Das Oberlandesgericht Wien hat als Kartellgericht durch den Senatspräsidenten Dr.Hermann als Vorsitzenden und den Richter des Oberlandesgerichtes Dr.Heigl sowie die Kommerzialräte Mag.Ginner und Dr.Taurer in der Kartellrechtssache der Antragsteller 1. Dr. ***** L*****, Rechtsanwalt, *****, 2700 Wiener Neustadt, als Masseverwalter im Konkurs der E***** KEG, *****, 2544 Leobersdorf, 2. E***** KEG, *****, 2544 Leobersdorf, vertreten durch *****, Rechtsanwälte in 2340 Mödling, *****, wider die Antragsgegnerin M***** GesmbH, *****, 7111 Parndorf, vertreten durch ***** Rechtsanwälte GmbH, Wien, wegen Feststellung nach § 28 Abs 1 KartG, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Der Antrag der Antragstellerinnen, festzustellen, dass die Antragsgegnerin durch die Vereinbarung einer Klausel in Verträgen mit Bestandnehmern des M*****, wonach der jeweilige Bestandnehmer und seine Konzerngesellschaften innerhalb eines Radius von 60 km vom D***** unter seinem/ihrem Geschäftsstil oder der Etablissementbezeichnung oder einer Kombination, die die Worte der Etablissementbezeichnung enthält, in keinem anderen Center mit Fabriksverkaufsstellen und in keiner anderen Fabriksverkaufsstelle von ähnlicher oder umfangreicherer Größe Handel betreiben dürfe, noch dritten Personen gestatten dürfe, dies im Namen oder mit Zustimmung des jeweiligen Bestandnehmers oder seiner Konzerngesellschaft zu tun, eine Zuwiderhandlung gegen §§ 1 und 5 KartG und gegen Art 81 und 82 EG-Vertrag begangen habe, wird zurückgewiesen.
Begründung:
In den Bestandverträgen des F***** war vielfach eine Radiusklausel enthalten, deren Inhalt aus dem Spruch der Entscheidung ersichtlich ist.
Im August 2006 beantragte die Bundeswettbewerbsbehörde - offenbar nach einer Beschwerde der nunmehrigen Antragstellerinnen - beim Kartellgericht zu 25 Kt 66/06, der Antragsgegnerin aufzutragen, die Radiusklausel abzustellen, weil darin der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung liege.
Das Verfahren wurde am 12.01.2007 durch einen Vergleichsabschluss beim Kartellgericht beendet. Nach diesem Vergleich werden die zur Zeit der Einleitung dieses Verfahrens bestehenden Radiusklauseln nicht mehr durchgesetzt. Eine Entscheidung des Kartellgerichts über die Zulässigkeit der Radiusklausel ist nicht ergangen. Auf der Homepage der Bundeswettbewerbsbehörde ist eine Mitteilung über den Vergleichsabschluss publiziert.
Die Antragstellerinnen beantragten mit einem beim Kartellgericht am 13.12.2006 überreichten Abstellungsantrag, der Antragsgegnerin zu untersagen, in den Verträgen mit den Bestandnehmern eine Radiusklausel vorzusehen oder sich gegenüber den Bestandnehmern auf eine Radiusklausel zu berufen. Die Antragsgegnerin verstieße durch die Vereinbarung dieser Klausel sowohl gegen § 1 KartG bzw Art 81 EGV als auch gegen § 5 KartG bzw Art 82 EGV.
Die Antragsgegnerin beantragte, ON 4, die Abweisung des Abstellungsantrages. Sie berief sich u.a. darauf, dass sie das von den Antragstellerinnen beanstandete Verhalten endgültig aufgegeben hätte.
Mit einem am 02.02.2007, ON 6, überreichten Schriftsatz änderten die Antragstellerinnen ihren Abstellungsantrag in einen Feststellungsantrag. Sie hätten ein berechtigtes Interesse an der Feststellung bereits beendeter Zuwiderhandlungen der Antragsgegnerin, welche ihnen unter anderem die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche (insbesondere auf Schadenersatz) ermöglichen würde. Die Antragsgegnerin beantragte die Zurückweisung der Feststellungsanträge.
In ihrer Stellungnahme vom 21.02.2007, ON 9, behaupteten die Antragstellerinnen ergänzend, es sei keineswegs ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin oder ein mit ihr verbundenes Unternehmen die Radiusklausel für ein anderes FOC verwenden werde.
Über das Vermögen der Erstantragstellerin wurde am 21.3.2007 durch das Landesgericht Wiener Neustadt zu 11 S 35/07v der Konkurs eröffnet und Dr. *****, zum Masseverwalter bestellt. Die Firma der E***** KEG wurde geändert in E***** KEG.
Mit der KartG Nov 1993 wurde in § 8a des damals geltenden KartG die Möglichkeit geschaffen, den kartellrechtlichen Gehalt eines Sachverhaltes durch das Kartellgericht feststellen zu lassen. Gesetzgeberisches Motiv für diese Bestimmung war nach den Erl RV KartG Nov 1993 nicht, schadenersatzrechtliche Vorfragen vom Kartellgericht klären zu lassen (KOG, 16.2.2002, 16 Ok 8/02). Außerdem war nach der Rechtsprechung die Feststellung einer Zuwiderhandlung nach Beendigung der Zuwiderhandlung nicht vorgesehen (KOG, 16.12.2002, 16 Ok 8/02 u.a.)
Die allgemeine Feststellungsbefugnis des Kartellgerichts nach § 28 Abs 2 KartG 2005 wurde aus § 8a KartG 1998 übernommen. Neu ist die Bestimmung des § 28 Abs 1 KartG 2005, die die Feststellung einer Zuwiderhandlung, die im Zeitpunkt der Entscheidung bereits beendet ist, unter der Voraussetzung ermöglicht, dass daran ein berechtigtes Interesse besteht.
Nach den Erläuterungen zum Kartellgesetz 2005 folgen die §§ 26 bis 28 Abs 1 des Gesetzes den entsprechenden Regelungen in Art 7 bis 9 der Europäischen Kartellverfahrensverordnung (VO Nr 1/2003). Dadurch werde auch in diesem Bereich der Rechtsdurchsetzung ein Gleichklang zum Gemeinschaftsrecht hergestellt. Mit Beziehung auf die Feststellung von beendeten Zuwiderhandlungen handle es sich gegenüber der bisherigen Rechtslage um eine wünschenswerte Klarstellung. Insofern wurde der bisherigen Entscheidungspraxis, nach der eine bis zum Zeitpunkt der Entscheidung beendete Verhaltensweise keinesfalls mehr Gegenstand einer die Zuwiderhandlung feststellenden Entscheidung des Kartellgerichts sein konnte (vgl KOG 20.12.2004, 16 Ok 19/04 - Tennisball - Sponsorenvertrag mwN, WuW 2005, 217) die gesetzliche Grundlage entzogen.
Art 5 der Verordnung 1/2003 will sicher stellen, dass die Tätigkeit der einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden auf die Verfolgung und Ahndung von Wettbewerbs-beschränkungen ausgerichtet ist und dabei sogleich vermeiden, dass es zu gegenseitigen Blockierungen zwischen den mit einer Kompetenz zur Anwendung der Art 81 und 82 EG-Vertrag ausgestatteten Rechtsanwendern kommt (Dalheimer in Dalheimer/Feddersen/Miersch, EU-Kartellverfahrensverordnung, Art 5, RN 1).
Nach Art 5 der VO 1/2003, erster Spiegelstrich, soll eine einzelstaatliche Wettbewerbsbehörde Entscheidungen erlassen können, mit denen die Abstellung von Zuwiderhandlungen angeordnet wird. Eine derartige Entscheidungsart des einzelstaatlichen Rechts weist ähnliche Charakteristika auf, wie die Befugnis der Kommission nach Art 7 der VO 1/2003, ohne dass notwendiger Weise eine völlige Übereinstimmung im Text oder in der Ausgestaltung vorliegen muss. Ausschlaggebend ist, dass die Wettbewerbsbehörde in der Lage ist, Unternehmen eine Vereinbarung oder ein Verhalten mit Wirkung für die Zukunft zu untersagen und gegebenenfalls Abhilfemaßnahmen anzuordnen (Dalheimer, aaO, Art 5, RN 10).
Art 7 Abs 1 Satz 4 der VO 1/2003 sieht die Befugnis der Europäischen Kommission vor, auch eine Zuwiderhandlung nach deren Beendigung festzustellen, soweit die Kommission dazu ein berechtigtes Interesse hat.
Das europäische Recht steht einer Befugnis des Kartellgerichts, Feststellungen hinsichtlich der Zuwiderhandlung gegen Art 81 und/oder Art 82 EGV vorzunehmen, nicht entgegen, soweit mit einer Feststellungsentscheidung die Zuwiderhandlung bejaht wird. Entsprechend der dafür durch § 83 KartG dem Kartellgericht zur Verfügung gestellten Verfahrensvorschriften des KartG ist das Kartellgericht nach § 28 Abs 1 KartG auch berufen, hinsichtlich einer in der Vergangenheit nach dem Inkrafttreten des KartG 2005 liegenden Verhaltens eine Zuwiderhandlung gegen Art 81 und/oder Art 82 EGV festzustellen, soweit daran ein berechtigtes Interesse besteht (vgl Wollmann in Mayer, Kommentar EGV Art 81 RN 194).
Nach dem europäischen Recht muss die Europäische Kommission für eine nachträgliche Feststellung das Bestehen eines berechtigten Interesses hinreichend nachweisen. Ein hinreichendes Interesse der Kommission kommt insbesondere in Betracht, wenn konkret die tatsächliche Gefahr einer Wiederholung der Zuwiderhandlung besteht und deshalb eine Klarstellung der Rechtslage geboten erscheint. Von Fällen der Wiederholungsgefahr abgesehen kann ein berechtigtes Interesse der Kommission anzunehmen sein, wenn der konkrete Fall neue Rechtsfragen aufwirft, deren Klärung im Hinblick auf die zur erwartenden ähnlich gelagerten Fälle im öffentlichen Interesse liegt (Anweiler in Löwenheim/Meessen/Riesenkampff, Komm. Kartellrecht, Band 1, Art 7 der VO 1/2003, RN 46f). An einer Feststellung früherer Zuwiderhandlungen besteht nach der europäischen Praxis hingegen kein berechtigtes Interesse, wenn damit im Wesentlichen die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche vor den nationalen Gerichten erreicht werden soll (Jura in Langen/Bunte10, Band 2, VO 1/2003, Art 7, RN 3; Klees, Europäisches Kartellverfahrensrecht, S. 158). Solche Entscheidungen werden auch deshalb als unzulässig angesehen, weil sie in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte für die unmittelbare Anwendung des europäischen Rechts eingreifen und daher rechtswidrig wären (de Bronnet, Kommentar zur VO 1/2003, Art 7, RN 12). Mit der von den Antragstellerinnen zitierten Entscheidung des EuG in den verbundenen Rechtssachen T-22/02 und T-23/02 hat das EuG eine Entscheidung der Europäischen Kommission für nichtig erklärt und zur Frage des legitimen Interesses an einer nachträglichen Feststellung durch die Europäische Kommission beanstandet, dass die Europäische Kommission die Frage des legitimen Interesses nicht geprüft und dazu keine konkreten Feststellungen vorgenommen hatte. Eine Bejahung der Hinlänglichkeit der bloßen Verfolgung eines Schadenersatzanspruches findet sich in der Entscheidung des EuG nicht. Somit kann nicht davon ausgegangen werden, dass das EuG von seiner in der Entscheidung vom 15.1.1997 „SFEI" Slg. 1997 II-2,3,22 ausführlich begründeten Darlegung abgegangen ist, dass es kein hinreichendes Interesse für eine nachträgliche Feststellung darstellt, damit im Hinblick auf die Erlangung von Schadenersatz eine Hilfestellung zu gewähren. Nach Art 28 Abs 1 KartG hat das Kartellgericht eine Zuwiderhandlung nachträglich festzustellen, soweit daran ein berechtigtes Interesse besteht.
Die antragstellende Partei hat das berechtigte Interesse darzutun (Solé aaO, RN 493) . Die Antragstellerin hat dazu konkret nur die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen dargetan. Nach § 36 Abs 4 Z 4 KartG hat - von Ausnahmefällen abgesehen - vor dem Kartellgericht auch jeder Unternehmer Antragsberechtigung, der ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an der Entscheidung hat. Ein solches Interesse liegt dann vor, wenn das dem Feststellungsantrag zugrunde liegende Verhalten eine unmittelbare rechtliche Wirkung auf die Rechtsstellung des Antragstellers besitzt oder unmittelbar geeignet ist, seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu beeinflussen (OGH in 16 Ok 1/06). Das ändert aber nichts an der Zielsetzung und Ausrichtung einer Antragstellung beim Kartellgericht, das ist die Sicherstellung des funktionsfähigen Wettbewerbs im öffentlichen Interesse (Solé, Das Verfahren vor dem Kartellgericht, RN 73ff). Auch im Falle einer Verfahrenseinleitung durch einen Unternehmer schreitet das Kartellgericht als Wettbewerbsbehörde mit der sich aus den kartellrechtlichen Vorschriften ergebenden spezifischen Aufgabenstellung (vgl KOG in 16 Ok 6/05) ein. Das Antragsrecht eines Unternehmers setzt somit zwar eine individuelle Betroffenheit voraus, kann aber in seiner Zielsetzung für das Kartellgericht nicht über die gesetzliche Zielsetzung einer im öffentlichen Interesse einschreitenden Amtspartei hinausreichen. Eine Amtspartei kann sich zur Begründung des berechtigten Interesses an einer nachträglichen Feststellung auf Wiederholungsgefahr oder auch darauf berufen, es sei eine Rechtsfrage zu lösen, deren Klärung im öffentlichen Interesse liegt. Das Interesse an einer Feststellung bloß als Grundlage eines Schadenersatzanspruches reicht nicht aus (vgl Rehbinder in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Komm. Kartellrecht, Band 2, GWB § 32, RN 19).
Wenn auch die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen wegen der Verletzung kartellrechtlicher Vorschriften mittelbar (präventiv) der Aufrechterhaltung funktionsfähigen Wettbewerbs dienen kann, gehört die Zuerkennung von Schadenersatz nicht zu den spezifischen Aufgaben des Kartellgerichts. Diese Ansprüche können bei den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden, welche im vollen Umfang die kartellrechtlichen Verbotsnormen zu beachten und bei der Beurteilung von Vorfragen auch anzuwenden haben. Art 6 der VO 1/2003 sieht ausdrücklich vor, dass die einzelstaatlichen Gerichte für die Anwendung der Art 81 und 82 EGV zuständig sind.
Auch wenn eine Feststellungskompetenz des Kartellgerichts zur Klärung kartellrechtlicher Vorfragen für andere Gerichte zweckmäßig sein kann, besteht für das Kartellgericht de lege lata dazu derzeit keine Befugnis.
Mit dem ergänzenden Hinweis, die Antragsgegnerin oder ein mit ihr verbundenes Unternehmen könnten die Radiusklausel für ein anderes FOC verwenden, haben die Antragstellerinnen nur eine abstrakte Erwägung vorgetragen, aber eine Wiederholungsgefahr als berechtigtes Interesse nicht konkret dargetan.
Oberlandesgericht Wien
1016 Wien, Schmerlingplatz 11
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