende ./12 habe die Antragsgegnerin erst am 28.8.2020 von der Vertreterin der Antragstellerin bekommen. Das Buch ./2 sei bisher noch nicht übermittelt worden und liege auch nicht vor. Der Antragsgegnerin sei somit weiterhin nicht möglich, sich ein umfassendes Bild über alle von der Antragstellerin genannten Benutzungsnachweise zu machen.
Mit Beschluss vom 24.9.2020 verlängerte die Rechtsabteilung die Frist „für die Äußerung auf die Benutzungsunterlagen“ bis zum 17.11.2020.
Mit Schriftsatz vom 5.10.2020 teilte die Antragstellerin mit, dass das Buch ./2 nun auf dem Postweg sei. Das Buch sei nahezu vergriffen, und es sei schwierig gewesen, ein Exemplar aufzutreiben. Die Antragstellerin sei davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin das Buch in ihrer Bibliothek habe und darüber verfüge.
Mit Schriftsatz vom 16.11.2020 kündigte die Antragsgegnerin unter anderem an, Nachweise über Anträge auf Löschung der Widerspruchsmarken vorzulegen; gleichzeitig beantragte die Antragsgegnerin die Unterbrechung des Verfahrens. Mit Schriftsatz vom 18.11.2020 übermittelte sie Bestätigungen über drei Anträge jeweils vom 17.11.2020 auf Verfall der Unionsmarken der Antragstellerin beim EUIPO (Zahlen 000047552 C, 000047566 C und 000047569 C) sowie über den Antrag vom 17.11.2020 auf Unwirksamerklärung der Marke IR 1103439 beim Patentamt (Nm 57/2020).
Die Antragstellerin sprach sich gegen die Unterbrechung des Verfahrens aus und wies unter anderem auf die Verspätung der Antragstellung hin.
4. Im Verfahren WM 100/2019 findet sich die idente Chronologie des Verfahrensablaufs (ohne den oben erwähnten Schriftsatz der Antragstellerin vom 5.10.2020).
5. Mit den nun angefochtenen Beschlüssen unterbrach die Rechtsabteilung die Verfahren gemäß § 29b Abs 3 MSchG „bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts über das zu Nm 57/2020 anhängigen Verfahren auf Löschung der internationalen Marke [Zahl ...] bzw bis zu den rechtskräftigen Entscheidungen des EUIPO in Alicante anhängigen Verfahren auf Verfall der Unionsmarken [Zahlen …]“ (sic).
In der Begründung wurde ausgeführt, dass die Anträge am 17.11.2020 und somit innerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten eingebracht worden seien. Die Widerspruchsverfahren seien daher „bis zu dem im Spruch angegebenen Zeitpunkt“ (Singular) zu unterbrechen.
6. Gegen diese Entscheidungen richten sich die Rekurse der Antragstellerin, die Nichtigkeit sowie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht. Sie beantragt, die angefochtenen Beschlüsse als nichtig aufzuheben und den Unterbrechungsantrag abzuweisen, in eventu die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Patentamt zurückzuverweisen.
Der Antragsgegnerin beantragt, den Rekursen nicht Folge zu geben.
Die Rekurse sind berechtigt.
7. Zum Vortrag, die Entscheidung sei nichtig, weil der Spruch undeutlich sei, ist der Antragstellerin zuzugestehen, dass das Wort „beziehungsweise“ in den meisten Fällen, in denen es verwendet wird, undeutlich ist und üblicherweise offenlässt, ob damit „und“ oder „oder“ oder welche Verbindung von Tatsachen oder Begriffen auch immer gemeint ist. Im konkreten Fall lässt sich die Entscheidung aber zwanglos so deuten, dass das Verfahren so lange unterbrochen werden sollte, bis über alle Anträge der Antragsgegnerin entschieden ist. Das Wort „beziehungsweise“ lässt sich somit hier als „und“ lesen. Die Entscheidungen sind daher nicht nichtig.
8. In der Rechtsrüge trägt die Antragstellerin vor, die Antragsgegnerin habe die ihr in § 29b Abs 3 MSchG genannte Frist von zwei Monaten versäumt, sodass die Voraussetzungen für die Unterbrechung des Verfahrens nicht vorliegen. Gegen den Standpunkt, dass diese gesetzliche Frist nicht verlängert werden kann, trägt der Antragsgegnerin in der Rekursbeantwortung nichts vor. Die Frist ist tatsächlich nicht verlängerbar, weil es sich nicht um eine solche handelt, die die Behörde setzt, sondern weil sie sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Anzuwenden ist kraft § 35 Abs 5 MSchG § 52 Abs 2 PatG (vgl dazu auch Woller in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 3 § 29b Rz 15).
Die Antragsgegnerin vertritt aber den Standpunkt, die Frist habe erst begonnen, als ihr auch die ./2 zugekommen sei.
Dazu hat das Rekursgericht erwogen:
Das Ziel des Widerspruchsverfahrens liegt unter anderem darin, dem Inhaber einer älteren Marke eine vereinfachte, raschere und soweit möglich schriftliche Verfahrensabwicklung zur Durchsetzung älterer Rechte zu ermöglichen ( Woller in Kucsko/Schumacher, marken.schutz 3 § 29a Rz 1). Angesichts dieser Zielsetzung sind Tatbestände, die die Verfahrensunterbrechung ermöglichen, zurückhaltend anzuwenden und eng auszulegen. In § 29b Abs 3 MSchG findet sich eine Bestimmung, die unter bestimmten Umständen die Unterbrechung zwingend anordnet und an formelle Voraussetzungen knüpft. Geregelt ist der Fall, dass sich die Antragsgegnerin zur Verteidigung der Marke darauf beruft, die Antragstellerin habe die Widerspruchsmarke in den letzten fünf Jahren nicht benutzt. Dem Widerspruch kann dann nur stattgegeben werden, wenn die Antragstellerin innerhalb einer angemessenen Frist (somit innerhalb einer von der Behörde gesetzten Frist) glaubhaft macht, dass der Verfallsgrund der Nichtbenutzung nicht vorliegt (sie die Marke also benutzt hat). Falls die Antragstellerin diese Glaubhaftmachung unternimmt und Unterlagen zum Nachweis der Benutzung vorlegt, sind diese vorgelegten Unterlagen der Antragsgegnerin zuzustellen, womit eine zweimonatige Frist beginnt, innerhalb der die Antragsgegnerin die entsprechenden Verfalls- oder Löschungsanträge stellen kann, was sie innerhalb einer angemessenen Frist nachweisen muss. Das Gesetz sieht somit eine starre Frist von zwei Monaten vor, die „ab Zustellung der zur Glaubhaftmachung der Benutzung vorgelegten Unterlagen“ beginnt.
Ein gesondertes Zwischenverfahren zur Ermittlung der Tatbestandsvoraussetzungen für die Unterbrechung ist nicht vorgesehen.
Zum Argument der Antragsgegnerin, sie habe das Buch ./2 erst viel später bekommen und ab diesem Zeitpunkt die zweimonatige Frist genützt, ist zu bedenken, dass das Gesetz der Antragstellerin freistellt, welche Unterlagen sie vorlegt und auf welche Unterlagen sie sich beruft. Der Umstand, dass sie sich dabei auf Unterlagen beruft, die momentan nicht greifbar sind, führt genauso wenig zur Verlängerung der Frist wie der theoretische Umstand, dass sie sich auf Unterlagen berufen würde, die mit einer Benutzung gar nichts zu tun hätten. Darüber hinaus spricht auch die Formulierung des Gesetzes für den Standpunkt der Antragstellerin, weil von der Übermittlung der „vorgelegten Unterlagen“ die Rede ist, aber nicht von den Unterlagen, auf die sich die Antragstellerin etwa (nur) berufen hätte.
Dass sich die Antragstellerin auch auf ein Buch berufen hat, das sie nicht gleichzeitig vorgelegt hat, verlängert die Frist somit nicht. Ob sie zur Vorlage des Buchs nicht in der Lage war oder ob andere Gründe dafür entscheidend waren, spielt dabei keine Rolle. Die Antragsgegnerin ist in ihren Möglichkeiten, sich im Widerspruchsverfahren mit allen jemals vorgelegten Unterlagen auseinanderzusetzen, durch die Nachreichung der ./2 nicht verkürzt. Bloß der Tatbestand der zwingenden Verfahrensunterbrechung ist nicht erfüllt.
Der Vollständigkeit halber ist anzumerken, dass die Nichtvorlage der ./12, einer EuGH-Entscheidung aus dem Jahr 2010, jedenfalls irrelevant ist, weil diese Entscheidung ohnedies frei zugänglich ist und war.
Somit ist festzuhalten, dass der Tatbestand des § 29b Abs 3 MSchG für die zwingende Unterbrechung des Widerspruchsverfahrens nicht erfüllt ist.
9. Das Rekursgericht hat angesichts einer Rechtsrüge die Entscheidung rechtlich in alle Richtungen zu prüfen, somit auch zu beurteilen, ob die Unterbrechung gemäß § 29b Abs 4 MSchG auf § 190 ZPO gestützt werden kann. Als relevanter Tatbestand kommt in Frage, dass die Marken der Antragstellerin „in ihrem Bestand angefochten“ sind. Dies trifft grundsätzlich zu, weil die Antragsgegnerin entsprechende Anträge gestellt hat, und zwar in Bezug auf die Unionsmarke beim EUIPO und in Bezug auf die internationale Marke bei der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts.
Mit vergleichbaren – aber nicht identen – Konstellationen hat sich das OLG Wien bereits in den Entscheidungen 34 R 157/15f [Schreibfehler im Original: 33 R 57/15f] und 34 R 73/16d beschäftigt.
Die Entscheidung 34 R 157/15f stammt aus einem Nichtigkeitsverfahren. Die Antragstellerin hat sich auf eine Unionsmarke berufen, und die Antragsgegnerin hat einen Verfallsantrag beim EUIPO (damals HABM) mit dem Argument eingebracht, die Antragstellerin habe ihre Marke in den letzten fünf Jahren nicht ernsthaft benutzt. Das OLG Wien bestätigte die Unterbrechungsentscheidung der Nichtigkeitsabteilung und wies darauf hin, dass der vor dem Patentamt anhängige Nichtigkeitsantrag nur vom Inhaber einer „noch zu Recht bestehenden“ Marke erhoben werden könne und dass der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts die Kompetenz fehle, über den Verfall der Unionsmarke zu entscheiden. Dieser Fall ist aber mit dem nun vorliegenden Fall deswegen nicht vergleichbar, weil dort kein Widerspruchsverfahren vorlag, sondern ein Nichtigkeitsverfahren.
In der Entscheidung 34 R 73/16d bestätigte das OLG Wien eine Unterbrechungsentscheidung in einem Widerspruchsverfahren, weil der Antragsgegner vor dem deutschen Patentamt die deutsche Basismarke der in Österreich Schutz genießenden internationalen Marke angegriffen hatte. Auch dieser Fall ist mit dem vorliegenden nicht unmittelbar vergleichbar, denn hier wendet sich die Antragstellerin nicht gegen eine Basismarke, sondern gegen die Schutzzulassung in Österreich.
Zwei Überlegungen sprechen gegen eine Unterbrechung auf der Basis des § 190 ZPO.
Zum einen ergibt sich aus der Systematik des § 29b MSchG, dass die Unterbrechung des Verfahrens infolge eines Nichtbenutzungseinwands der Antragsgegnerin abschließend in Abs 3 geregelt ist, dessen Voraussetzungen wegen des Fristablaufs hier nicht vorliegen. Das bedeutet, dass derselbe Einwand nicht auch zum Gegenstand einer Unterbrechung nach § 190 ZPO gemacht werden kann.
Zum anderen wäre auch bei der Anwendung von § 190 ZPO darauf abzustellen, dass eine Unterbrechung nur zulässig ist, wenn sie nicht zu Verzögerungen und Weitläufigkeiten führt ( Höllwerth in Fasching/Konecny 3 § 190 ZPO Rz 77). Mit Blick auf die von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen ist nicht erkennbar, dass die Rechtsabteilung nicht in der Lage wäre, die Glaubhaftmachung der Benutzung rascher zu beurteilen als die Nichtigkeitsabteilung und das EUIPO.
10. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher aufzuheben. Die Rechtsabteilung wird das Widerspruchsverfahren ohne Unterbrechung fortzusetzen haben.
11. Gemäß § 29b Abs 7 MSchG findet ein Kostenersatz nicht statt. (Die Antragstellerin, die aus advokatorischer Vorsicht einen Kostenersatz begehrt hat, hat ohnedies keine Rekurskosten verzeichnet.)
12. Da die Entscheidung keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG aufweist, weil sie auf dem Text des § 29b Abs 3 MSchG und auf der etablierten Rechtsprechung zu § 190 ZPO fußt, ist der Revisionsrekurs nicht zulässig. Dies ergibt sich auch aus § 64 AußStrG.
In diesem Fall hat das Rekursgericht nach § 59 Abs 2 AußStrG auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands, der – wie hier – rein vermögensrechtlicher Natur ist, aber nicht in einem Geldbetrag besteht, EUR 30.000 übersteigt. Diese Voraussetzung ist angesichts der Bedeutung des Markenschutzes im Wirtschaftsleben gegeben.
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