Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Privatanklage- und Medienrechtssache der Privatankläger und Antragsteller D*****, D***** und D***** gegen W***** und M***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB und gegen die N***** als Antragsgegnerin und Haftungsbeteiligte gemäß den §§ 6, 33, 34 und 35 MedienG über die Berufung der Angeklagten sowie der Antragsgegnerin und Haftungsbeteiligten wegen Nichtigkeit, Schuld und des Ausspruches über die Strafe sowie die Höhe des Entschädigungsbetrages gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 5. Oktober 1995, GZ 9 a E Vr 16171/93-26, nach der am 24. April 1996 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Dr. Schmid, im Beisein der Richter Dr. Ratz und Mag. Maurer als weitere Senatsmitglieder sowie in Gegenwart der Vertragsbediensteten N***** als Schriftführerin, des Privatanklägers und Antragstellers D*****, des Vertreters der Privatankläger und Antragsteller D***** und des auch als Vertreter der Antragsgegnerin und Haftungsbeteiligten einschreitenden Verteidigers D*****, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten durchgeführten Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird n i c h t Folge gegeben.
Gemäß den § 41 Abs 1 MedienG, § 390 a Abs 1 StPO fallen den Angeklagten sowie der Antragsgegnerin und Haftungsbeteiligten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden W***** und M***** des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB schuldig erkannt und zu (jeweils für eine Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehenen) Geldstrafen von
a) 100 Tagessätzen (50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) a S 1.000,- für W***** und
b) 60 Tagessätzen (30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) a S 500,- für M*****
verurteilt.
Den Antragstellern wurde je ein auf § 6 Abs 1 MedienG gegründeter Entschädigungsbetrag in der Höhe von S 80.000,- zuerkannt, auf Einziehung (§ 33 Abs 1 MedienG) und Urteilsveröffentlichung (§ 34 Abs 1 MedienG) entschieden und die Haftung des Medieninhabers (Verlegers) für die Geldstrafen und die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Urteilsveröffentlichung im Sinne des § 35 Abs 1 MedienG ausgesprochen.
Darnach wurden die Privatankläger und Antragsteller durch einen auf den Seiten 20 bis 24 der Nr. 44 des periodischen Druckwerkes N***** vom 4.11.1993 unter den Titeln "Der Aids Skandal" und "Geheim-Bericht" sowie den Untertiteln "Untersuchung im Ministerium", "Beamte schwerstens belastet" und "Staatsanwalt bekommt Material" veröffentlichten Artikel nachstehenden Inhalts eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigt, wofür W***** als Artikelverfasser und M***** aufgrund gemeinsamer Recherche und Beiträgen zur Formulierung strafrechtlich verantwortlich zeichneten:
"Im österreichischen Gesundheitsministerium steht der umstrittenste Beamten-Skandal seit Jahren kurz vor der Aufklärung. Die von Minister A***** angeordnete Untersuchung des Aids-Skandals rund um Faktor-VIII-Blutpräparate der Firma I***** liegt in einem ersten - noch streng geheimen - Zwischenbericht vor. Der Bericht belastet die Spitzenbeamten der für Blutpräparate zuständigen Sektion schwer. Wenn die für nächste Woche erwartete "Endfassung" des Untersuchungsberichtes nicht völlig anders ausfällt, wird die Staatsanwaltschaft Schwerarbeit bekommen.
Dann drohen Hausdurchsuchungen, Disziplinarverfahren und mögliche Anklagen ...
Der Bericht beginnt mit der Auflistung der N*****-Vorwürfe - gegliedert in vier Kapitel: ...
Die Frage, warum die potentiell Aids-verseuchten Faktor-VIII-Präparate in Österreich zwischen 1983 und 1986 nicht vom Markt geholt wurden.
Die Gerüchte, daß Spitzenbeamte auf Kosten der I***** Reisen unternommen hätten ...
Um es vorwegzunehmen: Alle Recherchen von N***** sind in dem Bericht bestätigt - sie werden sogar um ein Vielfaches verstärkt. ..." (S 21 f).
"Mit den "Dienstreisen" dürfte A***** auf einen ungeheuren Sumpf stoßen: ...
Andere für Überprüfungen zuständige Beamte und Beamtinnen namens ... H***** ... flogen - teilweise als "Sonderurlaub" - "ohne Kosten" nach Rom, Madrid, London, Berlin und Frankfurt. Wer die Reisen wirklich bezahlt hat, soll noch in dieser Woche ministeriumsintern in Befragungen der einzelnen Beamten geklärt werden. Die Beamten sollen zu jeder Reise "ohne Kosten" erklären, wer sie bezahlt hat - und per Unterschrift bestätigen, ob es die I***** oder ein anderer Pharmakonzern war.
Auf A***** Frageliste auch der Punkt: Hat einer der Beamten außer Reisen zu Kongressen von Pharmafirmen auch anderes erhalten? Geschenke? Geld?
A*****: "Kein Kommentar, bevor die Beamten nicht Stellung genommen haben - aber das wäre sicher der Supergau ..."
Ob mit oder ohne "Supergau" - auf Ausserwinklers Bericht wartet ohnehin bereits der Staatsanwalt." (S 24)
Hinsichtlich weiterer Textstellen der inkriminierten Veröffentlichung erging ein Freispruch, und es wurden die darauf bezogenen Anträge nach dem Mediengesetz abschlägig beschieden.
Der mit den Namen der beiden Angeklagten gezeichnete Artikel, so ist den Entscheidungsgründen zu entnehmen, stelle das Resultat einer Zusammenarbeit zwischen W***** und M***** dar. Habe der Erstangeklagte die endgültige Fassung der Veröffentlichung veranlaßt, liege die Mitwirkung des Zweitangeklagten darin, daß er Teile der berichteten Vorgänge recherchiert und sich auch an der Formulierung des Artikels beteiligt habe, so als "wenn man zwei Flüssigkeiten zusammenschütte und dann eine ganz neue herauskomme", wie es der Erstrichter, einen Teil der Verantwortung des M***** zitierend, darstellte.
Dem angesprochenen Leser werde mitgeteilt, daß eine interne Untersuchung des "Gesundheitsministeriums" (gemeint: des damaligen Bundesministeriums für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz) schwere Verdachtsmomente (auch) gegen die namentlich bezeichneten Privatankläger und Antragsteller zutage gefördert habe, Umstände, die, so wie die Dinge lägen, den Verdacht strafbarer Handlungen durch die namentlich bezeichneten Personen nahelegten.
Weil die beiden Angeklagten solcherart die Privatankläger und Antragsteller eines unehrenhaften Verhaltens beschuldigt hätten, der Wahrheitsbeweis nicht gelungen und jener der Wahrnehmung journalistischer Sorgfalt angesichts dessen ins Leere gegangen sei, weil den Angegriffenen keine Gelegenheit zur Stellungnahme geboten wurde, falle W***** das Vergehen der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 und 2 StGB zur Last, für welches M***** als Beitragstäter im Sinne der 3. Alternative des § 12 StGB hafte.
Bei der Strafzumessung komme den beiden Angeklagten neben dem Milderungsgrund des § 34 Z 2 StGB auch jener des § 34 Z 17 StGB zustatten, während der hohe Auffälligkeitswert, mit welchem die massiven Beschuldigungen erhoben worden seien, deren Schuld aggraviere. Eben jene Auswirkungen ließen auch die Höhe der zuerkannten Entschädigungsbeträge angemessen erscheinen.
Der Berufung der Angeklagten sowie der Antragsgegnerin und Haftungsbeteiligten wegen Nichtigkeit, Schuld und des Ausspruches über die Strafe sowie die Höhe des Entschädigungsbetrages kommt keine Berechtigung zu.
Die Verfahrensrüge (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) geht schon deshalb fehl, weil es die Berufungswerber anläßlich der Antragstellung in der Hauptverhandlung unterlassen haben, darzutun, welche konkreten Umstände, die nicht ohnehin bereits im Strafakt AZ 27 a Vr 15133/93 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien schriftlich dokumentiert wurden, durch die Einvernahme der als Zeugen angebotenen D***** und M***** zum Beweis der Wahrheit der erhobenen Vorwürfe hätten geklärt werden sollen. Davon, daß sich das Beweisthema unmißverständlich aus dem Zusammenhang der Antragstellung mit einem bestimmten Vorbringen in der Hauptverhandlung ergibt, kann nämlich keine Rede sein (vgl Mayerhofer/Rieder StPO**n § 281 Abs 1 Z 4 E 18).
Dazu kommt, daß die Frage des überwiegenden Interesses der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung eine der Beweisführung nicht zugängliche Rechtsfrage darstellt und der Erstrichter zutreffend die Wahrnehmung journalistischer Sorgfalt bereits mit dem Argument verneint hat, daß die Einholung einer Stellungnahme der von der Berichterstattung betroffenen Personen unterlassen wurde, woran auch "journalistischer Zeitdruck" nichts zu ändern vermag (vgl Hager/Walenta Persönlichkeitsschutz im Straf- und Medienrecht**n E 227 f). Der vom Erstrichter ohnehin unterstellten "Einsicht in den "Zwischenbericht der Untersuchungskommission"" kommt damit in Richtung eines Strafausschließungs- (§ 29 MedienG) oder Ausschlußgrundes (§ 6 Abs 2 Z 2 lit b MedienG) keine Bedeutung zu.
Die Behauptung des Zweitangeklagten, wonach die von ihm durchgeführten Recherchen sich nicht auf die "Gerüchte" über Reisen von "Spitzenbeamten auf Kosten der I*****" bezogen hätten, sein Beitrag mithin "nicht die Privatankläger betroffen habe" und zudem "W***** bei der Endreaktion "federführend" gewesen sei", betrifft keine entscheidende (also entweder für die Schuld oder für den anzuwendenden Strafsatz maßgebende) Tatsache und zeigt damit den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht auf.
Der Erstrichter geht nämlich unzweifelhaft davon aus, daß auch M***** das Ziel der der Verurteilung zugrundeliegenden Veröffentlichung, nämlich Verflechtungen von "Spitzenbeamten" des "Gesundheitsministeriums" und der Firma "I*****" mit Amtshandlungen dieses Ministeriums in Bezug auf Präparate dieser Herstellerfirma in Zusammenhang zu bringen, bekannt war und er zu eben diesem Zweck seine Recherchen beisteuerte sowie an einzelnen Textstellen mitwirkte. Es war dem Zweitangeklagten - von der Berufung auch gar nicht in Abrede gestellt - somit klar, daß sein Beitrag von W***** dazu benützt werden würde, massive Vorwürfe gegen erkennbar bezeichnete "Spitzenbeamte" des erwähnten Ministeriums zu erheben, Vorwürfe, die unter anderem die im Artikel dargelegte Verflechtung mit den Interessen der Firma "I*****" zum Inhalt haben würden.
Insoweit die Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a, der Sache nach lit c StPO) die Betroffenheit der Privatankläger und Antragsteller mit der Behauptung in Abrede stellt, diese würden namentlich nur in einer "Textpassage auf Seite 24" erwähnt, löst sie sich von den im Urteil mit noch hinreichender Klarheit zum Ausdruck kommenden tatsächlichen Annahmen des Erstrichters zum Bedeutungsinhalt der Veröffentlichung, die den "Spitzenbeamten der für Blutpräparate zuständigen Sektion" des "Gesundheitsministeriums" unter anderem vorwirft, Reisen auf Kosten einer Firma unternommen zu haben, deren Präparate von eben jener Sektion (also letztlich von den angesprochenen "Spitzenbeamten") sachwidrig als nicht gesundheitsgefährlich eingestuft worden seien. Sie läßt daher eine gesetzeskonforme Darstellung vermissen.
In welcher Form die Beschuldigung, durch Geschenke (vgl § 304 Abs 1 StGB) dazu veranlaßt worden zu sein, schwere gesundheitliche Risken eines Präparates im Zuge einer Amtshandlung zu "übersehen", erhoben wurde, ob also der Vorgang unzweideutig behauptet, als "unschuldige" Frage in den Raum gestellt oder mit "bewußt vorsichtigen" Formulierungen umschrieben wird, ist, was der Vollständigkeit halber angemerkt sei, für die Tatbildlichkeit nach § 111 Abs 1 2. Fall StGB nicht von Bedeutung (vgl Kienapfel BT I**n § 111 Rz 17).
Die auf die Wahrnehmung journalistischer Sorgfalt abhebende weitere Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) übergeht erneut das Erfordernis des beiderseitigen Gehörs. Insoweit sie zudem den Wahrheitsbeweis für gelungen ansieht, weicht sie von den Feststellungen des Erstrichters ab und verläßt damit den Boden des Gesetzes.
Die Arbeitsteilung beim Verfassen des Artikels und die Einschau des Erstangeklagten in einen Untersuchungsbericht des (damaligen) Bundesministeriums für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz tragen zur Lösung der Schuldfrage, wie bereits dargelegt, nichts aus. Auch der gegen die Beweiswürdigung des Erstrichters erhobenen Berufung muß daher ein Erfolg versagt bleiben.
Schließlich hat der Erstrichter bei der Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren für die bedingt nachgesehenen Geldstrafen ein sachgerechtes Ermessen geübt, ein Ermessen, das geeignet ist, den kriminellen Störwert derart massiv vorgetragener öffentlicher Anwürfe ins rechte Licht zu stellen.
Unter diesem Aspekt ist denn auch die mit je S 80.000,- bemessene Höhe des Entschädigungsbetrages nicht zu beanstanden. Der Vorwurf, um verschiedener finanzieller Zuwendungen willen das Leben Schutzbefohlener aufs Spiel zu setzen, wiegt so schwer, daß die dadurch erlittene Kränkung nur mit einem entsprechend hoch bemessenen Entschädigungsbetrag einigermaßen auszugleichen ist.
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